African Questions

Publications of Dr. Klaus Frhr. von der Ropp

Political Observer and Consultant on Southern African Issues

Die Europäische Grenzschutzagentur Frontex

Teil 2: Schwerpunkte des operativen Einsatzes

Martin Pabst / Klaus Frhr. von der Ropp

Der operative Fokus von Frontex ist auf die Abwehr illegaler Zuwanderung gerichtet. Der Schwerpunkt liegt inzwischen im Südosten: 87,4 Prozent aller 104.049 im Jahr 2010 in der EU Aufgegriffenen entfielen auf Griechenland, Bulgarien und Zypern. An zweiter Stelle steht die südliche See- und Landgrenze mit einem Anteil von 9,3 Prozent (Frontex Annual Risk Analysis 2011, S. 15).

Internationale Flughäfen

Internationale Flughäfen wie Amsterdam, Frankfurt a.M., Paris, London, Madrid und Mailand sind Einfallstore für illegale Migranten vor allem aus Lateinamerika, aber auch aus Afrika (insbesondere Nigeria), dem Nahen, Mittleren und Fernen Osten (insbesondere China). 2006 erfolgte die dreiwöchige Aktion „Amazon“. Ein Sachverständigenteam für das Erkennen gefälschter Dokumente wurde an die zentralen EU-Transit- und Zielflughäfen abgestellt. Insgesamt 3.166 Drittstaatsangehörigen wurde die Einreise verweigert, davon 1.992 aus Südamerika.

Im Jahr 2008 wurde erstmals das erweiterte operative Konzept „Hammer“ umgesetzt. Hier wird lokal hoher, kurzfristiger Kontroldruck aufgebaut. Frontex-Unterstützungsteams, Beamte und Sonderberater aus 25 Ländern wurden an 189 Standorten eingesetzt. Erstmals wurde das neu eingerichtete Frontex-Lagezentrum getestet, an das 115 Flughäfen berichteten. Eingebunden waren Partner wie EUROPOL, Interpol und UNHCR.

Im 2010 gestarteten Mehrjahresprogramm „Pulsar“ werden alle Aktivitäten im Bereich Luftgrenzen (Hubble, Hydra, Meteor, Agelaus, Focal Points Air) in einem strukturierten Rahmen zusammengefasst. Die Zahl der Teilnehmerstaaten ist auf 30 gestiegen. Ein neuer Mechanismus erlaubt die wöchentliche Analyse der Daten von 124 Flughäfen in Mitgliedstaaten bzw. assoziierten Schengen-Staaten mit Verbindungen in Länder außerhalb des Schengen-Raums.

Östliche Landgrenze der EU

Polen verfolgt während seiner EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2011 eine Belebung der Östlichen Partnerschaft (ÖP). Der 2009 von Polen und Schweden initiierten ÖP gehören Moldawien, die Ukraine, Weißrussland, Armenien, Aserbaidschan und Georgien an. Die EU hat gegenüber diesen Staaten zum Ausdruck gebracht, dass ein Beitritt in absehbarer Zeit unrealistisch ist, möchte sie aber möglichst eng an sich binden. Die ÖP-Staaten sollen zu Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Marktwirtschaft geführt werden – ein Ziel, das freilich kurzfristig nicht erreichbar sein wird. In fernerer Zukunft haben neben der Ukraine vielleicht Moldawien und Georgien eine Chance, zu assoziierten Mitgliedern der EU zu werden.

In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass die EU über AENEAS und TACIS finanzierte „Regionale Schutzprogramme“ für Flüchtlinge in Moldawien, der Ukraine und Weißrussland aufgelegt hat. Damit sollen die Schutzkapazitäten dieser Länder gestärkt werden. Es gilt, die Flüchtlinge davon abzuhalten, weiter nach Westen zu ziehen. Wenn sie es doch schaffen, landen die nicht anerkannten Asylbewerber in Griechenland oder Polen in großen Auffanglagern. Deren Aufenthaltsbedingungen – wie diejenigen in italienischen Lagern – werden regelmäßig von Menschenrechtsorganisationen kritisiert.

