Gerd Dieter Bossen/Klaus Freiherr von der Ropp
Wege und Irrwege in Südafrika
Appell für eine konstruktive Politik des Westens
Das weiße Südafrika will überleben, die schwarze Mehrheit drängt auf »one man – one vote«. Nur eine Politik des friedlichen Wandels kann Ausweg aus dem Dilemma sein.
Wer die Entwicklung im Südlichen Afrika über die letzten Jahre verfolgte, der
wird sich oft gefragt haben, welches Konzept der Politik der Bundesrepublik
Deutschland in dieser Region zugrunde lag. Politik einer westlichen Demokratie
muß sich, will sie glaubwürdig sein, an den Grund- und Menschenrechten
orientieren. Damit allein ist sie jedoch noch nicht konstruktiv. Will sie dies sein
– und nur dann hat sie Aussicht, erfolgreich zu sein – so müssen die eigenen
Interessen und die der Betroffenen in der Region genau analysiert und berücksichtigt werden. Dies ist nicht immer einfach, besonders in einer so komplexen
Situation wie der im Südlichen Afrika.
In Südafrika hält die weißafrikanische Nation das Heft fest in der Hand, fester
und sicherer, als die meisten ihrer Kritiker im Westen es wahrhaben wollen. Sie
ist entschlossen, sich dieses nicht aus der Hand nehmen zu lassen. Das weiße
Südafrika betrachtet sich als unverzichtbaren Bestandteil des Westens, politisch
wie militärisch, strategisch und wirtschaftlich. Es sieht sich als westliche Bastion
gegen den vordringenden Kommunismus. Diese Überzeugung, für den Westen
unverzichtbar zu sein, führt zu einer Überschätzung der eigenen politischen
Möglichkeiten.
Das weiße Südafrika will überleben, und dies im weitesten Sinne des Wortes –
kulturell, wirtschaftlich und politisch. Niemand wird es dazu überreden oder
auch drängen können, die weiße Herrschaft in Südafrika zugunsten einer
schwarzen aufzugeben. Und in den Augen der großen Mehrzahl der weißen
Südafrikaner wäre die Einführung von »one man – one vote« in einem Einheitsstaat nichts anderes als eine Auslieferung, eine Kapitulation, an die schwarze
Mehrheit. Auch die aufgeschlossenen, jeder Reform zuneigenden Weißen sind
hierzu nicht bereit.
Pretoria erwartet vom Westen, und damit auch von der Bundesrepublik
Deutschland, daß diese Grundforderung respektiert wird. Es erwartet, nicht mit
Maximalforderungen konfrontiert zu werden, die oft nur aus dem Bestreben
kommen, Schwarzafrika zu gefallen. Man ist sich heute klar darüber, daß man
vom Westen keine Unterstützung der Apartheid (oder der »getrennten Entwicklung«, wie das System der Rassentrennung heute offiziell heißt) erwarten kann.
Aber man erwartet Anerkennung der Grundbedürfnisse der weißen Bevölkerung und man erwartet Fairneß. Es stößt in Südafrika auf wenig Verständnis,
wenn die Verletzung von Menschenrechten in Südafrika lautstark kritisiert
werden, gleichzeitig aber Verletzungen der Menschenrechte etwa in Angola oder
Zaire ignoriert werden. Eine pragmatische Politik wird dies zu berücksichtigen
haben. Nicht nur wegen der besonderen Situation der Weißen in Südafrika, die
keine Möglichkeit des Rückzuges in ein europäisches Mutterland haben, sondern
auch mit Rücksicht auf die eherne Entschlossenheit des weißen Südafrika, sich
zu behaupten, notfalls allein.
Die schwarze Bevölkerung Südafrikas, bei weitem in der Mehrheit, hat ganz
andere Interessen und Erwartungen an den Westen und an die Bundesrepublik.
So zersplittert die politischen Kräfte im schwarzen Lager auch sind, in einem
Punkt sind sie sich einig - sie erwarten vom Westen den bedingungslosen
Einsatz für eine Beseitigung des Systems der Rassentrennung zugunsten einer
Machtübernahme durch die schwarze Mehrheit.
Viel mehr an Gemeinsamkeiten gibt es unter den unter sich zerstrittenen
Gruppen allerdings nicht. Die radikalen, meist linksorientierten Kräfte wie der
African National Congress (ANC), der Panafricanist Congress (FAC), die United
Democratic Front (UDP), oder die Black Consciousness Movement (BCM)
fordern einen allumfassenden Boykott gegen Südafrika und Unterstützung des
bewaffneten Kampfes gegen Pretoria, sie fordern die Unterstützung von » one
man – one vote« in einem Einheitsstaat, möglichst sofort. Doch gibt es im
schwarzen Lager auch besonnenere Kräfte, die diesen Weg als nicht realistisch
ansehen. Hauptexponent dieser Richtung ist die von Buthelezi geführte Bewegung Inkatha.
