African Questions

Publications of Dr. Klaus Frhr. von der Ropp

Political Observer and Consultant on Southern African Issues

Klaus Freiherr von der Ropp

Hintergrund und Perspektiven einer neuen Verfassung für Südafrika.
Ein Beitrag aus deutscher Sicht

I. Untergang oder Übergang? - Zur Rolle ausländischer Staaten

Bis in die späten 80er Jahre dürfte gegolten haben, was Inkatha-Präsident Mangosuthu Buthelezi, in der Zeit des Verbots von ANC, SACP und PAC ein wichtiger Sprecher der schwarzafrikanischen Opposition in der Kap-Republik, etwa zehn Jahre zuvor festgestellt hatte: "Constitutional developments in South Africa are going to be a by-product of bullets and power". Drei der zahllosen Hindernisse auf dem Weg zu einer Verhandlungslösung des Südafrika-Konfliktes seien hier erwähnt. Zum ersten hinderten die intellektuelle Isolierung des in Pretoria herrschenden Afrikanerdoms und seine nicht nur den ausländischen Beobachter erschreckende Selbstgerechtigkeit die südafrikanischen Machthaber daran, über Alternativen zu dem in drei Jahrhunderten gewachsenen System der Apartheid ernsthaft nachzudenken. Zum zweiten wurde die die Rassentrennung scharf attackierende Südafrika-Politik vieler westlicher Staaten, darunter seit Mitte 1974 besonders die der Bundesrepublik Deutschland, ganz überwiegend durch innen-, also nicht südafrikapolitische Erwägungen geprägt. Zum dritten schließlich war die Politik Großbritanniens, das seit eh und je in der Kap-Republik größere wirtschaftliche und sonstige Interessen hat als jeder andere Drittstaat, durch das seit 1974/1975 deutlich sichtbare Bemühen der UdSSR, der DDR und Kubas um die Gewinnung von Einflußzonen nahezu gelähmt. M.a.W.: London befürchtete, die Sowjets und ihre Verbündeten würden ein Zurückweichen des Afrikanerdoms in zunächst Zimbabwe und Namibia und schließlich in Südafrika selbst dazu mißbrauchen, dort analog zu 1974/76 in Mozambique und Angola Satellitenregime zu installieren.

Es stellt sich die Frage, was den bis vor kurzem sehr ungünstigen Ausgangspositionen zum Trotz dazu geführt hat, daß Pretoria seit Ende 1991 mit der Allianz ANC/SACP/Cosatu und einigen weniger wichtigen oppositionellen Parteien über das Post-Apartheid-Südafrika verhandelt. Immerhin waren einige von uns, nachdem wir in einer Delegation afrikaanser

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Dissidenten in Dakar/Senegal im Juli 1987 mit dem ANC die Zukunft Südafrikas diskutiert hatten, bei Rückkehr nach Johannesburg an Leib und Leben gefährdet.

Die dem damaligen südafrikanischen Staatspräsidenten Pieter Willem Botha um die Jahreswende 1987/88 durch den aus Moskau zurückgekehrten bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß übermittelte Neuorientierung der Politik der UdSSR im südlichen Afrika (insbesondere in Angola, Namibia und Südafrika) ließ die meisten erstarrten Fronten einstürzen. Seither, bis zur Selbstauflösung der UdSSR im Dezember 1991, stützten die Sowjets die Anfang der 80er Jahre von dem amerikanischen Assistant Secretary of State for African Affairs, Chester A. Crocker, und dem seinerzeitigen Gesandten Großbritanniens in Washington und späteren britischen Botschafter in Pretoria (1987/91), Sir Robin Renwick, formulierte anglo-amerikanische Diplomatie der Vermittlung.

Für sie war charakteristisch, daß die 1989/90 erfolgte Realisierung der seit mehr als zehn Jahren uneingelöst auf dem Tisch liegenden Resolution 435 (1978) des UN-Sicherheitsrates zur Entlassung Namibias in die Unabhängigkeit primär als eine vertrauensbildende Maßnahme zu sehen war, einen innersüdafrikanischen Dialog über die Zukunft der Kap-Republik zustandezubringen.1

Renwick, 1991 bei seiner Abreise aus Südafrika als ein "interventionistischer Botschafter"2 verabschiedet, und seine Regierung handelten im wesentlichen aus den folgenden Erwägungen: Über die Hälfte der ausländischen Investitionen in Südafrika sind britischer Provenienz, ein südafrikanischer Bürgerkrieg würde sie weitgehend zerstören. Sollte letzteres eintreten, so würde die etwa eine Million in Südafrika lebender Briten bzw. britischstämmiger weißer Südafrikaner vielleicht fluchtartig in das Vereinigte Königreich zurückkehren. Schließlich ist in London die Sorge vorhanden, Pretoria könnte irgendwann im Verlauf eines Bürgerkrieges versucht sein, Nuklearwaffen einzusetzen oder diese mit der Regierungsverantwortung dem ANC auch auf die Gefahr hin übergeben, daß dieser sie an dritte Staaten

  1. Dazu Klaus Frhr. von der Ropp "Südafrika auf dem Weg zur Demokratie?/Internationale und innenpolitische Aspekte" in apuz (Bonn) 1990, Nr. 50, S. 12-20 (S. 14-15 i.V.m. 13-14)
  2. "Sir Robin - His Excellent Excellency" in Sunday Times (Johannesburg) vom 21. April 1991. Weiter Patti Waldmeier "Farewell to the host with the most" in Financial Times (London) vom 1. Juni 1991 und Robert von Lucius "Der Prokonsul in Pretoria/Londons besondere Beziehungen" in FAZ, 15. Oktober 1990.
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veräußert (Proliferation after Liberation")3,um seine Reformprogramme finanzieren zu können.

