African Questions

Publications of Dr. Klaus Frhr. von der Ropp

Political Observer and Consultant on Southern African Issues

Klaus von der Ropp

Das südliche Afrika nach Portugals Rückzug

Im südlichen Afrika, dem sogenannten »weißen« Block, hat sich durch den Rückzug Portugals aus seinen Kolonien eine völlig neue Lage ergeben. Es bleiben die Probleme Südwestafrika/Namibia, Rhodesien und nicht zuletzt die Republik Südafrika. Dr. Klaus Frhr. von der Ropp, von der Stiftung Wissenschaft und Politik, Bonn, durch zahlreiche Publikationen über afrikanische Probleme als Experte qualifiziert, stellt den Grundpositionen in der Organisation für Afrikanische Einheit und in den Vereinten Nationen die heutigen Situationen in den drei genannten Ländern gegenüber; die Wende in der Politik Südafrikas in Südwestafrika/Namibia, die neuerliche Distanz zwischen Pretoria und Rhodesien, für die Repulblik Südafrika selbst das Fortdauern des Widerspruchs zwischen der rassisch integrierten Wirtschaft und dem politischen Postulat nach räumlicher Trennung der Bevölkerungsgruppen. Zu all dem kommen nun die Schwierigkeiten für das neue Regime in Moçambique, das trotz politischer Gegnerschaft mit seiner Wirtschaft in Verbindung mit Südafrika bleiben muß, und für das nunmehr unabhängige Angola, wo aber der Krieg in Angola zu einem Krieg um Angola geworden ist. Der Verfasser appelliert im besonderen an die Staaten Europas, an der Lösung der Probleme im äußersten Süden Afrikas mitzuwirken, um die Dinge in Bahnen ruhiger und vernünftiger Entwicklung zu lenken. - Dieser Artikel knüpft an den Aufsatz des Verfassers »Das veränderte Kräftespiel im Süden Afrikas« in »Aussenpolitik« 26. Jg., Nr. 1 an.

I. Vorbemerkungen

Der Lissaboner Staatsstreich vom 25. April 1974 und die daraus resultierende, eher als Flucht um jeden Preis denn als Entlassung in die Unabhängigkeit zu qualifizierende Aufgabe Moçambiques und Angolas haben im Süden Afrikas eine Entwicklung ausgelöst, deren Fortgang und Tragweite letztlich noch nicht abzusehen sind. Für Unwägbarkeiten sorgt hier nicht nur der angolanische Bürgerkrieg mit allen ihm eigenen ausländischen Einmischungen in die inneren Angelegenheiten der ehemals poıtugiesischen Kolonie. Denn auch die Entwicklung in zwei anderen Gebieten der jetzt zerstörten südafrikanischen Pufferzone, Südwestafrika/Namibia und der jetzt bereits seit mehr als einem Jahrzehnt unabhängigen Republik Rhodesien, sind voller Imponderabilien. Hinzu kommt, daß trotz aller externen Entspannungsbemühungen Pretorias die inneren Konflikte Südafrikas ganz unverändert fortbestehen. So sollten bei einer Bewertung aller in jüngerer Zeit von südafrikanischen Stellen mit Fug und Recht verbreiteten außenpolitischen Erfolgsmeldungen die folgenden Punkte nicht übersehen werden: für das Schicksal der Republik Südafrika wie auch der übrigen etwa zehn Staaten des Subkontinents wird entscheidend sein, ob es den weißen, schwarzen, gemischtrassigen und indienstämmigen Bürgern der Republik Südafrika gelingt, an die Stelle des bisherigen, ausschließlich von weißen Afrikanern konzipierten Systems gemeinsam eine staatliche Ordnung zu setzen, die frei ist von allen Diskriminierungen, die heute das Leben der nicht-weißen Südafrikaner kennzeichnen. Gelingt das nicht, so werden alle so erfolgreich neugeknüpften Beziehungen Pretorias zu Zambia, zu der Volksrepublik Moçambique und einer

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ganzen Anzahl anderer schwarzafrikanischer Staaten nicht von Dauer sein. Insbesondere werden sich alle Pläne zur Gründung einer alle Staaten der Region einschließenden Wirtschaftsgemeinschaft, die ohnehin reichlich viele spekulative Elemente enthalten, nicht verwirklichen lassen1. Bleibt die überfällige innersüdafrikanische Entspannung auch weiterhin aus, so wird es dort über kurz oder lang zu einem Bürgerkrieg kommen2, der sich zu einem internationalen Konflikt ausweiten wird. An dessen Ende kann sehr wohl die völlige Zerstörung Südafrikas wie auch der umliegenden Staaten stehen; es wäre ein Leichtes, hier ein apokalyptisches Bild zu zeichnen.

Umso unverständlicher erscheint die weitgehende Passivität3 der westlichen Welt angesichts eines drohenden Konflikts in einem Land, das für sie nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen von sehr großer Bedeutung ist. Statt aktiv auf einen Ausgleich hinzuwirken, der den berechtigten Interessen aller vier Hauptgruppen der südafrikanischen Bevölkerung Rechnung trägt, werden bloße Lippenbekenntnisse zu Resolutionen der Vereinten Nationen und der Organisation für Afrikanische Einheit abgelegt. Eine solche Politik, die scheinbar die Maximalforderungen der einen Konfliktpartei unterstützt, erscheint sogar noch verhängnisvoller als eine völlige Passivität. Denn sie trägt zur Entstehung einer Atmosphäre bei, die es eines Tages unmöglich machen wird, sich auf einen Kompromiß zu einigen. Trotz aller Starrheit4 des südafrikanischen Regimes werden hier alle jene Chancen vertan, die sich einem ehrlichen Makler auch heute noch bieten.

Weniger im militärischen Bereich als im politisch-diplomatischen Vorfeld des Konfliktes um einen Machtwechsel im südlichen Afrika hat seit ihrer Gründung im Jahr 1963 immer die sonst recht erfolglos operierende Organisation für Afrikanische Einheit (OAE, gebräuchlicher: OAU) eine äußerst wichtige Rolle gespielt5. Die Verabschiedung des »Internationalen Übereinkommens über die Bekämpfung und Be-

  1. Nach südafrikanischen Vorstellungen soll diese Gemeinschaft die folgenden Mitgliedstaaten umfassen: Angola, Moçambique, Zambia, Malawi, Rhodesien, Südwesfafrika, Botswana, Lesotho, Swaziland, Südafrika sowie die heute noch zur Republik Südafrika gehörenden »Bantustans«. Außer politischen Gesichtspunkten stehen der Gründung einer solchen Wirtschaftsgemeinschaft ganz erhebliche ökonomische Gesichtspunkte entgegen, die sich aus dem wirtschaftlichen Ungleichgewicht der beteiligten Länder ergeben: schon im Jahre 1972 lebten zwar in Süd- und Südwestafrika nur etwa zwei Fünftel aller Einwohner der Region, jedoch entfielen schon 1972 auf die Republik und das noch von ihr verwaltete Mandatsgebiet 70 v. H. des Bruttosozialptodukts des Subkontinents.
  2. Dazu vor allem Klaus Natorp: »Südafrika und wir«, in »FAZ«; vom 17. Oktober 1975, S. 1.
  3. In dem bereits erwähnten Leitartikel beklagt Natorp, daß die Bundesrepublik Deutschland das südafrikanische »Drama« passiv miterlebe, daß sie so gut wie nichts zu seiner Entschärfung unternehme. S. dazu weiter: Rolf Seelmann-Eggebert: »Mit Pretoria einen aktiven Dialog führen / Die Bundesregierung muß in der Südafrika-Politik neue Wege gehen«, in »FAZ« vom 11. November 1975, S. 10.
  4. S. dazu den Wortlaut eines Interviews, das Premierminister Vorster der Tageszeitung »Die Welt« gab, in: »Die Welt« vom 26./27. April 1975, S. 6. Vorster geht dort auf die so erfolgreichen Kontaktaufnahmen Pretorias zu einigen schwarzafrikanischen Staaten ein, erwähnt jedoch nicht mit einer Silbe die Notwendigkeit oder die Bereitschaft seiner Regierung, die innere Ordnung Südafrikas zu liberalisieren.
  5. Zur Stellung der OAU im Internationalen System s. u. a.: Klaus Frhr. von der Ropp: »Die OAU am Vorabend der zweiten Dekade ihres Bestehens«, in »Internationales Afrika-Forum« (IAF), München, vol. 9, Nr. 4 (1973.4), S. 204-214; ders. »Perspektiven der künftigen Rolle der Organisation für Afrikanische Einheit«; in »IAF«, vol. 9, Nr. 6 (1973.6), S. 361-368, sowie ders. »Die OAU im internationalen System der mitsiebziger Jahre«, im »IAF«, vol. 11, Nr. 9/10 (1975.9), S. 510-518. - Vgl. auch Emmanuel M. Dube: »Relations between Liberation Movements and the OAU«, in N. N. Shamuyarira (Hrsg.): »Essays on the Liberatioın of Southern Africa«. Dar-es-Salaam, 19/1, S. 25-68.
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strafung des Verbrechens der Apartheid«6 durch die 29. UN-Vollversammlung, die vor einigen Monaten erneut beschlossene Unterstützung von im südlichen Afrika operierenden »Befreiungsbewegungen« durch den Weltkirchenrat in Höhe von ca. 600000 DM7 und, noch ausgeprägter, die Qualifizierung der südafrikanischen Apartheid-Politik durch den damaligen UN-Botschafter der USA während einer der jüngsten Südafrika-Debatten des UN-Sicherheitsrates als »ugly crime«8 sind nur drei von vielen Beispielen für das hier so erfolgreiche Agieren der OAU.