Ziel der EU ist es außerdem, vorgelagerte Dämme zu errichten. So unterstützt Polen mit Hilfe der EU den Ausbau der Grenzanlagen in der Ukraine und Weißrussland. Ähnliche Anstrengungen unternimmt die EU an der Moldawien/Ukraine-Grenze mit den European Union Border Assistance Mission (EUBAM), an der 122 Grenzschutz- und Zollbeamte aus 22 Mitgliedstaaten beteiligt sind. Bemerkenswert ist, dass die EUBAM auch im Bereich der einseitig abgespaltenen „Republik Transnistrien“ tätig ist, wo die Grenzschützer der Republik Moldawien nicht präsent sein können.

Daneben ist der Abschluss von Rückübernahmeabkommen mit ÖP-Staaten von großer Bedeutung. Mit der Ukraine (2007), Moldawien (2007) und Georgien (2011) konnte die EU solche Abkommen schließen, die auch Drittstaatsangehörige und Staatenlose umfassen (im Fall der Ukraine erst nach einer Frist von zwei Jahren nach Abschluss). Die Kommission strebt ein solches Abkommen auch mit Weißrussland an.

Doch bleibt eine Reihe von Imponderabilen, wie die zu einem Sumpf der organisierten Kriminalität verkommene „Republik Transnistrien“. Auch das von der EU mit Sanktionen belegte, autoritär regierte Weißrussland wird zunehmend zum Problem. Am 29./30. September 2011 boykottierte Minsk den ÖP-Gipfel in Warschau. Mit dem Staatlichen Grenzkomitee Weißrusslands hat Frontex 2009 eine Kooperationsvereinbarung abgeschlossen. Sollte Weißrussland aus der ÖP ausscheiden, könnten an seinen Grenzen große Probleme entstehen. Das gilt erst recht für den Fall gewalttätiger Zusammenstöße in Weißrussland. Vielleicht hat die polnische Regierung solche Szenarien vor Augen, wenn sie unüberhörbar nach einer wei-

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teren Sicherung der Grenzen und abermaligen Stärkung von Frontex ruft. Wahrscheinlich war es mit dem Selbstverständnis der Russischen Föderation (RF) nicht zu vereinbaren, die Einladung der EU zum Anschluss an die ÖP anzunehmen. Im Rahmen des „Partnerschafts- und Kooperationsabkommens“ der EU mit der RF wurde eine Freihandelszone vereinbart. Das zeitlich begrenzte Abkommen lief 2007 aus. Ein Nachfolgeabkommen konnte bisher nicht abgeschlossen werden. Bis dahin verlängert sich die Gültigkeit des bestehenden automatisch um jeweils ein weiteres Jahr.

Beide Seiten müssen noch Einzelheiten der Modernisierung der nordwestlichen RF-Außengrenzen gegenüber Polen, Lettland, Estland und Finnland aushandeln. Dasselbe gilt für die Grenzen mit der Ukraine und Weißrussland. In diesem Zusammenhang verdient Erwähnung, dass Frontex ab 2012 über einen Repräsentanten in Moskau vertreten sein wird.

Die EU und die RF haben 2007 ein Rückübernahmeabkommen geschlossen. Seit 2010 schließt es auch Drittstaatsangehörige und Staatenlose ein. Visa-Erleichterungen von Seiten der EU bewogen Russland dazu, in diesem Punkt nachzugeben.

Südöstliche See- und Landgrenze der EU

Griechenland ist zum vorrangigen Ziel illegaler Migration vornehmlich aus der Türkei, Irak, Afghanistan, Pakistan, Sudan und Somalia geworden. Aber auch aus Albanien und in geringem Umfang Mazedonien suchen Migranten illegal nach Griechenland einzureisen. Das nicht dem Schengen-Raum angehörende Bulgarien ist nur in geringem Umfang betroffen.

Ohne Hilfe Dritter kann Griechenland das Problem an der Grenze mit Albanien handhaben. Zudem hat die EU mit Albanien (2006), Bosnien-Herzegowina (2008), Mazedonien (2008), Montenegro (2008) und Serbien (2008) Rückübernahmeabkommen geschlossen, die Drittstaatsangehörige und Staatenlose einschließen (im Fall Albaniens erst nach einer Frist von zwei Jahren nach Abschluss). Mit dem Kosovo ist eine EU-weite Vereinbarung bisher nicht möglich, da die Mitgliedstaaten Griechenland, Rumänien, Slowakei, Spanien und Zypern die ehemalige serbische Provinz nicht als souveränen Staat anerkennen. Deutschland hat 2010 mit dem Kosovo ein umfassendes Rücknahmeabkommen abgeschlossen.

