African Questions

Publications of Dr. Klaus Frhr. von der Ropp

Political Observer and Consultant on Southern African Issues

5. Perspektiven der unvollendeten Revolution in Südafrika

Klaus Freiherr von der Ropp

"And replace it with what?"

So der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt im Mai 1977 im Gespräch mit dem damaligen US-Vizepräsidenten Walter Mondale, der geäußert hatte, der Westen müsse alles in seiner Macht Stehende tun, um Pretoria zu zwingen, seine Politik der Apartheid aufzugeben.

Mit seiner historischen Rede zur Eröffnung des Kapstädter Parlaments leitete im Februar 1990 der wenige Monate zuvor gewählte Staatspräsident Frederik Willem de Klerk die Abschaffung des in mehr als drei Jahrhunderten gewachsenen und in den vorangegangenen 40 Jahren in Gesetzen festgeschriebenen Systems der Rassentrennung oder Apartheid ein. Zunächst wurden mit dem überaus gefolgschaftsstarken African National Congress (ANC), der ihm seit langem eng verbündeten Südafrikanischen Kommunistischen Partei (SACP), dem Pan Africanist Congress (PAC) und einer ganzen Reihe kleinerer Organisationen die Parteien des Widerstandes wieder legalisiert und mit dem heutigen ANC-Präsidenten Nelson Mandela, der Symbolgestalt des schwarzen Widerstandes, der letzte ihrer Führer aus fast 30jähriger Haft entlassen. Schon ein Jahr später kündigte de Klerk die dann Mitte 1991 vom Parlament vollzogene ersatzlose Streichung der etwa 300 Apartheid-Gesetze an.

Dieses Netzwerk diskriminierender Gesetze zielte darauf, die Angehörigen der vier großen Bevölkerungsgruppen - schwarze (ca. 75% der Gesamtbevölkerung von ca. 38 Millionen), weiße (ca. 14%), die gemischtrassischen (ca. 8,5%) und die indienstämmigen (ca. 2,5%) Südafrikaner - wo immer möglich räumlich getrennt leben zu lassen. Das führte - außer in der Arbeitswelt - zu einer weitverbreiteten Kontaktlosigkeit der Gruppen. Außer der zahlenmäßig nur sehr kleinen Gruppe weißer Kommunisten suchten nur sehr wenige Weiße den Dialog über die Grenzen der schwarzen Ghettos und Reservate hinweg. Entsprechend gab es auch vor 1948, dem Geburtsjahr der ersten Apartheid-Gesetze, praktisch keine gemeinsamen politischen Parteien, keine gemeinsamen Gewerkschaften, keine über die Rassenschranken hinweg aktiven Sportvereine, keine alle Bevölkerungsgruppen ansprechenden Medien und letztlich auch keine gemeinsamen Kirchen. Im Gegensatz zu den afrikaanssprachigen weißen Niederländisch-Reformierten Kirchen - sie waren die Säulen des Apartheid-Systems - haben sich die Methodisten, Anglikaner, Presbyterianer und Katholiken allerdings um die Schaffung gemeinsamer

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kirchlicher Institutionen bemüht. Dies jedoch fast überall ohne Erfolg, bis vor etwa zehn Jahren waren selbst Klöster rasisch nicht voll integriert. Eine für den Außenstehenden oft nicht nachvollziehbare kulturelle Kluft hat bislang verhindert, daß sich an alledem seit de Klerks Regierungsantritt Entscheidendes änderte.

I. Der Süden Afrikas auf dem Weg zu einer Pax Britannica?

Ein durch den damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß im Dezember 1987/Januar 1988 vermittelter erster Brückenschlag zwischen den zuvor tief verfeindeten Regimen in Moskau und Pretoria rief die Diplomatie Washingtons und Lenders auf den Plan. Jetzt konnten Briten und Amerikaner Druck auf Pretoria mit dem Ziel ausüben, unhaltbar gewordene Positionen in Südafrika selbst sowie in Namibia, Angola und Mozambique aufzugeben, ohne daß die Sowjets dies - wie Mitte der 70er Jahre in den früheren Kolonien Portugals - für eigene imperiale Interessen nutzen würden.

Auf amerikanischer Seite war Chester A. Crocker, der von 1981 bis 1989 amtierende Assistant Secretary of State for African Affairs im State Department, federführend. Die Mitte der 80er Jahre gegen den Willen der Reagan-Administration vom Kongreß gegen Pretoria verhängten, relativ harten wirtschaftlichen und sonstigen Sanktionen veranlaßten Pretoria dazu, Crocker mit großem Mißtrauen zu begegnen. Um so bedeutsamer war die Rolle der Briten, insbesondere von Sir Robin Renwick, der von 1987 bis 1991 als Botschafter Großbritanniens in Südafrika amtierte. Denn die Briten hatten in den Jahren zuvor das ihnen Mögliche getan, um die Verhängung von Sanktionen gegen Südafrika zu verhindern. Renwick wurde zu einem für die Außenwelt weitgehend unsichtbaren und doch alles dominierenden Vermittler.1 Dabei kam ihm zu Hilfe, daß nunmehr such die englischsprachige Geschäftswelt Südafrikas, die eng mit der britischen Wirtschaft verflochten ist, begriffen hatte, daß nur noch eine grundlegende Neuorientierung der südafrikanischen Innenpolitik das Land vor dem Absturz in Anarchie würde bewahren können.

Renwicks Diplomatie basierte auf der Wahrnehmung britischer Interessen: Über 50% der Auslandsinvestitionen in Südafrika sind britischer Provenienz. Nahezu eine Million der dort lebenden Weißen (das sind 20% der gesamten weißen Bevölkerung) sind entweder britische Staatsangehörige oder aber Südafrikaner, die aufgrund ihrer Abstammung jederzeit die Ausstellung britischer Pässe fordern können. Schließlich war und ist sich die britische Regierung offenbar mehr als an-

  1. So Mike Robertson, Sir Robin - His Excellent Excellency, in: Sunday Times (Johannesburg), 21.4.1991, vgl. auch Patti Waldmeir, Farewell to the Host with the Most in South Africa, in: Financial Times, 1.6.1991, und Robert von Lucius, Der Prokonsul in Pretoria. Londons besondere Beziehungen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.10.1990.
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dere europäische Regierungen der Gefahren bewußt, die sich aus der Existenz eines Arsenals modernster Waffen (inklusive zumindest Komponenten von Nuklearwaffen) in Südafrika ergeben - sowohl unter militärischen ("afrikanisches Bosnien") als auch unter politischen Gesichtspunkten So könnte etwa eine vom ANC dominierte Regierung des Post-Apartheid-Südafrika im großen Stil Waffen veräußern - im Sinne von "Proliferation after Liberation" -, um so die für die Verwirklichung zumindest der dringlichsten Reformen erforderlichen Finanzmittel zu bekommen.

