Die Suche nach dem richtigen Weg
Die Südafrika-Politik der Bundesrepublik Deutschland
Klaus Freiherr von der Ropp
„And replace it with what?“ So der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt am 21. Mai 1977 im Gespräch mit dem damaligen US-Vizepräsidenten Walter Mondale, der geäußert hatte, der Westen müsse alles in seiner Macht Stehende tun, um Pretoria zu zwingen, seine Politik der Apartheid aufzugeben. Erst unter dem neu in das Amt des Außenministers gewählten Hans Dietrich Genscher begann die Regierung von Deutschland/West sich einer aktiven Namibia- und Südafrika-Politik zu verschreiben. Bereits lange zuvor hatten vor allem die EKD und verschiedene NRO die Bonner Regierung vergeblich aufgefordert, die südafrikanische Regierung zu drängen, ihre rassistische Innenpolitik (Apartheid) aufzugeben und das unter einem UN-Mandat stehende Namibia in die Unabhängigkeit zu entlassen. Genscher war damals das südliche Afrika ganz und gar unbekannt. Dasselbe galt für die ihn beratenden Beamten seines Ministeriums. Dennoch konzentrierte er sich in den ersten Jahren voll auf diese Region. Denn die übrige Bonner Außenpolitik gestaltete Bundeskanzler Helmut Schmidt, ein ausgewiesener, weltweit anerkannter Außen- und Sicherheitspolitiker, selbst. Er überließ Genscher nur die Politikbereiche, die ihn langweilten, das waren alle afrikanischen Fragen, die Vereinten Nationen sowie der von Schmidt in seiner großen Bedeutung nicht erkannte KSZE-Prozess. Genscher nutzte die ihm eingeräumte Stellung ebenso genial wie skrupellos aus. So gelang es ihm, nicht nur das Ende der sozial-liberalen Koalition (17. September/1. Oktober 1982) als Außenminister zu überleben. Denn anschließend gelang es ihm unter dem außenpolitisch damals desinteressierten Bundeskanzler Helmut Kohl, die Außen- und Sicherheitspolitik bis hin zum Beginn der Zwei-plus-vier-Verhandlungen zur Wiedervereinigung Deutschlands souverän zu gestalten.
Der Einstieg in eine aktive Rolle von Deutschland/West im südlichen Afrika war die von dem US-amerikanischen UN-Botschafter Andrew Young, dessen gleichfalls afroamerikanischen Stellvertreter Don McHenry und
ihm selbst Anfang 1977 konzipierte Namibia-Initiative. Ihr schlossen sich
Großbritannien, Frankreich und Kanada an. Sie alle waren damals ständige bzw. nichtständige Mitglieder des UN-Sicherheitsrats. Allen Beteiligten war klar, dass ihr in absehbarer Zeit eine in vielem analoge Südafrika-Initiative folgen würde.
Genscher wusste nur zu gut, dass die westdeutschen Parteien sehr unterschiedliche Vorstellungen von einem Post-Apartheid-Südafrika hatten. Die damaligen Oppositionsparteien CDU und CSU versuchten, Apartheid zu überwinden, ohne dass anschließend der ANC und die ihm auf das Engste verbündete South African Communist Party (SACP) in Pretoria die Macht übernehmen würden. Denn der kommunistische Teil der Welt, hier nicht zuletzt Deutschland/Ost, würde andernfalls wie seit Mitte der 1970er-Jahre in Mosambik und Angola dann auch im übrigen südlichen Afrika zu einem wichtigen Akteur werden. Daher bemühten sich die CDU und die ihr zugehörige Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) mit der Inkatha-Bewegung des eher konservativen Zuluführers Mangosuthu Buthelezi eine Alternative zu der Allianz ANC/SACP aufzubauen. Auch der KAS war bekannt, dass selbst das in Neubrandenburg gedruckte Zentralorgan des in Südafrika verbotenen ANC (Sechaba) Buthelezi „a man of the people, an African patriot“ genannt hatte.1 Anders die Sicht der CSU und ihrer Hanns-Seidel-Stiftung: In Anknüpfung an die bisherige „Rassenpolitik“ Pretorias redeten sie lange Jahre unter Federführung des bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß der geografischen und wirtschaftlichen Konsolidierung der „Bantustans“ das Wort. Mit anderen Worten, es galt eine Art „Apartheid mit menschlichem Antlitz“ zu schaffen.
Selbstverständlich ohne Teilhabe von ANC/SACP.
Die SPD und die ihr zugehörige Friedrich-Ebert-Stiftung suchten nach den Aufständen von Soweto und Langa im Juni 1976 verstärkt die Zusammenarbeit mit dem verbotenen ANC/SACP-Lager und dem neu erstandenen Gewerkschaftsdachverband COSATU (Congress of South African Trade Unions). Das war erst recht der Fall, nachdem Genschers einstiger Chefberater Günter Verheugen in der zweiten Jahreshälfte 1982 die FDP Genschers verlassen hatte und der SPD beigetreten war. Er nahm Genschers Plattitüden zum Post-Apartheid-Südafrika mit in das Erich-Ollenhauer-Haus in Bonn. So fanden die Warnungen des großen Egon Bahr
vor einem Scheitern des südafrikanischen Transformationsprozesses in seiner Partei, der SPD, kaum Gehör. Bahr sah für das neue Südafrika
- Mbatha, P.V. Tulisizwe: Bantustan imposed upon Zululand, in: Sechaba, Nr.2/1971 (Volume. 5), S. 10f., hier. S. 10.
