African Questions

Publications of Dr. Klaus Frhr. von der Ropp

Political Observer and Consultant on Southern African Issues

Frankfurter Allgemeine Zeitung   Dienstag, 2. August 1977, Nr. ??? / Seite 7

Bilanz nach Soweto

In seinem Südafrika gewidmeten Leitartikel in der F.A.Z. vom 5. Juli („Ein Jahr nach Soweto“) verweist Klaus Natorp darauf, daß die Mehrzahl der verantwortlichen Weißafrikaner keine Konsequenzen aus dem Desaster des vergangenen Jahres gezogen habe. Sie glaubt auch weiterhin, ihren schwarzen und braunen Mitbürgern ihre Vorstellungen diktieren zu können; sie weigert sich auch weiterhin, mit diesen gemeinsam die Zukunft dieses großen Landes zu diskutieren. Die Antwort auf die Unruhen des vergangenen Jahres lautet kragdadigheid, nicht aber Ausgleich. Andererseits finden sowohl in der Nasionale Party J. B. Vorsters wie auch im übrigen Afrikanerdom, dies aber fast ausschließlich hinter verschlossenen Türen Diskussionen um die Zukunft Südafrikas statt, die an Offenheit und Deutlichkeit nichts zu wünschen übriglassen. Viele weiße Afrikaner, die etwa an den afrikaansen Universitäten an diesen Diskussionen teilhaben, wissen um die absolute Unhaltbarkeit der heutigen Ordnung; sie wissen etwa, daß auf alle südafrikanischen schwarzen „Heimatländer“ zusammen heute nur knapp ein Prozent des südafrikanischen Bruttosozialprodukts entfällt und daß dies zur großen Katastrophe führen muß.

Sehr zu bezweifeln ist jedoch, daß diese afrikaansen Kreise eine Revolution von oben auslösen können. So wächst die Gefahr einer Revolution von unten von Tag zu Tag; bereits heute hat die Arbeitslosigkeit unter der schwarzen Bevölkerung 15 Prozent überschritten. Und die zunehmend unvermeidlich erscheinende Revolution von unten könnte sehr wohl im Laufe eines vielleicht Jahrzehnte dauernden Prozesses zur völligen Zerstörung Südafrikas wie auch seiner Nachbarn, wenn nicht zu noch Schwerwiegenderem führen.

Dem Beobachter des südafrikanischen Krisenszenariums drängt sich immer mehr die Frage auf, ob eine solche Entwicklung nicht einzig durch ein gemeinsam mit schwarzen, braunen und weißen Südafrikanern sowie einer möglichst großen Anzahl schwarzafrikanischer Staaten erarbeitetes Diktat des Westens verhindert werden kann. Bei Formulierung einer solchen Politik wird zu berücksichtigen sein, und dies sieht Natorp völlig richtig, daß die weißen Afrikaner auch in Zeiten extremer Spannung nur denjenigen Außenstehenden anhören werden, der sich mit derselben Vehemenz, mit der er Apartheid bekämpft, zum machtpolitisch abgesicherten Existenzrecht der weißen und braunen Afrikaner in Südafrika bekennt. Dies hatte wohl auch der frühere amerikanische Außenminister Henry Kissinger im Auge, als er nach seinen Treffen mit dem südafrikanischen Ministerpräsidenten formulierte, mit J. B. Vorster sei ihm eine Gestalt des Alten Testaments begegnet.

Wo kann ein Ausweg liegen? Man wird ihn entweder, um George Ball zu zitieren, in einer gerechten Aufteilung des Landes oder in einer Föderation sui generis zu suchen haben. Eine solche Föderation eigener Art mag sich, wie der südafrikanische Minister Petrus Gehardus Koornhof Ende Mai in Kapstadt ausführte, in manchem an dem schweizerischen Kantonalsystem orientieren. Ähnliche Vorstellungen mögen auch Egon Bahr geleitet haben, als er kürzlich von der Notwendigkeit sprach, für Südafrika ein bisher unbekanntes Modell des gleichberechtigten Zusammenlebens mit besonderem Schutz für Minderheiten zu finden. Entscheidend für die Politik der Bundesregierung und ihrer Verbündeten wird der Zeitfaktor sein. Denn es ist sehr wenig Zeit geblieben, die große Katastrophe zu verhindern.

Dr. Klaus Freiherr von der Ropp, Köln
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