II. Das Ringen um den verbliebenen »Weißen« Block

1. Die Rolle der OAU und ihrer Mitglieder

Insbesondere die afrikaanssprachige Presse Südafrikas hat 1975 des öfteren von der Möglichkeit gesprochen, daß Südafrika diesem lockeren Zusammenschluß von nunmehr 46 afrikanischen Staaten beitreten könne. Nichts spricht dafür, daß solche Überlegungen jemals begründet waren; hier war auf südafrikanischer Seite einmal mehr ideologische Verblendung am Werk. Denn die OAU lebt nach wie vor von der Beschäftigung mit den Problemen des südlichen Afrikas, wie sie sich von ihrer Warte darstellen. Der Widerstand der OAU als Organisation gegen die Minderheitsregierungen in Pretoria, Windhoek und Salisbury ist ungebrochen und unverändert. Es hat den Anschein, als würde dies heute von den weißen Südwestafrikanern und weißen Rhodesiern sehr viel klarer gesehen als von der Masse der weißen Südafrikaner.

a) Die Positionen von Kampala

Mit aller Deutlichkeit zeigte sich dieser Widerstand während der jüngsten OAU-Konferenzen Ende Juli 1975 in Kampala. So heißt es in der Resolution 422 (XXV) des OAU-Ministerrates (»Resolution on Sanctions against the White Minority Regimes in Southern Africa«) mit einer an Schärfe wohl kaum zu übertreffenden Sprache, es gelte das »abominable and retrogressive apartheid regime« Südafrikas sowie das »rebel racist minority regime« Rhodesiens vollständig zu isolieren und auch mit allen anderen Mitteln zu bekämpfen. Daß viele hinter dieser und den vielen vergleichbaren Resolutionen stehenden Staaten die von ihnen immer wieder beschworenen Menschen- und Bürgerrechte mindestens ebenso sehr mißachten wie die von ihnen bekämpften Minderheitsregierungen, trägt nicht unbedingt zur Glaubwürdigkeit der OAU und ihrer Mitgliedstaaten bei9.

  1. Für die Annahme dieser Konvention sprachen sich 91 Staaten aus, 26 (darunter die Bundesrepublik Deutschland und die meisten ihrer Verbündeten) enthielten sich der Stimme, 4 Länder (Portugal, Südafrika, das Vereinigte Königreich und die USA) stimmten gegen die Resolution.
  2. S. »Frankfurter Rundschau« vom 18. April 1975. - Vgl. damit die Stellungnahme eines der führenden Mitarbeiter des Christlichen Instituts/Braamfontein, dem Zentrum kirchlichen Widerstandes gegen die Politik der Apartheid, Brian Brown: »The Christian Institute of Southern Africa und Violence«, in »IAF«, vol. 11, Nr. 4 (1975.4), S. 236-238.
  3. Nach »Current History« (Philadelphia), vol. 68, Nr. 405 (1975.5), S. 232. Bei dieser Beurteilung der südafrikanischen Politik durch die USA spielt natürlich der Rassenkonflikt in den USA selbst eine sehr wichtige Rolle.
  4. S. in diesem Zusammenhang jedoch »The Full Text of Tanzanian Statement on Uganda«, in the »Weekly Review« (Nairobi) vom 4. August 1975, S. 10-11. Darin wird in einer unverblümten Sprache die OAU der Heuchelei geziehen, wenn sie zwar südafrikanischen und rhodesischen Rassismus verurteile und bekämpfe, Mißstände in den eigenen Reihen jedoch übergehe. In dem amtlichen Dokument heißt es u. a.: »... but when massacres, oppressions and torture are used against Africans in the independent states of Africa there is no protest from anywhere in Africa ... Africa is in danger of becoming unique in its refusal to protest about the crimes committed against Africans, provided such actions are done by African leaders and African Governments ... by meeting in Kampala, the Heads of States of the OAU are giving respectability to one of the most murderous administration: in Africa ...«.
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Es sollte keinem Zweifel unterliegen, daß auch Tanzania, Zambia, Botswana und Moçambique, die 1975 Verhandlungen mit Südafrika über die Zukunft Rhodesiens führten und aus politischen Gründen die Konferenzen in Kampala fast alle boykottierten, diese Resolution unterstützen. Auch sie fordern nach wie vor, die bestehenden Gesellschaftssysteme in Süd-/Südwestafrika und Rhodesien durch solche zu ersetzen, die auf dem Prinzip one-man-one-vote basieren.

Entgegen den Vorstellungen u. a. Ugandas und der »Befreiungsbewegung« Pan Africanist Congress of Azania (PAC) befaßten sich die OAU-Konferenzen in Kampala nicht näher mit der Frage, ob die Republik Südafrika überhaupt ein unabhängiger Staat oder aber nur eine Kolonie sei; die entsprechenden Verhandlungen wurden auf die kommende OAU-Ministerratskonferenz im Frühjahr 1976 vertagt. Den dann zu treffenden Entscheidungen kommt vor allem deshalb große Bedeutung zu, weil die UN-Vollversammlung sich mit einiger Wahrscheinlichkeit die Wertungen der OAU mit großer Mehrheit kritiklos zu eigen machen wird. So mag hier zunächst der Hinweis genügen, daß der PAC in seiner von der OAU angeforderten Stellungnahme zu dem - unter Zugrundelegung westlicher Vorstellungen - rechtlich und politisch unhaltbaren Ergebnis kommt, Azania (Südafrika) sei »a semi-colonial country owned by the imperialist consortium of her investors and trading partners«. Für die künftige Politik der OAU gegenüber dem verbliebenen »weißen« Block im südlichen Afrika ist wichtig, daß auch die 12. Gipfelkonferenz afrikanischer Staats- und Regierungschefs die im April 1975 von der 9. außerordentlichen OAU-Ministerratssitzung verabschiedete »Declaration of Dar-es-Salaam on Southern Africa« bestätigte. In der entsprechenden Resolution heißt es u. a. - und das erscheint auch für die Haltung gegenüber Südwestafrika und Rhodesien bezeichnend -, die Regierung in Pretoria sei ein »product of colonialist conquest now operating as a fullfledged fascist power bent on perpetuating the ruthless domination of the indigenous people«. Im Einklang mit früheren OAU-Resolutionen werden die Staaten der westlichen Welt, insbesondere Frankreich, die USA, die Bundesrepublik Deutschland und das Vereinigte Königreich, zu Unrecht, wegen ihrer »anti-afrikanischen Rolle als Verbündete des Pretoria-Regimes« angegriffen. Schließlich fordert die OAU ihre Mitglieder auf, »to remain firmly united in the policy of isolating South Africa and ostracizing its Apartheid regime« (CM-Res. 428 (XXV).

b) Positionen dialogwilliger Staaten

Allen langgehegten Vorstellungen der OAU zum Trotz unterhält außer den von Südafrika wirtschaftlich abhängigen Botswana, Lesotho und Swaziland eine zunehmende Zahl afrikanischer Länder wachsende Handelsbeziehungen zu Pretoria; einzig Malawi war jedoch bislang bereit, auch diplomatische Beziehungen aufzuneh-