Renwick und Crocker war klar, daß der ganze Subkontinent im Chaos versinken würde, wenn ihre Diplomatie scheiterte. Sie waren bemüht, zunächst den am ehesten regelbaren Konflikt im südlichen Afrika in den Griff zu bekommen - auch im Sinne einer vertrauensbildenden Maßnahme zur Lösung weiterer Regionalkonflikte. So konzentrierten sie sich auf die Entlassung Namibias in die international anerkannte Unabhängigkeit. Mit Resolution 435 des VN-Sicherheitsrats lag ein entsprechender Plan seit September 1978 vor. Seine Realisierung war zehn Jahre zuvor nicht zuletzt daran gescheitert, daß seine Hauptinitiatoren, die Carter-Administration in Washington und die sozialliberale Regierung in Bonn, Pretoria zu verstehen gegeben hatten, der sich aus der Implementierung von Resolution 435 ergebende Herrschaftswechsel von einer weißen Minderheits- zu einer schwarzen Mehrheitsregierung sei auch für die Probleme Südafrikas die adäquate Lösung.3 Renwick und Crocker - unterstützt von den Sowjets - waren sich hingegen bewußt, daß das Afrikanerdom auch nach dem Ende des Ost-West-Konflikts nur dann zum Verzicht auf Apartheid bereit war, wenn sein Existenzrecht auch in einem Post-Apartheid-Südafrika machtpolitisch abgesichert würde. Ähnlich Egon Bahr zwölf Jahre zuvor4 beantworteten auch Renwick und Crocker - wie später

  1. Dazu Joachim Krause/Klaus Frhr. von der Ropp, Das neue Südafrika: Sicherheitspolitische und politische Aspekte, in: Außenpolitik 42 (Frühjahr 1991) 1, S. 90-100 (94-100), Mark Danser Hibbs, Südafrikas Uran-Vorräte, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.1.1993, S. 8; ders., IAEA Believes South Africa Produced More than 200 kg of High-Enriched Uranium, in: Nuclear Fuel (Washington), 28.9.1992; ders., IAEA Found Evidence of Nuclear Weapons Work in South Africa, in: Nucleonics Weck (Washington), 8.10.1992; ders., Washington Wants to Purchase South African HEU Inventory, in: Nuclear Fuel, 12.10.1992; David Albright/Mark Hibbs, South Africa, The ANC and the Atom Bomb, in: The Bulletin of the Atomic Scientists (Chicago), (April 1993). Zu alledem jüngst Bernd Rabert, Die südafrikanischen A-Waffen - Eine entschärfende Zeitbombe?, in: Aussenpolitik, 44 (Herbst 1993) 3, S. 232-242.
  2. Dazu detailliert Klaus Frhr. von der Ropp, Perspektiven einer Lösung des Namibia-Konfliktes - Unter besonderer Berücksichtigung der Rolle der BR Deutschland, in: Verfassung und Recht in Übersee (Hamburg), 20 (Winter 1987) 4, S. 431-442.
  3. Siehe dazu dazu das Interview "Ohne Verhandlungslösung ist die Gefahr des dritten Weltkrieges ständig gegenwärtig", in: Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, 10.7.1977, S. 8. An dieses Interview knüpfte der spätere Bundesvorsitzende der FDP, Otto Graf Lambsdorff, an. Siehe dazu Robert von Lucius, Lambsdorff kritisiert die Südafrika-Politik der westlichen Länder. Teilung des Landes als letzter Ausweg? "Sanktionen sind scheinheilige Feigenblätter", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8.8.1986, S. 5, und Bernd Ostermann, Suche nach gangbaren Wegen/Lambsdorf-Initiative beendet Perspektivlosigkeit bundesdeutscher Afrikapolitik, in: Namibia-Nachrichten (Windhuk), 8.10.1989, S. 1; schließlich den Lambsdorffschen Vortrag vom 7. April 1993 vor dem SA Institute of Race Relations. Er trägt den Titel "Towards the Post Apartheid South Africa - Views of a Foreign Liberal" und wird in Race Relations News (Johannesburg) veröffentlicht werden.
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de Klerk - Helmut Schmidts eingangs zitierte Frage dahingehend, es gelte für Südafrika "ein bislang unbekanntes Modell des gleichberechtigten Miteinanders mit besonderem Schutz für Minderheiten" zu finden.

Nur so war es der britisch-amerikanisch-sowjetischen Geheimdiplomatie zwischen Mai und Dezember 1988 gelungen, den Abzug der südafrikanischen und dann auch der kubanischen Truppen aus Angola sowie die Verwirklichung von Resolution 435 auszuhandeln: Die ehemals deutsche Kolonie Südwestafrika wurde im März 1990 unabhängig.5 US-Außenminister James Baker und sein sowjetischer Kollege Eduard Schewardnadse nutzten schon ihren Aufenthalt in Windhuk anläßlich der Feierlichkeiten zur Unabhängigkeit Namibias, um erste Verhandlungen zur Beilegung des Angola-Krieges zu führen. Angola war nach Beendigung des Krieges gegen die portugiesische Kolonialmacht (1960-1975) unter anderem zum Schauplatz eines Bürgerkrieges zwischen rivalisierenden Befreiungsbewegungen geworden. Die Rolle Renwicks übernahm in diesem Fall Jose Manuel Durao Barroso, Staatssekretär im portugiesischen Außenministerium, in Unterstützung der Verhandlungsführer der beiden Supermächte.

