African Questions

Publications of Dr. Klaus Frhr. von der Ropp

Political Observer and Consultant on Southern African Issues

VIII

Afrika im Umbruch

Südafrika auf dem Weg zur Überwindung der weissen Alleinherrschaft

Von Klaus Frhr. von der Ropp

 

Die Fortführung der Reformpolitik Pretorias und die Reaktionen der Aussenwelt

Mit seiner Rede zur Eröffnung des Parlaments setzte Staatspräsident Frederik Willem de Klerk Anfang Februar 1991 seine im Jahr zuvor an gleicher Stelle begonnene Politik fundamentalen Wandels fort. Er kündigte die — dann Mitte des Jahres vom Kapstädter Parlament vollzogene — ersatzlos Streichung aller Apartheid-Gesetze an. Darunter waren die Eckpfeiler des alten Systems: das Gesetz, das die Bevölkerung nach rassischen Merkmalen untergliederte, das „Landgesetz“ sowie das Gesetz über die nach rassischen Kriterien vorgenommene Aufteilung der Wohnbezirke.

Vor allem in Großbritannien — dessen bis April 1991 in Südafrika amtierender Botschafter Sir Robin Renwick sich im Dialog mit Pretoria zur Überwindung der Apartheid besondere Verdienste erworben hatte1 — stieß die Ankündigung de Klerks auf breite Zustimmung. Von London ging auch die Initiative zur Aufhebung der noch verbliebenen von den Mitte der achtziger

  1. Vgl. dazu Klaus Frhr. von der Ropp, Beginn einer neuen Ära in Sudafrika, in: IP 1989/90, S. 335 ff., und ders., Codesa — Triumph und Ende des südafrikanischen Liberalismus?, in: Liberal, Nr. 3/1992, s. 47 ff.
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Jahre verhängten EG-Sanktionen aus. Die EG sprach sich jedoch nur für die Aufhebung der Verbote der Einfuhr von Goldmünzen, Eisen und Stahl aus. Selbst deren Aufhebung erfolgte erst im Januar 1992, nachdem auch Dänemark seinen Widerstand aufgegeben hatte.

Auch in den USA wurden die mutigen Schritte de Klerks begrüßt. Um einer Auseinandersetzung mit dem Kongreß aus dem Weg zu gehen, ergriff Präsident George Bush jedoch zunächst nicht die Initiative zur Beendigung der gegen Südafrika verhängten Sanktionen, die wesentlich härter und zahlreicher waren als die der EG. Mitte 1991 hob Washington dann aber doch eine Reihe von Sanktionen auf, hielt jedoch unter anderem an den Finanzsanktionen fest. Das war für die Kaprepublik umso schwerwiegender, als ihr damit auch der Zugang zu Krediten des IWF — wegen des dortigen dominierenden Einflusses der USA — versperrt blieb. Gerade diese Kredite benötigte Pretoria aber dringlich, um zumindest einen weiteren Niedergang der Wirtschaft des Landes zu verhindern.

In Deutschland ließ der Fortgang der Reformpolitik de Klerks beide Unionsparteien die Forderung erheben, diese Politik durch ein entwicklungspolitisches Engagement von deutscher Seite zu unterstützen. Dem widersetzte sich Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher, da der Afrikanische Nationalkongreß (ANC) eine solche Zusammenarbeit von der Einsetzung einer Übergangsregierung in Pretoria abhängig machte. Erst die Ablösung Genschers durch Klaus Kinkel2 im Mai 1992 ließ die deutsche Politik flexibler werden. So konnte der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Carl-Dieter Spranger, im Oktober 1992 bei einem Besuch in Südafrika erste entsprechende Zusagen machen, vor allem im Bereich der Förderung der Berufsausbildung.

Dänemark und die USA trugen mit ihrer Politik weitgehend dem Wunsch des ANC, der Südafrikanischen Kommunistischen Partei (SACP) und des Panafrikanistischen Kongresses (PAC) Rechnung, die der Beibehaltung aller Sanktionen das Wort redeten. Sie waren der Meinung, Pretoria nur so dazu bringen zu können, ein System der (schwarzen) Mehrheitsherrschaft zu akzeptieren. Sehr viele afrikanische Länder teilten diese Sicht.

Umso bemerkenswerter waren die positiven Reaktionen des nigerianischen Staatspräsidenten Ibrahim Babangida, der Mitte 1991 für ein Jahr das Amt des Vorsitzenden der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) übernahm, auf den südafrikanischen Reformprozeß. Das führte u.a. dazu, daß die OAU die Probleme Südafrikas und das Bemühen Pretorias, sie zu überwinden, bei

  1. Schon in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre hatte Kinkel in seiner damaligen Eigenschaft als Leiter des Planungsstabes im Auswärtigen Amt einer flexibleren Südafrika-Politik das Wort geredet, sich damit jedoch bei Genscher nicht durchsetzen können.
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ihrer 27. Gipfelkonferenz im Juli 1991 in Abuja (Nigeria) mit einer bislang nicht bekannten Behutsamkeit behandelte.