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men. Vor diesem Hintergrund erscheinen die in den zurückliegenden 20 Monaten in Afrika erzielten außenpolitischen Erfolge Südafrikas sehr bemerkenswert: die Konferenzen Vorsters mit Houphouët-Boigny und L. S. Senghor in Yamoussoukrou, der Besuch des ivorischen Informationsministers Laurent Dona Fologo in Südafrika10, der Besuch Vorsters bei dem liberianischen Staatspräsidenten, eine allem Anschein nach große Anzahl von offiziellen Kontakten südafrikanischer Verantwortlicher zu ihren Kollegen im schwarzen Afrika, über die Einzelheiten überhaupt nicht bekannt wurden, sowie schließlich, unbestreitbar der mit Abstand größte Erfolg der jüngeren südafrikanischen Diplomatie, das Zusammentreffen Vorsters mit K. Kaunda in Livingstone/Zambia gelegentlich der Ende August 1975 auf der dortigen Zambesi-Brücke abgehaltenen Rhodesien-Konferenz. Im Zusammenhang mit dieser Konferenz verdienen auch die Gespräche südafrikanischer Offizieller mit solchen aus Botswana, Zambia, Tanzania, der Volksrepublik Moçambique sowie verschiedener rhodesischer »Befreiungsbewegungen« über die Zukunft Rhodesiens größte Aufmerksamkeit. Über den Inhalt all dieser Gespräche ist kaum etwas bekannt geworden. Wenn nicht alles täuscht, so haben jedoch wirtschaftliche Probleme sowie, in einigen Fällen, die Zukunft Rhodesiens und vielleicht auch Südwestafrikas im Vordergrund gestanden. Ganz unwahrscheinlich ist, daß Verhandlungen über innere Probleme der Republik Südafrika geführt wurden; vielmehr werden sich die südafrikanischen Verantwortlichen darum bemüht haben, »Mißverständnisse« ihrer Gesprächspartner zu der Politik der Getrennten Entwicklung zu korrigieren. Mögen auch viele hohe Repräsentanten der weißen Südafrikaner keinen Illusionen über die Motive ihrer schwarzen Gesprächspartner aus dem übrigen Afrika unterliegen, die weitaus meisten ihrer weißen Landsleute ahnen noch nicht einmal, daß selbst ein so konservativer Afrikaner wie Houphouët-Boigny sie bei der Verteidigung seiner Dialoginitiative im Mai 1973 gelegentlich der 10. OAU-Gipfelkonferenz so treffend als »minorités de mépris« abqualifizierte. Die Masse der weißen Afrikaner ist wohl bereit, auf den einen oder anderen Aspekt des unseligen Konzepts der »petty apartheid« zu verzichten - aber es fehlt ganz die Bereitschaft zu einem wirklichen inneren Ausgleich. Und daran kann die neue Afrika-Politik Pretorias sehr wohl kläglich scheitern; die westliche Welt sollte alles daran setzen, ein solches Scheitern zu verhindern.

2. Zur Rolle der Vereinten Nationen

Ebenso wie die jüngsten OAU-Konferenzen in Dar-es-Salaam und Kampala so wurden auch die Südafrika- , Südwestafrika- und Rhodesien-Debatten der 29. und 30. Vollversammlung der Vereinten Nationen nicht durch einen Geist der Entspan-

  1. S. dazu die Berichterstattung in »Fraternité Marin« (Abidjan) vom 11./12. Oktober 1975, S. 22 (Ziel des Dialoges ist »défaire ce 'noeud de peurs et de haines' qu'est l'APARTHEID«), vom 13. Oktober 1975, S. 20, 21 und vom 14. Oktober 1975, S. 18, 19. S. auch die Erwiderung Fologos auf entsprechende Angriffe durch die Zeitschrift »Jeune Afrique« in »Fraternité Marin« (Abidjan) zit. nach »Jeune Afrique« (Paris) vom 3. Oktober 1975 (No. 769), S. 25: »... nous acceptons la tâche ingrate et redoutable, dans un climat de perpétuelle suspicion, voire d'hostilité manifestée par nos propres frères, d'abattre les frontières du royaume de la peur, du racisme, de la haine pour que triomphent la paix et la justice en terre africaine«. Bereits im Mai 1973 hatte F. Houphouët-Boigny vor der 10. OUA-Gipfelkonferenz in Addis Abeba das schwarze Afrika aufgefordert, einen Dialog mit den »minorités de mépris« im südlidıen Afrika aufzunehmen.
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nung, sondern durch den Fortbestand der bisherigen Konfrontation geprägt. Dies kann nicht weiter überraschen, wenn berücksichtigt wird, daß es der OAU im zurückliegenden Jahrzehnt immer gelungen ist, die Vollversammlung der Vereinten Nationen in den hier interessierenden Problemkreisen mehr oder weniger zu ihrem Sprachrohr zu machen11. Ein Indiz für die Richtigkeit dieser These mag sein, daß das bisherige Special Committee on Apartheid der UN-Vollversammlung durch Resolution 3324 D (XXIX) in Special Committee against Apartheid umbenannt wurde.

a) Konzeptionslosigkeit des Westens in den UN

Außer durch die feste und geschlossene Haltung der OAU-Mitgliedstaaten und mit ihnen sympathisierender Nationen aus anderen Teilen der Dritten Welt sowie den hier aus opportunistischen Erwägungen stets kooperationswilligen kommunistischen Staaten Europas und Asiens werden diese UN-Debatten durch die Konzeptionslosigkeit der westlichen Welt geprägt. Das zeigt besonders deutlich ein Vergleich der Diskussionsbeiträge und des Abstimmungsverhaltens westlicher Delegierter in den Nahost-Debatten mit jenen, die den südafrikanischen Problemen gewidmet sind. So sehr die westlichen Länder bereit sind, das Recht Israels auf nationale Existenz anzuerkennen, so sehr fehlt es an einer entsprechenden Haltung zugunsten der weißen Afrikaner und der beiden anderen südafrikanischen Minderheiten. Hier ist nicht der Raum, zu differenzieren. So mag die pauschale Feststellung genügen, daß mehr oder weniger alle westlichen Staaten sich an der Ächtung der Innenpolitik Pretorias durch die UN-Vollversammlung beteiligen, die »Informationstätigkeit« der UN über die Politik der Apartheid auch finanziell unterstützen, sich jedoch konsequent allen OAU-Vorstellungen zum militärischen Einschreiten gegen Südafrika sowie zur wirtschaftlichen Isolierung des Landes widersetzen. Das letztere erscheint nicht zuletzt angesichts sich bildender Rohstoffkartelle verständlich und legitim, wenn berücksichtigt wird, daß Südafrika, das, selbst wenn es den entsprechenden Wunsch hätte, wohl kaum in solche Kartelle aufgenommen würde, u. a. über die folgenden Rohstoffvorkommen verfügt: 70 v. H. der Weltreserven an Gold, 75 v. H. der Weltreserven an Chrom, die größten Vorkommen der Welt an Platin, Vanadium und Mangan sowie zum Teil sehr große Vorkommen an Eisenerz, Fluorit, Diamanten, Uran, Steinkohle, Silber, Nickel, Titan, Blei, Zinn, Zink, Kupfer, Magnesit und Phosphaten. Einen solchen Handelspartner gibt man auch im Westen nicht auf.

b) Zum Erfordernis einer westlichen Südafrika-Politik

Unverständlich ist hingegen, daß sich die westlichen Länder aus dem Bestreben, sich ihren Einfluß in der Dritten Welt, insbesondere im schwarzen Afrika, zu bewahren, damit begnügen, die OAU-Vorstellungen von der Ablösung der bestehenden, unzweifelhaft unhaltbaren politischen Ordnung Südafrikas durch ein auf der

  1. Es wird zu wenig beachtet, daß dieses Vorgehen völkerrechtlich häufig sehr bedenklich ist, s. dazu u. a. Eckhart Klein; »Zur Beschränkung von Mitgliedsrechten in den Vereinten Nationen / Eine Untersuchung zum Südafrika-Beschluß der Generalversammlung vom 12. November 1974«, in »Vereinte Nationen« (Bonn), vol. 23, Nr. 2 (1975.4), S. 51-56. S. in diesem Zusammenhang auch Hans Dietrich Genscher: »Dimensionen deutscher Außenpolitik heute«, in »Aussenpolitik«, vol. 25, Nr. 4 (1974), S. 363-374.
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Basis one-man-one-vote operierendes System zu unterstützen. Mit solchen Stellungnahmen ist nichts gewonnen: Pretoria sieht in ihnen mit Fug und Recht die Aufforderung zur Selbstaufgabe an die drei südafrikanischen Minderheiten. Die OAU erkennt klar ihre Ambivalenz. Die westlichen Länder sollten, obwohl auch dies völkerrechtlich ein sehr gefährlicher Weg ist, so wie dies allem Anschein nach im britischen Außenministerium längst geschieht, Pläne zur Aufteilung der Republik Südafrika in einen Staat der drei dort lebenden Minderheiten und einen größeren Staat der schwarzen Mehrheit erarbeiten und sich dazu offen bekennen12. Es wird im Westen viel zu wenig beachtet, daß schon der ermordete südafrikanische Premierminister Hendrik F. Verwoerd erwogen haben soll, sein Land entlang der Linie Port Elizabeth, Bloemfontein, Pretoria, Kimberley, Upington, Oranjemund aufzuteilen. Es ist nur zu selbstverständlich, daß eine solche Politik überall in Afrika auf sehr großen Widerstand stoßen würde, aber letztlich würden wohl beide Seiten in ihr das geringere Übel sehen. Da der amerikanischen Politik hier wegen der weiterhin ungelösten Rassenprobleme in den USA selbst weitgehend die Hände gebunden sind, erwächst der Europäischen Gemeinschaft, Kanada, Australien, Neuseeland, Japan und anderen Staaten hier eine besondere Verantwortung. Die Republik Südafrika wird sich wahrscheinlich nach einem sehr langen Ringen der Logik des geringeren Übels beugen. Sie wird das nicht zuletzt deshalb tun, weil sie sich darüber im klaren sein muß, daß es die bereits erwähnten innenpolitischen Faktoren den USA schlicht unmöglich machen, sich, ähnlich wie im Fall Israels, an die Seite Südafrikas zu stellen. Südafrika hat keine wirklichen Verbündefen.