Es gelang ihnen, die Regierung in Luanda und die Befreiungsbewegung UNITA zu veranlassen, im Mai 1991 in Lissabon einen Waffenstillstand zu vereinbaren. Seine Einhaltung wurde von der United Nation Angolan Verification Mission (UNAVEM) überwacht. Daß dieses Engagement der Vereinten Nationen aus finanziellen Gründen nur einen Bruchteil dessen ausmachte, was die Weltorganisation während der Übergangszeit von April 1989 bis März 1990 in Namibia geleistet hatte, war verhängnisvoll. Zwar wurde der Waffenstillstand weitgehend eingehalten, jedoch blieben die gleichfalls im Mai 1991 vereinbarte militärische Entflechtung wie auch die Bildung einer einheitlichen nationalen Streitmacht für Angola hinter den vereinbarten Zielen zurück. Gleichwohl fanden im September 1992 landesweit Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt. Nach Aussage der weitaus meisten Wahlbeobachter verliefen sie im Rahmen dessen korrekt, was in einem Land ohne demokratische Tradition nach 30 Kriegsjahren möglich ist. Es wäre unrealistisch gewesen, im Anschluß an die Wahlen eine demokratische Zukunft für Angola zu sehen. Jedoch war die Hoffnung verbreitet, die Schrecken von 30 Kriegsjahren würden auch den Verlierer der Wahlen veranlassen, die Wahlergebnisse zu respektieren. Diese Hoffnung trog. Die aus den Wahlen als Verlierer hervorgegangene UNITA nahm den bewaffneten Kampf wieder auf und trug ihn jetzt

  1. Dazu Heribert Weiland, Demokratie und nationale Entwicklung in Namibia, in: Afrika Spectrum, 27 (1992) 3, S. 273-301.
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auch in die Städte. Was zuvor den Krieg überdauert hatte, wurde nun zerstÖrt.6 Wie hoffnungslos die Lage seit Ende 1992 ist, läßt sich am deutlichsten daran erkennen, daß das Gros der in Angola eingesetzten gut 700 VN-Beobachter seine Positionen fluchtartig räumte.

Wenn es noch - was allerdings zu bezweifeln ist - eines Anstoßes bedurfte, die weißen Südafrikaner bei den Verfasungsverhandlungen auf der dauerhaften Kontrolle der Sicherheitskräfte des neuen Südafrika bestehen zu lassen, so waren es die jüngsten Entwicklungen in Angola.

Um so wichtiger wurde und ist für ein Gelingen des innersüdafrikanischen Friedensprozesses die Beilegung des Bürgerkriegs in Mozambique. Mit Unterstützung Washingtons, Moskaus sowie von Persönlichkeiten der katholischen Kirche Mozambiques und Italiens vermittelten italienische, britische und portugiesische Verantwortliche von Juli 1990 bis Oktober 1992 zwischen der Regierung in Maputo und der sie seit 1975 bekämpfenden Renamo-Bewegung. Schließlich konnte in Rom ein Vertrag über einen Waffenstillstand, eine militärische Entflechtung, die Bildung einer einheitlichen nationalen Streitmacht sowie die Abhaltung von Parlaments- und Präsidentschaftswahlen - letzteres voraussichtlich Mitte 1994 - abgeschlossen werden. Dessen Erfüllung wird gleichfalls von einer VN-Mission, den UN Operation in Mozambique (UNOMOZ), überwacht werden. Das Scheitern des angolanischen Friedensprozesses veranlaßte die VN - trotz der Finanzmisere am East River - ein zehnmal stärkeres Kontingent nach Mozambique zu entsenden, als in Angola stationiert war. Sehr verbreitet ist die Erwartung, daß Renamo die Wahlen deutlich verlieren wird. Wird sie ihre Niederlage akzeptieren? Das erscheint zweifelhaft, ist doch Renamo nach ihrer Gründung durch das damalige rhodesische Minderheitsregime Mitte der 70er Jahre und der späteren (seit 1980) Alimentierung durch Pretoria nie eine genug politische, sondern immer eine rein militärische Bewegung gewesen.

Trotz der Bedeutung, die London den Konflikten in Namibia, Angola und Mozambique beimaß, galt sein Hauptaugenmerk stets den Problemen Südafrikas. Wichtig ist, daß Washington und Moskau diese Sicht unter anderem im VN-Sicherheitsrat durchgehend unterstützen. Die britische Diplomatie wollte verhindern, daß die Regierung in Pretoria zu spät - also aus einer Position der Schwäche - mit ihren innenpolitischen Gegnern verhandelt. Davor warnten Margaret Thatcher und Renwick im Juli 1989 de Klerk, von dem als sicher galt, daß er wenige Monate später in das Amt des südafrikanischen Staatspräsidenten gewählt würde, bei Gesprächen in London. Als Reaktion auf eine südafrikanische Politik der fortwährenden Unterdrückung des schwarzen Auibegehrens gegen Apartheid - so die Argumentation der Briten - werde zunächst der Kongreß in Washington

  1. Dazu Peter Miles, Angola - eine Zukunft in Ruinen? Ratlosigkeit und Pessimismus in einem geschundenen Land, in: Neue Zürcher Zeitung, 19.2.1993, S. 3.
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und nachfolgend das japanische und die westeuropäischen Parlamente immer härtere Sanktionen gegen Pretoria verhängen. Damit erodiere die Position der weißen Südafrikaner. Der Kollaps der einst mächtigen Regime im östlichen Mitteleuropa und dann auch der UdSSR ließ de Klerk und seine Berater Ende 1989 erkennen, daß die politisch dominierende Schicht des Afrikanerdoms ähnlich den kommunistischen Herrschern untergehen werde, würden sie nicht unverzüglich Verhandlungen - vor allem mit dem ANC - aufnehmen.

Mit der Legalisierung der Befreiungsbewegungen und der Freilassung ihrer Führer schuf die Regierung de Klerk die Voraussetzungen, und jetzt gewann diese Revolution von oben Eigendynamik. Ein Jahr später, Anfang 1991, zog London Robin Renwick, seinen "interventionistischen Botschafter" ab, der faktisch die Stellung eines "Mitglieds des südafrikanischen Kabinetts" innegehabt hatte.7

II. Anfänge des innersüdafrikanischen Verfassungsdialogs

Ende 1991 nahmen die Allianz von ANC und SACP, die Nationale Partei (NP) und die von ihr gestellte Regierung, die Inkatha Freedom Party (IFP) konservativer Zulus und eine Reihe kleiner Parteien Verhandlungen über eine neue Verfassung für Südafrika auf. Bis Anfang 1993 führte dieses Gremium den Namen Convention for a Democratic South Africa (Codesa), seither heißt es Multi Party Negotiation Forum. Es hielt im Dezember 1991 eine erste (Codesa 1) und im Mai 1992 eine zweite Vollversammlung (Codesa 2) ab. Nach anfänglichem Zögern boykottierte der PAC die Verhandlungen. Er wollte mit dem "Rassistenregime" nur über die Übertragung der Regierungsverantwortung - eine absolut irreale Forderung - verhandeln. Die in der Konservativen Partei (KP) organisierten Weißen - circa 50% der über 3 Millionen weißen Afrikaner - verweigerten seinerzeit noch den "Terroristen" von ANC, PAC und vor allem SACP das Gespräch. Angesichts der großen Gefolgschaft der KP im Afrikanerdom und der wachsenden Stärke des PAC stellte sich von Anfang an die Frage nach der politischen Stabilität des Post-Apartheid-Südafrika.

