Klaus v. d. Ropp:
Republik Südafrika: Die politische Stellung der Coloureds im System der „parallelen Entwicklung“
I. Vorbemerkungen
Eines der Wichtigsten, bis heute ungelösten Probleme der Republik Südafrika (BSA) ist das der politischen und damit auch sozio-ökonomischen Stellung der „Coloureds“. Gleichwohl erschöpfen sich viele Darstellungen der rassenpolitischen Probleme Südafrikas in Analysen der Konflikte, in denen sich Schwarz und Weiß gegenüberstehen. Dies ist umso unverständlicher, als die Coloureds mit etwa 2 Millionen bereits heute 9,5 % der südafrikanischen Bevölkerung ausmachen und ihre Zahl stärker als die jeder anderen Bevölkerungsgruppe des Landes wãchst.
Das IAF hat sich in einigen früheren Beiträgen vor allem mit der wirtschaftlichen und sozialen Lage der Coloureds sowie der künftigen Entwicklung von deren politischen Status in der RSA beschäftigt1). Die folgenden Ausführungen können sich von daher vor allem auf ihre gegenwärtige politische Stellung und deren Entstehungsgeschichte konzentrieren.
Die südafrikanische Rechtsordnung unterscheidet für Südafrika zwischen fünf Untergruppen der Coloureds: die Cape Coloureds (das ist die mit Abstand größte Untergruppe, zu deren Ahnen neben südafrikanischen Hottentotten vor allem Malayen und Europäer zählen), die kleine Gruppe der Griquas, die Cape Malays2), die heute nur noch kleine Gruppe von Südafrikanern chinesischen Ursprungs3) und schließlich die sogenannten „other Coloureds“, d.s. vor allem in Transvaal ansässige Menschen afro-europäischen Ursprungs. Darüber hinaus gibt es in Südwestafrika, das seit Inkrafttreten des South West African Affairs Bill am 1. April 1969 praktisch den Status einer fünften Provinz der BSA hat, noch die Gruppe der Namas (das sind reinblütige Hottentotten) und die der Rehoboth Basters (dies sind Cape Coloureds, die sich Mitte des 19. Jahrhunderts um den späteren Ort Rehoboth ansiedelten).
Das vielleicht wichtigste Bindeglied innerhalb dieser im übrigen selbst für südafrikanische Verhältnisse besonders heterogenen Bevölkerungsgruppe ist die weitgehende Zugehörigkeit zum afrikaanse Kulturkreis. Die Muttersprache der weitaus meisten Coloureds ist Afrikaans; viele von ihnen gehören der Coloured Tochterkirche der Nederduitse Gereformeerde Kerk an. Eine Ausnahme machen hier die Cape Malays, die fast ausnahmslos Mohammedaner sind. An den Bindungen der Coloureds an den afrikaanse Kulturkreis hat sich, vor allem seit 1948 die Nationalist Party mit ihrem Konzept der Apartheid die politische Macht in der RSA eroberte, vieles geändert. In Südafrika ist immer wieder von einem „retreatism“ der Coloureds aus ihren bisherigen Positionen zu hören. Zwar waren sie in der Vergangenheit durchaus nicht vollstãndig, aber doch um ein Vielfaches stärker als die lnder und die schwarzen Südafrikaner in die Gesellschaft der Weißen integriert; von daher müssen sie die ihnen von den Weißen heute stärker denn je zuvor aufgezwungene Separierung, darunter nicht zuletzt die petty apartheid, noch stärker als die Angehörigen anderer Bevölkerungsgruppen als Ubel empfinden. Die erwãhnte Neuorientierung der Coloureds im kulturellen Bereich findet ihren sichtbarsten Ausdruck vielleicht in der bewußten Vernachlässigung der afrikaansen Sprache zugunsten des Englischen, in den Bemühungen der Coloured Kirchen, Distanz zu denen der Weißen zu gewinnen. Zumindest einzelne lntellektuelle suchen nach Möglichkeiten einer gegen die Weißen gerichteten Aktionseinheit zwischen Braun und Schwarz. Die so oft demütigende Zurückweisung durch die Weißen trägt dazu bei, daß „heavy drinking is probably the most common of all social problems in all sections of the Coloured population“4). Ähnliches gilt wohl für das Rauchen von dagga. Dies Bild wird durch die sehr hohe Kriminalitätsrate und eine verbreitete Zerrüttung der Familien vieler Coloureds5) abgerundet.