3. Die Lage in Südwestafrika/Namibia

a) Die revidierte Position Südafrikas

Noch im April 1974 hatte die Nationale Partei Premierminister Vorsters ihren Wahlkampf in dem umstrittenen Mandatsgebiet Südwestafrika/Namibia mit dem einschränkungslosen Bekenntnis der Zugehörigkeit dieses Territoriums zur Republik Südafrika geführt. Gerade deshalb hatte sie ihre ohnehin schon immer sehr starke Position unter den (weißen) Wählern noch weiter ausbauen können13. Wenn diese Partei sich gleichwohl schon kurze Zeit später bereit erklärte, diese von ihr sei eh und je vertretene Politik grundlegend zu revidieren (J. B. Vorster: »All options are open«), so hatte dies wohl ausschließlich externe Gründe: Druck der USA, Frankreichs und des Vereinigten Königreiches sowie die südafrikanische Hoffnung, durch den Rückzug aus Südwestafrika den Dialog mit dem schwarzen Afrika voranzubringen. Schließlich mag der Rückzug Portugals aus Angola eine Rolle gespielt haben. Vielleicht ist aber auch an jenen Äußerungen etwas Wahres, die heute in den Entwicklungen in Südwestafrika ein Versuchsfeld für die Zukunft der Republik Südafrika selbst sehen; es sollte jedoch recht schwer fallen, an die Richtigkeit dieser These zu glauben.

  1. Vgl. dazu den sehr guten Beitrag von Rolf Seelmann-Eggebert: »Mit Pretoria einen aktiven Dialog führen / Die Bundesregierung muß in der Südafrika-Politik neue Wege gehen«, in »FAZ« vom 11. November 1975, S. 10 13 S. dazu die Wahlergebnisse der beiden letzten Parlamentswahlen (1970 und 1974) in »The Windhoek Advertiser« (Windhoek) vom 26. April 1974, S. 3.
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Auch in Südwestafrika ist die u. a. von OAU und UN immer gleichermaßen bekämpfte, so ungerechte Aufteilung des Landes unter zehn allesamt nicht lebensfähige Kleinststaaten (»Bantustans«) mit einem allerdings relativ sehr beachtlichen landwirtschaftlichen Potential und ein unverhältnismäßig großes und mineralienreiches »Heimatland« der weißen Südwestafrikaner ausschließlich das Werk der weißen Afrikaner. Auch die revidierte Südwestafrika-Politik Pretorias hält an diesen ethnischen Einheiten fest und hat daher die bereits geschaffenen Legislativ- und Exekutivorgane der Bantustans 1975 fortentwickelt. Deren Repräsentanten verhandeln seit dem 1. September 1975 mit den Repräsentanten der weißen Südwestafrikaner über die künftigen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Strukturen des Territoriumsu; die Legitimität der schwarzen Konferenzteilnehmer, nicht die der gemischtrassigen, erscheint in vielen Fällen (Owambo!) genauso fraglich wie die der »Befreiungsbewegungen« SWAPO (von OAU und in ihrem Gefolge von den UN als einziger authentischer Vertreter der Bevölkerung des Landes anerkannt) und SWANU. Die in Windhoek stattfindenden Verhandlungen werden, wie nicht anders zu erwarten, von den in der National Namibia Convention (NNC) zusammengeschlossenen fünf politischen Gruppen, darunter als den wichtigen SWAPO, SWANU sowie Rehobother Volksparty, als eine Gesprächsrunde mit Marionetten abgelehnt. Dabei ist, wie bereits erwähnt, zu berücksichtigen, daß sich, entgegen den Verlautbarungen der OAU, der UN, der SWAPO wie auch Pretorias, eine verbindliche Aussage über den Rückhalt der in Windhoek verhandelnden nicht-weißen Gruppen wie auch des NNC in der Bevölkerung des Mandatsgebietes einfach nicht machen läßt. Hier liegt alles im Dunkeln! Die Verhandlungsrunde in Windhoek wird von einem sehr harten Vorgehen der südwestafrikanischen Behörden gegen SWAPO-Funktionäre begleitet, von denen jüngst, vor allem nach der Ermordung des farblosen Chief Ministers von Owambo, Filemon Elifas, etliche verhaftet worden und Tausende über Angola nach Zambia geflohen sind. Dort scheint ihnen, Ausdruck der neuen zambisch-südafrikanischen Kontakte, die Regierung Kenneth Kaundas nicht mehr die Freiheiten einzuräumen, deren sie sich bislang in ihrem politisch-diplomatischen und auch bewaffneten Kampf gegen Windhoek/Pretoria erfreuten.

b) Verhandlungsobjekte in Windhoek

Es kann wohl als gesichert angesehen werden, daß Südwestafrika in absehbarer Zeit, vielleicht sogar schon in drei Jahren, in die staatliche Unabhängigkeit entlassen werden wird. Dann wird abzuwarten sein, inwieweit dies von Wüsten überzogene Land auf sich alleine gestellt wirtschaftlich lebensfähig sein wird15. Alles andere aber ist für den außenstehenden Beobachter und wohl nicht nur ihm undurchsichtig: es mag sein, daß die Pläne zur Balkanisierung des Territoriums end-

  1. S. dazu vor allem »Africa Research Bulletin« (Political Social and Cultural Series), Exeter, vol. 12, Nr. 9 (15. Oktober 1975), S. 3769 B-3771 A. Wie verschwommen Gegenstand und Ziel der Konferenz letztlich wohl immer noch sind, zeigt der Beitrag von Barend van Niekerk: »SWA: a new spirit of change«, in »The Star« (Johannesburg) vom 22. Oktober 1975.
  2. Zur wirtschaftlichen Lage Südwestafrikas s.: »South West African Survey 1974«, Pretoria and Cape Town, 1975, 70 S.
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gültig aufgegeben worden sind; es mag sein, daß man sich auf eine Verfassungsformel wird einigen können, die der Furcht der weißen, gemischtrassigen und auch schwarzen ethnischen Minderheiten vor einer Majorisierung durch die Ovambos (d. s. ca. 46 v. H. aus einer Gesamtbevölkerung von ca. 800 000 Menschen) Rechnung trägt; es mag sein, daß über eine Neuverteilung des Landes, seiner Bodenschätze und der Fischvorkommen gesprochen wird; es mag sein, daß über das Verhältnis des zur südafrikanischen Kapprovinz gehörenden Tiefseehafens Walvis Bay zu einer unabhängigen Republik Südwestafrika gesprochen wird; es mag schließlich sein, daß die Verfassungsgebende Versammlung von Windhoek dem Mandatsgebiet eine bundesstaatliche Verfassung mit starken konföderalen Elementen geben wird - aber in jedem Fall drängt sich die Frage nach der Lebenskraft einer solchen Verfassung auf. Denn dreierlei sollte unstreitig sein: Föderale Verfassungen haben sich als ganz unbrauchbar für das postkoloniale Afrika erwiesen. Wie in Südafrika so fehlt es auch in Südwestafrika den dort lebenden weißen, gemischtrassigen und schwarzen Bevölkerungsgruppen an jenem gemeinsamen Nenner im Politischen, ohne den ein gemeinsames Staatswesen niemals funktionieren kann. Schließlich erscheinen die weißen und vielleicht auch die gemischtrassigen Südwestafrikaner weder Willens noch in der Lage, ihren schwarzen Landsleuten ein wirkliches Mitspracherecht, von weitergehenden Rechten ganz zu schweigen, in ihren eigenen Angelegenheiten zuzugestehen.
Vielleicht gehen aber heute schon etliche der Verhandlungsführer von Windhoek davon aus, daß man zwar irgendeine, wenn auch in der Praxis nicht brauchbare Verfassung aushandeln kann und dann Südwestafrika nach ihr auch in die Unabhängigkeit entläßt, dieser Staat jedoch sehr bald in zwei oder mehr Teile zerbrechen wird. Und vielleicht wird es dann, etwa entlang der Linie Swakopmund-Windhoek-Gobabis zu einer Aufteilung des Landes zwischen weißen und gemischtrassigen Südwestafrikanern einerseits und schwarzen Afrikanern andererseits kommen. Nur eines scheint heute schon festzustehen: was immer in Windhoek beschlossen werden und sich anschließend entwickeln wird, es wird kaum die Zustimmung der OAU und, in ihrem Gefolge, der UN-Vollversammlung finden. Denn diese Organisationen werden, von der westlichen Welt halbherzig unterstützt, auf der Erfüllung ihrer überzogenen Maximalforderungen bestehen.