III. Südafrikas Wirtschaft im Niedergang

Gefahren drohen auch aufgrund des seit den Unruhen von 1976/77 anhaltenden, in der Folgezeit durch westliches Desinvestment und Sanktionen sowie seit 1989/90 durch die Unwägbarkeiten des Reformprozesses beschleunigten Niedergangs der südafrikanischen Volkswirtschaft. Diese Faktoren wiegen um so schwerer, als die Apartheid ohnehin die wirtschaftliche Entwicklung des Landes enorm belastet hatte: Die staatlich verordnete und minutiös kontrollierte Rassentrennung bedurf-

  1. Siehe dazu die in Anm. 1 zitierten Artikel von Mike Robertson bzw. Patti Waldmeir.
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te einer entsprechend kostspieligen Bürokratie. Zum anderen behinderte die rassische Diskriminierung den kreativen Teil der (schwarzen) Bevölkerungsmehrheit. Bis in die 80er Jahre hinein durfte außerhalb der ländlichen Ghettos (homelands) ein schwarzer Südafrikaner keine handwerkliche Lehre machen. Mit Hilfe des in den frühen 50er Jahren von der NP eingeführten Systems der "Bantu-Erziehung" sollten die Schwarzen außerhalb ihrer "Heimatländer", soweit durchsetzbar, als Handlanger existieren. Aus Eigeninteresse hatten sich die "liberalen" Wirtschaftskreise gegen diese Politik allerdings in Grenzen aufgelehnt und das System nach und nach gelockert.

Gegenwärtig durchläuft die Wirtschaft Südafrikas die längste Rezession dieses Jahrhunderts.8 Die strukturellen Schwächen der Volkswirtschaft, eine lange Jahre anhaltende Dürre, durch die weltweite Rezession bedingte Schwierigkeiten beim Export von Rohstoffen, der für die Kap-Republik als führenden Goldexporteur so folgenreiche niedrige Goldpreis, die - gemessen an den Produktionskosten anderer Länder - zu hohen Lohnkosten, die übersteigerten Forderungen der schwarzen Bevölkerungsmehrheit - von ihr leben allerdings ca. 50%, das sind etwa 14 Millionen Menschen, unterhalb der Armutsgrenze - an das neue Südafrika und schließlich die im In- und Ausland verbreitete Sorge, de Klerk werde womöglich scheitern - all das sind Faktoren, die in der Geschäftswelt große Skepsis auslösen. Sie schlägt sich unter anderem in seit fast zwanzig Jahren anhaltender Kapitalflucht nieder.

Hier liegen die Gründe, die die langjährige liberale Oppositionsabgeordnete Helen Suzman - sie mag mit vielen ihrer politischen Freunde die Risiken des von ihr geforderten Umbruchs zunächst unterschätzt haben - kürzlich warnen ließ: Eine neue Regierung wird eine in "wirtschaftlichem Ödland lebende unregierbare Bevölkerung" erben. Es mag sein, daß die de Klerkschen Reformen zu spät kommen und ins Chaos führen. Dennoch gilt der von Pieter de lange, einem der engsten Berater de Klerks, in einem unveröffentlichten Papier niedergeschriebene Satz: Das größte Risiko für das Afrikanerdom liege darin, kein Risiko einzugehen. Der Versuch einer risikoärmeren Politik würde die Kap-Republik zu einem afrikanischen Bosnien oder gar zu einem zweiten Angola oder einem zweiten Somalia machen.

Da südafrikanische Bruttoinlandsprodukt (BIP) müßte um 6% pro Jahr wachsen, um auch nur die neu auf den Arbeitsmarkt tretenden Jugendlichen beschäftigen zu können. Statt dessen sinkt es bereits seit einigen Jahren. So finden nur etwa

  1. Dazu Robert von Lucius, In Südafrika herrscht wirtschaftliche Untergangsstimmung. Die längste Rezession dieses Jahrhunderts..., in: Frank furter Allgemeine Zeitung, 30.11.1992, S. 18, und Axel Haibach, Südafrika 1992: Wirtschaft und Politik im Zeichen wachsender Unsicherheit, in: Ifo Schnelldienst, (1992) 25/26. Zu den strukturellen Schwächen der südafrikanischen Volkswirtschaft Robert S. K. Tucker, Political Change in Southern Africa, in: Götz Link (Hrsg.), International Round Table. Regional Cooperation in Southern Africa, Berlin 1992, S. 25-28.
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7% dieser jungen Menschen Arbeit. Die anderen schlagen sich im informellen Sektor, etwa im Straßenhandel, im Transportwesen oder in der Prostitution irgendwie durch oder vergrößern das Heer der Arbeitslosen, zu dem landesweit ohnehin bereits ca. 50% der schwarzen Südafrikaner im arbeitsfähigen Alter gehören. Unter ihnen werden die vielleicht vier, vielleicht aber auch sieben Millionen Angehörigen der "verlorenen Generation" jede neue Regierung in Pretoria vor viele unlösbare Probleme stellen. Soweit sie seit 1976 überhaupt zur Schule gegangen sind, taten sie das gemäß ihrer eigenen Parole "liberation first, education later" nur sporadisch. Viele derer, die seit bald 20 Jahren revoltieren, haben Macht kennengelernt; werden sie sich einer Autorität beugen? Auch sind sie unverändert den Idealen verbunden, die ANC, SACP und PAC in den Jahrzehnten des Befreiungskampfes verkündeten. In ihrer Isoliertheit in den Ghettos und Tausende Kilometer von den ehemals kommunistischen Ländern entfernt, sehen sie ihre Vorstellungen noch immer im näheren Kuba, nicht aber im postkommunistischen Rußland repräsentiert.