Jetzt kamen in aller Öffentlichkeit Delegationen aus vielen afrikanischen Ländern nach Pretoria. Weit übersteigerte Vorstellungen von der Leistungskraft Pretorias ließen sie die Hoffnung hegen, Südafrika vermöge ihnen bei der Lösung ihrer oft existentiellen Probleme zu helfen. Auch weiße Südafrikaner konnten von nun an ohne Schwierigkeiten in andere Länder des Kontinents reisen. Afrikanische und andere ausländische Fluggesellschaften nahmen den Flugverkehr nach Johannesburg wieder auf. Südafrikanische Flugzeuge konnten wieder Flughäfen in anderen afrikanischen und dritten Staaten anfliegen. Elfenbeinküste nahm als zweiter afrikanischer Staat — Malawi hatte diesen Schritt schon 1967 getan — diplomatische Beziehungen zu Pretoria auf. Es folgten der Austausch von Botschaftern mit Marokko und Gabun sowie die Einrichtung von Handelsvertretungen in weiteren afrikanischen Ländern.

Im Juni 1991 unternahm de Klerk einen Staatsbesuch in Kenia. Im April 1992 wurde er offiziell in Nigeria empfangen, dem afrikanischen Land, das die Politik der Apartheid härter als jedes andere bekämpft hatte, jetzt aber de Klerks Politik in enger Zusammenarbeit mit Großbritannien auf der Commonwealth-Ebene und bilateral mit Engagement unterstützte. Im Vergleich zu dem politischen Durchbruch im übrigen Afrika war die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit ehemals kommunistischen Staaten — darunter 1992 auch der Austausch von Botschaftern mit Rußland — für Südafrika weniger relevant. Die völlig veränderte Stellung Südafrikas in Afrika liefert die Erklärung dafür, daß seine Probleme bei dem 28. Commonwealth-Gipfeltreffen in Harare (Simbabwe) im September 1991 nicht mehr im Zentrum aller Debatten standen und die Diskussionen nicht mehr streitig geführt wurden. Genau ein Jahr später dokumentierte die Teilnahme südafrikanischer Sportler an den Olympischen Spielen in Barcelona — erstmals seit 1960 — die fundamentalen Veränderungen in den Außenbeziehungen Südafrikas.

Der wirtschaftliche Niedergang der Kaprepublik

Pretoria war es nach den Unruhen von 1976/77 nicht mehr gelungen, politische Stabilität und damit das Vertrauen der in- und ausländischen Geschäftswelt zurückzugewinnen. Dies führte — seit Mitte der achtziger Jahre verstärkt durch die vom Westen verhängten Sanktionen — zu Kapitalflucht, dem teilweisen oder vollständigen Rückzug bedeutender Unternehmen und damit einem sinkenden Sozialprodukt. In jüngerer Zeit trugen die durch die weltwirtschaftliche Rezession bedingten niedrigen Rohstoffpreise, eine Jahrhundertdürre und die Ungewißheit im Hinblick auf die Wirtschaftspolitik des neuen Südafrika dazu bei, daß die Wirtschaftsdaten immer besorgniser-

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regender wurden.3 Im Berichtszeitraum fanden nur sieben Prozent aller neu auf den Arbeitsmarkt tretenden Jugendlichen Arbeit im formellen Sektor. Die übrigen kaum einer von ihnen hatte einen Schulabschluß schlugen sich mit Straßenhandel, im Transportwesen oder mit Prostitution durch, oder aber sie vergrößerten das Heer der Arbeitslosen. Die Arbeitslosigkeit hatte landesweit 50 Prozent und in Teilen der östlichen Kapprovinz sogar 70 Prozent erreicht. Eine verlorene Generation von sechs bis sieben Millionen Jugendlichen hatte sich gebildet.

Südafrika am Vorabend der Verfassungsverhandlungen

Belastet wurden die sich so positiv entwickelnden Beziehungen Südafrikas zum übrigen Afrika durch die nicht abreißenden Meldungen über die Kämpfe zwischen Inkatha Freedom Party (IFP) und ANC, die sich in KwaZulu/Natal zu einem regelrechte Bürgerkrieg auszudehnen drohten. Dies galt umso mehr, als sich Mitte 1991 der seit langem bestehende Verdacht erhärtete, daß die offiziellen südafrikanischen Streitkräfte (SADF) die IFP dort unterstützten und auch im übrigen Land mit ihr zusammenarbeiteten („Inkathagate“). In die jetzt vom ANC gegen Übergriffe von IFP und anderen Gruppen aufgebauten „Selbstverteidigungseinheiten“ wurden viele aus dem Exil zurückgekehrte, andernfalls arbeitslose Angehörige seiner Guerillaarmee Umkhonto we Sizwe (MK) aufgenommen. Sie waren allerdings später häufig selbst in schwere Straftaten verwickelt und lieferten damit eine weitere Facette wachsender Kriminalität.