4. Die Lage Rhodesiens

Als Rhodesien sich vor nunmehr mehr als einem Jahrzehnt einseitig für unabhängig erklärte, äußerte bekanntlich der britische Premierminister Harold Wilson, daß diese Rebellion innert Wochen an den wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Landes scheitern werde. Seinerzeit schienen die zunächst vom britischen Parlament und später auch dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen über Rhodesien verhängten Wirtschaftssanktionen geeignet, die Regierung in Salisbury zu stürzen. Denn schließlich betrug die Außenhandelsintensität Rhodesiens 1965 nicht weniger als fast unglaubliche 92,8 v. H.!16 Trotz der Sanktionen, die das Land unwiderspro-

  1. Angaben nach »The Rhodesian Financial Gazette« (Salisbury) vom 3. Januar 1975, S. 6; weiter Klaus Frhr. von der Ropp: »Die Republik Rhodesien im zehnten Jahr nach UDI«, in »IAF«, vol. 11, Nr. 3 (1975.3), s. 170-176.
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chen bis zum heutigen Tage schwer belasten, wurde die Außenhandelsintensität nicht zuletzt durch die Entwicklung der Binnenwirtschaft auf immer noch sehr hohe 57,1 v. H. im Jahre 1972 gesenkt; auch wurde eine sehr große Zahl neuer Arbeitsplätze geschaffen, und das Bruttosozialprodukt konnte, bei einer relativ sehr nied- rigen Inflationsrate, zwischen 1969 und 1973 verdoppelt werden. Daß erst Sanktionsdurchbrechungen vor allem durch mehr oder weniger alle westlichen Länder, aber auch durch die UdSSR und ihre Satelliten, die VR China und eine nicht geringe Zahl afrikanischer Länder17 diese Entwicklungen ermöglichten, liegt auf der Hand.

a) Das veränderte Kräftespiel um Rhodesien

Für die weiße Regierung Rhodesiens hatte der ruhmlose Zusammenbruch des portugiesischen Imperiums verhängnisvolle Konsequenzen. Statt mit dem verbündeten Portugal, das den Nachbarn in jeder denkbaren Form bei der Abwicklung seines völkerrechtswidrigen Außenhandels unterstützte, hat die Republik Rhodesien heute eine über 1000 km lange Grenze mit der Volksrepublik Moçambique. Gewiß hat diese im ersten Halbjahr ihrer staatlichen Unabhängigkeit auch gegenüber Rhodesien einen erstaunlich pragmatischen Kurs eingeschlagen: die Straßen- und Eisenbahnübergänge sind nicht geschlossen worden, es gibt nach wie vor Flugverbindungen zwischen moçambiquanischen Städten und Salisbury, nur das Personal aus den rhodesischen Konsulaten in Beira und Lourenço Marques, nicht aber die Repräsentanten der rhodesischen Eisenbahngesellschaft mußten auf Drängen der neuen Regierung Moçambiques abgezogen werden usw... Längerfristig werden die moçambiquanischen Verantwortlichen jedoch alles ihnen selbst und mit ihnen hier kooperierenden Dritten Mögliche unternehmen, um einen radikalen Machtwechsel in Salisbury zu erzwingen. Diesen auf dem Verhandlungswege zu erreichen, war Ziel der Gespräche, die Vertreter Moçambiques, Tanzanias, Botswanas, Zambias und Südafrikas in Lusaka und Gaberone teils alleine, teils unter Hinzuziehung der rhodesischen Regierung und der damals noch nicht gespaltenen »Befreiungsbewegung« African National Council (ANC) über die Zukunft Rhodesiens führten.

Für die Republik Südafrika ist die Überantwortung der Regierungsgewalt innerhalb von nicht mehr als fünf Jahren an die übergroße schwarze Mehrheit der rhodesischen Bevölkerung Kernstück der von ihr verfolgten Entspannungspolitik. Entsprechend ist Pretoria heute nicht mehr bereit und vielleicht auch technisch gar nicht in der Lage, dem nördlichen Nachbarn die für diesen unentbehrliche Unterstützung auf dem Transportsektor zu gewähren. Sehr entgegen den Wünschen Salisburys hat Pretoria seine paramilitärischen Verbände aus Rhodesien abgezogen18. Rhodesien ist nach dem Machtwechsel in Moçambique so sehr auf Südafrika angewiesen, daß es sich dessen Entspannungsvorstellungen widerspruchslos fügen muß. So mö-

  1. Vgl. »Le Monde« (Paris) vom 24. Juni 1975, S. 3 mit der Feststellung des gabunischen Staatspräsidenten O. Bongo: »La majorité des pays membres de l'OAU commercent avec la Rhodésie«.
  2. Dazu »Sunday Mail« (Salisbury) vom 3. August 1975, S. 1 (»Don't do it, Mr. Vorster«). S. auch John d'Oliveira: »Dream of détente sharpens tone of SA Nationalist Press on Rhodesia problem«, in »The Rhodesia Herald« (Salisbury) vom 13. Januar 1975, S. 9.
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gen die Besprechungen zwischen J. B. Vorster und seinem rhodesischen Kollegen Ian Smith in der Tat den Charakter einer Befehlsausgabe angenommen haben.

Es hat den Anschein, als deckten sich die Vorstellungen Zambias hier weitgehend mit denen Südafrikas19. Lusaka wird alles ihm Mögliche daran setzen, dies auch um den Preis einer Entfremdung mit den »Befreiungsbewegungen« Australafrikas, den Machtwechsel in Salisbury in geordneten Bahnen ablaufen zu lassen. Denn schon tobt westlich des Binnenlandes Zambia ein Bürgerkrieg, und auch der südöstliche Nachbarstaat Moçambique wurde völlig unvorbereitet in eine daher sehr problematische Unabhängigkeit entlassen. Kriegerische Auseinandersetzungen in Rhodesien ließen die Situation Zambias noch prekärer werden. Hinzu kommen ernste wirtschaftliche Schwierigkeiten: Zambia erlöst 90 v. H. seiner Devisen aus dem Verkauf von Kupfer; dessen Preis hat jüngst einen wahren Verfall erlebt, der die Frage nach der Wirtschaftlichkeit der weiteren Förderung aufwirft. Seit über 10 Jahren ist die Landwirtschaft Zambias sehr vernachlässigt worden; Importe südafrikanischer (und in geringerem Maße rhodesischer) Agrarprodukte sind heute an der Tagesordnung. Zambia wird in Zukunft kaum noch die Mehrkosten verkraften können, die durch den weitgehenden Boykott Rhodesiens entstehen; in den vergangenen drei Jahren mußten hierfür ca. 125 Mill. Pfund Sterling aufgewandt werden20. So braucht Zambia heute vielleicht mehr als jedes andere Land den Ausgleich mit der Republik Rhodesien und vor allem deren südlichem Nachbarn.

b) Die innerrhodesische Situation

Um die Jahreswende 1974/1975 gelang es den vier rhodesischen »Befreiungsbewegungen« ZAPU, ZANU, FROLIZI und ANC scheinbar, sich durch den Abschluß des sogenannten unity pact zu dem erweiterten ANC (African National Council) zusammenzuschließen. Dieser Vertrag ließ jedoch sehr viel mehr Fragen offen, als er löste; daß er überhaupt geschlossen wurde, war kaum Ausdruck der Bereitschaft der rhodesischen Gruppen, ihre alten Meinungsverschiedenheiten beizulegen, sondern eine Folge des Drucks, den Zambia und Tanzania und vielleicht auch die VR Moçambique auf diese Bewegungen ausübten. So war es nur eine Frage der Zeit, wann die neue Allianz, wie dann auch 1975 tatsächlich geschehen, zerbrechen würde. Heute erheben sowohl der von Joshua Nkomo (Salisbury) geführte, wohl relativ gemäßigte Flügel des ANC als auch die von Bischof A. Muzorewa (jetzt in Lusaka im Exil lebend) präsidierte, militante Fraktion der ANC den Anspruch, die