Trotz der nicht zu übersehenden Präsenz von SACP-Angehörigen in den Führungsgremien des ANC und ihrer noch stärkeren Präsenz im Congress of South African Trade Unions (COSATU), dem dem ANC verbundenen stärksten Gewerkschaftsdachverband, ist vorstellbar, daß die ANC/SACP-Allianz ihre revolutionären Vorstellungen einem "pragmatischen" Kurs opfert. Die wirtschaftlichen Gegebenheiten und auch Druck westlicher Staaten können den Zwang dazu verstärken, aber wohl nur um den Preis neuer Instabilitäten ausgehend von den Jugendlichen, die sich dann um die Früchte ihres Jahrzehnte währenden Kampfes betrogen sehen werden.

Eine der Folgen des wirtschaftlichen Niedergangs ist eine horrende Kriminalität. Vor allem in den Innen- und Vorstädten der großen Metropolen Johannesburg, Durban und Kapstadt werden jeden Tag unzählige Straftaten, darunter eine große Zahl von Kapitalverbrechen, begangen. Zu dieser Alltagskriminalität kommen politisch motivierte Straftaten, vor allem Tötungsdelikte. 1992 sind pro Tag zwischen 50 und 60 Menschen ermordet worden.

IV. Chancen der Demokratie im neuen Südafrika

Tausende, übrigens nahezu ausschließlich schwarze, Südafrikaner sind bei Machtkämpfen in den schwarzen Ghettos und in den ländlichen Regionen KwaZulu/Natals ums Leben gekommen. In oft unversöhnlichen Auseinandersetzungen stehen sich vor allem ANC- und IFP-Angehörige gegenüber. Dagegen ist es seit Mitte der 80er Jahre nicht mehr zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen ANC und PAC gekommen. Ohne Zweifel: Weiße Südafrikaner der KP oder noch extremerer Organisationen, wie etwa der "Afrikaner Weerstandsbeweging" - unter

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ihnen vor allem Polizisten und Berufssoldaten, aber auch Bergleute, die ein Berufsleben lang mit Explosivstoffen gearbeitet haben - schüren diese Machtkämpfe und lösen sie vielleicht sogar hier und da aus. Kein Geringerer als Breyten Breytenbach, der in den 70er Jahren in Pretoria wegen politisch motivierter Straftaten eine siebenjährige Haftstrafe verbüßte, warnte schon Anfang der 90er Jahre, Südafrika werde binnen kurzem die ungezählten Varianten der Barbarei durchlaufen Er machte dafür nicht nur die mangelhafte Reformbereitschaft der NP, sondern auch die, wie er es formulierte, stalinistische Kultur des ANC verantwortlich.

Selbst wenn man das überspitzte Urteil über den ANC nicht teilt, stellt sich doch die Frage, ob Südafrika wirklich die Chance zur Demokratie hat. Keiner der an den laufenden Verhandlungen beteiligten Akteure wird diese Frage heute in der Öffentlichkeit aufwerfen. Dafür gibt es zwei Gründe. Zum einen würde es den ohnehin schwierigen Verhandlungsprozeß stark belasten, wenn die Akteure etwa die demokratische Einstellung des jeweiligen politischen Gegners anzweifelten. Und zum anderen fürchten alle Verhandlungsteilnehmer die Antwort. Es gilt nach wie vor der Satz, den ein unbekannter angelsächsischer Unterhändler formulierte: "You cannot legislate democracy into existence". Im Südafrika der Apartheid hat kaum jemand Erfahrungen im Umgang mit Demokratie.10 Das weiße Südafrika hatte - da war der Kern des Apartheid-Systems - kein Interesse an der Entwicklung einer demokratischen Kultur. Und das schwarze Südafrika, dessen wichtigste Parteien jahrzehntelang verboten waren und dessen Sprecher ebenso lange inhaftiert oder ins Exil getrieben oder in nicht wenigen Fällen liquidiert wurden, hatte nur wenige Gelegenheiten, eine mit Demokratie kongruente Kultur zu entwickeln.

Vielleicht wird es dennoch gelingen, eine eher stabile, nur begrenzt autoritäre Ordnung für das Post-Apartheid-Südafrika auszuhandeln. Denn alle Akteure werden heute wohl eine These unterschreiben, die vor Jahren schon der liberale Dissident Van Zyl Slabbert und sein Ko-Autor David Welsh vertraten: "The only hope that some narrow basis for consensus could be established and consolidated is if the antagonists have a glimpse into the abyss of violence, economic disaster and all the miseries that go with unrestrained conflict."11

Die Parteien des sich anbahnenden Codesa-Prozesses schlossen Mitte September 1991 den National Peace Accord (NPA). Er legt, vermittelt durch kirchliche

  1. Siehe Afrique du Sud. L'écrivain Breyten Breytenbach denonce la "culture stalinienne" de l'ANC, in: Le Monde, 5.6.1992. Siehe weiter das Interview mit Deon Geldenhuys, Ich bin zutiefst besorgt über die Zukunft, in: Report (Johannesburg), August 1992, S. 16-18.
  2. Siehe dazu die jeweils im Februar 1993 erschienenen Sonderausgaben der beiden linksliberalen Zeitschriften Democracy in Action (Rondebosch) und Die Suid Afrikaan (Kapstadt). Zur Demokratiefähigkeit undemokratischer Gesellschaften in Lateinamerika siehe den Beitrag von Heinrich-W. Krumwiede in diesem Band. Zur Situation in Südafrika: Patti Waldmeir, Is Democracy Achievable in Russia and/or South Africa?, in: CSJS Africa Notes (Washington), August 1992.
  3. South Africa's Options. Strategies for Sharing Power, Cape Town/London 1979, S. 119.
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Kreise und die Geschäftswelt, die Regeln für die Arbeit der politischen Parteien fest. Auf dieser Basis wurde das nationale Friedenssekretariat mit landesweiten Nebenstellen zur Streitschlichtung geschaffen. Seit Mitte 1992 sind hier auch von den VN, vorn Commonwealth, von der EG bzw. der OAU entsandte Beobachter tätig. Bekannt wurde die von dem Richter Richard Goldstoffe geführte Goldstoffe Commission, die zur Aufklärung von Gewalttaten und der Ermittlung ihrer Ursachen gebildet wurde. Der NPA wurde von der KP und vom PAC nicht unterzeichnet, auch sonst waren seine Erfolge in der Praxis wegen der großen Gewaltbereitschaft fast aller Gruppen lange Zeit begrenzt. Es war dann aber dem NPA zu danken, daß Südafrika nicht im April 1993 im Anschluß an die Ermordung Harris in Flammen aufging.

