Teilt Südafrika!
Nationale Selbstbestimmung und Minderheitenschutz in Südafrika: Modelle einer geographischen Aufteilung
Von Klaus von der Ropp
Das südliche Afrika ist in den zurückliegenden fünf Jahren zu einem internationalen Krisenherd erster Ordnung geworden. Manches spricht sogar dafür, daß das südliche Drittel des afrikanischen Kontinents in den achtziger Jahren zum Hauptschauplatz der Ost-West-Auseinandersetzungen werden wird. Die kommenden Jahre werden Zambia, Zaire, Angola und Mozambique mit einiger Wahrscheinlichkeit abermals vor existenzbedrohende Krisen stellen.
Die Mißwirtschaft vergangener Jahre, im Fall der ehemals portugiesischen Kolonien der Exodus der Portugiesen sowie die vielleicht unaufhaltsame Verschärfung der Konflikte in und um Rhodesien/ Zimbabwe, Südwestafrika/Namibia und Südafrika/Azania konfrontieren die Regierungen in Lusaka, Kinshasa, Luanda und Maputo nämlich häufig mit praktisch unlösbaren Aufgaben.
Und sollten die Bemühungen westlicher Länder um Lösungen der Südwestafrika- und Rhodesien-Konflikte 1979 endgültig scheitern, sollten nach einer Politik der verbrannten Erde mittelfristig auch die dort lebenden weißen Afrikaner vertrieben werden, so werden die Vorboten des Chaos in der Region noch sichtbarer werden.
In jedem Fall wird sich jedoch die Frage nach der künftigen Gestalt des Mehrvölkerstaates Südafrika stellen. Hier geht es, was allerdings von vielen Außenstehenden übersehen wird, anders als in Südwestafrika und Rhodesien sowie früher in den portugiesischen Überseegebieten, in Algerien und Kenya, nicht um die Lösung eines Kolonialkonfliktes.
Auch handelt es sich nicht, wie oft behauptet wird, nur um einen Rassen- und Klassenkonflikt in einem an Rohstoffen aller Art ungeheuer reichen Land. Denn in Südafrika stehen sich, insoweit mag dies Land der früheren Doppelmonarchie vergleichbar sein, heute verschiedene Nationen, nämlich die der schwarzen Südafrikaner und die, hier in über 300 Jahren gewachsene, der Weißafrikaner gegenüber. Anders als in den Kolonialkriegen der sechziger und siebziger Jahre fehlt es hier also an einer in einem westlichen Land gelegenen Hauptstadt, in der ein eventueller Südafrika-Krieg politisch verloren werden könnte. Beide Kontrahenten würden in einem solchen Konflikt um ihre nackte Existenz ringen. Ein Krieg in und um Südafrika würde also ganz andere Dimensionen annehmen als die Kolonialkriege. Hier ließen sich mühelos apokalyptische Szenen zeichnen.
Um so dringlicher erscheint eine Südafrika-Initiative der wichtigsten Staaten des Westens, die sich in manchem an die SWA-Namibia-Initiative der fünf seinerzeitigen Mitglieder des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen anlehnen kann. Ziel einer solchen Initiative sollte die Einberufung und Durchführung einer Nationalen Konvention der Vertreter der verschiedenen Bevölkerungsgruppen sein. Sie werden die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Strukturen des künftigen Südafrika auszuhandeln haben.
Diese so problematische Konferenz wird gewiß einer intensiven diplomatischen Förderung und Vermittlung durch westliche und schwarzafrikanische Staaten bedürfen. So werden von dieser Staatengruppe Verfassungs-Alternativen zu erarbeiten sein, die den berechtigten Interessen beider Hauptkontrahenten gleichermaßen Rechnung tragen. Es liegt auf der Hand, daß hier vor allem auf solche Kompromißformeln zurückzugreifen ist, die in Südafrika bereits diskutiert werden.
Bereits heute werden in liberalen Kreisen Südafrikas, jedoch durchaus auch unter „verligten“, das heißt aufgeklärten Exponenten des Regierungslagers, einschließlich des mächtigen Broederbondes, Überlegungen zu der Frage angestellt, wie die beiden gleichrangigen Postulate nach Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechtes der übergroßen schwarzafrikanischen Mehrheit (rund 70 Prozent der Gesamtbevölkerung) und das nach einer machtpolitischen Absicherung des Existenzrechts der weißafrikanischen Nation (rund 17 Prozent) sowie der beiden braunafrikanischen Minderheiten (rund zehn und drei Prozent) miteinander in Einklang zu bringen sind.