Teile der Geschäftswelt und kirchliche Kreise unternahmen im Juni 1991 einen neuen Versuch, die Gewaltanwendung zumindest einzudämmen. An ihr beteiligten sich außer den Parteien der weißen Extremisten alle politischen Parteien des Landes. Drei Monate später unterzeichneten sie — mit Ausnahme des PAC — das „Nationale Friedens abkommen“ (NPA). Es legte Regeln für die politische Arbeit der Parteien des Landes fest.4

Auf dieser Basis entstanden das Nationale Friedenssekretariat sowie die von dem Richter Richard Goldstone geführte permanente „Untersuchungskommission zur Verhinderung von politischer Gewalt und Einschüchterung“. Im Berichtszeitraum wurde nie klar, ob die Angehörigen der Guerillaarmee des PAC, der Asanianischen Volksbefreiungsarmee (APLA), die anders als die

  1. Vgl. Robert von Lucius, In Südafrika herrscht wirtschaftliche Untergangsstimmung. Die längste Rezession dieses Jahrhunderts, in: FAZ, 30.11.1992, S. 18, und Axel Halbach, Südafrika 1992: Wirtschaft und Politik im Zeichen wachsender Unsicherheit, in: Ifo-Schnelldienst, Nr. 25-26/1992.
  2. Abgedruckt in: EA 4/1994, S. D 146 ff.
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ANC-Armee MK den bewaffneten Kampf nie suspendiert hatten, wirklich Terrorakte begingen. Immer wieder bekannte sich die APLA zur Tötung von Polizisten; im Berichtszeitraum wurden etwa 400 Polizisten ermordet.

ANC/SACP und PAC machten Mitglieder des südafrikanischen Kabinetts für die Unruhen in den Townships verantwortlich. Sie machten die Fortführung ihrer Gespräche mit Pretoria zur Vorbereitung der Verhandlungen über das Post-Apartheid-Südafrika — PAC boykottierte sie ohnehin weitgehend — davon abhängig, daß de Klerk Verteidigungsminister Magnus Malan sowie Polizeiminister Adriaan Vlok entlasse. De Klerk beugte sich ihnen im Juli 1991 insofern, als er beiden rangniedrigere Ressorts, für Forstwirtschaft und für das Gefängniswesen, übertrug.

Auf besonderes Interesse im In- und Ausland stieß im Juli 1991 die 48. Nationale Konferenz des ANC in Durban - seit dreißig Jahren die erste, die im Land stattfinden konnte. Sie wählte den Gewerkschaftsführer Cyril Ramophosa zu ihrem Generalsekretär und den bisherigen Vizepräsidenten Nelson Mandela anstelle des erkrankten Oliver Tambo zu ihrem Präsidenten. Mandela beklagte, daß es dem ANC bislang nicht gelungen sei, eine nennenswerte Unterstützung bei den Minderheiten der weißen, gemischtrassigen und indienstämmigen Südafrikaner zu enden. Die Wahl profilierter, in der Regel in der Sowjetunion und der DDR geschulter Kommunisten wie Chris Hani, Joe Slovo, Ahmed Kathrada, Ronnie Kasrils und Harry Gwala löste in der westlichen Welt, in der UdSSR und auch unter den Gegnern der ANC/SACP-Allianz in Südafrika5 Sorgen über deren künftige Orientierung aus.

Siegesgewiß gaben sich die Delegierten des SACP-Jahreskongresses ım Dezember 1991 in Durban. Dabei wurde die starke Position orthodoxer Kommunisten in dem bedeutendsten Gewerkschaftsdachverband des Landes, Kongreß Südafrikanischer Gewerkschaften (Cosatu), abermals deutlich. Vielen schien auch bedenklich, daß mit Chris Hani der bisherige Generalstabschef von MK als Nachfolger des kranken Joe Slovo zum SACP-Generalsekretär gewählt wurde. Jetzt waren Hani, Ramophosa sowie der sowohl ANC als auch SACP angehörende Cosatu-Generalsekretär Jay Naidoo die nach Mandela einflußreichsten Persönlichkeiten im ANC.

Auch als Reaktion auf diese Bekundungen regte sich im August 1991 erstmals der von den südafrikanischen Befreiungsbewegungen und mehr noch im Ausland bislang unterschätzte bewaffnete Widerstand rechtsradikaler weißer Kreise. So versuchten Angehörige der rechtsextremen Afrikaner Weerstands-

  1. Vgl. dazu etwa die Kritik des über die Grenzen der Kaprepublik hinaus bekannten liberalen Dissidenten Van Zyl Slabbert in einem Interview mit Hennie Serfontein, Die ANC moet besluit: dis óf konfrontasie óf onderhandel, in: Vrye Weekblad, 21.9.1992; vgl. auch Leon Rousseau, Met billike partisie sou Suid-Afrikaners „wer kon asemhaal“, in: Die Burger, 16.10.1992, S. 13. Zur Rolle der SACP im ANC vgl. Stephen Ellis und Tsepo Sechaba, Comrades against Apartheid. The ANC and the South African Communist Party in Exile, London 1992.
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beweging (AWB) im August 1991 in Ventersdorp (Transvaal), eine Veranstaltung der Nationalen Partei (NP) mit de Klerk zu stören.

Für Unruhe bis weit in die Kreise der regierenden NP hinein sorgte außer der Entlassung von Gefangenen aus den Haftanstalten des Landes die Rückkehr von Angehörigen von ANC/MK und PAC/APLA aus dem Exil. Pretoria war jetzt bereit, bei deren Rückführung mit dem UN-Hochkommissar für Flüchtlingsfragen zusammenzuarbeiten. Von nun an waren viele Streitfragen zu klären, etwa wer zu amnestieren sei und — wenn überhaupt — ob nur zeitweilig oder auf Dauer.