  1. Vgl. den allerdings in einigen Punkten gewiß ungenauen Bericht der beiden weißen rhodesischen Farmer J. Strong und A. Firks über ihre Gespräche mit Präsident Kenneth Kaunda zum Thema der Übergabe der staatlichen Macht an die schwarzen Rhodesier in »The Rhodesia Herald« (Salisbury) vom 24. April 1975, S. 1, 2. - Die OAU hat bisher auch von einer offenen Kritik an dieser Politik Zambias abgesehen; scharfe Kritik an den Verhandlungen Tanzanias, Moçambiques, Botswanas und Zambias mit Südafrika übte allerdings der später zum OAU-Vorsitzenden gewählte ugandische Staatspräsident Idi Amin Dada, s. »The Weekly Review« (Nairobi) vom 4. August 1975, S. 5. Sehr kritisch zu der neuen Politik einzelner OAU-Mitgliedstaaten beispielsweise »SASO Newsletter« (Durban), vol. 5, Nr. 1 (1975.5/6), S. 20-21 (»Détente in its true perspective«), weiter »What is there to talk about?«, in »Azania News« (Dar-es-Salaam), vol. 10, Nr. 4 (1975.4), S. 4-8, sowie vor allem »Jeune Afrique« (Paris) vom 5. September 1975 (Nr. 765), S. 31: »Jusqu'ou ira Kenneth Kaunda?« - Ein recht umfassender, wenn auch sehr einseitiger Überblick über die südafrikanisch-zambischen Kontakte im letzten Jahrzwölft findet sich bei Douglas C. Anglin: »Zambia and Southern African 'détente'«, in »International Journal« (Canadian Institute of International Affairsm Toronto), vol. 30, Nr. 3 (1975.summer), S. 471-503.
  2. Zahlenangabe nach »Africa« (London), Nr. 47 (1975.7), S. 73, 74.
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Mehrheit der schwarzen Rhodesier zu repräsentieren. Zusätzlich wurde der ANC durch die bewaffneten Auseinandersetzungen geschwächt, zu denen es Mitte 1975 unter Guerilleros shonasprachiger Völker kam. Ihnen fiel allem Anschein nach neben ca. 150 Angehörigen der alten ZANU auch deren führender Funktionär Herbert Chitepo in Zambia zum Opfer. Einige Zeit später kam es dann sogar zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Guerilleros der Muzorewa-Fraktion des ANC und Einheiten der zambischen Armee.

So willkommen diese Auseinandersetzungen auch gewissen Teilen der rhodesischen Regierung und ihrer entspannungs-skeptischen Wähler sein mögen, so sollte doch nicht bezweifelt werden, daß sie den Interessen der Republiken Südafrika und Zambia ganz zuwider laufen. Denn sie verzögern die Lösung des Rhodesien-Problems. Pretoria wie auch Lusaka waren seinerzeit gleichermaßen am Gelingen der Konferenz interessiert, zu der sich Ende August 1975 im Beisein u. a. J. B. Vorsters und K. Kaundas hohe rhodesische Regierungs- und ANC-Vertreter auf der Zambesi-Brücke zwischen Livingstone und Victoria Falls trafen, um über die Zukunft ihres Landes zu beraten. Daß diese Konferenz dennoch an der Frage scheiterte, ob den im Exil lebenden schwarzen Konferenzteilnehmern der Status diplomatischer Immunität einzuräumen sei, zeigt, daß selbst der Einflußnahme Südafrikas auf die Regierung in Salisbury gewisse Grenzen gesetzt sind. Gerade weil die Kampftätigkeit zwischen Guerilleros und rhodesischen Polizei- und Armeeinheiten sowie von diesen angeheuerten weißen und schwarzen Söldnern nie ganz erloschen ist, kann es in Rhodesien durchaus noch zu einem Krieg kommen, der letztlich auf Seiten der weißen Rhodesier die Züge eines Feldzugs der verbrannten Erde annehmen kann. Und darauf hätte Pretoria wohl keinen Einfluß mehr. So wird es alles daran setzen, die neue Verhandlungsrunde zwischen Premierminister Ian Smith und Joshua Nkomo zu einem Erfolg werden zu lassen. Selbst wenn dies Vorhaben gelingt, bleibt immer noch die heute nicht zu beantwortende Frage, wie sich der militante ANC-Flügel, der sich heute in einer absolut kompromißlosen Haltung gegenüber Salisbury gefällt, zu einem von Smith und Nkomo ausgehandelten Kompromiß stellen wird. Es fällt nicht leicht, hier an einen friedlichen Ausgleich zu glauben.

5. Die Republik Südafrika

a) Relative Unbeweglichkeit der inneren Szene

Mit guten Gründen wird im Schrifttum21 darauf verwiesen, daß sich in den zurückliegenden 20 Monaten in Südafrika vieles zum Positiven hin geändert habe. Viel von der bisherigen diskriminierenden Innenpolitik besteht jedoch unverändert fort: Die sogenannten Bantu-Heimatländer stellen sich, in etwa mit Ausnahme der Transkei, nach wie vor als geographisch hoffnungslos zerrissene, extrem unterentwickelte und übervölkerte Territorien dar22. Sie sind nach wie vor die Armenhäuser

  1. Dazu besonders gut Robert von Lucius: »Rassentrennung in Südafrika: Neue Perspektiven?«, in »Vereinte Nationen« (Bonn), vol. 23, Nr. 2 (1975.4), S. 46-51.
  2. Dazu die sehr interessante Arbeit von Axel J. Haibach: »Die südafrikanischen Heimatländer / Konzeption - Entwicklungsstand - Zukunftsaussichten«, Weltforum-Verlag, München, noch in der Vorbereitung befindlich.
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innerhalb eines der rohstoffreichsten Länder der Erde, innerhalb des wirtschaftlich bei weitem höchstentwickelten Staates Afrikas. Sie werden in ihren gegenwärtigen Grenzen nie lebensfähig sein. Und allen gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz besteht das Gros der diskriminierenden Maßnahmen der »petty apartheid« in der Arbeitswelt, in den meisten öffentlichen Einrichtungen usw. unverändert fort. Ihm sind die im »weißen« Teil Südafrikas lebenden ca. 9 Mill. schwarzen sowie, in einem geringeren Maße, die gemischtrassigen und indienstämmigen Südafrikaner nach wie vor unterworfen. Denn die innersüdafrikanische détente ist bis zum heutigen Tage ausgeblieben. Noch folgenschwerer ist, daß nur recht wenige weiße Afrikaner deren Erfordernis erkennen. Die Verluste, die die allerdings immer noch siegreiche Nationale Partei 1975 in Gezina und Middleburg bei Nachwahlen zugunsten der offen rassistischen Herstigte Nasionale Party erlitt, waren Ausdruck der Furcht vieler Wähler vor einem Nachgeben Vorsters auf Kosten seiner weißen Landsleute sowie, das sei nebenbei vermerkt, auf Kosten der weißen Rhodesier. Wenn Vorster und seiner Partei heute innenpolitisch Gefahr droht, so sehr viel eher von Rechts als von Links.

Vor diesem Hintergrund wird verständlich, daß Großbritannien selbst in einem Jahr relativer Erfolge Südafrikas im übrigen Afrika das Simonstown-Abkommen aufkündigte und der französische Staatspräsident gelegentlich seines Staatsbesuches in Zaire die Reduzierung der Lieferung französischen Kriegsmaterials an Südafrika ankündigte. Es mag dahinstehen, ob sich dadurch im britisch-südafrikanischen bzw. französisch-südafrikanischen Verhältnis wirklich etwas geändert hat, diese Entscheidungen unterstreichen jedoch jedenfalls die Anfälligkeit der Beziehungen Südafrikas zu westlichen Ländern23.

b) Weit entfernt von einer integrierten Gesellschaft

Eines der wichtigsten Merkmale der südafrikanischen Szene ist nach wie vor der Widerspruch zwischen der rassisch integrierten Wirtschaft des Landes und dem politischen Postulat nach einer räumlichen Trennung der verschiedenen Bevölkerungsgruppen in verschiedene Staaten. Diesen von der gegenwärtigen Regierung nicht zu lösende Widerspruch versucht die, unter Zugrundelegung südafrikanischer Maßstäbe, linksliberale Progressive Reform Party (PRP) durch ihr Programm einer Umwandlung Südafrikas in einen multirassischen Bundesstaat zu beseitigen.