Außer der Unterstützung durch die USA erfreut sich die britische Südafrikapolitik heute vor allem jener Portugals, Italiens und - dies ist aufgrund der lange Jahre sehr gespannten Beziehungen Pretorias zu Den Haag höchst bemerkenswert - der Niederlande. Deren Gegenspieler sind im Rahmen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit Dänemark, Irland und Deutschland. Zwar ist die deutsche Position in der Sanktionsfrage seit dem römischen EG-Gipfel vom Dezember 1990 flexibel geworden, jedoch verlangt die Bonner Regierung nach wie vor, daß es in Südafrika, ähnlich wie im März 1990 in Namibia, zu einer Machtumkehr zu Gunsten der übergroßen schwarzen Mehrheit (ca. 73 v.H. der Gesamtbevölkerung), d.h. zu Gunsten des sehr gefolgschaftsstarken ANC, kommt. Die Briten und ihre europäischen Mitstreiter stellen sich angesichts der extremen Heterogenität der Bevölkerung Südafrikas dagegen jene Frage, mit der Bundeskanzler Helmut Schmidt im Mai 1977 seinen Gast, US-Vizepräsident Walter Mondale, überraschte, nachdem dieser festgestellt hatte, der Westen müsse alles in seiner Macht Stehende tun, um Pretoria zur Aufgabe der Apartheid zu bewegen. Schmidts Frage lautete: And replace it with what? Die mangelnde Demokratie der südafrikanischen politischen Kultur sowie die extreme Heterogenität der Bevölkerung dieses Landes vor Augen, suchten zunächst Egon Bahr und im Anschluß auch Otto Graf Lambsdorff und Volkmar Köhler nach einer adäquaten Antwort und propagierten eine Lösung sui generis.4 Zu ähnlichen Ergebnissen kam eine Gruppe deutscher und südafrikanischer Wissenschaftler, die sich in den späten 70er und frühen 80er Jahren mit Möglichkeiten der Lösung des Südafrikakonfliktes befaßten.5 Der Umstand, daß alle deutschen Diskussionsbeiträge von den südafrikanischen Medien weitgehend bzw. zur

  1. Dazu s. den Beitrag von Bernhard Rabert in diesem Band, weiter Joachim Krause und Klaus Frhr. von der Ropp "Das neue Südafrika: Sicherheitspolitische und politische Aspekte" in Außenpolitik (Hamburg) 1991, Heft 1, S. 90-100 (S. 94-98). Vgl. auch Tom Barnard "South Africa 1994-2004 / A popular history (Johannesburg) 1991, 182 S.
  2. S. dazu das Interview mit Egon Bahr in Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt (Hamburg) vom 10. Juli 1977, S. 10. Robert von Lucius "Lambsdorff kritisiert die Südafrika-Politik der westlichen Länder / Teilung des Landes als letzter Ausweg?..." in FAZ vom 8. August 1986, S. 5 und Bernd Ostermann "Suche nach gangbaren Wegen / Lambsdorff-Initiative beendet Perspektivlosigkeit bundesdeutscher Afrikapolitik" in Namibia Nachrichten (Windhuk) vom 8./9. Oktober 1989. Volkmar Köhler "Europe's Role in Africa / A German View" in International Affairs Bulletin (Johannesburg) 1982 / Nr. 3, S. 35-45. Ders. "Deutsche Südafrikapolitik" in Konrad-Adenauer-Stiftung / Auslandsinformationen 1990, Heft 12, S. 2-5.
  3. Gute Überblicke dazu enden sich bei Deon Geldenhuys "Die Zukunft Südafrikas aus deutscher Sicht" in Außenpolitik (Hamburg) 1985/1, S. 80-98 und Wolfgang H. Thomas "Südafrika zwischen Teilung und Integration" in Außenpolitik 1979/3, S. 301-322.
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Gänze ignoriert wurden, hat erheblich dazu beigetragen, daß die westdeutsche Politik alles andere als frei von Gemeinplätzen blieb.

So sehr übrigens auch die westdeutsche Politik diese Stimmen übersah, so sehr wurden sie von Renwick und der übrigen britischen Diplomatie beachtet. Die Forderungen Bonns nach der Wiedereinrichtung einer autonomen Republik der Sowjetdeutschen am Unterlauf der Wolga sowie das Vorpreschen Bonns bei der diplomatischen Anerkennung abtrünniger jugoslawischer Teilrepubliken lassen heute die Möglichkeit erkennen, daß die deutsche Regierung sich nicht länger damit begnügt, einer (wohl illusorischen) demokratischen Gesellschaft im Post-Apartheid-Südafrika das Wort zu reden, sondern darüber hinaus die machtpolitische Absicherung des Existenzrechts des nach wie vor über Chaosmacht verfügenden Afrikanerdoms in dem neuen Südafrika fordert. Sollte sie das weiterhin nicht tun, so wird sie nicht nur von der britischen Diplomatie der Vermittlung ausgeschlossen bleiben, sondern - natürlich ungewollt - ihren Beitrag dazu leisten, die Kap-Republik in einen Abgrund von Gewalt zu stürzen. Südafrika kann sehr wohl den Weg Jugoslawiens, Äthiopiens und in Zukunft vielleicht Zaires gehen.

Der britischen Regierung war stets klar, daß, wie Lambsdorff dies nach einem seiner vielen Gespräche mit dem weißafrikanischen liberalen Dissidenten Van Zyl Slabbert ausdrückte,6 weiße Sicherheit der Schlüssel zu schwarzer Freiheit sei. Dennoch vermochte sie den bis zum Spätsommer 1989 amtierenden Staatspräsidenten Botha nicht von der Notwendigkeit einer fundamentalen Neuorientierung der südafrikanischen Innenpolitik zu überzeugen. Die Gespräche der amerikanisch-sowjetisch-britischen Kontaktgruppe mit führenden weißen Afrikanern über das Post-Apartheid-Südafrika, die in der zweiten Hälfte 1988 im Rahmen der erfolgreichen Namibia-Verhandlungen stattfanden, mußten daher hinter Bot fas Rücken geehrt werden.

