Ostafrikanische Gemeinschaft - zum Stand ihrer Entwicklung
In den vergangenen Jahren konnte die Ostafrikanische Gemeinschaft (OAG) mit ihren Mitgliedsländern Kenya, Uganda und Tanzania wegen des in ihr verwirklichten hohen Integrationsniveaus zu Recht als beispielhaft für Bestrebungen zu regionaler Kooperation sowohl im übrigen Afrika als auch in anderen Teilen der Dritten Welt angesehen werden. Begünstigt durch die aus der Kolonialzeit übernommene intensive Verflechtung erschien die Verbindung der drei in der Gemeinschaft zusammengefaßten Staaten gefestigt genug, um auch die mit dem Beginn nationalstaatlichen Empfindens aufkommenden Desintegrationstendenzen abwehren zu können.
Heute wird man die Entwicklungsaussichten der Ostafrikanischen Gemeinschaft jedoch anders beurteilen müssen. Anders als zu Beginn der 60er Jahre stehen nun die Verantwortlichen der Region nicht vor der Aufgabe, die Gemeinschaft zu erweitern und zu vertiefen, vielmehr gilt es für sie, zu verhindern, daß die seit einigen Jahren mit gewisser Regelmäßigkeit von Krisen erschütterte Gemeinschaft nicht vollständig zerbricht. Die Gemeinschaft ist vor allem zwei desintegrierenden Einflüssen ausgesetzt. Die Meinungsverschiedenheiten, die in den beiden zurückliegenden Jahren zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Tanzania und Uganda führten, haben natürlich eine wachsende Entfremdung der beiden Partnerländer zum Resultat. Dennoch dürfte die entscheidende Gefahr für den Bestand der OAG nicht hier, sondern in der unterschiedlichen ideologischen, politischen und wirtschaftlichen Entwicklung, die die drei Partnerstaaten genommen haben, liegen. Durch diese divergierenden Entwicklungen werden die Grundvoraussetzungen der Integration in Frage gestellt.
Im Bereich der politischen Verfassung stehen der für das schwarze Afrika einzigartigen liberalen Ordnung Kenyas das im Grunde autoritäre System Festland-Tanzanias und die durch Despotie und Willkür gekennzeichneten politischen Ordnungen Ugandas und des tanzanischen Landesteiles Sansibar gegenüber. Die sehr unterschiedliche Entwicklung der politischen Strukturen hat zur Folge, daß der 1963 mit viel Begeisterung und Zuversicht verfolgte Plan zur Schaffung eines ostafrikanischen Bundesstaates heute jeder realen Grundlage entbehrt.
Die von den unterschiedlichen politischen Systemen auf die wirtschaftlichen Ordnungen ausgehenden Einflüsse erschweren auch die lntegration im wirtschaftlichen Bereich. Konfliktpotential enthalten hier zudem die ausgesprochenen Unterschiede zwischen den drei Partnerländern im Niveau und der Zunahme des wirtschaftlichen Wohlstandes. Kenya hat auch in dieser Beziehung eine besondere Stellung. Das Land ist nach wie vor das Wirtschaftszentrum Ostafrikas. Kenya hat sich zwar in seiner Wirtschaftspolitik nicht offiziell, aber in praxi dafür um so mehr einem marktwirtschaftlich-liberalen Kurs verschrieben und verfügt nicht zuletzt deshalb in seiner Volkswirtschaft über hohe ausländische Privatinvestitionen. Sicher kann nicht übersehen werden, daß ebenso wie in anderen Ländern der Dritten Welt die Wirtschaftliche Entwicklung Kenyas von einer Fülle sozialer Mißstände begleitet wird. Bei einem Vergleich der sozialen Verfassung der Mitgliedsländer der OAG ist jedenfalls in Betracht zu ziehen, daß auch Festland-Tanzania, ganz zu schweigen von Uganda und Sansibar, nicht frei von erheblichen sozialen Spannungen sind.