Nach der Selbstzerstörung der ohnehin profilarmen United Party ist die PRP heute vielleicht schon die wichtigere der beiden englischsprachigen weißen Oppositionsparteien. Das recht klein gewordene Häuflein weißer und anderer aufrechter Liberaler setzt seine Hoffnungen in das neue Programm, das sich die PRP 1975 gab. Nach ihm sollen die sogenannten Bantu-Heimatländer politisch und administrativ

  1. S. auch zu dem von südafrikanischer Seite westlichen Ländern immer wieder angetragenen Angebot einer militärischen Kooperation die Stellungnahme des Deputy Assistant Secretary for Defense for the Near East and Africa der USA: »I should emphasise that while South African ports und other facilities have highly significant capabilities when viewed in the sense of potential need in the case of world conflict, we have found it possible to meet current requirements elsewhere«, nach »The Star Weekly Air Edition« (Johannesburg) vom 16. August 1975, S. 15.
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nicht aus der Republik Südafrika ausgegliedert werden; die territoriale Integrität der Republik soll also unbedingt erhalten bleiben. Die Beteiligung der schwarzen, gemischtrassigen und indienstämmigen Südafrikaner an der staatlichen Macht wird dadurch gewährleistet, daß ihnen, ebenso wie ihren weißen Landsleuten, ein nunmehr nur noch an dem Kriterium »Dauer des Schulbesuchs« orientiertes, qualifiziertes Wahlrecht eingeräumt wird. Wären diese Vorstellungen heute geltendes Recht, so säßen heute im südafrikanischen Parlament neben 90 weißen Abgeordneten 87 schwarze, 17 gemischtrassige und 8 indienstämmige Parlamentarier.

Selbst wenn man einmal außer acht läßt, daß die PRP in Südafrika der mittsiebziger Jahre politisch kaum mehr als eine quantité négligeable ist, so stellt sich doch die Frage, ob ihr Programm nicht viel zu intellektuell-idealistisch ausgerichtet ist. Denn es geht, gewiß sehr zu Unrecht, davon aus, daß auch der schwarz-afrikanische Teil der südafrikanischen Bevölkerung in einem demokratischen Staatswesen westlicher Prägung leben will. Dabei wird übersehen, daß die Entwicklung des schwarzen Afrikas seit 1957 wie auch die des schwarzen Bevölkerungsteils in Südafrika ganz deutlich zeigt, daß die schwarzen Afrikaner sich ganz bewußt von den westlichen Vorstellungen vom Aufbau eines Staates gelöst haben, um ihre eigenen Vorstellungen im wirtschaftlichen und politischen Bereich zu entwickeln. So muß heute festgestellt werden, daß es in Südafrika den weißen, gemischtrassigen und indienstämmigen Afrikaner einerseits und den schwarzen Afrikanern andererseits ganz einfach an jenem gemeinsamen Nenner im Politischen fehlt, ohne den ein gemeinsames Staatswesen nie funktionsfähig sein kann. Das sollte im Südafrika dieser Tage nur allzu sichtbarscin: manch eine der so wenigen noch vorhandenen Brücken über die Kluft hinweg, die die verschiedenen Bevölkerungsgruppen voneinander trennt, wird zerstört; neue Kontakte können kaum geschaffen werden.

Mag Pretoria heute auch in Grenzen bereit sein, das eine oder andere Problem von gemeinsamem Interesse mit den Verantwortlichen der Heimatländer, darunter dem immer noch herausragenden Gatsha Buthelezi, offen zu diskutieren, so ist doch insgesamt eine erschreckende Kontaktarmut zwischen den Bevölkerungsgruppen zu verzeichnen. Dafür mögen zwei Beispiele angeführt werden: Die größte weiße Kirche des Landes, die Nederduitse Gereformeerde Kerk, eine der ganz wichtigen tragenden Säulen der Apartheid-Politik, mußte 1975 hinnehmen, daß ihre schwarze Missionskirche aus vehementer Opposition zu eben der Politik der Apartheid sich trotz drohender großer finanzieller Verluste von ihr lossagte24. Und auch in jenen Kreisen weißer Südafrikaner, die sich in einer radikal-kritischen Rolle gegenüber Pretoria gefallen, scheitern mehr oder weniger alle Bemühungen, einen Dialog über die Rassenschranken hinweg zu führen; die weiße Studentenorganisation NUSAS (National Union of South African Students) mußte dies auch 1975

  1. Zu diesen Spannungen s. vor allem: »The Star/Weekly Air Edition« (Johannesburg) vom 25. Oktober 1975, S. 15 mit den Feststellungen des schwarzen Pastors Sam Buti: »We Christians have not identified ourselves with SASO and BPC people who have been detained. We should identify with them«. - S. weiter »pro veritate« (Braamfontein/Johannesburg), vol. 14, Nr. 3 (1975.7), S. 12.
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erfahren, jenem Jahr also, da sie wegen ihrer kompromißlosen Haltung gegenüber Pretoria zur »affected organisation« erklärt wurde.

Die westliche Welt wird diesen Entwicklungen bei ihren Bemühungen um eine Entschärfung der Konflikte in und um die Republik Südafrika Rechnung tragen müssen. Geschieht dies nicht, so wird sie sich eines Tages mit einem unlösbaren Konflikt konfrontiert sehen, in dessen Mittelpunkt mit der Republik Südafrika eine nukleare Schwellenmacht steht.

III. Der Abgang Portugals aus Afrika

Einer der wesentlichen Gründe für den portugiesischen Staatsstreich vom April 1974 war die Unfähigkeit der Regierung Caetano und ihrer Vorgängerin, die Kolonialkriege in Guinea-Bissau, Moçambique und Angola zu Ende zu bringen. So war es angesichts der so drängenden Probleme in Portugal selbst und der doch recht brüchig gewordenen Position Lissabons in vielen seiner Kolonien nur zu verständlich, daß das Movimento das Forcas Armadas um jeden von den portugiesischen Siedlern und den Afrikanern zu zahlenden Preis bereit war, sich frühestmöglich aus Afrika zurückzuziehen. Wie die kleinen portugiesischen Kolonien im Westen des Kontinents, so hatten sich auch die beiden großen Besitzungen Angola und Moçambique bis vor kurzem innerhalb des portugiesischen Imperiums kaum innerer Autonomie im Wirtschaftlichen und Politischen erfreut. Diese Gebiete wurden dann 1974/75 nach einer ganz unzureichenden Übergangsperiode und natürlich ohne die Abhaltung von Wahlen in jeder Beziehung völlig unvorbereitet in eine daher äußerst fragwürdige Unabhängigkeit entlassen. So sehr die daraus resultierenden Probleme im Falle Angolas heute auch für den Außenstehenden sichtbar werden, so sehr sollte doch klar sein, daß sich viele der dort auftretenden Probleme in sehr ähnlicher Form auch in der VR Moçambique stellen, daß die interne Situation der VR Moçambique heute sehr viel problematischer ist, als dies in der letzten Zeit von Teilen der internationalen Presse dargestellt wurde.

Mag längerfristig der Zusammenbruch des portugiesischen Kolonialreichs auch zu einer Verschärfung der ohnehin viel gefährlicheren Konflikte in und um die Staaten des verbliebenen »weißen« Blocks führen, die unmittelbaren Folgen der Flucht der Portugiesen aus selbstgewählter Verantwortung haben heute Moçambique und Angola zu tragen.

1. Die Volksrepublik Moçambique

Für den ausländischen Beobachter ist die moçambiquanische Szene seit der Entlassung der heutigen Volksrepublik Ende Juni 1975 in die politische Unabhängigkeit nicht zuletzt dadurch geprägt, daß der Nachrichtenfluß aus diesem Land zu einem sehr schmalen Rinnsal geworden ist25. Eine definitive Analyse der Lage dieses Landes ist somit nicht möglich.