V. Das Ringen um eine neue politische Ordnung

Der ANC geht zu Recht davon aus, daß er wegen seiner großen Gefolgschaft unter den schwarzen Südafrikanern - und nur unter ihnen - allgemeine Wahlen deutlich gewinnen wird. Die NP kann demgegenüber außer auf die Stimmen der eher reformbereiten Weißen und konservativer Schwarzer heute auf die Stimmen sehr vieler gemischtrassischer und indienstämmiger Südafrikaner hoffen.

Sein Selbstverständnis als Befreiungsbewegung läßt den ANC das Ziel verfolgen, das Land alleine und nicht etwa in einer Koalition mit den nächststärksten Parteien, das sind die NP sowie, mit großem Abstand, die IFP, zu regieren. Das neue Südafrika sehen der ANC, die SACP und ihre Verbündeten als einen in Regionen gegliederten Zentralstaat. Spätestens bei Codesa 2 im Mai 1992 zeigte sich, daß die NP, die IFP und die mit ihnen zusammenarbeitenden, allerdings eher wählerarmen Parteien völlig andere Vorstellungen von einem Post-Apartheid-Südafrika haben: Sie sehen es als einen soweit als möglich dezentralisierten Staat. Dabei denken die IFP und die starke konservative Fraktion in der NP, auch wenn sie von einer bundesstaatlichen Ordnung sprechen, wohl eher an ein föderales System mit konföderalen Elementen. Außerdem fordern sie für das neue Südafrika ein System des verfassungsrechtlich verankerten Herrschens im Konsens. Mit anderen Worten: Südafrika wird, auch wenn eine Partei bei Wahlen die absolute Mehrheit der Sitze gewinnt, auf Dauer von einer Koalition der zwei oder drei stärksten Parteien des Landes gemeinsam regiert. Aus der Perspektive der NP gesehen heißt das konkret, daß sie alles daran setzen wird, auf Dauer die Kontrolle über die Ressorts Finanzen und Wirtschaft, Streitkräfte und Polizei zu behalten.

Amerikanischen und britischen Emissären war es zu danken, daß trotz der tiefgreifenden Meinungsverschiedenheiten, die Codesa 2 scheitern ließen, der Dialog selbst dann nicht abbrach, als der ANC "Massenaktionen" organisierte und diese auf harten Widerstand stießen. Und es war dem Einfluß westlicher Diplomatie wie

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auch der Erkenntnis von ANC und NP von der großen Gefährdung der Volkswirtschaft bei einem anhaltenden Stillstand ihrer Verhandlungen zu danken, daß sie Ende September 1992 das "Protokoll des Einvernehmens" unterzeichneten. Es ist seither die Richtschnur für alle Verhandlungen. Sein wesentlicher Inhalt ist die Einigung von ANC und NP über die Wahl einer Verfassunggebenden Versammlung (VV) - sie wird Ende April 1994 stattfinden -, die jedoch nicht souverän sein wird. Sie wird vielmehr ihre Entscheidungen in einem verfasungsrechtlichen Rahmen fällen, auf den sich die Verhandlungsbereiten unter den Parteien Südafrikas zuvor zu einigen haben. Auch hier zeigt sich, daß die NP und die anderen Minderheitsparteien bestrebt sind, wichtige Grundsatzentscheidungen vor der Wahl der VV zu treffen. Denn in der VV werden sie als Minderheitsparteien einen weit geringeren Einfluß haben als heute. Anfang 1993 einigten sich ANC und NP darauf, daß Südafrika in den ersten fünf Jahren nach der für Mitte 1994 erwarteten Wahl einer VV von einer Regierung der nationalen Einheit zu regieren sei.

Wichtig war für alle Codesa-Parteien, die bislang abseits stehenden Parteien, den PAC und die KP - über Chaosmacht verfügt vor allem die letztere -, in den Verhandlungsprozeß einzubinden. Im Fall des PAC gelang das mit Hilfe Nigerias, Botswanas und Zimbabwes, die im Rahmen des Commonwealth die britische Diplomatie seit 1990 tatkräftig unterstützen. Und es waren konservative Politiker in der NP und der IFP, denen es Anfang der 90er Jahre gelang, gemäßigte KP-Politiker vom Anachronismus ihrer Politik der Verweigerung zu überzeugen.

Schon vor Jahren gab es in den Kreisen um den allerdings 1992 dessentwegen aus der KP ausgeschlossenen Parlamentarier Koos van der Merwe die Bereitschaft zum Dialog mit ANC/SACP und PAC. Dank der Vermittlung Van Zyl Slabberts trafen der ihm seit langem befreundete Koos van der Merwe und Thabo Mbeki (ANC) erstmals 1988 auf den Bermudas zusammen. Dieser Kontakt riß nie ab. Van der Merwe versuchte seit diesem Zeitpunkt dem ANC sein Konzept einer "Teilung Südafrikas auf Kosten der Weißen" nahezubringen. Dies geschieht in dem Wissen, daß heute sehr viele NP-Anhänger, darunter viele Mitglieder der NP-Fraktion und selbst Kabinettsmitglieder, seine Sicht einer Lösung des Südafrika-Konflikts teilen. Sie alle, ob nun der regierenden NP oder der oppositionellen KP zugehörig, benutzen dabei weitgehend jene Argumente, mit denen die deutsche Regierung seit Jahr und Tag der Wiederherstellung der 1941 aufgelösten Autonomen Republik der Wolgadeutschen das Wort redet. Ziel ist in beiden Fällen die Schaffung eines Territoriums, in dem die andernorts bestenfalls Geduldeten unter Wahrung ihrer Identität eine Perspektive für die eigene Zukunft entwickeln können. Das Zerbrechen Jugoslawiens, der Sowjetunion, der Tschechoslowakei, der Staaten am Horn von Afrika und das Scheitern der Bemühungen um eine Befriedung Angolas haben den Befürwortern der Thesen Koos van der Merwes eine große Zahl kaum widerlegbarer Argumente geliefert.