Das Ringen um eine neue Verfassung

Die letzten Monate des Jahres 1991 galten bei fast allen Parteien der Vorbereitung auf die Verhandlungen über das Post-Apartheid-Südafrika. PAC und die ihm verbündete Splittergruppe Asanianische Volksorganisation (AZAPO) bestanden darauf, daß am Anfang des Verhandlungsprozesses die Wahl einer Verfassungsgebenden Versammlung (VV) stehen müsse. In ihr würde die NP de Klerks nur noch eine Minderheit stellen, und die Oppositionsparteien würden die Mehrheit haben. Die Allianz von ANC und SACP argumentierte in vielem ähnlich, hatte jedoch erkannt, daß die unverändert aus einer Position der Stärke heraus verhandelnde NP sich auf eine solche Forderung nicht einlassen würde.

Nach einer Phase des Zögerns entschied sich der PAC gegen eine Teilnahme an den Verhandlungen. Seinen Führern war klar, daß ihre Kompromißlosigkeit unter den bislang dem ANC verbundenen Millionen militanter, oft analphabetischer, hochpolitisierter Jugendlicher auf große Sympathie stoßen würde. Denn bei den Treffen der ANC-Jugendliga war häufig der Slogan „Tötet den Buren, tötet den Farmer“ zu hören! Eine prominente Rolle spielte dabei Winnie Mandela. Ihre im Mai 1991 wegen Entführung und Körperverletzung eines früheren Mitstreiters durch ein „weißes“ Gericht erfolgte Verurteilung zu sechs Jahren Freiheitsentzug ließ sie bei den Radikalen noch populärer werden. Daran änderte sich nichts, als sie aus politischen Gründen ihre Ämter im ANC, darunter die Mitgliedschaft in dessen Führungsgremium Nationaler Exekutivrat, niederlegte und sich dann auch von ihrem Ehemann, dem ANC-Präsidenten, trennte.

Der Beginn des Kodex-Prozesses

Am 20./21. Dezember 1991 versammelten sich im „Welthandelszentrum“ in Kempton Park/Johannesburg die südafrikanische Regierung und 18 Parteien des Landes - von ihnen verfügten allerdings nur der ANC, die NP de Klerks, die IFP und die SACP wirklich über Gefolgschaft — zu der ersten Vollver-

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Sammlung der „Konferenz für ein demokratisches Südafrika“ (Kodesa-1).6 Schon damals kam es zu Spannungen und gegenseitigen Beschuldigungen zwischen NP und ANC. Der ANC behauptete, die NP wolle die Apartheid nicht abschaffen, sondern nur modernisieren. Die NP warf der Gegenseite vor, Südafrika zu einem autoritären Ein-Parteien-Staat umgestalten zu wollen. Dennoch vermochten die Teilnehmer an Kodesa-1 jenes Mindestmaß an wechselseitigem Vertrauen zu schaffen, ohne dessen Vorhandensein alle Verhandlungen zur Überwindung der in mehr als drei Jahrhunderten gewachsenen Apartheid von vorneherein völlig aussichtslos gewesen wären.

Die Machtkämpfe in den Townships sowie die längst ausufernde Kriminalität warfen dennoch Schatten auf die Zukunft Südafrikas. Weit verbreitet war die Sorge, der Maler und Schriftsteller Breyten Breytenbach werde mit seiner Prognose recht behalten, wonach die Kaprepublik binnen kurzem ungezählte Varianten der Barbarei durchlaufen werde. Im oppositionellen Lager — hier vor allem in dem sozialdemokratisch orientierten Vrye Weekblad und der dem ANC nahestehenden Weekly Mail — wurde in diesem Zusammenhang immer wieder der Verdacht geäußert, diese Auseinandersetzungen würden von Polizisten und Berufssoldaten geschürt, die der Konservativen Partei (KP) und dem militanten AWB verbunden seien. Daraufhin beauftragte die Regierung de Klerk Goldstoffe, diese Vorwürfe zu untersuchen.

Bei fünf Nachwahlen bekundete die große Mehrheit der weißen Wähler de Klerk ihr Mißtrauen und stimmte für die KP, die seine Reformen heftig bekämpfte. Die letzte dieser Niederlagen im Februar 1992 in Potchefstroom (Transvaal) ließ de Klerk die weißen Afrikaner — nur diese — für den 17. März 1992 zu einem Referendum über seine Reformpolitik aufrufen.

Das Referendum der weißen Südafrikaner

In völliger Abkehr von der bisherigen Politik wandte sich de Klerk jetzt an westliche und andere Staats- und Regierungschefs mit der Bitte ur Unterstützung für seine Politik. Sie wurde ihm zuteil, als Washington, London, Bonn, Tokio und andere bekundeten, daß sie im Fall eines negativen Ausgangs des Referendums mit Sanktionen und sonstigen Maßnahmen der Isolierung reagieren würden. Dennoch überraschte im In- und Ausland, daß am 17. März 1992 - bei einer Wahlbeteiligung von 85 Prozent — fast 70 Prozent für die Fortführung der Politik de Klerks und nur 30 Prozent für den von der KP geforderten Abbruch aller Verhandlungen mit den „Terroristen“ von ANC/SACP/Cosatu votierten.