Überfordert ist Griechenland hingegen mit der Kontrolle der Zuwanderung aus Richtung Türkei. Daher unterstützte Frontex den griechischen Grenzschutz ab 2006 mit dem unbefristeten See- und Landeinsatz „Poseidon“. Ab 2009 wurde hier ein integrierter Ansatz verfolgt, der ein Rückführungs-Pilotprojekt einschloss. Im Laufe dieses Jahres ging der Strom illegaler Migranten über die griechischen und bulgarischen Landgrenzen gegenüber 2008 um 40 Prozent, an der Seegrenze zwischen Griechenland und der Türkei um 16 Prozent zurück. Doch gab es 2010 wieder einen rasanten Anstieg. Im November dieses Jahres wurden täglich an die 350 Migranten von Schleppern in die Nähe der Grenzstadt Orestiada gebracht. Hier verläuft ein 12,5 km langer Landstrich, der nicht wie an anderen Teilen der Landgrenze durch den Evros-Fluss begrenzt wird. Die türkische Grenzpolizei unternahm offenkundig keine hinreichenden Aktivitäten, um die Migranten am Grenzübertritt zu hindern. In der Presse wurde darüber spekuliert, dass die Türkei die EU dadurch in den Beitrittsverhandlungen unter Druck zu setzen suchte.

Erstmals entsandte Frontex vom November 2010 bis März 2011 ein Rapid Border Intervention Team (RABIT) zur Unterstützung Griechenlands. Es bestand aus an die 200 Teammitgliedern aus 26 EU-Mitgliedstaaten. An dem betroffenen Abschnitt konnte ein Rückgang illegaler Zuwanderer um 76 Prozent verzeichnet werden. Offenbar rechnet Frontex damit, auch künftig im griechisch-türkischen Grenzbereich aktiv werden zu müssen. Denn im Oktober 2010 wurde in Piräus ein erstes Frontex-Regionalbüro eingerichtet.

Die EU hofft auf eine Entschärfung der Lage, da man sich im Februar 2011 mit der Türkei über den Abschluss eines Rückübernahmeabkommens einigte. Brüssel musste Zugeständnisse machen: Für Drittstaatsangehörige und Staatenlose wird das Abkommen erst nach drei Jahren wirksam. Drittstaatsangehörige können zudem nicht mehr rückgeführt werden, wenn sie die Türkei bereits länger als fünf Jahre verlassen haben. Auch erklärte sich die EU-Kommission bereit, den geforderten Dialog über Visa, Mobilität und Migration mit der Türkei aufzunehmen. Doch schloss der Rat für Justiz und Inneres ein Verhandlungsmandat für Visa-Erleichterungen ausdrücklich aus. Darüber hinaus sollen künstliche Hindernisse den Migrationsstrom aufhalten. Mitte 2010 begann die griechische Armee, auf einer Länge von 120 Kilometern an der Landgrenze zur Türkei einen 30 Meter breiten und sieben Meter tiefen Graben zu errichten.

Südliche See- und Landgrenze der EU

Zunehmender Migrationsdruck alarmierte seit Ende der 1990er Jahre die Politiker in der EU. Zu nordafrikanischen Harraga („Grenz-

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verbrennern“) traten nun Migranten aus Subsahara-Afrika hinzu. Schlagzeilen machte 2004 Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) mit seinem Vorschlag zur Einrichtung von „Auffanglagern“ in Nordafrika. Im Zuge einer vorgelagerten Asylprüfung sollten Nichtanerkennungen nicht in der EU, sondern nahe ihrer Heimat untergebracht werden.

Der Vorschlag war problematisch. Seine Umsetzung würde bereits an dem noch fehlenden einheitlichen EU-Asylrecht scheitern. Auswirkungen hatte er jedoch: 2008 eröffnete die EU in Bamako ein „Centre d'information et de gestion des migrations au Mali“ (CIGEM). Aufgabe des Pilotprojekts ist, regionale Wanderungsbewegungen zu erforschen, Rückkehrer zu unterstützen, über legale Migrationsmöglichkeiten wie auch über die Gefahren illegaler Zuwanderung aufzuklären sowie die Einbeziehung der Diaspora in die Entwicklung Malis zu fördern.