Ein weiterer Durchbruch gelang den Briten im Juni 1989, als Frederik Willem de Klerk in seiner Eigenschaft als zukünftiger südafrikanischer Staatspräsident London einen Besuch abstattete. Seine Gastgeber wiesen ihn darauf hin, daß die Sicherheitskräfte des Landes die Aufstände im schwarzen Südafrika auf Dauer nicht mehr unterdrücken könnten, und daß alle gleichwohl unternommenen Aktionen von Polizei und Militär Südafrika auch

  1. Dazu Gerhart Raichle "Was tun? Überlegungen zu einer liberalen Südafrikapolitik" in liberal (Bonn) 1990, Heft 1, S. 57-62. Vgl. ın diesem Zusammenhang den kenntnisreichen Leitartikel von Klaus Natorp "Ein kritisches Jahr für Südafrika" in FAZ vom 6. Januar 1992, S. 1.
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wirtschaftlich weiter in die Isolierung treiben würden. Besonders bedeutsam war hier, daß das US-Repräsentantenhaus im Sommer 1988 mit einem nach seinem Initiator Congressman Ron Dellums benannten Gesetz bereits ein nahezu vollständiges Handelsembargo gegen Südafrika beschlossen hatte. Anders als Botha kann de Klerk zuhören, und so vermochte Premierministerin Margaret Thatcher ihn zu überzeugen, daß, falls er nicht radikal mit der Politik seiner Vorgänger breche, zunächst der US-Senat und dann - auf Betreiben des US-Kongresses - auch das japanische und die westeuropäischen Parlamente härteste Wirtschaftssanktionen gegen sein Land verhängen würden. Noch, so die weitere britische Argumentation, könne die südafrikanische Regierung mit der Allianz ANC/SACP/Cosatu, mit dem PAC und anderen Kräften der Opposition aus einer Position der Stärke über Verfassung und Wirtschaftsordnung des neuen Südafrika verhandeln. Denn noch kontrollierte Pretoria Polizei und Streitkräfte, noch gab es keine durch "MK", den bewaffneten Arm des ANC, "befreiten" Gebiete, und noch erwirtschaftete Südafrika den Mitte der 80er Jahre vom Westen verhängten begrenzten Sanktionen zum Trotz eine durchaus beachtlichen Außenhandelsüberschuß.

Der Zusammenbruch des Kommunismus im östlichen Mitteleuropa Ende 1989 ließ de Klerk und seine Berater, darunter vor allem den außerordentlich begabten Vorsitzenden des Broederbondes, Pieter de Lange, und seine älteren Bruder Willem, erkennen, daß, da aus einer Position der Schwäche heraus handelnd, diese kommunistische Regime nur noch über die Modalitäten ihrer Kapitulation verhandeln konnten. Das würde, so die Schlußfolgerung in den Kreisen um de Klerk, die eigene Lage sein, widersetzte man sich dem Rat Renwicks und seiner Regierung. Hilfreich war ferner, daß mit dem Untergang des ostdeutschen Teilstaates und der Neuorientierung der sowjetischen Südafrika-Politik die Allianz ANC/SACP/Cosatu ihre wichtigsten ausländischen Förderer verloren hatte und entsprechend schwächer geworden war.

Es folgten dann nach den mit einem sehr vagen Programm geführten und trotz deutlicher Verluste unter dem afrikaansen Wähler siegreichen Wahlkampf der regierenden Nasionale Party van Suid-Afrika (NP) im September 1989 Schritte, auf die innerhalb und außerhalb des Lagers de Klerks kaum jemand zu hoffen gewagt hatte. Die von Renwick ausgelöste und vom Afrikanerdom ausgefüllte südafrikanische Revolution von oben hatte jetzt ihre Eigendynamik gefunden. Noch Mitte September ließ Pretoria machtvolle Demonstrationen des Protestes durch ANC/SACP/Cosatu, PAC und andere zu. Wir beteiligten uns ohne Furcht vor Verhaftung oder Ausweisung. Im Februar 1990 wurden

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dann die dreißig und im Fall der SACP bereits vierzig Jahre zuvor ausgesprochenen Verbote gegen ANC, PAC und eine große Zahl mit ihnen verbündeter Organisationen aufgehoben und mit Nelson Mandela der letzte ihrer Führer aus jahrzehntelanger Haft entlassen.

Ein Jahr später kündigte de Klerk anläßlich der Parlamentseröffnung in Kapstadt die inzwischen weitgehend erfolgte Streichung des Netzwerkes von etwa 300 Apartheid-Gesetzen an. Und im Mai und August 1990 fanden in Groote Schuur/Kapstadt bzw. Pretoria erste Gespräche zwischen Regierung und ANC/SACP zur Klärung von Vorbedingungen beider Seiten zur Aufnahme von Verhandlungen über die Strukturen des Post-Apartheid-Südafrikas statt. Es dauerte dann aber immerhin noch deutlich über ein Jahr bis diese am 20. Dezember 1991 im Carlton Hotel in Johannesburg tatsächlich begannen.

II. Südafrika 1992: Gibt es eine Chance demokratischer Stabilität, oder werden "les variantes infinies de la barbarie" triumphieren?