So unberechtigt es wäre, in der gegenwärtigen politischen (und sozio-ökonomischen) Stellung der Coloureds die einzige Wurzel dieser Mißstände zu sehen, so falsch wäre es, die Rolle der seit 1948 intensivierten Diskriminierung bei dieser Entwicklung zu unterschätzen.
II. Die politische Stellung der Coloureds bis 1969
Jede Analyse der politischen Position der Coloureds in der RSA muß berücksichtigen, daß ihre Stellung in der Vergangenheit in den vier südafrikanischen Provinzen Kap, Natal, Transvaal und Freistaat eine sehr unterschiedliche war. Andererseits sind diese Unterschiede auch nicht zu überschätzen, da auch schon früher 90 % der Coloureds in der Kap-Provinz, jenem Hort relativ liberalen Denkens, lebten.
Schon 1828 wurde in der Kap-Provinz den Hottentotten und anderen freien Nichtweißen (das waren ganz überwiegend Coloureds, nicht aber Inder oder Schwarze] der politische Status der Weißen eingeräumt. 1834 folgten mit der Emanzipation der Sklaven vor allem die Cape Malays. Diese Entwicklung entsprach der Forderung von Rhodes und anderen Kolonisatoren des Raumes, allen „zivilisierten“ Menschen, besser: Männern gleiche Rechte einzuräumen. Ähnlich wie in der Kap-Provinz, so wurden vor allem die Coloureds auch in Natal den Weißen politisch gleichgestellt. Anders die Lage in Transvaal und in Freistaat: hier waren die Coloureds nie wahlberechtigt.
Diese Unterschiede führten dazu, daß die Frage nach der politischen Einordnung der nichtweißen Südafrikaner, insbesondere der Coloureds, zu einem der umstrittensten Punkte jener Verhandlungen wurde, die in den Jahren 1908/09 der Gründung der Südafrikanischen Union vorangingen. Die Unterhändler einigten sich schließlich darauf, allen bis dahin wahlberechtigten Nichtweißen das passive Wahlrecht für das Zentralparlament der Union in Kapstadt zu nehmen. Hingegen beließ man jenen, die bereits wahlberechtigt waren, das aktive Wahlrecht. Genau wie für die Weißen war die Gewährung des aktiven Wahlrechts auch für die Coloureds allerdings weiterhin an die Erfüllung bestimmter, nicht sehr hoch geschraubter Bedingungen (Dauer des Schulbesuchs, Höhe des Einkommens und des Vermögens) geknüpft. Mit Rücksicht auf die späteren Ereignisse ist wichtig, im Auge zu behalten, daß die wahlberechtigten Nichtweißen, Ausdruck der damals im politischen Bereich noch vorhandenen Integration, gemeinsam mit den Weißen abstimmten („Common Roll“).
Jedoch verloren die Stimmen der Coloureds schon Anfang der dreißiger Jahre stark an Gewicht. Denn die Ausdehnung des Wahlrechts auf Frauen kam nur den weißen Frauen, nicht aber den Coloureds zugute. Ferner waren nur die weißen Männer, nicht aber die Coloureds von dem vom südafrikanischen Gesetzgeber angeordneten Wegfall des Oualifikationserfordernisses zur Erlangung des Wahlrechts betroffen. Noch bedeutsamer für das geringe Gewicht der Coloured-Stimmen war aber vielleicht, daß eine sehr große Zahl der wahlberechtigten Coloureds von ihrem Recht keinen Gebrauch machte. Schon vor 1948, dem Jahr, da die Nationalist Party die politische Macht in der RSA übernahm, gab es in diesem Land unter den Coloureds auch auf dem politischen Sektor eine weit verbreitete Apathie. Das war darauf zurückzuführen, daß selbst in der Kap-Provinz dieser Teil der südafrikanischen Bevölkerung u. a. im sozialen und wirtschaftlichen Bereich sowie im Erziehungswesen diskriminiert worden war. Zwar gab es seinerzeit noch nicht das heute für die RSA (und großenteils auch für die Kap-Provinz) typische, oft überspitzte und schlechthin verdammenswerte System der rigorosen Separierung der Rassen, aber es gab doch ein zwar nicht rechtlich fundiertes, aber gleichwohl effektives System der Diskriminierung in vielen Bereichen.