Außerdem wurden auf Vorschlag der EU-Kommission ab 2005 „Regionale Schutzprogramme für Flüchtlinge“ aufgelegt. Eines der Pilotprojekte liegt im Bereich der Großen Seen mit Schwerpunkt Tansania. Dieser Staat beherbergt über 1 Mio. Bürgerkriegsflüchtlinge. Ziel ist es, dass sie entweder im ersten Aufnahmeland integriert oder rückgeführt oder in einem Drittstaat neu angesiedelt werden. Von Flüchtlingshilfsorganisationen wird das Konzept scharf kritisiert - so prangerte Radio Lora München am 21. November 2005 „Flüchtlingshilfe durch Armutsaufbewahrung vor Ort“ an.

Der UNHCR reklamierte 2011 einen Bedarf für 800.000 Neuansiedlungsplätze weltweit. Die EU-Kommission kündigte erstmals 2009 ein entsprechendes Programm an. Zu diesem Zeitpunkt verfolgten nur zehn Mitgliedstaaten Neuansiedlungsprogramme. 2008 stellten sie lediglich 4.378 der weltweit angebotenen 65.000 Plätze. Ein Machtkampf zwischen Europäischem Rat und Europäischem Parlament blockiert bislang die Umsetzung des EU-Neuansiedlungsprogramms.

Medienberichte über eine Massenzuwanderung aus Afrika schüren die Angst vor der „schwarzen Gefahr“. Doch sind die Zahlen gemäß einer Studie von Hein de Haas (Irregular Migration from West Africa to the Maghreb and the European Union: An Overview of Recent Trends, IOM Migration Research Series No. 32, Genf 2008) niedriger als gemeinhin angenommen: Zwischen 65.000 und 120.000 Westafrikaner ziehen jährlich in den Maghreb. Ein Teil von ihnen strebt die illegale Weiterreise in die EU an. Etwa 25.000 bis 35.000 pro Jahr gelingt dies. Angesichts geringer Anerkennungsquoten in Asylverfahren werden Wide von ihnen wieder abgeschoben. Hinzu kommt eine größere Zahl von Westafrikanern, die legal in die EU einreisen und dann untertauchen.

Bislang trat an der südlichen See- und Landgrenze der EU nur phasenwdse Migrationsdruck auf. Aufgrund der dramatischer humanitären Begleitumstände ist diese Region aber in den Fokus der Medien gerückt. Wer Hauptmigrationsrouten bildeten sich heraus:

  • von Westafrika entlang der Küste zu den spanischen Kanaren im Atlantik, zur spanischen Afrika-Exklave Ceuta und zur spanischen Südküste,
  • von Westafrika durch Mali und Südalgerien und Marokko in die spanischen Afrika-Exklave Melilla und zur spanischen Südküste,
  • von Westafrika über Niger und Tunesien/Libyen nach Malta bzw. Lampedusa/Sizilien/Sardinien,
  • von Ostafrika über Sudan und Libyen nach Malta bzw. Lampedusa/Sizilien.

Herkunftsstaaten sind häufig ökonomisch vergleichsweise erfolgreiche Staaten wie Ghana, Nigeria und Senegal. Denn die lange Reise in Richtung EU erfordert ein Startkapital. Migration ist eine überkommene Lebensstrategie, die in Afrika Tradition hat und auch innerhalb einer Region bzw. kontinentalweit seit langer Zeit üblich ist.

Der libysche „Revolutionsführer“ Muammar Gaddafi zog in den 1990er Jahren viele Schwarzafrikaner mit einer großzügigen Immigrationspolitik an. Denn er verfolgte damals einen panafrikanischen Kurs. Diese Politik war in der libyschen Bevölkerung aber unpopulär. Bei ausländerfeindlichen Unruhen wurden Ende 2000 an die 130 Zuwanderer getötet. Danach betrieb Gaddafi eine strikte Anti-Immigrationspolitik. Ca. 145.000 Schwarzafrikaner wurden in den Jahren 2003 bis 2005 deportiert, mitunter einfach jenseits der Grenze in der Sahara ausgesetzt. Ca. zwei Millionen von ihnen verblieben in Libyen, davon zwei Drittel ohne Aufenthaltsberechtigung. Etwa 60.000 wurden in 20 landesweit verstreuten Lagern gehalten.