Seit der Ankunft der ersten europäischen Siedler Mitte des 17. Jahrhunderts am Kap der Guten Hoffnung ist die südafrikanische Gesellschaft eine zutiefst gespaltene. Als die noch heute regierende Nasionale Party van Suid Afrika (NP) 1948 mit ihrem seither implementierten Programm der Apartheid bei den weißen Parlamentswahlen erstmals obsiegte, brauchte sie in den meisten Fällen nur die bestehende Separierung der Rassen in Gesetzesform zu gießen. Ähnlich in Israel (incl. der besetzten Gebiete) und in der Republik Zypern vor Ausbruch des Krieges von 1974 enden sich in Südafrika zwei Gemeinschaften, eben die schwarzen und weißen Afrikaner, die außerhalb der Arbeitswelt kaum etwas verbindet. So erscheint, um nur ein einziges Beispiel anzuführen, etwa angesichts der fortbestehenden rassischen Separierung des kirchlichen, wenn wohl auch nicht mehr des klösterlichen Lebens, die Frage angebracht, ob weiße und schwarze Christen in Südafrika überhaupt an denselben Gott glauben.

Diese Kluft zu schließen, kann sehr wohl die Fähigkeiten der Unterhändler im World Trade Centre Kempton Park / Johannesburg überfordern. Ihnen sind jedoch noch viele weitere kaum lösbare Aufgaben gestellt. Berichte in südafrikanischen und ausländischen Medien verharmlosen heute häufig ANC, SACP und PAC, nachdem die ersteren sie noch bis vor kurzem verteufelt hatten. ANC, SACP und PAC sind revolutionäre Bewegungen und müssen es

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bleiben, wollen sie nicht den Verlust ihrer Gefolgschaft riskieren. Genau das erlebt heute übrigens die NP. Seit dem Amtsantritt de Klerks propagiert sie mehr oder weniger das Gegenteil dessen, wofür sie zuvor vierzig Jahre lang zur Zufriedenheit der meisten ihrer Wähler gekämpft hatte. Fänden heute Parlamentswahlen unter den weißen Südafrikanern statt, SO würde die NP sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit an die oppositionelle Konserwatiewe Party (KP) verlieren. Die KP, der bereits im September 1989 fast ein Drittel der Weißen ihre Stimme gegeben hat, verspricht ihnen nämlich den (nicht mehr zu realisierenden) Abbruch der Verhandlungen mit den "Terroristen" und die (illusorische) Rückkehr zur (scheinbaren) Sicherheit der Apartheid.

Das Gros der bisherigen NP-Wähler und selbst etliche aus den Reihen der kleinen liberalen Oppositionspartei Democratic Party (DP) wäre noch viel stärker verunsichert, hätten sie jemals die "Homelands" und die Ghettos der Schwarzen betreten und wären daher den Realitäten des schwarzen Südafrikas begegnet: Die Aufstände von 1976/77 und 1984/86 wurden vor allein von schulpflichtigen Jugendlichen getragen. So haben viele von ihnen ab 1976 gemäß der Parole "Erst die Befreiung, dann die Ausbildung" ihre Schulen nur noch sporadisch besucht. Es entstand eine Gruppe von mindestens drei Millionen hochpolitisierten und sich keiner Autorität beugenden Jugendlichen. Im Politischen wie auch im Wirtschaftlichen sind westliche Wertvorstellungen für sie durch die allzu lange Zusammenarbeit fast aller westlicher Staaten mit dem Apartheid-Regime diskreditiert. Noch stärker als andere schwarze Gruppierungen hat die "verlorene Generation" Südafrikas Gewalt und Terror des Regimes erlebt. Ihr fehlt jegliche empirische Beziehung zur Demokratie. Sie werden auch die Regierungen des Post-Apartheid-Südafrikas vor eine Fülle kaum zu lösender Probleme stellen. Auch in einem neuen Südafrika scheint mir die "verlorene Generation" nur das soziale Abseits zu bleiben - Potential mir Kriminalität, Unruhe und Extremismus. Sehr viele Jugendliche werden mithin auch in einem neuen Südafrika ihren Lebensunterhalt nur - wie bereits bisher - durch die Begehung von Straftaten bestreiten können. Südafrika und ausländischen Gebern, die mit dem Wiederaufbau der frei gewordenen Staaten im Osten andere Prioritäten haben, werden die Mittel fehlen, hier mir Abhilfe zu sorgen.

Eine verfehlte, da einer Ideologie verhafteten Wirtschaftspolitik sowie spätere Sanktionen, Desinvestition, Kapitalflucht und in den letzten Jahren ein spürbarer Rückgang des Goldpreises haben weitere mindestens zwei Millionen ganz überwiegend schwarze und gemischtrassige, weniger weiße Südafrikaner

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arbeitslos werden lassen. Auch die Versorgung der schwarzen Südafrikaner mit Wohnraum krankt bis aus den heutigen Tag an den Folgen der Apartheid, denn sie war bemüht, die Zahl der im weißen Südafrika lebenden Schwarzen niedrig zu halten bzw. zu reduzieren. Daher ließ das System der Apartheid deren Eigentum an Grund und Boden nicht zu und zerstörte in ungezählten und unzählbaren Fällen illegal errichtete Notunterkünfte. Die immer noch steil ansteigende Zahl HIV-positiver vor allem schwarzer Südafrikaner wird das Gesundheitswesen und auch die Wirtschaft vor weitere Probleme stellen, für die heute Lösungen nicht in Sicht sind.