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Die KP- und NP-Kreise um Koos van der Merwe berufen sich auf die Vorstellungen Van Zyl Slabberts, der bereits vor 20 Jahren in Kapstadt Möglichkeiten einer "sacrificial partition" seines Landes mit Südafrikanem, Deutschen und Niederländern diskutierte. Diese Überlegungen wurden seit Mitte der 70er Jahre von Deutschen und Südafrikanern aus dem Kreis um Slabbert kritisch fortentwickelt und publiziert.12 Sie übersahen nicht, daß es im Grunde für eine solche Lösung zu spät und zugleich zu früh war. Denn in der Tat ist sie - und das ist unverändert eine ihrer großen Schwächen - angesichts der mit derjenigen Bosniens vergleichbaren ethnischen Gemengelage ohne "ethnische Säuberungen" nicht zu realisieren. Auch hätte eine wie auch immer geartete Teilung Südafrikas für dessen Wirtschaft sehr negative Folgen. Die Teilung Südafrikas ist nur akzeptabel, wenn sie die einzige Möglichkeit darstellt, zu verhindern, daß die Kap-Republik andernfalls denselben Weg in die totale Zerstörung nimmt wie die Republik Bosnien.

Auch auf die Gefahr hin, damit die bereits angesprochenen separatistischen Tendenzen bei IFP im Raum KwaZulu/Natal zu fördern, wird die KP - sollte sie sich auf Dauer und mehrheitlich zu Verhandlungen in dem bisherigen Codesa-Rahmen bereit zeigen - nur dadurch an den Verhandlungstisch zu bringen sein, daß dort auch über ihre Vorstellungen eines "Afrikaner-Heimatlandes" oder "Vo1ksstaates" verhandelt wird. Wo in Südafrika, ob im nördlichen Transvaal oder im ariden nordwestlichen Kap oder, dies wohl die wahrscheinlichste Option, im südwestlichen Kap, ist unter den Befürwortern einer Teilungslösung strittig. Auch werden wohl sehr lange Verhandlungen erforderlich sein, um die KP davon zu überzeugen, daß dieser Volksstaat kein großflächiger, reicher Staat, sondern nur als Kleinstaat denkbar ist.

Dennoch wird diese Option in den kommenden Verhandlungen - und das hat auch der ANC erkannt - an Bedeutung gewinnen. Denn die landesweiten Turbulenzen im Anschluß an die Ermordung des SACP-Generalsekretärs Chris Hani haben seit April 1993 zu einer weiteren Entfremdung vieler bisheriger NP-Wähler von de Klerk geführt, die sich daraufhin zunehmend, das folgt aus Meinungsumfragen, der verhandlungsbereiten Fraktion der KP zugewandt haben. Hinzu kommt,

  1. Jürgen Blenck/Klaus Frhr. von der Ropp, Republik Südafrika: Teilung als Ausweg?, in: Aussenpolitik, 27 (Herbst 1976) 3, S. 308-324; Klaus Frhr. von der Rapp, Globalteilung als Strategie friedlichen Wandels in Südafrika, in: Stiftung Wissenschaft und Politik (Hrsg.), Polarität und Interdependenz, Beiträge zu Fragen der Internationalen Politik, Baden-Baden 1978, S. 411-431. Siehe weiter Wolfgang H. Thomas, Südafrika zwischen Teilung und Integration, in: Aussenpolitik, 30 (Herbst 1979) 3, S. 301-322, und Deon Geldenhuys, Die Zukunft Südafrikas aus deutscher Sicht, in: Aussenpolitik, 36 (Frühjahr 1985) 1, S. 80-98. Weiter Klaus Fuhr. von der Ropp, Power Sharing versus Partition in South Africa, in: Australian Outlook, (1981) 8, S. 158-168, ders., L'avenir de l'Afrique du Sud, in: Politique Etrangère, (1982) 6, S. 429-440; ders., Konfliktlösung durch Trennung?..., in: Bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit (Hrsg.), Südafrika. Krise und Entscheidung, Bd. 2, München 1987, S. 351-370, ders., Afrikaner-Israel an 'n tweede Libanon verhoed, in: Vrye Weekblad (Johannesburg), 27.10.1989, S. 18.
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daß sich die KP und etwa 20 kleinere Parteien und Gruppierungen des "konservativen" Lagers im Mai 1993 zur "Afrikaaner Volksfront" (AVF) zusammengeschlossen haben. Wählerbefragungen haben auch de Klerk deutlich gemacht, daß nicht weniger als zwei Drittel aller weißen Afrikaner heute der AVF näher als seiner NP stehen. Mit der Gründung der AVF ist die Zersplitterung des konservativen Lagers überwunden. Hinzu kommt, daß die Führung der Volksfront in den Händen der charismatischen Generäle Constand Viljoen und Martinus Groenewald liegt. Sie sind erst in jüngerer Zeit aus dem aktiven Dienst ausgeschieden und verfügen bis auf den heutigen Tag bei den aktiven Angehörigen der Sicherheitskräfte Und auch bei den Reservisten über viele Anhänger. Ihrer aller Ziel ist die Schaffung eines Volksstaates (Afrikaanerland). Bereits wenige Tage nach der Gründung der Afrikaner Volksfront haben deren Führer entsprechende Vorverhandlungen mit dem ANC aufgenommen. Auch dem ANC ist klar, daß die Volksfront andernfalls das neue Südafrika noch im Keimzustand durch unzählbare Sabotageakte - und vielleicht sogar die Auslösung eines Bürgerkrieges - zerstören wird.