Gaddafi setzte nun Italien mit der Einschleusung verbliebener Schwarzafrikaner unter Drude und forderte eine hohe finanzielle Kompensation für Wohlverhalten. Schließlich wurde im August 2008 ein bilateraler „Freundschaftsvertrag“ geschlossen. Italien gewährte dem Partner Leistungen in Höhe von fünf Milliarden Euro. Im Gegenzug öffnete Libyen seinen Ölsektor noch stärker für italienische Firmen und erklärte sich bereit,

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seine See- und Territorialgrenzen zu überwachen. Nach Vertragsratifizierung im Februar 2009 inklusive eines nicht veröffentlichten „Zusätzlichen Technisch-Operationellen Protokolls“ wurden Migranten mit rigiden Mitteln zurückgehalten bzw. mit Hilfe libysch-italienischer Seepatrouillen repatriert. Im Zuge dieser Operationen waren libysche Küstenwächter auf Lampedusa stationiert. Italien unterstützte auch die Befestigung der libyschen Südgrenze. In der kurzen Zeit bis zum Sturz Gaddafis dürften die entsprechenden Arbeiten aber keine großen Fortschritte gemacht haben. Ab 2008 verhandelte auch die EU mit Libyen über ein Rahmenabkommen, das die Abwehr illegaler Zuwanderung einschließen sollte.

Die Kooperation war höchst problematisch. Italien arbeitete mit einem Staat zusammen, der die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 nicht unterzeichnet hatte, über kein Asylsystem verfügte und dem UNHCR ein Mandat verweigerte. Von Menschenrechtsorganisationen wurden die gemeinsamen Rückführungsaktionen daher scharf kritisiert. Einzelne Flüchtlinge, die ohne Asylverfahren nach Libyen zurückgeschoben wurden, erhoben Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Marokko ist ein Anziehungspunkt für Migranten, da es die Zuwanderung lange vergleichsweise lax handhabte und Schwarzafrikaner auch als billige Arbeitskräfte nutzt. Zudem begünstigt der verbreitete Drogenschmuggel in die EU Schleuseraktivitäten.

Die spanischen Exklaven Ceuta und Melilla haben inzwischen als Einfallstore an Bedeutung verloren, da deren Grenzen nach dem Ansturm von 11.000 Afrikanern im Jahr 2005 mit Unterstützung der EU durch sechs Meter hohe Drahtzäune in drei Reihen, Infrarotkameras, Bewegungs- und Geräuschmelder abgeriegelt wurden. Es bleibt der Seeweg.

Algerien ist als Transitland bislang weniger gefragt, da die Regierung nicht auf billige Arbeitskräfte aus Subsahara-Afrika setzt und die Sicherheitskräfte im Zuge des Kampfs gegen den islamistischen Terror Bewegungen in Richtung Nordalgerien relativ streng kontrollieren. Armut, Perspektivlosigkeit und politische Unzufriedenheit veranlassen jedoch zunehmend junge Algerier, sich auf den Seeweg nach Europa zu machen. 2008 waren es laut der jordanischen Zeitung Alghad vom 5. April 2009 mehr als 67.000.

Im Jahr 2006 entstand erheblicher Migrationsdruck auf die Kanarischen Inseln: Zwischen Juni und Dezember trafen dort über 20.000 illegale Zuwanderer ein. Frontex reagierte mit gemeinsamen Seeaktionen unter Beteiligung nordwestafrikanischer Staaten. Im Zug von „Hera I“ identifizierten Frontex-Sachverständige aus sieben EU-Staaten zusammen mit spanischen Beamten Aufgegriffene; 6.076 von ihnen wurden abgeschoben, hauptsächlich nach Marokko, Senegal, Mali, Gambia und Guinea. „Hera II“ war eine gemeinsame Seeüberwachungsaktion mit technischer Ausrüstung aus mehreren Mitgliedstaaten. Erstmals wurde in Hoheitsgewässern von Senegal und Mauretanien operiert. 3.887 illegale Einwanderer in 57 kleinen Fischerbooten wurden in der Nähe der afrikanischen Küste abgefangen und umgelenkt.