Bei Abschluß des OAG-Vertrages von 1967 war unter anderem angestrebt worden, die Abstände im Wirtschaftlichen Entwicklungsniveau der drei Mitgliedsländer der Gemeinschaft zu verringern. Statt dessen hat sich der seit Jahrzehnten vorhandene, auf sehr unterschiedliche Faktoren zurückzuführende wirtschaftliche Entwicklungsvorsprung Kenyas gegenüber Festland-Tanzania und Uganda ständig weiter erhöht. Der zunehmende Entwicklungsunterschied muß zu zurückgehender Bedeutung der innerostafrikanischen Handelsbeziehungen führen, wobei zu berücksichtigen ist, daß der für die afrikanischen Verhältnisse sehr hoch entwickelte OAG-Binnenhandel neben den berühmten „gemeinsamen Diensten" die Basis der Gemeinschaft bildet.
Im Unterschied zu Kenya ist die wirtschaftliche Entwicklung Tanzanias und Ugandas heute in sehr vielen Bereichen stagnierend oder sogar rückläufig. Dabei sei darauf hingewiesen, daß diese Lage in den beiden Ländern auf ganz verschiedene Ursachen zurückzuführen ist. In Tanzania ist die wirtschaftliche Situation so krisenhaft, daß ein Sturz Nyereres nicht mehr ausgeschlossen werden kann. Nyereres Konzept des Ujamaa hatte zwar innerhalb
und außerhalb Festland-Tanzanias viele Anhänger gefunden, doch die politische und wirtschaftliche Entwicklung Festland-Tanzanias im letzten Jahrzehnt befindet sich im deutlichen Gegensatz zu den durch das Streben nach Gerechtigkeit geprägten Vorstellungen Nyereres.
Dem Beobachter fallen in Tanzania im binnenwirtschaftlichen Bereich vor allem zwei Tatbestände auf: zum einen Versorgungslücken bei bestimmten Gütern, zum anderen ein drängendes Angebot keineswegs preisgünstiger Importe an einfacheren Konsumgütern aus der Volksrepublik China.
Wenn auch im geringeren Maße als die Angehörigen der im Lande lebenden europäischen und asiatischen Minderheiten, so werden auch die Afrikaner von den immer häufiger auftretenden Versorgungslücken z. B. bei Fleisch, Maismehl, Salz und anspruchsvolleren Medikamenten betroffen. Die Ursachen dafür liegen - auch nach dem Urteil in Tanzania lebender, in westlichen wie in kommunistischen Ländern beheimateter Sozialisten - in der überstürzten Verstaatlichung fast aller Produktionsbetriebe, vor allem aber des Großhandels und teilweise auch des Einzelhandels.
Bei den auf den Märkten Festland-Tanzanias (weniger Sansibars) anzutreffenden chinesischen Produkten handelt es sich vor allem um konservierte Nahrungsmittel, einfachste Sportgeräte, Schuhe, Textilien, Seife, Plastik- und Papierwaren aller Art, einfaches Spielzeug, Koffer, Fahrräder, einfache Arzneimittel usw. Bekanntlich dient der beim Verkauf dieser Erzeugnisse in Festland-Tanzania erzielte Erlös der Volksrepublik China dazu, die beim Bau der TANZAM-Bahnlinie anfallenden lokalen Kosten zu decken. Die Importe aus der Volksrepublik China stehen also im Zusammenhang mit dem immer wieder diskutierten, in seinen Einzelheiten aber bis heute nicht bekannten und vielleicht nur scheinbar günstigen Kredit, den die Volksrepublik China Dar-es-Salaam für den Bau der aus politischen und wirtschaftlichen Gründen für Tanzania und Zambia so wichtigen Eisenbahnlinie eingeräumt hat. Um den Bau der Bahn voranzutreiben, muß Tanzania also die erwähnten chinesischen Konsumgüter einführen. Diese Importe beeinträchtigen aber sowohl die entwicklungspolitischen Zielsetzungen Tanzanias als auch den wirtschaftlichen Zusammenhang mit Kenya. Bei der Masse der chinesischen Güter handelt es sich um solche, die Tanzania bereits selbst herstellt oder in absehbarer Zeit hätte selbst herstellen können. Bereits heute können bestehende industrielle Produktionskapazitäten in Tanzania nicht mehr voll ausgelastet werden. Zum anderen tangieren die chinesischen Importe die Bezüge Tanzanias aus seinem OAG-Partnerland Kenya. Schon jetzt haben viele kenyanische Unternehmen, die ihre Produktionskapazität darauf abstellten, daß ihnen außer dem kenyanischen auch der tanzanische Markt offenstand - für die also der Absatz im südlichen Nachbarland lebenswichtig ist - enorme Schwierigkeiten.