Bei alledem ist daran zu erinnern, daß Wimpie de Klerk, der zum engsten Beraterkreis um seinen jüngeren Bruder, den Staatspräsidenten, gehört, dazu schon vor mehr als drei Jahren äußerte: "Ich denke nicht, daß eine Teilung Südafrikas im gegenwärtigen Klima eine lebensfähige Alternative ist Aber wer weiß, in dem Maße, in dem sich die Verhandlungen hinziehen und sich Sackgassen entwickeln könnte eine solche Alternative eine Option werden, auf die in Zukunft zu achten sein wird."13

VI. Südafrika und das übrige südliche Afrika

Auch für das neue Südafrika - ob nun geteilt oder nicht - haben die europäischen Märkte eine herausragende Bedeutung. Sie würden ihm weitgehend offenstehen, würde die EG das Post-Apartheid-Südafrika in die AKP(Afrika, Karibik, Pazifik)-Gruppe aufnehmen. Aufgrund der "Konventionen von Lomé" haben die AKP-Staaten für ihre Bergbau- und Industrieprodukte, ihre tropischen sowie, dies aber in sehr engen Grenzen, ihre nicht-tropischen landwirtschaftlichen Erzeugnisse freien Zugang zum EG-Markt. Außerdem stellt die EG ihren Lomé-Partnern derzeit pro Jahr 2,4 Milliarden Ecu für entwicklungspolitische Vorhaben zur Verfügung.14 Mit seinen für afrikanische Verhältnisse bedeutenden Exporten hat Südafrika jedoch keine Chance, in den Kreis dieser besonders begünstigten Länder

  1. Zitiert bei Dries van Heerden, Partition and the Reasonable Right, in: Sunday Times, 18.3.1990. Vgl. Andrew Gowers/Michael Holman, De Klerk Resists Black Majority Rule in South Africa, in: Financial Times, 26.5.1993, S. 1.
  2. Dazu Jürgen Nötzold/Klaus Frhr. von der Ropp, Lomé III: Neubeginn der Kooperation EWG-AKP, in: Außenpolitik, 36 (Sommer 1985) 2, S. 173-188; dies., Lomé IV: Chancen einer Rückkehr Schwarzafrikas in die Weltwirtschaft, in: Aussenpolitik, 41 (Sommer 1990) 2, S. 182-193.
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aufgenommen zu werden. Denn, um nur einen einzigen Produktionszweig herauszugreifen, schon der freie EG-Zugang für südafrikanische Kohle würde unter anderem den deutschen Kohlebergbau in eine Existenzkrise stürzen. Es wird zu vertraglichen Beziehungen zwischen der EG und Pretoria kommen, die jedoch deutlich unter der Lomé-Schwelle liegen werden.15

Entsprechend wichtiger werden für Südafrika die Wirtschaftsbeziehungen zu seinen Nachbarn sein." Dies um so mehr, als diese alle zur Gruppe der AKP-Staaten gehören. Dadurch wird, so die südafrikanische Hoffnung, die Kap-Republik mittelbar von "Lomé" profilieren können. In Betracht kommt die Mitgliedschaft Südafrikas in der 1983 gegründeten Preferential Trade Area for Eastern and Southern Africa (PTA). Sie umfaßt 18 Staaten des östlichen und südlichen Afrika. Wie bei vergleichbaren Integrations- und Kooperationsansätzen in West- und Äquatorialafrika handelt es sich allerdings auch bei der PTA nur um ein politisches Bündnis. Mangels konvertibler Währungen, mangels ausreichender zwischenstaatlicher Verkehrswege und vor allem mangels handelbarer Güter konnte sich die PTA bislang kaum fortentwickeln. Hier würde sich vieles ändern, träte der interessante Handelspartner Südafrika der PTA bei. Dies aber auf Kosten der besser entwickelten PTA-Mitglieder Mauritius, Zimbabwe und Kenia, die sich daher der Mitgliedschaft Südafrikas widersetzen werden. Immerhin ist das BIP Südafrikas trotz aller erwähnten Schwächen seiner Volkswirtschaft eineinhalbmal so groß wie das der 18 PTA-Staaten zusammen.

Aus demselben Grund wird Zimbabwe zögern, einer südafrikanischen Mitgliedschaft in der Southern African Development Community (SADC) zuzustimmen. Die SADC ging aus der Southern African Development Coordination Conference (SADCC) hervor, die 1980 auf Initiative des damals für "Lomé" zuständigen EG-Kommissars Claude Cheysson gegründet wurde, um vor allem die Infrastrukturelle Abhängigkeit der Anrainerstaaten von Südafrika zu mindern. In der Zeit der Ost-West-Konfrontation erfreute sich die SADCC der finanziellen Förderung durch westliche Industriestaaten, die so ein Vordringen der Sowjets, Kubas und der DDR im südlichen Afrika verhindern wollten. Es gelang, die Luftverkehrs- und Kommunikationsverbindungen zwischen den zunächst neun und seit der Unabhängigkeit Namibias zehn SADCC-Staaten zu verbessern. Insgesamt waren die Erfolge dieser Zusammenarbeit jedoch enttäuschend. Das mag auch ein Grund dafür gewesen sein, daß die Mitgliedsstaaten im August 1992 in Windhund eine weitergehende Zusammenarbeit in wirtschaftlichen Fragen (inklusive einer Handelsliberalisierung)

  1. Dazu detailliert Sheila Page/Christopher Stevens, Trading with South Africa: The Policy Options for the EC, Overseas Development Institute, London 1992.
  2. Siehe Gavin Maasdorp, Economic Cooperation in Southern Africa: Prospects for Regional Integration, London 1992, und Erich Leistner, South Africa's Options for Future Relations with Southern Africa and the European Community, hrsg. von der South African Chamber of Business, Johannesburg 1992.
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vereinbarten und ihre Organisation daher von SADCC in SADC umbenannten. Träte Südafrika ihr bei, würden südafrikanische Produkte die Zimbabwes von den Märkten der Region verdrängen. Es wird nicht einfach sein, hier einen Ausgleich zu finden.

So wird sich auch das neue Südafrika, jedenfalls fürs erste, mit der Mitgliedschaft in der seit Ende des 19. Jahrhunderts bestehenden Southern African Customs Union (SACU) begnügen müssen. Ihr gehören außerdem Lesotho, Swaziland, Botswana und Namibia an. Für die Partner Südafrikas stellen die Zuwendungen der Zollunion einen sehr wichtigen Teil ihrer Gesarnteinnahmen dar. Das gilt um so mehr, als an sie Kompensationszahlungen Südafrikas - die vier Kleinstaaten sind für Südafrika ein "captive Market" - in Höhe von derzeit 42% der reinen Zolleinnahmen geknüpft sind. Vielleicht wird ein neues Südafrika angesichts der enormen Kosten von Reformen im Bildungs-, Wohnungs- und Gesundheitswesen nicht mehr in der Lage sein, diese Kompensationsleistungen zu erbringen. Dann mag aus SACU eine bloße Freihandelszone werden, der weitere Staaten der Region wie Mozambique, Malawi und Zambia beitreten können, sofern Mechanismen gefunden werden, die im Vergleich zu denen der Anrainer übergroße Leistungskraft der Volkswirtschaft Südafrikas zu kompensieren.

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