Hier haben sich in den zurückliegenden Jahren zwei Denkschulen herausgebildet: Die erste sieht den Ausweg aus dem südafrikanischen Dilemma in einer demokratischen Ordnung schweizerischen Vorbilds, also einem institutionalisierten System der Machtteilung unter den verschiedenen Bevölkerungsgruppen, einer Art ständiger Großer Koalition.
Die zweite Denkschule diskutiert unterschiedliche Modelle einer geographischen Aufteilung Südafrikas in zwei (oder mehrere) souveräne, möglicherweise einander in einer Konföderation verbundene Staaten (siehe Karte).
Wichtig ist hier der Hinweis, daß eine Neuordnung durch Teilung nichts mit dem bestehenden System einer Scheinteilung Südafrikas, das ist die Ausgliederung von nicht lebensfähigen Reservaten (beschönigend „Homelands“ genannt) aus dem südafrikanischen Staatswesen, gemein haben darf.
Heute scheint eher der zweiten Denkschule die Zukunft zu gehören. Denn zu groß ist bereits die Polarisierung zwischen den beiden Hauptbevölkerungsgruppen; zu berechtigt die Annahme, daß es vor allem den schwarzen Südafrikanern einerseits und den Weiß- und Braun-Südafrikanern andererseits einfach an jenem gemeinsamen Nenner fehlt, ohne den ein gemeinsames Staatswesen nicht denkbar, jedenfalls nicht funktionsfähig ist.
Die Diskussion um Teilungsmodelle für Südafrika ist alt. Schon der bedeutende südafrikanische Liberale R. F. Hoernle und, als Vorreiter dieser in der Bundesrepublik Deutschland besonders intensiv geführten Diskussion, Herbert Kaufmann haben hier wichtige Beiträge geliefert. In Folge eines 1976 (Heft 3) in der Zeitschrift Außenpolitik erschienenen Beitrages hat sich diese Diskussion jüngst intensiviert.
Modell I
Das bestehende System einer Scheinteilung sieht vor, daß die geographisch zerrissenen Reservate, die allesamt kaum über industrielles und nur über geringes agrarisches Entwicklungspotential verfügen, in eine scheinbare Unabhängigkeit entlassen werden. Die Reservate Transkei und BophutaTswana haben diesen Schritt bereits vollzogen. Bei einem Flächenanteil von zusammen 13 Prozent (für 70 Prozent der Bevölkerung Südafrikas) sind die Reservate am Bruttoinlandsprodukt zusammen mit 0,92 Prozent beteiligt. Ihr Anteil am Wert einiger Produktionszweige sei hier beispielhaft aufgeführt: bei der Landwirtschaft 4,68 Prozent, beim Bergbau 3,35, bei der Industrie 0,12, beim Bausektor 0,10 und beim Handel 1,22.
Keines der Reservate wird nach Ausgliederung aus dem bei weitem höchst entwickelten Staat Afrikas mehr als ein least developed country sein können. Die Funtkion der Reservate wird also auch nach ihrer Entlassung in die „Unabhängigkeit“ unverändert die bisherige sein, nämlich die eines Lieferanten billiger Arbeitskraft für die Industrie- und Landwirtschaftszentren im „weißen“ Südafrika. Heute leben daher über 50 Prozent der schwarzen Südafrikaner dort als politisch rechtlose Gastarbeiter.
Modell II
Bereits seit Jahren wird, angesichts der offensichtlichen Aussichtslosigkeit des Gelingens der gegenwärtigen Version der Politik der getrennten Entwicklung, unter anderem an den Universitäten Potchefstroom, Pretoria und Stellenbosch über Plänen gearbeitet, die bestehenden Reservate geographisch so zu arrondieren, daß sie im Norden und im Osten des Landes je einen großen, ökonomisch durdıaus relevanten Block bilden. Beide Blöcke würden zusammen rund 33 Prozent der Fläche Südafrikas ausmachen, auf sie entfielen zusammen 21,4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. In dieser Region leben heute 60 Prozent der schwarzen Südafrikaner. Ein relativ großer Teil der Weißafrikaner wäre heute wohl zu solchen, durchaus einschneidenden Zugeständnissen an den schwarzafrikanischen Kontrahenten bereit, wenn dadurch die Probleme des Landes definitiv gelöst werden könnten. Nichts spricht jedoch dafür, daß, unter anderem angesichts des Sieges der radikalen schwarznationalistischen Kräfte in Angola und Mozambique, die schwarzen Afrikaner sich mit einer derartigen Teilung des Landes zufriedengeben werden.