Jene politischen Kräfte, aus denen sich später die heutige Regierungspartei, die Nationalist Party rekrutierte, ließen wenig unversucht, diese partielle, faktische Entrechtung der Coloureds auszuweiten und rechtlich zu untermauern. Aber erst die Übernahme der Regierungsverantwortung im Jahre 1948 gab ihnen die Möglichkeit, ihre Vorstellungen zu verwirklichen.
Hand in Hand mit der Unterwerfung der Coloureds unter das System der petty apartheid6 gingen die Bestrebungen, den Coloureds das Wahlrecht zu nehmen. Auf zunächst unüberwindliche Schwierigkeiten ließ sie dabei jene Klausel in der Verfassung von 1910 stoßen, die die Änderung der Normen betr. das Wahlrecht der Nichtweißen von der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder beider Häuser des Parlaments abhängig machte. Hier errang die Regierungspartei gegen den vehementen Widerstand der Coloureds und nach fünfjährigen Auseinandersetzungen mit der damals einzigen im Parlament vertretenen Oppositionspartei, der United Party, mit Hilfe von Manipulationen, die rechtsstaatliche Prinzipien verhöhnten7), einen zweifelhaften Sieg. Für die Coloureds wurde die „Common Roll“ abgeschafft; statt ihrer schuf man eine „Separate Roll“. Von 1956 an hatten die Coloureds nur noch das Recht, getrennt von den Weißen, vier (weiße) Repräsentanten in das südafrikanische Zentralparlament zu entsenden. Ende der sechziger Jahre folgte dann ein Gesetz,das die Coloureds auch dieser Repräsentation beraubte.
Parallel zu dieser Entwicklung wurden bereits seit den frühen vierziger Jahren vorhandene Pläne zur Schaffung eigener staatlicher Organe der Coloureds weiter verfolgt. 1969 war hier das Jahr der entscheidenden Neuerungen.
III. Die gegenwärtige politische Stellung der Coloureds
Wie hinreichend bekannt, hofft die heutige Regierung der RSA den Problemkomplex der politischen Stellung ihrer schwarzen Bürger durch die Ausgliederung sogenannter Bantu-Heimatländer aus der RSA und ihre Entlassung in die staatliche Unabhängigkeit lösen zu können (Separate development). Angesichts der geographischen Zerrissenheit und wirtschaftlichen Unterentwicklung dieser Gebiete sowie der wirtschaftlichen Integration der Rassen in den „weißen“ Gebieten der RSA ist bei der Beurteilung der Erfolgschancen dieser Politik nach wie vor große Skepsis geboten.
Dem kaum weniger schwierigen Problem der politischen Einordnung der Coloureds in den verbleibenden Rest der RSA hofft man durch das Konzept der parallelen Entwicklung (Parallel development) beikommen zu können. Hier wird der Versuch unternommen, einen Staat im Staate zu schaffen, innerhalb des Staates der Weißen soll der Staat der Coloureds entstehenfi). Bisheriges Kernstück dieser Anstrengungen ist der seit 1969 amtierende Coloured Persons Representative Council [CPRC], das Legislativorgan der südafrikanischen Coloureds. Von seinen insgesamt 60 Mitgliedern werden 40 durch Wahlen ermittelt,
während die übrigen 20 (noch) durch den weißen Staatspräsidenten Südafrikas ernannt werden. Mit dem Exekutivkomitee des CPRC wurde außerdem der Ansatz einer eigenen Regierung, besser: eines eigenen Verwaltungsapparates der Coloureds geschaffen.
1. Die Funktion des CPRC und seines Exekutivkomitees
Schon eingangs ist darauf hinzuweisen, daß die Administration der Coloureds nicht über eigene Einkünfte aus Steuern und anderen öffentlichen Abgaben verfügt. Von daher steht dem CPRC nicht die Budget-Hoheit zu. Der CPRC kann lediglich einen Haushaltsentwurf vorlegen, der der Billigung durch das weiße Parlament bedarf.