Auch in Malta und Süditalien nahm der Migrationsdruck zu. Die 2006 durchgeführte gemeinsame Seeaktion „Nautilus I“ umfasste wie bei „Hera I“ den Einsatz von Sachverständigen zur Identifizierung. Außerdem fand eine von Frontex koordinierte, zehntägige Seeaktion von fünf Mitgliedstaaten (Malta, Italien, Griechenland, Frankreich und Deutschland) statt. Trotz der Ausweitung solcher Aktionen hielt die illegale Zuwanderung an. Zum Brennpunkt wurde die rund 110 km von Tunesien und rund 290 km von Libyen entfernte italienische Insel Lampedusa (20 qkm; 4.500 Einwohner). 2008 wurden hier 31.300 illegale Migranten aufgegriffen, doppelt so viel wie im Vorjahr. Malta wird in geringerem Umfang angesteuert, da die maltesische Küstenwache als besonders rigide und die Unterbringungsverhältnisse als besonders schlecht gelten.

Flüchtlingshilfsorganisationen prangern immer wieder an, dass bei Frontex-Operationen das Recht auf Asyl ungenügend beachtet werde. Auch zwischen teilnehmenden Mitgliedstaaten bestehen unterschiedliche Rechtsauffassungen, wie der Frontex-Jahresbericht 2009 in Bezug auf „Nautilus“ offenbart: „Die Wirksamkeit dieser gemeinsamen Aktion wurde jedoch infolge der

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widersprüchlichen Auslegungen des internationalen Seerechts durch die Mitgliedstaaten sowie aufgrund der Definition des Einsatzgebietes erheblich eingeschränkt. Dies führte dazu, dass die Mitgliedstaaten weniger Überwasserfahrzeuge für die gemeinsame Aktion zur Verfügung stellten.“

Vor dem Hintergrund starker öffentlicher Kritik kam Frontex nicht umhin, 2010 die Achtung der Grundrechte und die Rettung in Seenot geratener Menschen zu Prioritäten zu erklären. 2011 beschloss der Frontex-Verwaltungsrat eine „Grundrechtestrategie“. Künftig sollen ein „Grundrechtebeauftragter“ und ein „Beratungsforum für Grundrechte“ in der Frontex-Zentrale die Einhaltung der gesetzten Standards unterstützen. Mitgliedstaaten wie Italien und Malta sehen dies kritisch. Es mehren sich Berichte, dass Malta den Ausstieg aus Frontex-Operationen erwägt: Denn es will die im April 2010 angenommenen „Frontex-Leitlinien“ nicht akzeptieren, wonach ein auf Hoher See aufgegriffener Migrant auf das Territorium des leitenden Einsatzmitgliedsstaates zu bringen ist, wenn er vom Abreiseland nicht zurückgenommen wird.

In den Jahren 2009/10 konnte der Migrationsdruck an der EU-Südgrenze durch die Frontex-Aktivitäten stark vermindert werden. Darüber hinaus wirkte auch die weltweite Finanzkrise dämpfend, da die Arbeitsmöglichkeiten in der EU dadurch zurückgingen. Wie an einer Perlenschnur sind die Seeaktionen aufgereiht - 2010 waren dies „Poseidon“ (Östlicher Mittelmeerraum, 25 Staa- ten/365 Tage), „Hermes“ (Zentraler Mittelmeerraum, sechs Staaten/138 Tage), „Minerva“ (Seehäfen des westlichen Mittelmeerraums, 12 Staaten/36 Tage), „Indalo“ (Westlicher Mittelmeerraum, neun Staaten/150 Tage) und „Hera“ (Atlantik zwischen Afrika und den Kanaren, Spanien/365 Tage). Mit dem European Patrols Network (EPN) stellt Frontex eine Organisations- und Kommunikationsstruktur für gemeinsame Patrouillen von Mitgliedsstaaten bzw. Frontex-Einsätze zur Verfügung.