Der Ausgang des Referendums führte im Lager der weißen Afrikaner zu grundlegende Veränderungen. De Klerk war bemüht, den Sieg über die

  1. Die wichtigsten Dokumente sind abgedruckt in: EA 4/1994, S. D 149 ff.
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weißen Reformgegner in einen Sieg über seine Partner bei Kodesa umzumünzen und argumentierte zunehmend hart und selbstbewußt. In der KP meldeten sich unter Führung von Koos van der Merwe und Andries Beyer jene Politiker zu Wort, die das Anachronistische im KP-Programm erkannten; noch 1992 waren sie deswegen aus ihr ausgeschlossen worden oder hatten sie aus freien Stücken verlassen. Sie waren zum Dialog und zu Verhandlungen auch mit der ANC/SACP/Cosatu-Allianz bereit. Ihr Ziel bei den Verhandlungen war es, einen vom übrigen Südafrika politisch unabhängigen Staat der Afrikaner („Volksstaat“ oder „Afrikaner-Israel“) zu errichten.

Koos van der Merwe, der mit Hilfe des liberalen Dissidenten Van Zyl Slabbert bereits 1988 in Bermuda Gespräche mit Thabo Mbeki und anderen ANC-Offiziellen geführt hatte, benutzte hier weitgehend die gleichen Argumente, mit denen die Bonner Regierung seit Jahren der Wiederherstellung der 1941 aufgelösten Autonomen Republik der Wolgadeutschen und der übrigen Sowjetdeutschen das Wort redete: Die Schaffung eines Territoriums, in dem die andernorts bestenfalls Geduldeten unter Wahrung der eigenen Identität eine Perspektive für ihre Zukunft entwickeln könnten. Van der Merwe wollte eine „gerechte“ Teilung Südafrikas selbst gestalten, statt sie als Folge eines bewaffneten Konflikts zu erleiden.

Das Zerbrechen von Staaten in der Sowjetunion, Jugoslawien, der Tschechoslowakei, am Horn von Afrika und in Liberia sowie der negative Ausgang des ersten dänischen Referendums zum Vertrag von Maastricht im Juni 1992 prägten zunehmend die Diskussionen in der NP. Das galt auch für das Wiederaufflammen des Bürgerkriegs in Angola nach den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen Ende September 1992. Noch war die NP allerdings nicht bereit, sich mit der Einrichtung eines solchen Volksstaates zufriedenzugeben. Sie forderte — unterstützt durch die auf Stabilität bedachten führenden Wirtschaftskreise des Landes — unverändert ein Maximum an Einfluß in Wirtschaft und Politik des neuen Südafrika und versuchte, das durch ein zeitlich nicht begrenztes System des gemeinsamen Herrschens der drei stärksten Parlamentsfraktionen zu erreichen.

In einer anderen wichtigen Frage kamen Pretoria einerseits und ANC, SACP und PAC andererseits einander jedoch näher: Die Regierung und die NP erkannten an, daß die Verfassung des Post-Apartheid-Südafrika nicht von Kodesa, sondern von einer gewählten VV zu Verabschieden sei. Nachdem Meinungsumfragen bestätigt hatten, daß die Mehrheit der gemischtrassigen und indienstämmigen Südafrikaner inzwischen für die NP stimmen würde, fühlte sich die NP sicherer, weil sie als zweitstärkste Gruppe — nach ANC/SACP — in einer VV über erheblichen Einfluß verfügen würde. Angesichts ihres geringen Rückhalts in der Bevölkerung sprachen sich dagegen die IFP und die schwächeren Parteien der TBVC-Staaten (Transkei, Bophuthatsuana, Venda, Ciskei) und anderen Homelands gegen die Wahl einer VV aus.

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Das Scheitern des Kodex-Prozesses und der Rückfall in die Konfrontation

Alle Gruppierungen, die an Kodesa-1 teilgenommen hatten, versammelten sich Mitte Mai 1992 zu der zweiten Kodesa-Vollversammlung. Sie alle bekannten sich für das neue Südafrika zu einem westlich-demokratischen System. Angesichts der überall im Lande verbreiteten Gewalt war allerdings die Frage zu stellen, ob es sich hier um mehr als bloße Lippenbekenntnisse handelte. Im Vordergrund der Beratungen standen die Diskussionen über eine Übergangsverfassung sowie über den staatsrechtlichen Rahmen, innerhalb dessen die noch zu wählende VV die endgültige Verfassung auszuarbeiten hätte. Einigkeit konnte darüber erzielt werden, daß Kodesa selbst die Verfassung für die Übergangszeit ausarbeiten würde.