Ähnlich vollzieht sich die übrige Gesetzgebung durch den CPRC. Nach seiner Verfassung ist er berechtigt, in vier Bereichen für Coloureds geltende Gesetze zu schaffen: Erziehungswesen, soziale Angelegenheiten, ländliches Siedlungswesen9) und Angelegenheiten der Lokalverwaltung. Aber die Möglichkeiten des CPRC, hier initiativ zu werden, sind sehr begrenzt. Denn zum einen hat das weiße Parlament über die Bewilligung der Haushaltsmittel des CPRC mittelbar eine sehr wichtige Handhabe zur Einflußnahme. Und zum anderen bedarf selbst jede Gesetzesvorlage im CPRC der Billigung durch den (weißen) Minister für Coloured Affairs. Selbst wenn diese erteilt worden ist und der CPRC daraufhin ein Gesetz verabschiedet hat, sind die Möglichkeiten der Einflußnahme durch die weißen Behörden nicht erschöpft. Denn jedes vom CPRC gebilligte Gesetz bedarf zu seinem Inkrafttreten der Zustimmung durch den südafrikanischen Staatspräsidenten. Weiße Befürworter des Systems werden immer wieder darauf hinweisen, daß die weißen Behörden nur in wenigen Fällen von ihrem Vetorecht Gebrauch machten. Selbst wenn dies zutrifft, so ändert das doch nichts an dem Umstand, daß sich der weiße Gesetzgeber in sehr weitgehendem Maße die Möglichkeit vorbehalten hat, die den Coloureds zugestandene Autonomie durch einen Federstrich diesen wieder zu nehmen. Außer den bereits erwähnten Funktionen hat der CPRC die Aufgabe, die südafrikanische Regierung in allen Fragen zu beraten, die die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Interessen der Coloureds sowie ihr Erziehungswesen berühren. Auch hier sind jedoch die Möglichkeiten der Einflußnahme nur sehr gering. Denn wie wohl gerade der kürzliche Rücktritt des südafrikanischen Innenministers Theo Gerdener, des bedeutendsten Exponenten der „Verligtheid“ im südafrikanischen Kabinett, gezeigt hat, sind die meisten politisch Verantwortlichen der RSA heute noch weit davon entfernt, sich von Nichtweißen beraten zu lassen. Sollte es in absehbarer Zeit zu einer durchaus möglichen Neuformierung unter den politischen Parteien der weißen Südafrikaner und damit zu einem Machtwechsel kommen, so wird die Beratungsfunktion des CPRC vielleicht an Bedeutung gewinnen.
Nach dem bisher Gesagten kann es nicht wunder nehmen, daß die Aufgaben und Rechte des Exekutivkomitees des CPRC und der ihm nachgeordneten Verwaltung sehr begrenzt sind. Sie sind auf dessen fünf Mitglieder verteilt und erschöpfen sich im wesentlichen in den Bereichen, in denen der CPRC Legislativfunktionen hat; hinzukommt nur das Ressort Finanzen. Der Vorsitzende des Exekutivkomitees wird von dem südafrikanischen Staatspräsidenten ernannt und ist nur ihm, also nicht dem CPRC verantwortlich. Die vier übrigen Mitglieder des Exekutivorgans wählt der CPRC aus seiner Mitte.
So gering die Macht dieses Verwaltungsapparates auch ist, so hat seine Schaffung doch für eine Reihe Coloureds eine nicht unerhebliche soziale Besserstellung mit sich gebracht. Denn vor allem der Aufbau eines eigenen Erziehungs- und Krankenversorgungssystems, mag dies auch noch recht unvollkommen sein, hat vielen Coloureds die Tür zu Berufen geöffnet, die ihnen früher aus rassischen Gründen verschlossen waren. Nebenbei sei hier bemerkt, daß die Masse der Coloureds, die, wenn auch nicht in dem Maße wie vor allem die schwarzen Südafrikaner, durch den Job Reservation Act diskriminiert werden, nach wie vor als Land- und Fabrikarbeiter, als Hausangestellte, in letzterer Zeit jedoch auch in zunehmendem Maße als Handwerker beschäftigt sind. Daß sie häufig, vor allem soweit sie im Staatsdienst beschäftigt sind, niedrigere Löhne beziehen als Weiße, die vergleichbare Arbeit verrichten, versteht sich in der RSA von selbst.
Die heutige Regierung der RSA hat wohl die Absicht, die Befugnisse der staatlichen Organe der Gemeinschaft der Coloureds zu erweitern, besser: diesen Organen im Laufe der Jahre wirkliche Machtbefugnisse einzuräumen. Sollte dies tatsächlich geschehen, so muß sich die Frage nach den Grenzen einer solchen Entwicklung zwangsläufig stellen. Es wird zu klären sein, wo die Macht des im Staat der Weißen bestehenden Staates der Coloureds endet. Denn auf einer Fülle von Gebieten, man denke nur an das der auswärtigen Politik, müssen übereinstimmende Politiken betrieben werden. Es wird hier zu klären sein, ob die staatlichen Organe der Coloureds gleichberechtigt neben denen der Weißen stehen werden, ob m.a.W. alle Entscheidungen von nationaler Bedeutung von den Repräsentanten der Weißen und der Coloureds gemeinsam getroffen werden oder ob der weiße Staat den der Coloureds weiterhin bevormunden wird. Die damit zusammenhängenden Fragen sind ganz offen und bieten aus der heutigen Sicht eine unüberschaubare Fülle potentieller Konflikte.