Diese Befreiungsbewegung hat erkannt, daß sich eine Lösung für Südafrika in
absehbarer Zeit nicht mit Gewalt erzwingen läßt. Sie hat erkannt, daß eine
solche Auseinandersetzung, wenn sie oberhaupt einen Sieger hervorbrächte,
dann nur unter Inkaufnahme der totalen Zerstörung des Landes. Dieser Preis,
dieses Opfer auch an eigenen Leuten, erscheint lnkatha zu hoch, zumal die
Bewegung Gewalt auch aus grundsätzlichen und moralischen Erwägungen
ablehnt. Inkatha setzt auf friedlichen Wandel durch konstruktiven Dialog, wobei
allerdings auch wirtschaftliche Druckmittel, wie Streiks und Verbraucher-Boykott, als legitim angesehen werden; diese Mittel sind bisher jedoch noch kaum
angewandt worden.
Inkatha erwartet vom Westen, daß er die Bewegung des friedlichen Wandels
unterstützt, und dafür Einfluß, auch konstruktiven Druck auf Pretoria ausübt.
Buthelezi ist sich darüber im klaren, daß es keine Lösung für Südafrika geben
kann, wenn beide Seiten auf Maximalforderungen beharren; er sucht nach für
beide Seiten akzeptablen Kompromissen. Erfolg kann dieses Bemühen nur dann
haben, wenn Pretoria sich dazu bereitfindet, in Verhandlungen eine gemeinsame
Lösung zu erarbeiten; dafür erwartet Inkatha Unterstützung des Westens.
Für das so reiche Land wird es eine Zukunft ohne die Mitwirkung der dort
lebenden weißen Bevölkerung ebensowenig geben, wie ohne die Mitwirkung der
schwarzen Bevölkerung. Die Bevölkerungsgruppen der Farbigen« und der
››Asiaten« spielen so gesehen nur eine Nebenrolle. Es ist daher nicht nur
moralisch nicht zu rechtfertigen, sondern auch politisch falsch, nur auf eine
dieser beiden großen Bevölkerungsgruppen zu setzen.
Schon diese verfahrene Ausgangslage macht es schwierig, die richtige Politik
gegenüber Südafrika zu finden. Hinzukommen muß jedoch noch eine Abwägung der eigenen Interessen und Möglichkeiten, wodurch die Aufgabe nicht
leichter wird. Auf der einen Seite muß die Bundesrepublik Deutschland für die
Verwirklichung der Menschenrechte in der Region und damit für eine Beseitigung der Rassendiskriminierung eintreten, will sie als Demokratie glaubwürdig
bleiben. Würde sie diese Basis verlassen, verlöre sie jegliche moralische und
politische Legitimation. Im Bemühen um gute Beziehungen zum gesamten
übrigen Afrika und der Dritten Welt im allgemeinen, läge es nahe, darüber
hinaus auf die Linie der Radikalen, angeführt vom ANC, einzuschenken und
einen totalen Anti-Südafrika-Kurs zu steuern. Zumindest im Schwarz- und
Nordafrika ließen sich damit Punkte sammeln. Geht man davon aus, daß die
Zukunft Südafrikas der schwarzen Mehrheit gehört, so würde eine derartige
Politik auch gute Voraussetzungen für die Zeit nach der schwarzen Machtübernahme schaffen.
Auf der anderen Seite ist Südafrika ein bedeutender wirtschaftlicher Partner. Es
verfügt über einen immensen Reichtum an Rohstoffen, wovon einige für den
Westen, insbesondere seine Rüstung, eine vitale Bedeutung haben. Es liegt an
der Südspitze Afrikas und damit an einem der wichtigsten Seewege. Es kann
nicht in deutschem Interesse liegen, hier einer zum Ostblock orientierten
Regierung an die Macht zu helfen. Man kann also durchaus den Standpunkt
vertreten, daß es – zumindest kurz- bis mittelfristig – im deutschen politischen
Interesse liegt, daß die gegenwärtige Regierung in Südafrika am Ruder bleibt.
Es liegt auf der Hand, daß es nicht möglich ist, allen diesen konkurrierenden
Interessen gerecht zu werden, es gleichzeitig allen recht zu machen. Dennoch
muß die Bundesrepublik einen klaren Kurs finden, der auch konsequent durch-
gehalten wird. Nur dann wird es gelingen, Vertrauen und Respekt wiederzugewinnen. Zu oft ist man der Versuchung erlegen, vom grünen Tisch aus den
Besserwisser zu spielen, der die Lösungen für die komplexen Probleme Südafrikas parat hat.
Es hat der Bundesrepublik Deutschland langfristig nichts eingebracht, der
Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) zuliebe Südafrika an den Pranger
zu stellen und einseitig zu verurteilen. Den oft starken Worten folgten kaum
Taten. Die Wirtschaftsbeziehungen funktionierten weiter so gut wie reibungs-
los, Hermes-Bürgschaften wurden erteilt, der Handel mit Südafrika florierte.