Dagegen gelang es den Delegierten nicht, auch die zweite selbstgestellte Aufgabe zu lösen: ANC, SACP und die ihnen verbündeten kleineren Parteien forderten, daß die VV für das künftige Südafrika einen — allerdings in Regionen gegliederten — unitarischen Staat festschreiben solle, der von der aus Wahlen hervorgegangenen Mehrheit regiert werde. Die Regierung, die NP und die Parteien der meisten Homelands forderten dagegen für das neue Südafrika einen Bundesstaat mit konföderalen Elementen. Wo immer möglich, sollte selbst eine Partei, die in Wahlen eine absolute Mehrheit erlangt hatte, nicht allein, sondern nur gemeinsam mit der zweit- und drittstärksten Partei regieren („Herrschen im Konsens“). So mußte — wie geschehen — Kodesa-2 scheitern. Nicht zu Unrecht vertraten die ANC/SACP-Allianz und ihre Verbündeten den Standpunkt, die NP fordere ein System des „Der Verlierer behält alles“, wohingegen die NP angesichts der Kompromißbereitschaft der Allianz mit weniger Recht argumentierte, diese propagiere ein System des „Der Gewinner nimmt alles“.

Die wohl schwerwiegendste Folge des Scheiterns von Kodesa-2 war das Zerbrechen der in den zwei vorangegangenen Jahren zustandegekommenen Vertrauensbasis zwischen ANC und NP. Pressionen der eigenen Gefolgschaft ließen Mandela jetzt keinen anderen Ausweg, als Pretoria mit sogenannten Massenaktionen zu drohen. Deren Ziel sollte sein, den Kodesa-Friedensprozeß wieder aufzunehmen und dort eine „demokratische“ Lösung auszuhandeln. Die Allianz von ANC/SACP/Cosatu sah sich dann Mitte Juni 1992 zum weitgehenden Abbruch aller Gesprächskontakte gezwungen, als IFP-Angehörige in der Schwarzensiedlung Boipatong unweit von Johannesburg ein Massaker verübten und dabei über 40 Menschen töteten. Deren Begräbnis wurde zu einer von Zorn und Wut geprägten Großkundgebung, wie Südafrika sie seit Beginn der de Klerkschen Reformpolitik im Februar 1990 nicht mehr erlebt hatte. Auch hier wurde abermals der Verdacht laut, illoyale Angehörige der Sicherheitskräfte — insbesondere solche des in der Ara des Staatspräsidenten Pieter Willem Botha und seines Verteidigungsministers

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Magnus Malan mächtig gewordenen militärischen Geheimdienstes — hätten in Boipatong die Hände im Spiel gehabt.

Im Juni 1992 kritisierte die OAU bei ihrem 28. Gipfeltreffen in Dakar deswegen die südafrikanische Regierung scharf. Auf ihren Antrag trat der UN-Sicherheitsrat im Juli 1992 zu zwei Sondersitzungen zusammen. Seine Debatten und die Resolutionen 765 und 772 waren deutlich maßvoller als bei früheren Südafrika-Diskussionen und wurden so der Komplexität des Konflikts gerecht. Der Sicherheitsrat erinnerte Pretoria an seine Verpflichtung, Leben und Eigentum aller Südafrikaner zu schützen und forderte die politischen Parteien des Landes auf, den Kodesa-Prozeß fortzuführen. Daran mitzuwirken, war Aufgabe des Ad-hoc-Sonderbeauftragten für Südafrika des UN-Generalsekretärs. In dieses Amt wurde der frühere US-Außenminister Cyrus Vance berufen, der sich Ende Juli 1992 eine Woche in der Kaprepublik aufhielt. Ferner beschloß der Sicherheitsrat, gefolgt vom Commonwealth, der EG und der OAU die Entsendung von „Beobachtern“ nach Südafrika. Sie alle wurden in die Arbeit des Nationalen Friedenssekretariats eingegliedert.7

Dennoch begannen die von ANC/SACP/Cosatu angekündigten Massenaktionen Anfang August 1992. Der zweitägige Generalstreik wurde weitgehend befolgt und fügte der mit Krisen aller Art ringenden südafrikanischen Wirtschaft schweren Schaden zu. Die Organisatoren der Massenaktionen bekundeten ihre Entschlossenheit, einen Machtwechsel herbeizuführen, im September 1992 mit einem unter Auflagen genehmigten Marsch ihrer Anhänger nach Bisho, Hauptstadt der „unabhängigen“ Ciskei. Ziel des Marsches, an dem Generalsekretär Ramophosa teilnahm, war es auch, die „Regierung“ des Brigadegenerals Oupa Gqozo zu stürzen. Geplant war, daß weitere Märsche stattfinden sollten, um die „Regierungen“ von Bophuthatsuana und KwaZulu in Mmabatho und Ulundi und dann — mit einem Marsch auf Pretoria — die Regierung de Klerk zu stürzen.

In Anknüpfung an die Veranstaltungen der ostdeutschen Opposition im Herbst 1989 sprachen die Initiatoren dieser Märsche von der „Option von Leipzig“. Unter Mißachtung der ihnen gemachten Auflagen marschierten die Demonstranten in Bisho auf Regierungsgebäude zu. Dort stationierte Soldaten der Streitkräfte von Ciskei feuerten daraufhin wahllos auf die Demonstranten und töteten etliche von ihnen. Aus der berechtigten Annahme, daß es sich bei Gqozo um eine Marionette Pretorias handle, schloß die ANC/SACP/Cosatu-Allianz auf die Verantwortung Pretorias für das Massaker und sagte sich vom Kodesa-Prozeß los.