2. Die politischen Parteien der Coloureds und der CPRC
Abgesehen von einigen Splittergruppen gibt es heute zwei Parteien der Coloureds10), die Federal Party und die Labour Party. Angesichts der sehr jungen Geschichte dieser Parteien - viele der älteren politischen Organisationen der Coloureds wurden zwangsweise aufgelöst - war bislang zur Klärung ihrer politischen Vorstellungen vor allem auf ihre Programme während des Wahlkampfes zum CPRC im Herbst 1969 zurückzugreifen11.
Wie in ihrer besonderen Situation nicht anders zu erwarten, bildet die Frage nach der Intensität ihrer Bereitschaft in dem nicht von den Coloureds, sondern von den Weißen geschaffenen CPRC mitzuarbeiten, einen der wichtigsten Unterschiede in den Programmen beider Parteien. Bezeichnend für die Einstellung der Federal Party im Jahre 1969 war eine Äußerung ihres Vorsitzenden, der heute auch Vorsitzender des Exekutivkomitees des CPRC ist, Tom Swartz: die Federal Party „ist überzeugt, daß die parallele Entwicklung der einzige logische Lösungsansatz für die Probleme ist, die unser Volk bedrücken“12. Auf dieser Basis führte die Federal Party ihren Wahlkampf. Bereits damals sah sie aber mit großer Wahrscheinlichkeit im System der parallelen Entwicklung nur eine Zwischenstufe zur Erreichung ihres wichtigsten Zieles, nämlich zunächst der Abschaffung der petty apartheid und dann anschließend die volle politische und sozio-ökonomische Gleichberechtigung der Coloureds mit den Weißen. Von diesen Äußerungen unterscheiden sich die der Labour Party prima facie sehr stark. Unter ihrem damaligen Vorsitzenden R. E. van der Ross, einem bedeutenden Erziehungswissenschaftler, trat sie unter dem Schlagwort „Eine Stimme für Labour ist eine Stimme gegen apartheid“ auf. Das Dilemma dieser Partei bestand und besteht darin, daß sie einerseits den CPRC als eine gegen die volle Gleichberechtigung der Coloureds gerichtete Institution scharf ablehnt, andererseits jedoch ausdrücklich 1969 gegen jene Coloureds vorging, die die Wahlberechtigten zum Boykott des Urnengangs aufriefen. Labour sah hierin einen zu nichts führenden Widerstand.
Sehr ambivalent sind offensichtlich auch die Vorstellungen innerhalb der Labour Party bezüglich der zukünftigen Stellung der indienstämmigen und der schwarzen Südafrikaner in der RepublikSüdafrika.Anders als die Federal Party gebrauchte sie im Wahlkampf 1969 nie das Schlagwort von der „swart gevaar“, gegen die sich Weiße und Coloureds gemeinsam zur Wehr setzen müßten. Sie appellierte also nicht an rassistische Empfindungen der Coloureds. Und dennoch gibt es innerhalb der Labour Party sehr unterschiedliche Strömungen, was die Möglichkeit einer gegen die Weißen gerichteten Aktionseinheit der Nichtweißen unter Einschluß der Schwarzen anbelangt. Der u.a. an der Universität der Coloureds in Bellville heute so lautstark vorgetragene Ruf nach Solidarität von „brown power“ mit „black power“ stößt bei Mitgliedern und Anhängern der Labour Party auf ein sehr unterschiedliches Echo. Wer den tatsächlichen Wert solcher Solidaritätsaufrufe bei den breiten Massen erkunden will, wird zu berücksichtigen haben, daß zwar die Masse der Coloureds, aber nur recht wenige schwarze Südafrikaner in der Kap-Provinz leben. Das hat zur Folge, daß die übergroße Mehrheit der Coloureds nur ganz wenige Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme mit schwarzen Südafrikanern hat. Und selbst diese Möglichkeiten gehen infolge der Verwirklichung des Group Areas Act in zunehmendem Maße verloren, da es immer weniger gemischtrassige Wohnbezirke in Südafrika gibt. Es erscheint einfach ausgeschlossen, daß sich heute Wahlen zum CPRC mit dem Schlagwort Solidarität von Braun und Schwarz gewinnen ließen. Nicht unwahrscheinlich ist, daß manch ein Politiker der Labour Party entsprechende Schlagworte in der Öffentlichkeit benutzt, um die Verhandlungsposition der Coloureds gegenüber den Weißen zu stärken.
