African Questions

Publications of Dr. Klaus Frhr. von der Ropp

Political Observer and Consultant on Southern African Issues

Service

Namibia-Initiative überschätzt

Stellungnahme zur Stellungnahme von Botschafter a.D. Dr. Hans-Joachim Vergau aus afrika süd 3/2018

Hans-Joachim Vergau nimmt die durch britische Unterhändler um Lord Carrington Anfang 1980 bewerkstelligte Machtumkehr von der weißen Minderheit auf die übergroße schwarze Mehrheit in Simbabwe als Anschub zur Überwindung von Apartheid in Südafrika. Dieses Urteil ist zutreffend! Dasselbe nimmt er für die von ihm maßgeblich mitgestaltete Namibia-Initiative der westlichen fünf Mitglieder des UN-Sicherheitsrats in Anspruch. Das waren 1977/1978 die ständigen Mitglieder Großbritannien, USA und Frankreich sowie die nicht-ständigen Mitglieder Deutschland/West und Kanada. Deren Väter waren der afroamerikanische US-Botschafter Andrew Young und H. J. Vergau, und damit der ihm politisch auf das Engste verbundene Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher.

Die westliche Initiative war in der Tat nach ca. 18 Monaten mühseliger Verhandlungen mit der südafrikanischen Regierung, mit der mächtigen Befreiungsbewegung Swapo und der aus Namibia heraus agierenden Demokratischen Turnhallenallianz von Erfolg gekrönt. Sie führte im September 1978 zur Verabschiedung von Resolution 435 des UN-Sicherheitsrates. Diese beinhaltete den völkerrechtlich verbindlichen Plan zur Entlassung Namibias aus der Herrschaft Südafrikas.

Soweit gibt Vergau die Geschehnisse in seiner „Stellungnahme“ zum Band von Ulrich van der Heyden „Der Dakar-Prozess …“ in afrika süd Nr. 2, März/April 2018, korrekt wieder. Wie in seinen zahlreichen anderen Veröffentlichungen zur Entlassung Namibias in die staatliche Unabhängigkeit unterschlägt er jedoch die vielleicht von ihm als hier engsten Berater Genschers verursachten fatalen Folgen des Fehlschlages der Namibia- und einer von Genscher ins Auge gefassten nachfolgenden Südafrika-Initiative. Auf dessen Initiative fand nämlich vom 16.-18. Oktober 1978 in Pretoria ein Treffen der westlichen Fünf mit der südafrikanischen Regierung statt, bei der die letztere dafür gewonnen werden sollte, 435 zu implementieren. Die Weststaaten waren durch den federführenden britischen Außenminister David Owen, US-Außenminister Cyrus Vance, natürlich Genscher, den unbedeutenden kanadischen Außenminister Donald Jamieson und den französischen Staatssekretär im Außenamt Olivier Stirn vertreten. Ich selbst war, das sei am Rande vermerkt, Mitte Oktober 1978 eher zufällig als Bonner Geschäftsführer der Denkfabrik „Stiftung Wissenschaft und Politik“, Ebenhausen, in Pretoria. Ich war also nicht Mitglied von Genschers Delegation!

3|2018 afrika süd 42
42
Service

In Erwartung des Widerstandes der Südafrikaner gegen die Implementierung von 435 hatten die westlichen Fünf sich zuvor für den Fall der Widerborstigkeit Pretorias auf einen Katalog harter Wirtschaftssanktionen gegen Südafrika geeinigt. Das außerhalb des Sicherheitsrates, mithin völkerrechtlich nicht verbindlich!

Auf die entsprechende Frage seines südafrikanischen Kollegen Roelof („Pik“) Botha hin drohte Genscher den Südafrikanern am 17. Oktober 1978 mit der Verhängung dieser Sanktionen. Dann wurde die Konferenz für Genscher unangenehm. Denn David Owen und Cyrus Vance widersprachen ihm. Der Franzose und der Kanadier blieben stumm! Darauf lachte R. Botha Genscher schallend aus. Statt sich mit ihrem deutschen Kollegen zu solidarisieren, schlossen Owen und Vance Genscher aus ihren Initiativen zu Namibia und Südafrika aus. Es stellt sich die Frage, ob London und Pretoria, mit Unterstützung Washingtons, Genscher eine diplomatische Falle gestellt haben, die er und Vergau nicht erkannten.