Die aus alledem resultierende soziale und wirtschaftliche Entwurzelung von Millionen schwarzer Südafrikaner begüngstigt die mit großer Brutalität geführten, nicht selten von konservativen Gegnern de Klerks geschürten Kämpfe zwischen den Anhängern unterschiedlicher Parteien um Machtpositionen in dem erst noch zu schaffenden neuen Südafrika. Gerade unter liberalen weißen Südafrikanern ist die Sorge verbreitet, es fehle allen beteiligten Parteien die Fähigkeit zur Toleranz und zum Ausgleich mit dem politischen Gegner, als ende ihr Bekenntnis zum politischen Pluralismus an den Grenzen der "Intoleranz des Befreiungskampfes". Auch der anglikanische Erzbischhof Desmond Tutu spricht hier von der verlorenen Menschlichkeit, der gleichfalls dem ANC eng verbundene und dessentwegen in den 70er Jahren mir sieben Jahre in Pretoria inhaftierte Schriftsteller und Maler Breyten Breytenbach sieht Südafrika "bald die ungezählten Varianten der Barbarei" durchlaufen.7

Auch für das in Pretoria regierende Afrikanerdom mag gelten, daß es vom Leben bestraft wird, da es zu spät kam. Umso bewundernswerter die Politik de Klerks, der selbst gesagt haben könnte, was Pieter de Lange in einem unveröffentlichten Papier des Broederbondes äußerte: Das größte Risiko für das Afrikanerdom wäre, kein Risiko einzugehen. Ein Interessenausgleich erscheint immer noch denkbar. Nur wird trotz aller Bekenntnisse zur Demokratie mehr oder weniger aller Parteien des Landes das neue Südafrika alles andere als ein demokratischer Staat sein. Keiner der wirklich wichtigen Akteure im Ringen um das neue Südafrika, d. s. NP, ANC/SACP, KP, PAC/Azapo (Azanian People's Organisation) und IFP (Inkatha Freedom Party) dürfte in letzter Konsequenz als demokratisch zu qualifizieren sein. Daß sie

  1. S. Desmond Tutu "Die verlorene Menschlichkeit" in Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt (Hamburg) vom 26.4.1991. Breyten Breytenbach "A lementfor my country" in Sunday Star (Johannesburg) vom 25. Juni 1991 i.V.m. "L'écrivain Breyten Breytenbach dénonce la "culture stalinienne de l'ANC" in Le Monde (Paris) vom 5. Juni 1991.
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alle dennoch einem nichtrassischen, demokratischen Südafrika das Wort reden, befähigt sie überhaupt erst, nach einem Ausgleich ihrer oft diametral entgegengesetzten Interessen zu suchen. Und einige unter ihnen, etwa Teile des ANC und die NP, mögen wirklich nicht ohne Hoffnung sein, die südafrikanische Gesellschaft im Sinne demokratischer Ideale reformieren zu können.

III. Die Konvention für ein Demokratisches Südafrika
- Ein Versuch, Undenkbares zu realisieren?

Von den etwa zwanzig Parteien, die am 20./21. Dezember 1991 an der ersten Sitzung der "Convention for a Democratic South Africa" (Codesa) teilnahmen, sind nur die Allianz ANC/SACP/Cosatu, die regierende NP und trotz nicht geringer Vorbehalte, die IFP bedeutsam. Die meisten der anderen haben nur marginale Bedeutung.

Verhängnisvoll ist, daß die KP bislang die Gespräche boykottiert. Durch die so starke Präsenz ihrer Mitglieder und sonstigen Wähler in dem durch Apartheid aufgeblähten Staatsdienst, hier insbesondere in den Sicherheitskräften, verfügt sie über nahezu jede Möglichkeit, die Verwirklichung jedes Verhandlungsergebnisses zu sabotieren. Es sind ihre Gefolgsleute, die in dem oben bereits erwähnten Buch Tom BarnardsS zur Geschichte Südafrikas in den Jahren 1994-2004 mit dem Einsatz von Nuklearwaffen gegen Ziele im vom ANC beherrschten Teil der Kap-Republik drohen, als sie keine andere Möglichkeit mehr sehen, die ihnen im südafrikanischen Bürgerkrieg drohende Niederlage abzuwenden. Die Nicht-Teilnahme von PAC/Azapo, die beide darauf bestehen, daß nur eine verfassungsgebende Versammlung über die Zukunft des Landes entscheiden kann, erscheint nicht gar so folgenschwer. Sie sind nur latent stark, und ihre mangelhafte Organisation wird sie hindern, den für sie optimalen Gewinn aus dem Umstand zu ziehen, daß sich ANC/SACP in den Verhandlungen in den Augen der militanten unter ihren Gefolgsleuten kompromittieren werden.

  1. S. das in FN 3 genannte Werk von Tom Barnard, S. 1 und die Rezension dieser Arbeit durch Klaus Frhr. von der Ropp in FAZ vom 24. Dezember 1991, S. 30.
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1. Position der Allianz ANC/SACP/Cosatu9

Mit der Vorlage seiner "verfassungsrechtlichen Richtlinien" vom Sommer 1988 und dem Anfang 1991 veröffentlichten "Diskussionspapier: Verfassungsprinzipien und Strukturen für ein demokratisches Südafrika"10 hat der ANC sein Bekenntnis zum politischen Pluralismus und zu wesentlichen Elementen westlichen Demokratieverständnisses untermauert. Den spezifischen Eigenarten Südafrikas sucht der ANC dadurch gerecht zu werden, daß die Kap-Republik in Zukunft ein nach dem Verhältniswahlrecht gewähltes Zwei-Kammer-Parlament haben wird und alle Landessprachen gleichberechtigt nebeneinanderstehen werden. Einen darüber hinausgehenden Minderheitenschutz - etwa in Form einer bundesstaatlichen Ordnung - weist der ANC als Ausdruck rassistischen Denkens zurück. Jede andere als eine zentralistische Staatsform, so seine Argumentation, behindere das Entstehen einer gemeinsamen Nation aller Südafrikaner.