Die ersten Wahlen zum CPRC zeigten sehr deutlich, wo die politischen Sympathien der Coloureds liegen. Denn zum einen boykottierte, vor allem im Westkap, dem Stammland der Coloureds, ein beachtlicher Anteil der Wahlberechtigten die Wahlen. Und zum anderen gewann die Labour Party 26, die Federal Party dagegen nur 11 der insgesamt zu vergebenden 40 Sitze. Bemerkenswert an diesem Ergebnis ist, daß die Federal Party sich nur in Transvaal und in Freistaat, also dort, wo die Coloureds niemals zuvor politische Rechte gehabt hatten, durchsetzen konnte. ln Natal und in der Kap-Provinz, wo die Erinnerungen an das frühere, erst ab 1948 beseitigte System der Integration noch vorhanden waren, setzte sich eindeutig die Labour Party durch. Allerdings wurde dieses Bild dadurch verfälscht, daß Pretoria die von den weißen Behörden zu besetzenden weiteren 20 Sitze im CPRC ausschließlich mit Vertretern der geschlagenen Federal Party besetzte.
Wenn nicht alles täuscht, mußte die Federal Party in den zurückliegenden drei Jahren erkennen, daß die weiße Regierung die noch 1969 von ihr, der Federal Party, gehegten Hoffnungen auf eine Verbesserung der Position der Coloureds nicht erfüllen würde. Andererseits sah sich die Labour Party dadurch in ihren Prognosen bestätigt. Dies scheint der entscheidende Grund dafür zu sein, daß die Federal Party, das kam vor allem während des Jahreskongresses ihrer Organisation in der Kap-Provinz im April 1972 zum Ausdruck, sich den Vorstellungen Labours stark annäherte. Führende Mitglieder der Partei, darunter auch Tom Swartz, wiesen deutlicher als je zuvor auf die Mißstände hin, denen die Coloureds unterworfen sind. Ausdrücklich wiesen sie das System der apartheid zurück13), meldeten künftige Forderungen nach einer Repräsentation im Zentralparlament für den Fall an, daß der CPRC weiterhin ohnmächtig bleibe14 und nannten den CPRC eine „puppet institution“15). Selbst Tom Swartz äußerte den Wunsch, mit schwarzen Politikern Südafrikas zusammenzutreffen, um mit ihnen gemeinsam über Möglichkeiten zu beraten, die politische Macht der Nichtweißen in Südafrika zu vergrößern16. Selbst wenn man hier nicht jedes Wort für bare Münze nimmt, so steht doch fest, daß die von Pretora ohne Zutun der Coloureds verordnete Politik der parallelen Entwicklung selbst unter politisch interessierten Coloureds des sehr gemäßigten Lagers praktisch keinen Anklang mehr findet. Von daher mehren sich auch unter den Weißen jene Stimmen, die ein grundlegendes Überdenken der politischen Stellung der Coloureds in der RSA fordern.
IV. Möglichkeiten der weiteren Entwicklung
Die weitere Entwicklung17) des politischen und damit auch sozio-ökonomischen Status der Coloureds wird ganz
entscheidend davon abhängen, welche (weiße) politische Richtung Südafrika in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren regieren wird. Eine Prognose läßt sich hier trotz der heute so dominierenden Stellung der Nationalist Party nicht stellen. Denn u. a. im Zusammenhang mit den Diskussionen um die Zukunft der Coloureds wollen die Gerüchte um eine Spaltung der gegenwärtigen Parteien und die Gründung neuer Parteien in Südafrika nicht verstummen.