  1. Vgl. Deon Geldenhuys, The changing nature of foreign involvement in South Africa, in South Africa International, 1993/94, S. 147 ff; Anne Shepherd, The Blue and White, in: Africa Report, November 1992, S. 16 f.
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Das Bemühen um Wiederaufnahme der Verhandlungen

Ende September 1992 — gedrängt durch London, Washington, Bonn und andere sowie durch die sich rapide verschlechternden Wirtschaftsdaten — nahmen ANC/SACP und die Regierung ihren bilateralen Dialog wieder auf und unterzeichneten ein „Protokoll des Einvernehmens“. Daran war vor allem bemerkenswert, daß seine Unterzeichner Einigkeit darüber erzielten, die Verfassung des künftigen Südafrika durch eine VV zu erarbeiten. Diese VV werde jedoch nicht souverän sein, sondern müsse ihre Arbeit auf verfassungsrechtlichen Prinzipien aufbauen, auf die sich die Parteien des Kodesa-Prozesses zuvor geeinigt haben müßten.

Die Aussichten für die Verhandlungen Pretorias mit der Allianz von ANC und SACP besserten sich, als letztere sich im November 1992 den einen Monat zuvor von Joe Slovo (SACP) vorgelegten Vorschlag8 zu eigen machte, wonach ANC/SACP sich bereit erklären sollten, über die Übergangsphase hinaus für einen begrenzten Zeitraum das Land gemeinsam mit anderen Parteien zu regieren, vor allem der NP. Von Oktober 1992 an verhandelte Pretoria mit seinen Partnern über die Verwirklichung des Protokolls des Einvernehmens. Der mit Abstand wichtigste Verhandlungspartner der Regierung war jetzt der ANC. Beide nahmen damit in Kauf, daß die IFP nun intensiv über eine mögliche Abspaltung KwaZulu/Natals von Südafrika nachdachte.

Auch der 1992 mit Hilfe Nigerias, Simbabwes und Botsuanas aufgenommene Dialog Pretorias mit dem PAC blieb nicht frei von Rückschlägen. Anschläge auf weiße Zivilisten, die offenbar von APLA verübt wurden, und der Rücktritt des stets verhandlungsbereiten PAC-Vizepräsidenten Dikgang Moiseneke ließen zum Jahresende wieder Zweifel an der Haltung des PAC zu Kodesa aufkommen. Es zeichnete sich jetzt die Möglichkeit ab, daß weiße Extremisten mit gleicher Münze, nämlich wahl- und sinnlosen Attacken gegen Schwarze, reagieren würden.

Im November 1992 publizierte Amnesty International einen Bericht über Folterungen und Hinrichtungen in Lagern des ANC im Exil.9 Zum Ende des Jahres wurde dann aber auch die Regierung, die zuvor Korruptionsaffären und die Rücktritte ihrer „erschöpften“ Mitglieder Gerrit Viljoen (Verfassungsminister), Barend du Plessis (Finanzminister) und Stoffel van der Mervve (Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit) verkraften mußte, weiter verunsichert. Die von ihr eingesetzte Goldstoffe-Kommission ermittelte nämlich, daß der im

  1. Negotiations: What room for compromise?, in: The African Communist, 1992/93, S. 36 ff.; vgl. in diesem Zusammenhang Gerrit Viljoen, Constitutional Building Blocks for a New South Africa, Vortrag vor der Konrad-Adenauer-Stiftung, Sankt Augustin, 7. Oktober 1991.
  2. Zu dem vom ANC selbst eingesetzten Untersuchungsausschuß vgl. Robert von Lucius, Der Heiligenschein ist weg. Der Afrikanische Nationalkongreß hat seine vermeintlichen Gegner gefoltert, in: FAZ, 27.8.1993, S. 10.
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Lager der Befreiungsbewegungen seit langem gehegte Verdacht, eine „Dritte Kraft“, die sich aus Angehörigen der regulären Sicherheitskräfte rekrutierte, schüre die Machtkämpfe in den Ghettos der Schwarzen, fundiert war. De Klerk sah sich daraufhin Mitte Dezember 1992 gezwungen, in einem „ersten Schritt“ 23 Offiziere des militärischen Geheimdienstes, darunter sechs Generäle, aus dem Dienst zu entfernen.

Nach alledem war zu bezweifeln, ob der Ende November 1992 von de Klerk ohne Rücksprache mit den Parteien verkündete Zeitplan für den Fortgang des Reformprozesses in die Tat umgesetzt werden konnte. Dessen wesentliche Daten: Vor Ende Mai 1993 war eine Übergangverfassung auszuarbeiten. Im Mai/Juni 1993 sollte dann die gesetzliche Grundlage für eine Übergangsregierung ausgehandelt und diese ins Amt eingesetzt werden. Spätestens im März/April 1994 sollten die Wahlen zur VV stattfinden.

Entwicklungen in Namibia und Simbabwe

Entsprechend den Vorstellungen der britischen und amerikanischen Initiatoren der britisch-amerikanisch-sowjetischen Diplomatie der Vermittlung von 1988/90, Sir Robin Renwick und Chester A. Crocker, wirkten sich die ersten Jahre der Unabhängigkeit Namibias10 als vertrauensbildende Maßnahme für den innersüdafrikanischen Dialog aus.