Es ist zu erwarten, daß der ANC im Laufe der Verhandlungen diese Position revidieren wird. Denn auch ihm ist bekannt, daß selbst die radikalsten unter den afrikaansen Reformern nicht bereit sind, ein unitarisches Südafrika zu akzeptieren. Ferner ist auch dem ANC bekannt, daß de Klerk sich verpflichtet hat, vor Inkraftsetzung der neuen Verfassung diese den weißen Wählern in einem separaten (!) Referendum zur Abstimmung zu unterbreiten.

Im Vordergrund der öffentlichen Debatten stehen aber heute die Kontroversen über die künftige Sozial- und Wirtschaftsordnung. Die Allianz von ANC, SACP und Cosatu hat begriffen, daß sie die immensen Probleme Südafrikas nur mit Hilfe einer starken und wachstumsorientierten Wirtschaft lösen kann. So haben Forderungen nach Nationalisierung von Produktionsmitteln in den Äußerungen des ANC nicht mehr den früheren Stellenwert. Das erscheint umso bemerkenswerter, als zum einen wirtschaftliche Macht in Südafrika in den Händen ganz weniger Großunternehmen (vor allem Anglo-American, Sanlam, SA Mutual) konzentriert ist und zum anderen natürlich auch sie trotz ihrer sehr gemäßigten Apartheid-Kritik früherer Jahre über Jahrzehnte aus der Unterdrückung und Ausbeutung der schwarzen Südafrikaner Gewinn gezogen

  1. Vieles aus den folgenden Abschnitten ist dem Aufsatz von Klaus Frhr. von der Ropp und Hans-Georg Schleicher "Die Aussichten Südafrikas nach dem Ende der Apartheid" in Europa Archiv (Bonn) 1991, Folge 22, S. 663-670, entnommen. Vgl. in diesem Zusammenhang den Aufsatz von Francis Fukuyama "The Next South Africa" in "The National Interest" (Washington) Sommer 1991, S. 13-28, dessen Thesen in vielem weniger skeptisch sind.
  2. Dazu Nic Olivier "ANC constitutional proposals and state reaction" in South Africa International Quarterly (Johannesburg) Oktober 1991, S. 55-64.
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haben. Deutlich wichtiger als Verstaatlichungsdiskussionen sind heute die Debatten im ANC über die Rolle des Staates als Kontrolleur bei der Verteilung des Reichtums und bei der Beseitigung sozialer Ungleichgewichte durch Erhebung höherer Steuern sowie eine Demokratisierung der Funktionsmechanismen der Wirtschaft etwa durch Mitbestimmung. Wenn ANC, SACP und Cosatu gleichwohl dem Recht auf Arbeit und den vergleichbaren Grundrechten eine so große Bedeutung beimessen, daß sie sie in der Verfassung verankern wollen, so ist das auf die Verweigerung jeder sozialen und wirtschaftlichen Gerechtigkeit in der Zeit der Rassentrennung zurückzuführen. Hier wirkt das Trauma gesetzlich sanktionierter Rechtlosigkeit fort. Wer sich die oben kurz angeschnittenen Resultate der bisherigen Politik Pretorias in den Bereichen Erziehung, Arbeitsmarkt und Wohnungsbau vor Augen hält, wird nicht umhin können, für sie Verständnis aufzubringen. Das neue Südafrika wird eben nur dann stabil sein, wenn sich die sozial-ökonomische Lage vor allem jener Menschen, die unterhalb der Armutsgrenze leben, deutlich verbessert. Dennoch weigern sich die weißen Verhandlungsführer, auf diese Forderungen einzugehen. Dies mit der zutreffenden Begründung, nach den einschlägigen Erfahrungen - jüngst etwa in Schweden - sei erwiesen, daß derartige Grundrechte in einem demokratischen System nicht zu verwirklichen seien.

2. Position von IFP und PAC/Azapo

Auch wenn sich die IFP durch die jetzt bekannt gewordene, wohl bis in die Zeit ihrer Gründung Mitte der 70er Jahre zurückreichende gegenrevolutionäre Zusammenarbeit mit Pretoria stark kompromittiert hat, ist doch davon auszugehen, daß sie unter den traditionsbewußten der zulusprachigen Südafrikaner weiterhin über erheblichen Anhang verfügt. Aus der Sicht der IFP werden sich die künftige Verfassung und die künftige Wirtschaftsordnung weitgehend an liberaldemokratischen westlichen Vorstellungen orientieren, den Schutz von Minderheiten will die IFP durch die Einrichtung einer zweiten Parlamentskammer, in der sie überrepräsentiert wären, bewerkstelligen.

Selbst PAC und Azapo bekennen sich heute zur "Demokratie" und zum politischen Pluralismus, jedoch erscheint zweifelhaft, ob es sich hier um mehr als nur taktische Aussagen handelt. Denn vor allem organisatorische Mängel haben bislang die Vorlage eines definitiven politischen Programms der eben nur latent starken PAC und Azapo verhindert. Sie warten darauf, daß sich der ANC in den Verhandlungen mit Pretoria kompromittiert und so die vielen militanten unter seinen Anhängern enttäuscht. In ihnen sehen sie ihre Chance.

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Auch der bei PAC-Veranstaltungen immer wieder anzutreffende Slogan "Ein Siedler, eine Kugel" ist wenig geeignet, in dieser Befreiungsorganisation einen Parteigänger demokratischen Gedankenguts zu sehen. Die wirtschaftspolitischen Vorstellungen des PAC und auch Azapos sind bis auf den heutigen Tag schon mangels verbindlicher programmatischer Aussagen eher diffus. So distanzieren sie sich weiterhin auf das schärfste von jenen der SACP, reden jedoch andererseits in einer häufig militanten Sprache einem "Sozialismus" das Wort.

Im Oktober 1991 haben sich jedoch der PAC und die ANC/SACP/Cosatu-Allianz zu der "Patriotischen Einheitsfront" zusammengeschlossen, von diesem lockeren Bündnis mag ein mäßigender Einfluß auf den PAC ausgehen.