Die mit Abstand kleinste, nur mit einer Abgeordneten im Parlament vertretene Progressive Party, die Partei der südafrikanischen Liberalen, befürwortet bekanntlich die stufenweise zu erreichende völlige Integration auch der Coloureds in die heute von den Weißen allein beherrschte Gesellschaft Südafrikas. Sie verfügte übrigens bis zu jenem Tage, da der Gesetzgeber multirassische Parteien verbot, über eine zahlenmäßig nicht sehr große, aber sehr aktive Anhängerschaft unter den Coloureds. Viele führende Vertreter der Gemeinschaft der Coloureds fühlen sich dieser Partei auch heute noch zugehörig.
Die United Party, die stärkste weiße Oppositionspartei, verficht nach wie vor offiziell das nicht überzeugende und sicher für die Coloureds nicht akzeptable Konzept einer „Federation of Races"18). Es sieht für die Coloureds, innerhalb eines südafrikanischen Einheitsstaates, weitgehende Autonomie auf der unteren politischen Ebene vor. Darüber hinaus sollen 2 Millionen Coloureds im Zentralparlament durch 6 Coloureds Abgeordnete vertreten sein, wohingegen die 3,8 Millionen Weißen weiterhin 166 Parlamentarier in das Gremium entsenden werden. Allerdings wird der Plan zur Aufnahme einer so begrenzten Zahl von Vertretern der Coloureds in das Parlament in jüngster Zeit von der United Party wieder in Frage gestellt19). Dies geschieht nicht zuletzt aufgrund des Druckes solcher Weißer, die in dem bisherigen Konzept der United Party den Anfang einer liberalistischen, in ihren Augen gleich kommunistischen Entwicklung sehen.
In der Nationalist Party wird offiziell daran festgehalten, daß man bei dem bisherigen System der parallelen Entwicklung verbleiben müsse. Jedoch werden gerade in dieser Partei in jüngster Zeit wieder zunehmend Alternativen zu dem heutigen Weg diskutiert2°). Die beiden Persönlichkeiten, denen zur Zeit die größten Chancen eingeräumt werden, in absehbarer Zeit die Nachfolge J. B. Vosters als Ministerpräsident anzutreten, C. Mulder und A. Treurnicht, beide dem verkrampte Flügel der Nationalist Party zugehörig, haben sich verschiedentlich für die Schaffung eines „Kleurlingstan“ oder „Colouredstan“ nach dem Vorbild der Bantustans ausgesprochen. Nur die in ihren Positionen gebotene Wahrung der Parteidisziplin wird sie bisher abgehalten haben, diesen um die Jahreswende 1971/72 verschiedentlich in der Öffentlichkeit vorgebrachten Gedanken zu wiederholen. Verligte Kreise innerhalb der Regierungspartei - sie sind vor allem an den burischen Universitäten von Potchefstroom, Stellenbosch, Pretoria und auch Johannesburg zu finden - haben sich verschiedentlich für die volle Gleichberechtigung der Coloureds mit den Weißen ausgesprochen. Unklar ist eigentlich immer geblieben, wie diese Gleichstellung in der Praxis aussehen soll. Die Integration der Coloureds nach dem Prinzip „one man one vote“ in das heutige politische Leben der RSA würde schon in absehbarer Zeit zu einer Beherrschung desselben durch die Coloureds führen. Denn schon um die Jahrtausendwende wird es vorraussichtlich neben 6,8 Millionen Weißen in Südafrika 7,5 Millionen Coloureds geben. Es erscheint heute einfach ausgeschlossen, daß die Weißen Südafrikas, seien sie nun englisch- oder afrikaanssprachig, eine solche Politik gutheißen werden. Verschiedene Persönlichkeiten, sie sind teilweise Mitglieder der Nationalist Party, teilweise aber auch Mitglieder der United Party, befürworten daher heute ein System, nach dem es außer je einem, mit sehr, sehr weitgehender Autonomie ausgestatteten Parlament der Coloureds und der Weißen ein für alle nationalen Fragen zuständiges „Super-Parlament“ geben wird21) 22).
Aber auch die Verwirklichung dieses Vorschlages bedeutete, daß die Weißen Südafrikas die Bereitschaft mitbringen müßten, die Herrschaft über Südafrika mit den Coloureds und unter Umständen noch weiteren Bevölkerungsgruppen23) zu teilen. Da es bisher auch an einer solchen Bereitschaft fehlt, ist eine wirkliche Lösung des Problems der politischen Stellung der Coloureds im System der parallelen Entwicklung bis heute nicht in Sicht.
- S. vor allem Siegfried Thale: „Coloureds Frage als Menetekel" in IAF, Jg. 1971, Heft 3, S. 172-174; ders. „Revolte in der Coloured Frage“ in IAF, Jg. 1971, Heft 9/10. S. 531-532.