Die in Windhuk regierende Südwestafrikanische Volksorganisation (SWAPO) respektierte die an westlich-demokratischen Werten orientierte Verfassung Namibias voll und ganz.11 Ihre moderate Wirtschafts- und Sozialpolitik achtete das Eigentum der etwa 6000 (weitgehend deutsch- und afrikaanssprachigen) Großfarmer, auch um den Preis einer Entfremdung der militanten Gefolgschaft der SWAPO, die ihre Ideale von sozialer Gerechtigkeit verraten sah. Sehr viele Namibier blieben oder wurden nun mit dem Wegfall der Kriegswirtschaft arbeitslos. Trotzdem wurde Staatspräsident Sam Nujoma beim ersten SWAPO-Kongreß seit über 30 Jahren in Windhuk im Dezember 1991 mit überwältigender Mehrheit in seinem Amt als Vorsitzender der Regierungspartei wiedergewählt. Ende 1992 war SWAPO bei den Regional- und Lokalwahlen noch erfolgreicher als bei den Parlamentswahlen, die sie 1989 mit fast 60 Prozent gewonnen hatte.

Windhuk vermochte auch in der Außenpolitik Erfolge zu verbuchen. Die Beziehungen zu der einstigen Kolonialmacht Südafrika konnten positiv gestal-

  1. Zu den vorausgehenden Ereignissen vgl. Heribert Weiland Entspannung im Südwesten Afrikas. Namibias Weg zur Unabhängigkeit, in: IP 1989/90, S. 348 ff.
  2. Zur Entwicklung Namibias vgl. ders., Demokratie und nationale Entwicklung in Namibia. Eine Zwischenbilanz nach zweieinhalb Jahren Unabhängigkeit, in: Afrika Spectrum, Nr. 3/1992, S. 273 ff.
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Klaus Frhr. von der Ropp

tet werden. So einigten sich beide Staaten über den Verlauf ihrer Grenze in der Mitte des Oranjeflusses und schlossen ein Abkommen über die gemeinsame Verwaltung des für die Wirtschaft Namibias bedeutenden Tiefseehafens Walfischbucht. Mitte Oktober 1991 besuchte die britische Königin Elizabeth II. das Commonwealth-Land Namibia und unterstrich damit die diplomatischen Anstrengungen ihrer Regierung zur Beilegung der Konflikte im südlichen Afrika. Um dieselbe Zeit begann auch die Normalisierung der Beziehungen Namibias zu Deutschland, dem von nun an wichtigsten Partner in der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit: Windhuk beschloß jetzt, auch in Bonn eine Botschaft einzurichten12 und entsandte im März 1992 eine Botschafterin.

Keine positiven Impulse vermochten dagegen für den innersüdafrikanischen Ausgleich von den Entwicklungen in Simbabwe auszugehen. Die Regierung des Staatspräsidenten Robert Mugabe, seit Anfang 1980 im Amt, hatte das Land zunehmend mit autoritären Methoden regiert und seine für afrikanische Verhältnisse zuvor hochentwickelte Volkswirtschaft durch Bekenntnisse zum wissenschaftlichen Sozialismus und die Einführung einer zentralen Verwaltungswirtschaft ruiniert. Zum wirtschaftlichen Niedergang Simbabwes hatten allerdings, wie in Südafrika und Namibia, auch die Jahrhundertdürre und die weltweite wirtschaftliche Rezession beigetragen.

Den offiziellen Oppositionsparteien, Einheitsbewegung Simbabwes und Vereinigte Front, fehlte es an konkreten Programmen. Gefährlicher für die regierende Afrikanische Nationale Union von Simbabwe/Patriotische Front wurde das erst Anfang 1993 förmlich als Partei gegründete Forum für Demokratische Reform („Forum-Partei“). Dessen liberale Gründer, darunter der im Ruhestand lebende höchste Richter Simbabwes, Enoch Dumbutshena, forderten für Simbabwe einen grundlegende Wandel zum politischen Pluralismus, zur Respektierung der Menschenrechte und zu einer marktwirtschaftlichen Ordnung. Das vom Westen geförderte und von Rußland nicht länger gestörte Bemühen um mehr Demokratie und Marktwirtschaft in den Staaten Afrikas hinderte die Regierung Mugabe, gegen die Arbeit dieser fortschrittlichen Kreise vorzugehen. So bekamen deren Vorstellungen in Simbabwe erstmals eine Chance.

  1. Die Beziehungen des am 21. März 1990 unabhängig gewordenen Namibia zum wiederzuvereinigenden Deutschland waren zunächst problematisch. In Würdigung der Namibia-Politik beider deutscher Staaten wies Windhuk zunächst die von Genscher persönlich entwickelte Anregung zurück, den Botschafter Deutschlands zum Doyen des diplomatischen Corps in Windhuk zu machen. Ferner war Windhuk — erfolglos — bemüht, ein Generalkonsulat in Ost-Berlin einzurichten, weigerte sich damals jedoch, außer in etwa zwölf anderen Hauptstädten auch in Bonn eine Botschaft zu eröffnen. Vgl. Robert von Lucius, Sonderbeziehungen gibt es noch nicht. Das deutsch-namibische Verhältnis entwickelt sich allmählich, in FAZ, 18.8.1993, S. 8.
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