Modell III
Eher wäre die Zustimmung der Schwarzen Südafrikas wohl für die Gründung eines „Whitestan“ im äußersten Süden des Landes zu gewinnen. Die so entstehende Grenze zwischen dem weiß- und schwarzafrikanischen Staat wäre etwa mit der Nordgrenze des weißen Südafrikas von 1798 identisch. Dieses Whitestan würde 21 Prozent der Fläche des heutigen Südafrika umfassen. Auf diesen Teil des Landes entfielen 20,4 Prozent des Bruttoinlandproduktes. Es wären dort 29,8 Prozent der Gesamtbevölkerung, das heißt alle weißen, gemischtrassigen und indienstämmigen Südafrikaner unterzubringen.
In diesem Staat der drei südafrikanischen Minderheiten gäbe es überhaupt keinen Bergbau, und die Wasserfrage wäre äußerst problematisch. Andererseits verfügte dieser Staat über drei Hochseehäfen (allerdings ohne Hinterland). So ungeheuer große Opfer eine solche Aufteilung insbesondere den weißen Afrikanern abverlangen würde, so wären die Überlebens- und Entwicklungschancen eines solchen weiß/ braunen Heimatlandes von der vorhandenen Infrastruktur, vom Know-how und vom Kapital her doch unvergleichlich größer als die des bestentwickelten bestehenden Reservates, der Transkei. Wer sich aber die Souveränität vor Augen hält, mit der die Regierung in Pretoria trotz aller revolutionären Entwicklungen jenseits der Grenzen sowie der Unruhen der letzten Jahre in Südafrika selbst das Land beherrscht, wird zu dem Schluß kommen müssen, daß niemand in Pretoria dem Rückzug in ein solches Whitestan das Wort reden wird.
Modell IV
Von daher wurde in dem bereits erwähnten Beitrag in der Außenpolitik der Versuch unternommen, eine Brücke zwischen den Modellen II und III zu schlagen. In diesem Beitrag wurden folgende Vorschläge zur Diskussion gestellt:
- Eine konsequente territoriale Teilung Südafrikas: in zwei Staaten: einen nördlichen Staat mit ausschließlich schwarzafrikanischer Bevölkerung (Azania) und einen Südstaat (Südafrika) mit ausschließlich weiß- und braunafrikanischer Bevölkerung. Als Grenze wurde die Linie Oranjemund, Kimberley, Bloemfontein und Port Elizabeth vorgeschlagen; die genannten Orte bilden die Nord- beziehungsweise Ostgrenze des weiß/ braunen Staates.
- Vollständige Integration der gemischtrassigen und indienstämmigen Südafrikaner in den weiß/braunafrikanischen Staat, das heißt „one-man-one-vote in zwei Staaten“.
- Grenzziehung unter Berücksichtigung historischer Begebenheiten (Kapprovinz westlich der Ciskei ist Mutterland der gemischtrassigen und weißen Südafrikaner) und einer detailliert begründeten Verteilungsgerechtigkeit (der schwarze Staat verfügt mit 70 Prozent der Gesamtbevölkerung über rund 50 Prozent des Territoriums und annähernd 75 Prozent des Bruttoinlandprodukts). Darüber hinaus wurde bei der Grenzziehung auf eine gewisse Gleichwertigkeit des Entwicklungspotentials, gemessen an den Rohstoffressourcen und der Infrastruktur, geachtet.
- Bevölkerungsverschiebungen von sehr erheblichem Ausmaß, wobei im Gegensatz zur bisherigen Trennungspolitik vor allem weiße und indienstämmige Afrikaner betroffen wären. Insgesamt wären etwa 4,6 Millionen Menschen umzusiedeln.
- Der weiß/braunafrikanische Staat würde in das westliche Verteidigungsbündnis aufgenommen, um seinen Bestand sicherzustellen.
Die Zahl der Argumente, die sich gegen eine solche drastische Lösung des südafrikanischen Dilemmas geradezu aufdrängen, ist übergroß. So dürfte etwa der Widerstand jeder derzeit denkbaren weißafrikanischen Regierung gegen die Aufgabe des riesigen Industriekomplexes Pretoria/Johannesburg/Vereeiniging nicht zu überbieten sein. Ferner sind die katastrophalen wirtschaftlichen Konsequenzen der erforderlichen Umsiedlungsaktion zu berücksichtigen: Der hochindustrialisierte Nordstaat (Azania) würde seiner sämtlichen weißafrikanischen Kader beraubt, ohne diese auch nur annähernd aus den Reihen seiner eigenen Bürger ersetzen zu können.
Im Südstaat (Südafrika) stände eine große Zahl hochqualifizierte: Fachleute zur Verfügung, ohne daß ihr Staat über die entsprechenden Arbeitsplätze verfügte. Dennoch wird selbst dieser radikale Teilungsvorschlag in der Führungselite der nahezu allmächtigen „Nasionale Party van Suid-Afrika“, nicht jedoch von den führenden Schwarzen, im Sinne einer Eventualplanung diskutiert.