- Obwohl es sich bei dieser etwa 80000 umfassenden Gemeinschaft um eine recht homogene Gruppe handelt, ist nicht zu übersehen, daß auch sie über recht unterschiedliche, u. a. malayische- madegassische und arabische Ursprünge verfügt.
- Zu dieser Gemeinschaft zählen heute etwa 8000 Menschen. Anfang des 20. Jahrhunderts war ihre Zahl viel größer. Denn zu dieser Zeit waren viele Chinesen vor allem in den südafrikanischen Bergbauzentren beschäftigt. Die meisten von ihnen kehrten jedoch nach Ablauf ihrer Kontrakte in ihre Herkunftsländer zurück.
- So M. G. Whisson „The Coloured People” in „SA's Minorities“ (Spro-Cas: Occasional Publications No.2), Johannesburg, 1972, S.46-77 [60]. Die Spro-Cas (Study project of Christianity in apartheid society) Arbeiten werden von dem in scharfer Opposition zur gegenwärtigen Regierung stehenden Christian Institute of South Africa (Johannesburg) gefertigt.
- Vgl. dazu vor allem die Zahlen in Rand Daily Mail (Johannesburg) vom 9. Mai 1972, S. 7.
- S. dazu, aus der Sicht eines Coloured, die Darstellung von R. E. van der Ross „Deprivation among the Coloureds“ in New Nation, November 1971, S. 9-14.
- S. dazu die Zusammenstellung in The Star (Johannesburg). Weekly Air Edition vom 17. Juli 1971, S. 11, „History of the Coloured tímebomb“.
- Einschränkend ist darauf hinzuweisen, daß für die bereits erwähnten Namas (etwa 33000 Angehörige) und die Rehoboth Basters (etwa 17000 Angehörige) in der südlichen Hälfte Südwestafrikas eigene „Heimatländer“ geschaffen wurden.
- Einige Regionen der Kap-Provinz sind den Coloureds zur landwirtschaftlichen Nutzung vorbehalten.
- Seit Ende der sechziger Jahre sind multirassische Parteien in der Republik Südafrika verboten.
- N) S. dazu mit vielen Einzelangaben vor allem M. G. Whisson. a.a.O., S. 47-62.
- Cape Argus vom 19. August 1969, zit. nach M. G. Whisson. a.a.O., S. 48.
- Eastern Province Herald (Port Elizabeth) vom 8. April 1972. S. 1; ebenso Cape Herald (Kapstadt) vom 22. April 1972.
- Cape Times (Kapstadt) vom 12. April 1972, S. 1.
- Evening Post (Port Elizabeth] vom 12. April 1972, S. 1.
- Evening Post (Port Elizabeth) vom 12.April 1972. S. 1; ebenso Cape Argus (Kapstadt) vom 11. April 1972.
- 1971 wurden diese Fragen in Südafrika besonders intensiv diskutiert; siehe dazu u. a.: M. Horrell, D. Horner and J. Kane-Berman „A Survey of Race Relations in South Africa 1971", Johannesburg, 1972, S. 6-21; Colin Legum (ed.) „Africa Contemporary Record/Annual Survey and Documents 1971-72“, London, 1972. S. B345-B346 und S. Thale „Revolte in der Coloured Frage" in IAF, Jg. 1971. Heft 9/10, S. 531-532.
- Stellungnahmen u. a. von Tom Swartz, dem Vorsitzenden der Federal Party, und Sonny Leon, dem Vorsitzenden der Labour Party, finden sich bei M. Horrell. D. Horner and J. Kane-Berman, a.a.O., S. 13.
- Vgl. dazu Rand Daily Mail (Johannesburg) vom 4. Mai 1972, S. 1; weiter M. Horrell. D. Horner and J. Kane-Berman, a.a.0.. S. 12-13.
- Vgl. dazu die in Anmerkung 17 genannten Beiträge.
- S. dazu Rand Daily Mail (Johannesburg) vom 4. Mai 1972. S. 1.
- Ergänzend sei darauf hingewiesen. daß verschiedentlich von durchaus einflußreichen Persönlichkeiten vorgeschlagen wurde, auf dieser Basls auch die schwarzen Südafrikaner und jene indischer (und pakistanischer) Herkunft an der Ausübung der politischen Macht zu beteiligen.
- S. dazu Anmerkung 22.