Ein erfolgreiches Konzept war die Kombination von Kontrollaktivitäten mit einer Unterstützung der Behörden des Einsatzmitgliedstaates bei der Erkenntnisgewinnung, der Ermittlung von Schleusern, der Durchführung von Migranten-Screenings, der Logistik und der Prävention. Im Atlantik zahlten sich bilaterale Abkommen Spaniens mit nordwestafrikanischen Herkunfts- bzw. Transitländern aus. Sie umfassten technische Unterstützung, Rückübernahmeabkommen sowie gemeinsame Patrouillen auch in deren Territorialgewässern. 2010 wurde mit Vertretern von 17 afrikanischen Staaten eine Gemeinschaft für den Austausch nachrichtendienstlicher Erkenntnisse begründet, die „Afrika-Frontex Intelligence Community“ (AFIC).

Anfang 2011 machten der Sturz der Regierung in Tunesien und der Krieg in Libyen die südliche EU-Seegrenze wieder zum Brennpunkt. Zwischen Januar und Juli trafen in Süditalien 48.000 Migranten ein. Auf Lampedusa war die Lage besonders prekär, da Premierminister Silvio Berlusconi nach Abschluss des „Freundschaftsvertrags“ mit Libyen den Abbau der Auffanglager angeordnet hatte. Italien strebt nun mit dem libyschen Übergangsrat und erstmals auch mit Tunesien Vereinbarungen zur Bekämpfung illegaler Migration an. Die EU konnte bisher mit keinem afrikanischen Staat ein Rückübernahmeabkommen erreichen, da man zu den im Gegenzug geforderten Visa-Erleichterungen nicht bereit war. Auf bilateraler Basis bestehen Rückübernahmeabkommen, z.B. zwischen Deutschland und Marokko (1998) bzw. Algerien (2006).

Die EU-Kommission hat ein Mandat zur Verhandlung von Rückübernahmeabkommen mit Algerien, den Kapverden und Marokko, seit Anfang 2011 auch mit Libyen. Dies stieß auf Kritik des Europäischen Parlaments: Eine Ratifizierung könne erst erfolgen, wenn dieses Land adäquate Flüchtlings- und Menschenrechtsstandards umgesetzt habe. Der am 1. Januar 2009 in Kraft getretene Vertrag von Lissabon macht eine Parlamentszustimmung obligatorisch.

In die Kritik geriet die NATO-Operation „Unified Protector“, als sich am 4. August 2011 die von der italienischen Küstenwache alarmierte NATO geweigert haben soll, einem mit Motorschaden treibenden, völlig überfüllten Migrantenboot ZU Hilfe zu kommen, obwohl sich in 50 Kilometer Entfernung ein NATO-Kriegsschiff befand. Dutzende Menschen sollen gestorben sein. Ob der Vorwurf zutrifft, wird die laufende Untersuchung ergeben. Doch besteht kein Zweifel, dass die humanitären Kosten erschreckend sind. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) schätzt, dass zwischen Februar und Juni etwa 1.650 Menschen im Mittelmeer ertrunken sind - mehr als bei der letzten Fluchtwelle 2008.

Als Reaktion auf den Migrationsdruck aus Tunesien und Libyen startete Frontex am 20. Februar die gemeinsame Operation „Hermes Extension 2011“ mit Italien als Leitnation. Sechs Staaten stellten Ausrüstung für eine Überwachung aus der Luft zur Verfügung, zwölf Staaten entsandten Experten für das Screening von Aufgegriffenen. Von EUROPOL kam ein Expertenteam zur Identifizierung eventueller Krimineller.

Die EU-Kommission will den nordafrikanischen Staaten nun „Mobilitätspartnerschaften“ anbieten. Anreize für eine gesteuerte Arbeitsaufnahme in der EU sollen mit Maßnahmen der Partnerländer zur Verhinderung illegaler Migration kombiniert werden. Bedarf ist vorhanden: Beispielsweise benötigt die EU bis 2020 eine Million Fachkräfte und zwei Millionen Hilfskräfte im Gesundheitswesen.

Der italienische Außenminister Franco Frattini warnte im Februar 2011 vor dnem „Exodus biblischen Ausmaßes“ mit 300.000 Migranten. Auch wenn Zahlen in solcher Höhe noch nicht realistisch erscheinen, steht die EU doch vor der Herausforderung, die Staaten und Gesellschaften südlich des Mittelmeers zu stabilisieren und den Migrationsdruck mit einem Bündel positiver und negativer Maßnahmen zu entschärfen.

Dr. Martin Pabst, Büro Forschung & Politikberatung, München und Dr. Klaus Frhr. von der Ropp, Southern Africa Consulting, Potsdam.

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