So unwahrscheinlich es heute auch sein mag, daß die weißen Südafrikaner sich jemals aus dem industriell und landwirtschaftlich so hoch entwickelten Nordstaat in einen viel weniger entwickelten und entwicklungsfähigen Wüstenstaat im Süden des Landes zurückziehen werden, so sollte doch eine solche Entwicklung angesichts ihrer prekären internationalen Stellung nicht ausgeschlossen werden. Denn die weißen Südafrikaner leben, ohne Verbündete zu haben, in einem von internen und externen bewaffneten Auseinandersetzungen bedrohten Land. Nackte Interessenpolitik läßt heute die westlichen Industriestaaten zunehmend Stellung gegen sie beziehen. Die neue Südafrikapolitik der USA zeigt dies besonders deutlich; sie wird kaum entscheidend zu revidieren sein.
Gleichwohl wird man annehmen müssen, daß eine solche Aufteilung Südafrikas wohl nur das Ergebnis einer aus einem längeren Bürgerkrieg heraus geborenen innersüdafrikanischen Verhandlungsrunde sein kann. Eine Schlüsselrolle kommt gerade dann einer vermittelnden Diplomatie westlicher und schwarzafrikanischer Länder zu. Es sollte sich von selbst verstehen, daß bei einer solchen Entwicklung nur massive Hilfsprogramme des Westens Nord- und Südstaat vor dem ökonomischen Zusammenbruch werden bewahren können.
Modell V
Es ist von daher heute nach Wegen zu suchen, den in der Zeitschrift Außenpolitik unterbreiteten Teilungsvorschlag so zu modifizieren, daß seine Grundgedanken zwar erhalten bleiben, er jedoch mit den ökonomischen Realitäten des Landes in Einklang gebracht wird. Es wird also an dem Gedanken festgehalten, Südafrika entlang der Linie Oranjemund-Kimberley-Bloemfontein-Port Elizabeth in einen Nord- und einen Südstaat aufzuteilen. Es unterbleibt jedoch zumindest vorerst die nach Modell IV erforderliche Umsiedlung von 4,6 Millionen Menschen. Beide Nachfolgestaaten, die untereinander eng zusammenarbeiten, sich vielleicht sogar zu einer Konföderation zusammenschließen, verfügen nach Modell V über eine innere Ordnung des „one-man-one-vote“. Es entstehen mithin zwei souveräne, multirassische Staaten.
Dennoch trägt auch dieses Teilungsmodell der Urangst der weißen (und letztlich auch der braunen) Afrikaner vor Vertreibung und Liquidierung durch die übergroße Zahl der schwarzen Afrikaner Rechnung: So werden besondere Vereinbarungen zwischen'Nord- und Südstaat zur Regelung von Fragen der Staatsbürgerschaft sowie sehr umfangreiche Hilfszusagen westlicher Staaten für den eben nicht unwahrscheinlichen Fall des Scheiterns von Teilungsmodell V die dann erforderliche Umsiedlung von 4,6 Millionen Menschen wesentlich erleichtern. Vielleicht wird sich so sogar ein Chaos in beiden Nachfolgestaaten Südafrikas vermeiden lassen. Der Südstaat hat mithin auch nach Teilungsmodell V die Funktion einer von außen in ihrer Existenz garantierten weiß- und braunafrikanischen Fluchtburg.
Die Verwirklichung von Modell V würde für die weißen Afrikaner einen Bruch mit ihrer Geschichte bedeuten. Denn alle im Nordstaat lebenden Weißafrikaner, das sind derzeit weit mehr als 50 Prozent ihrer Gesamtzahl, unterlägen schwarzafrikanischer Herrschaft. Es mag sein, daß das Vorhandensein der Fluchtburg eines Südstaates die Weißen angesichts des immer stärker werdenden internen und externen Drucks auf Pretoria dazu bewegen könnte, sich auf solche Experimente einzulassen. Die führenden Wirtschaftskreise Südafrikas würden gewiß Modell V den Vorzug vor Modell IV geben.
Ungeklärt ist allerdings, wie sich die schwarzen Südafrikaner zu Modell V stellen würden. Angesichts des Umstandes, daß die große Mehrheit der Schwarzen nach wie vor einen vollintegrierten Staat fordert, würden sie möglicherweise Teilungsmodell V den Vorzug vor Teilungsmodell IV geben. Voraussetzung für die Akzeptabilität dieses Vorschlages ist jedoch, daß
es in beiden Staaten zu einer einschneidenden Umverteilung, insbesondere einer drastischen Landreform zugunsten der Schwarzen- kommt. Dazu fänden sich die herrschenden Weißen,
wenn überhaupt, sicher nur unter ganz massivem Druck bereit.