3. Zu den Vorstellungen von NP und KP

Pretoria ist seit der Jahreswende 1989/90 klar, daß sich die NP radikal vom ideologisch verbrämten Rassismus des Afrikanerdoms und dem kaum weniger brutalen, aber pragmatischen Rassismus des englischsprachigen weißen Südafrika lossagen muß. Dazu gehörte unbedingt das Bekenntnis zu einem nach dem Prinzip "Ein Mensch, eine Stimme" organisierten nichtrassischen, demokratischen Staat, Eine Schwäche dieser Politik ist, daß de Klerk sie aus Angst vor Opposition in den eigenen Reihen und in Fortführung der durchaus undemokratischen Traditionen seines Afrikanerdoms dem weißen Südafrika verordnet. Er mag sie bei "Buschberatungen" mit dem Kabinett diskutieren, Partei und Fraktion aber werden vorab noch nicht einmal informiert.

Auch unter den afrikaansen Radikalreformern ist, ohne daß dies nach außen verlautbart, die Sorge verbreitet, Südafrika könne in Zukunft ähnlich anderen Vielvölkerstaaten (derzeit etwa Jugoslawien, Äthiopien und die frühere Sowjetunion) den Weg in das politische und dann auch wirtschaftliche Chaos sowie letztlich zurück in eine wie auch immer geartete Diktatur nehmen. Vor diesem Hintergrund wird nur derjenige die neue Politik der weißafrikanischen Machthaber verstehen, der sich daran erinnert, daß sie sich der bereits angesprochenen diplomatischen Rückendeckung durch die britisch-amerikanisch-sowjetische Diplomatie erfreut. Sie vermochte Pretoria nur dadurch zur Aufgabe von Apartheid, einer pervertierten Form des Minderheitenschutzes, zu bewegen, daß sie dafür Verständnis bekundete, daß das Existenzrecht der Weißen in der neuen südafrikanischen Verfassung anderweitig machtpolitisch abzusichern sein wird.

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Stärker noch als es sich den im August 1991 veröffentlichten Leitsätzen11 für eine neue Verfassung entnehmen läßt, konzentriert sich die Diskussion der NP auf Fragen des Minderheitenschutzes. Es ist aber davon auszugehen, daß für die Kap-Republik der Zukunft ein extrem dezentralisierter Staat, ein Bundesstaat mit konföderalen Elementen angestrebt wird. Sein politischer Alltag soll in den Augen Pretorias vom Regieren im Konsensus geprägt sein. Auch wird daß weiße Südafrika darauf bestehen, auf unbestimmte Zeit Ressorts wie Finanzen, Polizei, Streitkräfte und Wirtschaft zu kontrollieren oder aber zumindest den entscheidenden Einfluß in ihnen zu behalten.

Es ist nicht recht vorstellbar, mit welchen Argumenten ANC/SACP/Cosatu und gar PAC dahin gebracht werden sollen, das letztere zu akzeptieren. Akzeptieren sie es, so würden sie sehr viele ihrer Gefolgsleute verlieren. Denn mehr als jede andere staatliche Institution sind diese Ressorts die Eckpfeiler der alten Ordnung.

Bereits Anfang der 70er Jahre suchten wir - eine kleine Gruppe afrikaanssprachiger weißer Südafrikaner und eine Handvoll Ausländer - im Haus des damaligen liberalen Oppositionspolitikers und späteren Dissidenten Van Zyl Slabbert in Rondebosch/Kapstadt nach Möglichkeiten, Apartheid durch Verhandlungen zu überwinden. Da nun nicht anzunehmen war, daß sich die weißen Afrikaner in dem neuen Südafrika mit einem Status vergleichbar dem der Esten in der seinerzeitigen UdSSR oder dem der Kurden in der Türkei oder im Irak oder auch dem der Kroaten in Jugoslawien begnügen würden, war und ist der Verzicht auf Apartheid wohl nur mit einem sehr qualifizierten Minderheitenschutz zu erreichen. So diskutierten wir die Möglichkeit, den Widerstand derer, die heute hinter der KP stehen, dadurch zu brechen daß Südafrika, wie Slabbert es zwanzig Jahre später formulierte, auf Kosten der Weißen ("sacrificial partition") statt wie bislang

  1. Dazu den Text eines unveröffentlichten Vortrages, den Gerrit Viljoen am 7. Oktober 1991 unter dem Titel "Constitutional Building Blocks for a New South Africa" Anfang Oktober 1991 vor der Konrad-Adenauer-Stiftung (St. Augustin) hielt. S. weiter Lawrence Schlemmer "National Party Constitutional Proposals" in South Africa International Quarterly (Johannesburg) Oktober 1991, S. 65-70.
  2. Dazu Shirly Woodgate "Partition may be Negotiable - Slabbert" in The Star (Johannesburg) vom 5. April 1990 im Anschluß an Jürgen Blenck und Klaus Frhr. von der Ropp "Republik Südafrika: Teilung als Ausweg?" in Außenpolitik (Hamburg) 1976/3, S. 308-324. Klaus Frhr. von der Ropp "Is Territorial Partition a Strategy for Peaceful Change in South Africa?" in International Affairs Bulletin (Johannesburg) 1979/6, S. 36-47. Ders. "Power Sharing versus Partition in South Africa" in Australian Outlook (Canberra) 1981/8, S. 158-168. Ders. "L'avenir de l'Afrique du Sud" in Politique Etrangère (Paris) 1982/6, S. 429-440. Ders. "Konfliktlösung durch Trennung?" in Südafrika / Krise und Entscheidung (München), Bd. 2, S. 351-370.
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auf Kosten der Schwarzen ("greedy partition") geteilt wird. Das so entstandene "Afrikaner-Israel" wird in der Kap-Provinz gelegen sein, wo eine entsprechende Infrastruktur bereits in den fünfziger Jahren angelegt wurde.