Bei der schwarzen Bevölkerung in Südafrika und in Schwarzafrika setzte sich mit
der Zeit die Auffassung durch, daß nur rhetorische Pflichtübungen absolviert
wurden, in Wirklichkeit aber das Regime in Pretoria unterstützt wurde. In
Pretoria dagegen nahm man die einseitige Kritik mit der Zeit immer weniger
ernst, da sie kaum konkrete Auswirkungen hatte. Die Folge war, daß Deutsch-
land Glaubwürdigkeit verlor und damit politisches Gewicht und Einfluß.
Es ist nicht vertretbar, Südafrika weiterhin wegen Rassendiskriminierung und
Verletzung der Menschenrechte mit Kritik zu bombardieren, gleichzeitig aber
sich mit Kritik an Menschenrechtsverletzungen in Mozambique, Zaire, Pakistan
oder der Sowjetunion, um nur einige Beispiele zu nennen, zurückzuhalten, da
dies nicht in die politische Landschaft paßt. Es geht nicht an, die Wirtschaftsbeziehungen und den Handel mit Südafrika herunterzuspielen, als ob man sich
dessen schämen müßte, gleichzeitig aber zu proklamieren, daß intensive Wirtschafts- und Handelsbeziehungen mit der Sowjetunion dort zu friedlicher
Koexistenz und langfristig sogar zu einer Öffnung des Systems führen können.
Kritik muß fair sein, sie darf sich nicht aus opportunistischen Gründen auf die
einen beschränken und bei den anderen über Mißstände hinwegsehen.
In Afrika – und sicher nicht nur dort – zahlt es sich auf Dauer nicht aus, der
Mehrheit nach dem Munde zu reden. Auch Afrikas Regierungen und Politiker
verfolgen in erster Linie ihre eigenen Interessen. Und sie trauen niemandem so
recht, der vorgibt, dies nicht zu tun. Eine klare und offene Verfolgung eigener
Interessen wird weit eher respektiert als ein verbrärntes Manövrieren zwischen
den Fronten.
Der Westen und so auch die Bundesrepublik Deutschland muß daran interessiert
sein, daß in Südafrika das System der Rassentrennung und -diskriminierung
abgebaut wird, zugunsten einer gerechten Aufteilung von Rechten und Pflichten
für die gesamte Bevölkerung. Gleichzeitig liegt es im westlichen Interesse, daß
die politische und wirtschaftliche Lage in Südafrika stabil bleibt, daß die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen erhalten bleiben und daß der Seeweg um das
Kap weiterhin ungefährdet ist. Eine gewaltsame Auseinandersetzung wiirde
nicht nur wirtschaftliche und politische Stabilität beseitigen, sondern sich zu
einer Gefahr für den Weltfrieden ausweiten. Gewaltanwendung abzubauen, zu
vermeiden wird nur gelingen, wenn es möglich ist, Pretoria zur Abkehr vom
System der getrennten Entwicklung und die radikalen Kräfte zur Abkehr von
dem Versuch zu bewegen, dieses Ziel mit Gewalt zu erreichen. Dies ist ein
langwieriger Prozeß und die Möglichkeiten des Westens sind recht beschränkt.
Er kann kaum hoffen, die eine oder die andere Seite in diesem Sinne zu
überzeugen. Aber es muß alles unterbleiben, was für das System der getrennten
Entwicklung oder aber für eine radikale gewaltsame Politik als politische Anerkennung oder irgendwie geartete Unterstützung gewertet werden kann.
Im Grunde hat die Bundesrepublik Deutschland verbal immer den Standpunkt
vertreten, daß sie das System der Apartheid ablehnt, aber auch die Anwendung
von Gewalt zur Beseitigung dieses Systems. Bewegungen jedoch, die sich für
friedlichen Wandel in Südafrika einsetzen, sind jahrelang ignoriert worden. Erst
allmählich beginnt sich hier ein Wandel zu vollziehen, aber immer noch wird die
Haltung etwa gegenüber Buthelezi und Inkatha von vorsichtiger Zurückhaltung
bestimmt. Es soll hier nicht behauptet werden, daß Inkatha den Schlüssel für die
Lösung der Probleme Südafrikas gefunden hat, daß nun allein auf dieses Pferd zu
setzen sei. Doch Unterstützung ihres Ansatzes, den Wandel in Südafrika
gewaltfrei herbeizuführen, kann ihre Bestrebungen im Lande stärken - ein
Anreiz zugleich für Pretoria, mit ihr in einen Dialog einzutreten. Das würde sie
in den Augen der schwarzen Bevölkerung aufwerten und ihr erhöhten Zulauf
verschaffen. Diese politischen Kräfte im südafrikanischen politischen Spektrum
zu unterstützen, stellt einen konstruktiven Beitrag für die Zukunft Südafrikas
dar, was zugleich im ureigenen Interesse des Westens liegt.