angesichts dessen völliger ethnischer Zerrissenheit „ein bislang unbekanntes Modell gleichberechtigten Zusammenlebens mit besonderem Schutz für Minderheiten“.2
Im Bonner Bundestag machte sich einzig der spätere Präsident vom Liberal International, Otto Graf Lambsdorff (FDP), Bahrs Sicht zu eigen. Er besuchte, anders als sein Parteifreund Genscher, Jahr für Jahr Südafrika. Dort suchte und fand er Gespräche mit einem auffallend breiten Spektrum von Politkern und Wirtschaftsführern. Natürlich auch mit Führern von Inkatha und der (verbotenen) ANC/SACP-Allianz, die vor Ort im Untergrund agieren musste. Im Anschluss an Bahr forderte er die bedingungslose Abkehr von Apartheid und zugleich die machtpolitische Absicherung des Existenzrechts der nicht-schwarzen Minderheiten. Damit fand er jedoch auch in seiner Partei kein Gehör. Denn sie blieb bei dem von Genscher und seinen Beratern entwickelten Thesen. Das war vor allem das Postulat nach einer „Demokratisierung“ Südafrikas, ohne auf die Ängste der nicht-schwarzen Minderheiten Rücksicht zu nehmen.
Daran änderte sich auch nichts, nachdem der Verfasser von der unter anderem durch die Friedrich-Naumann-Stiftung (der FDP) mitveranstalteten Konferenz afrikaanser Dissident*innen und führender Vertreter*innen der in Südafrika unverändert verbotenen ANC/SACP-Allianz (Juli 1987 in Dakar) nach Bonn zurückkehrte. Ziel dieser Konferenz war der Wunsch nach einer friedlichen Beilegung des Südafrika-Konflikts. Der Konferenzbericht des Verfassers wanderte ungelesen in irgendwelche Archive. Dem oft gehörten Argument, dass mit der Machtübernahme durch die ANC/SAPC-Allianz in Pretoria der von der UdSSR angeführte östliche Machtbereich eine bedeutende Stärkung erfahren würde, begegnete der Bundesaußenminister noch stets mit dem Hinweis auf die ungleich größere Wirtschaftskraft der westlichen Welt. Sie werde das Abgleiten Post-Apartheid-Südafrikas in die kommunistische Welt verhindern. Vom 16. bis 18. Oktober 1978 hielten sich auf Initiative Genschers er selbst, seine Kollegen aus London, Washington und Ottawa sowie der französische Staatssekretär Olivier Stirn in Pretoria auf. Sie wollten mit der dortigen Regierung der weißen Afrikaaner Einzelheiten zu deren Rückzug aus Namibia besprechen. Dabei war allen Beteiligten klar, dass dies der Auftakt zu Verhandlungen Pretorias mit den Befreiungsbewegungen über das neue Südafrika sein würde. Ein zwischen dem südafrikanischen
- Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt vom 10.7.1977
Außenminister Pik Botha und Genscher ausgebrochener Streit endete damit, dass Botha Genscher am 17. Oktober 1978 laut auslachte. Statt sich mit Genscher zu solidarisieren, schlossen der britische Außenminister David Owen und dessen US-Kollege Cyrus Vance die Bundesregierung für gut zehn Jahre aus allen Verhandlungen über die Zukunft Namibias und Südafrikas aus. Die Annahme liegt nahe, dass London und Pretoria ihre Politik zuvor abgestimmt haben, da beide Genscher „loswerden“ wollten. Die Briten mussten schon deshalb vorsichtig agieren, da zu jener Zeit noch bis zu einer Million britischer Staatangehöriger in Südafrika lebten. Ferner galt es zu verhindern, dass die sechs fertiggestellten und eine siebte noch in Bau befindliche Kernwaffe vom Typ Hiroshima in die „falschen“ Hände geraten würden.
Mit der Wahl Michail Gorbatschows zum Generalsekretär der KPdSU 1985 und dem Zusammenbruch der DDR wurden dann die Karten neu gemischt. Zudem stellte sich heraus, dass die Sowjets jetzt für das neue Südafrika nach einer Verfassung, in vielem vergleichbar mit den Bahr-Lambsdorff-Vorstellungen, suchten. So stimmten London und Washington ihre Politik jetzt mit Moskau ab. Sehr wichtig war dessen hoch qualifizierter Botschafter in Pretoria, Jewgeni Petrovich Gusarow. Jetzt gelang die Ende März 1990 abgeschlossene Freigabe Namibias und schon kurze Zeit später in Kempton Park/Johannesburg die Aufnahme von Verhandlungen Pretorias mit den jetzt entbannten Befreiungsbewegungen, zuvörderst der ANC/SACP-Allianz.
London und Washington konnten jetzt die Teilnahme auch deutscher Berater nicht mehr verhindern. In den frühen 1990er-Jahren entsandte Deutschland mit großem finanziellen Aufwand zahllose Berater*innen aus allen sechs politischen Stiftungen und anderen NRO, aus dem Deutschen Bundestag, etlichen Landtagen, vielen Bundes- und Landesministerien, der GTZ, der Bundeswehr etc. nach Südafrika. Ihrer aller Arbeit litt darunter, dass sie sich mit der unsinnigen Empfehlung begnügten, den Südafrikaner*innen die Übernahme des deutschen Grundgesetzes mitsamt dessen juristisch-politischem Unterbau empfehlen.
Dr. jur Klaus Frhr. von der Ropp, geb. 1938, studierte Jura, Geschichte, Englisch und Französisch u.a. in Heidelberg, Paris und Dar-es-Salaam. Rechtanwalt. Von 1975 bis 2000 Vertreter der Stiftung Wissenschaft und Politik bei Bundestag, Bundesregierung und den politischen Stiftungen in Bonn/Berlin. Zugleich freiberuflicher Berater für Entwicklungen im südlichen Afrika.