Auch am Rande der Konferenz in Dakar im Juli 1989 haben wir diese Möglichkeit diskutiert. Bei aller noch so scharfen Kritik an dieser "liberalen" Alternative der Apartheid wies der ANC sie doch nicht rundweg zurück. Manchmal hat es heute sogar den Anschein, als sei die Allianz ANC/SACP/Cosatu eher bereit, ein Afrikaner-Israel im Kap zu konzedieren als die KP und ihr (künftiger?) bewaffneter Arm, die "Afrikaner Weerstandsbeweging" bereit ist, sich mit ihm zu begnügen. Bislang hat sie in der KP nämlich nur der kleine dortige Dissidentenkreis um Carel Boshoff aufgegriffen. Seine Sicht haben sich in den letzten Jahren viele führende afrikaanse Mitglieder der (irrelevanten) liberalen DP zu eigen gemacht. Deren Argumente sind denen sehr ähnlich, mit denen die deutsche Regierung für die Wiedergeburt einer autonomen Republik mir die in der GUS lebenden Deutschen am Unterlauf der Wolga streitet: Eine Region, in die sich diejenigen Menschen zurückziehen können, die, aus welchen Gründen auch immer, nicht bereit sind, sich einer ihnen kulturell fremden, übergroßen Mehrheit unterzuordnen.13 Allerding sollte es sich, wie schon der Name besagt, bei der Fluchtburg des Afrikaner-Israel um einen unabhängigen Staat handeln.

Wichtig kann sein, daß sich bei dem KP-Bundeskongreß im September 1991 erstmals eine nicht kleine Fraktion zu Wort meldete, die die Rückkehr zum Status quo ante als Träumerei verwarf und Verhandlungen mit dem ANC und anderen über eine "sacrificial partition" das Wort redete. Sollte sich diese Fraktion durchsetzen, so wird ihre Rolle bei der Konvention mir ein Demokratisches Südafrika richtungweisend sein. Großbritannien und die seine Politik stützenden dritten Staaten könnten ihren Einfluß dahingehend geltend machen, den Afrikaanern ihr Israel zuzugestehen, wenn diese im Gegenzug einer Zerstörung ihrer Nuklearwaffen zustimmen. Eine solche Lösung wird nur brauchbar sein - darauf haben besonders sowjetische Spezialisten hingewiesen -, wenn anders als bislang im Nahen Osten alle Staaten des südlichen Afrika alle internationalen Grenzen und damit auch die der beiden Nachfolgestaaten der heutigen Republik Südafrika anerkennen.

  1. Ders. "Afrikaner-Israel kan'n tweede Libanon verhoed" in Vrye Weekblad (Johannesburg) vom 27. Oktober 1989, S. 18. 13. Dazu etwa "Jelzin kommt im November nach Bonn.../Die deutsche Minderheit" in FAZ vom 11. September 1991, S. 1.
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IV. Einige Schlußbemerkungen

Nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes erscheint es nicht mehr ausgeschlossen, den weltpolitisch gefährlichsten Aspekt der Auseinandersetzungen um die Zukunft der Kap-Republik in dem hier skizzierten Sinn zu lösen. Für den zukünftig vom ANC geführten Teil Südafrikas wird wichtig sein, daß diese heute mit großem Abstand gefolgschaftsstärkste Befreiungsbewegung sich bereit endet, das Land in einer auf lange Jahre angelegten Großen Koalition gemeinsam mit IFP und PAC/Azapo zu regieren. Sicher wird es sich darüber hinaus als notwendig erweisen, im Post-Apartheid-Südafrika auf lange Jahre eine Commonwealth- oder UN-Friedens-Streitmacht zu stationieren. Eine konfliktschwangere Lösung würde dagegen das Interesse des absolut unentbehrlichen Auslandskapitals an Investitionen rapide schwinden lassen. Damit wären die ohnehin übergroßen sozial-ökonomischen Probleme des Landes endgültig unlösbar, und Südafrika würde schon bald den Weg jener nicht wenigen afrikanischen Länder gehen, für die es Hoffnung nicht gibt.

Gelingt es nicht, die KP (und PAC/Azapo) in das bei Codesa auszuhandelnde Vertragswerk einzubeziehen, werden bewaffnete Kämpfe die Verhandlungen unterbrechen, aber letztlich kaum gefährden. Auch ist denkbar, daß sich KP und/oder PAC/Azapo gegen ein ohne ihre Mitwirkung zustandegekommenes Abkommen mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln auflehnen werden. Dann wird erneut zu verhandeln sein. Denn mit Parteiverboten ist den von KP bzw. PAC/Azapo für die Stabilität des neuen Südafrika ausgehenden Gefahren nicht beizukommen.

Willem de Klerk hat bereits aufgezeigt, in welche Richtung dann verhandelt werden wird. "Ich denke nicht, daß die Teilung (des Landes) im gegenwärtigen Klima eine lebensfähige Alternative ist... Aber wer weiß, in dem Maße, in dem sich die Verhandlungen hinziehen und in dem sich Hindernisse entwickeln, mag es eine Option werden, die in Zukunft zu beachten sein wird."14 Denselben Gedanken brachte vor über zehn Jahren Klaus Ritter, der Gründer und langjährige Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik zum Ausdruck, als er mir im Gespräch sagte, daß es für eine radikale Teilung des Landes (incl. der Umsiedlung von Millionen seiner Bürger) zugleich zu spät und zu früh sei.

  1. Zit. nach Dries van Heerden "Partition and the Reasonable Right", Sunday Times (Johannesburg) vom 18. März 1990 sowie die in FN 12. genannten Beiträge.
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