Damit war die Namibia-Initiative der Fünf am Ende. Alle weiteren Initiativen Bonns hatten mit der Implementierung von 435 nichts mehr zu tun. Denn sie hatten ausschließlich die Verbesserung der schwierigen Beziehungen zwischen Bonn und der in der „Interessengemeinschaft deutschsprachiger Südwester“ (IG) organisierten Deutschen zum Ziel. Briten und, ihnen folgend, die US-Amerikaner warfen Genscher immer wieder vor, die unendlichen Schwierigkeiten eines Transformationsprozesses in Südafrika sträflich zu unterschätzen. Damit gefährde er auch den Erfolg der gemeinsamen Namibia-Initiative. Der große Denker Egon Bahr hatte Genscher genau davor Mitte 1977 gewarnt (Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, Hamburg, 10. Juli 1977, S. 8).

So bleibt es das Geheimnis von Vergau und seiner vielen Mitstreiter, weshalb die Namibia-Initiative trotz ihres Ablebens am 17. Oktober 1975 ein wichtiger Schritt zur Überwindung von Apartheid in Südafrika in den frühen 90er-Jahren gewesen sein soll. Das genaue Gegenteil war der Fall. Das weiß niemand besser als Vergau, der Genscher mit viel Mut beim Rückflug die Konsequenzen ihrer Niederlage vor Augen führte.

Das Anfang der 80er-Jahre von der Reagan-Administration in die Verhandlung mit Pretoria eingeführte sog. Cuban linkage, das die Implementierung von 435 mit dem Abzug des kubanischen Expeditionscorps aus Angola verknüpfte, spielte damals, aller Kritik vor allem aus Bonn zum Trotz, kaum noch eine Rolle. Denn die Namibia-Initiative hatte ihren Geist bereits am 17. Oktober 1978 aufgegeben.

Mit dem Ende des kalten Krieges nahmen London und Washington die Namibia-Initiative wieder auf, ohne die Beteiligung von Deutschland/West, Frankreich und Kanada. Dabei wurden sie von dem seinerzeitigen britischen Gesandten in Washington Robin Renwick und Chester A. Crocker, dem sehr kundigen US-Assistant Secretary of State for African Affairs, vertreten. Dies ab Mai 1988, zunächst in London und dann in Kairo, Genf, New York sowie Brazzaville. Zu der Konferenz in Brazzaville hat arte unter dem Titel „Cuba – Une Odyssée Africaine“ 2007 eine höchst informative Dokumentation ausgestrahlt. Abermals ohne deutsche Beteiligung! In den späten 80ern wurde diese britisch-amerikanische Diplomatie sehr konstruktiv durch die UdSSR unterstützt. Eine vorzügliche Rolle spielte dabei der erste russische Botschafter nach dem Zweiten Weltkrieg in Pretoria, Jewgeni Petrovich Gusarov. Sie führte dazu, dass ab dem 1. April 1989 435 in die Tat umgesetzt wurde, und führte ferner dazu, dass Namibia am 21. März 1990 in die staatliche Unabhängigkeit entlassen wurde. Der Sachkunde Vergaus verdanken wir den Hinweis, dass dieser Tag auch der 63. Geburtstag seines Ministers und großen Förderers H.-D. Genscher war. Die Verbundenheit zu ihm, der erst in der Ära des Bundeskanzlers Helmut Kohl zu einem ohne Zweifel bedeutendem Staatsmann wurde, lässt Vergau übersehen, dass sich am 21. März 1990 zum 30. Mal das Massaker von Sharpeville/Südafrika und dessen Niederschlagung durch das Rassistenregime in Pretoria jährten.

»Klaus Freiherr von der Ropp

3|2018 afrika süd 43
43