Die Außenwirtschaftsbeziehungen Kenyas mit Tanzania werden außerdem durch die von der Regierung in Dar-es-Sal-aam verhängten Import- und Devisenkontrollen erschwert. Diese treffen Kenya in besonderem Maße, da es sein großes Zahlungsbilanzdefizit seit Jahren partiell durch Überschüsse im Handel mit seinen OAG-Partnern, speziell Tanzania, gedeckt hatte. Dazu gehört auch, daß der administrativ festgelegte und bei weitem überbewertete Kurs des tanzanischen Schillings den Export kenyanischer Produkte nach Tanzania behindert. Tanzania seinerseits - vom Entwicklungsstand her selbst unter den Ländern Afrikas einer der unterentwickeltsten Staaten - verfügt nicht annähernd über die Devisen, deren es bedarf. Die Hoffnung, die Einkommensverluste, die Tanzania durch den Verfall des Sisalpreises entstanden sind, durch Einnahmen aus dem Tourismus zumindest teilweise ausgleichen zu können, haben sich nicht erfüllt. Eine nicht selten in Festland-Tanzania anzutreffende Atmosphäre der Fremdenfeindlichkeit und daraus resultierende Zwischenfälle sowie die bereits erwähnten Versorgungsmängel haben - übrigens zu Gunsten Kenyas - die Zahl der Touristen in letzter Zeit sehr spürbar zurückgehen lassen.
In Uganda hat der vom Staatschef inspirierte „Wirtschaftskrieg“ bereits jetzt zu empfindlichen wirtschaftlichen Verlusten geführt. Die Vertreibung der Asiaten - darunter Tausende von ugandischen (!) Staatsbürgern -, die durch die Ereignisse erzwungene Abwanderung britischer Unternehmer, Ärzte und Lehrer sowie anderer, für den Aufbau des Landes erforderlicher Experten, der Abzug fast aller Entwicklungshelfer fast aller Nationen, die Austragung blutiger Auseinandersetzungen zwischen den Angehörigen verschiedener Stämme sowie die Streichung der britischen Hilfszusagen an Kampala haben die Gefahr eines nahezu vollständigen wirtschaftlichen Zusammenbruchs heraufbeschworen.
Die derzeitige Situation in Uganda legt die Annahme nahe, daß es bereits als ein sehr großer Erfolg anzusehen sein wird, wenn nichtein totales Chaos über das Wirtschaftsleben des Landes hereinbrechen wird. Uganda wird von existenzbedrohenden Krisen heimgesucht werden, von deren Ausmaß sich ein Außenstehender wohl kaum ein Bild wird machen können. Denn weder Uganda selbst noch irgendein unter den gegebenen Umständen zur Hilfe bereites Land (etwa Libyen und Saudi-Arabien) werden vor allem die Lücken in der Infrastruktur ausfüllen können, die durch die - in bezug auf die Vertreibung der Asiaten allerdings alles andere als unpopuläre - Wirtschaftspolitik Idi Amins entstanden sind (s. IAF 2/3, 1973, 9. Jg., S. 110; IAF 4, 1973, 9. Jg., S. 191).
Abschließend sei noch einmal darauf hingewiesen, daß die OAG aufgrund der sehr unterschiedlichen wirtschaftlichen Entwicklung in den drei Mitgliedsländern gegenwärtig eine Krise durchmacht, die selbst eine Gemeinschaft, die bisher eine geradezu unglaubliche Fähigkeit gezeigt hat, schwerste Krisen zu meistern, auf das äußerste in ihrem Bestand gefährdet. Die Regierungen in Nairobi und sehr viel stärker diejenigen in Kampala und Dar-es-Salaam haben sich nationale Ziele gesetzt, deren Verwirklichung wohl das Ende der OAG in ihren jetzigen Strukturen bedeuten wird. NN.