  1. Zur Situation der VR Moçambique im Juni 1975 s. vor allem: »A Lutta Continua« in »Africa« (London), Nr. 46 (1975.6), S. 77-132. S. weiter Klaus Peter Treydte: »Moçambique / Politisch-wirtschaftliche Hintergrundanalyse zur Unabhängigkeit«, Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn, 1975, 46 S.
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Nicht selten sind jüngst Verlautbarungen moçambiquanischer Verantwortlicher bekannt geworden wie etwa jene26, daß die FRELIMO entschlossen sei, nach »500 Jahren portugiesischer Bestialität« in Moçambique »den ersten wirklich marxistischen Staat in Afrika« zu schaffen. Die große Bereitschaft komrnunistischer Staaten Europas (hier vor allem der DDR) und Asiens zur sofortigen Aufnahme diplomatischer Beziehungen und zum Abschluß umfassender Hilfeabkommen sowie die ebenso große Bereitschaft der neuen Regierung in Lourenço Marques, diese Offerten anzunehmen, mögen ein Indiz für die Richtigkeit dieser Aussage sein. Offen bleibt dann aber immer noch, ob sich die Regierung der neuen Volksrepublik den ideologischen Vorstellungen der UdSSR oder der VR China näher weiß. Und gewiß ist nicht auszuschließen, daß Moçambique eines Tages, ähnlich wie dies vor allem von Tanzania und jetzt zunehmend auch Zambia versucht wird, den Weg eines spezifisch afrikanischen Sozialismus beschreitet. Daß sich die Regierung in Lourenco Marques bei der Anknüpfung von politischen und wirtschaftlichen Kontakten zu vielen Staaten der westlichen Welt sehr großer Zurückhaltung befleißigte, ja einige, darunter die Bundesrepublik Deutschland, noch nicht einmal zu den Unabhängigkeitsfeierlichkeiten einlud, sollte sich nach deren Haltung während des moçambiquanischen Unabhängigkeitskrieges von selbst verstehen.

Mit nahezu unglaublichem Pragmatismus hat Moçambique bislang seine so engen wirtschaftlichen Beziehungen zur Republik Südafrika gestaltet. Es liegt auf der Hand, daß Pretoria in einer Zeit, da es zusehends seine Rolle als afrikanischer Staat erkennt, auch bereit ist, sich nicht nur mit einem ideologischen Gegner zu arrangieren, sondern darüber hinaus dessen Herrschaft durch wirtschaftliche Kooperation zu stabilisieren. Wenn auch nicht in dem Maße wie Botswana, Lesotho und Swaziland27, so ist doch auch die VR Moçambique wirtschaftlich von der Republik Südafrika abhängig. Und mit dem vielleicht fortschreitenden Verfall der eigenen Wirtschaft wird diese Abhängigkeit wachsen. 60 v. H. der Deviseneinnahmen Moçambiques entstammen den Wirtschaftsbeziehungen zu Südafrika; und dieser Anteil steigt. Die Straßen-, Hafen- und Eisenbahnanlagen Moçambiques, heute anstelle von geflohenen Portugiesen nicht selten von weißen Südafrikanern gewartet, stehen der südafrikanischen Wirtschaft in dem Industriezentrum des Witwatersrand unverändert zur Verfügung. Allem Anschein nach weit über 100000 moçambiquanischer Wanderarbeiter sind nach wie vor, vor allem in südafrikanischen Bergwerken beschäftigt. Schließlich wird die neue Regierung Moçambiques die in Cabora Bassa gewonnene elektrische Energie an südafrikanische Abnehmer liefern; an der Finanzierung der Anlagen von Cabora Bassa hatte sich Südafrika bekanntlich mit ca. zwei Fünfteln der Gesamtkosten in Höhe von ca. 270 Mill. Pfund Sterling beteiligt. Es mag sein, daß Lourenço Marques heute bereits erwägt, die Rhode-

  1. S. »Revue française d'études politiques africaines« (Paris), No. 115 (1975.7), S. 12-14: »Moçambique: La nouvelle société«.
  2. Zum Verhältnis dieser drei Länder zur Republik Südafrika s. A. M. R. Ramolefe und A. J. G. M. Sanders: »The structural pattern of African regionalism / The South African Customs and Monetary Union«, in »The Comparative and International Law Journal of Southern Africa« (Pretoria), vol. 6, No. 1 (1973.3), S. 82-105.
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sien-Sanktionen des UN-Sicherheitsrates zu respektieren und vielleicht auch militärische Aktionen, die zum Sturz der Regierung in Salisbury führen sollen, zu unterstützen, die wirtschaftlichen Kontakte zu Südafrika wird es jedoch sehr viel eher aus- als abbauen. Denn Moçambique verfügte, wenn auch vor allem durch hohe Verluste beim Handel innerhalb der von Lissabon dominierten Escudo-Zone, bereits seit langem über eine negative Handelsbilanz. Zwischen 1968 und 1973 betrug der Wert der Importe im Schnitt das Doppelte der Exporte.

Wichtig wird sein, ob es der neuen Regierung gelingt, die durch die immer noch nicht zum Stillstand gekommene Flucht sehr vieler Portugiesen stark in Mitleidenschaft gezogene Landwirtschaft, bislang mit 75 v. H. am Bruttosozialprodukt und 80 v. H. an den Exporterlösen beteiligt, vor einem weiteren Produktionsrückgang zu bewahren. Auch in der zivilen Verwaltung, hier vor allem im Schul- und Gesundheitswesen, und besonders schwerwiegend im industriellen Bereich stellen sich der neuen Regierung nach der Flucht oder Vertreibung so vieler portugiesischer Kader nahezu unlösbare Aufgaben. Sichtbaren Ausdruck finden diese u. a. in erschreckend hohen Inflations- und Arbeitslosenraten. Wenn überhaupt, so läßt sich ihnen wohl, wie die FRELIMO dies tut, nur mit den Methoden eines ganz autoritären Regimes beikommen. Moçambique nach der Entlassung in die Unabhängigkeit politisch und administrativ zusammengehalten und seine Wirtschaft vor dem völligen Zusammenbruch bewahrt zu haben, ist unbestreitbar eine hervorragende Leistung der neuen Regierung. Es bleibt abzuwarten, ob dies trotz aller Bemühungen um »Umerziehung« der Menschen durch »Groupas dynamizadores« u. a. auch weiterhin gelingen wird. Hier Prognosen anstellen zu wollen, hieße das Unmögliche zu versuchen.

2. Krieg in Angola - Krieg um Angola

In noch viel stärkerem Maße gilt dies für die Entwicklung Angolas. Denn hier stellen sich nicht nur die Probleme, mit denen heute die VR Moçambique konfrontiert ist. Bezeichnend für die Lage des Landes erscheint, daß der letzte portugiesische Hochkommissar das Land am 10. November 1975 verließ, ohne zuvor die Regierungsgewalt einer angolanischen Gruppe übergeben zu können. In der Folgezeit rief die MPLA die Volksrepublik Angola mit Sitz in Luanda aus, Während die neuerdings verbündeten Bewegungen FNLA und UNITA die Stadt Nova Lisboa zur Hauptstadt ihrer Demokratischen Volksrepublik Angola machten. Die erstere wurde unmittelbar nach ihrer Ausrufung von kommunistischen Staaten Osteuropas sowie einer Anzahl afrikanischer Staaten des »progressiven« Lagers, darunter alle anderen Nachfolgestaaten des portugiesischen Imperiums, nicht aber Tanzania und Zambia, diplomatisch anerkannt. Der Demokratischen Volksrepublik Angola wurde eine solche Unterstützung durch die ihr sonst zur Seite stehenden Staaten Afrikas und der übrigen Welt nicht zuteil. Bereits am 1. August 1975 hatte die weniger bekannte »Befreiungsbewegung« FLEC (Frente da Libertaçao da Enclave Cabinda), obwohl von der OAU und damit auch den UN nicht anerkannt, während der 12. OAU-Gipfelkonferenz in Kampala die ölreiche und bevölkerungsarme Enklave

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Cabinda einseitig für unabhängig erklärt28. Auch diese Bewegung ist übrigens in einen Zaire und einen der VR Kongo zuneigenden Flügel gespalten.

Keineswegs nur die mangelnde Autorität der OAU über ihre Mitglieder, die im Falle Angolas zugegebenermaßen sehr unterschiedliche Ziele verfolgen, und die von ihr so maßgeblich geförderten, miteinander rivalisierenden »Befreiungsbewegungen« Angolas verhinderten, daß die OAU während ihrer Konferenzen Mitte 1975 einen Beitrag zur Beilegung des damals bereits tobenden Bürgerkrieges leisten konnte. Seinerzeit hatte die 12. OAU-Gipfelkonferenz nur beschließen können, eine eilig zusammengestellte OAU-Sonderkommission nach Angola zu entsenden, die dort Möglichkeiten des von wohl allen »Befreiungsbewegungen« abgelehnten Einsatzes einer OAU-Friedensstreitmacht erkunden sollte, um dann dem bislang kaum existenten Komitee der OAU für Angelegenheiten der Verteidigung zu berichten. Erwartungsgemäß war diese Mission dann auch nicht von Erfolg gekrönt. Außer an eigenen Unzulänglichkeiten scheitert die OAU hier daran, daß außerafrikanische Mächte östlicher wie westlicher Provenienz wie auch der eine oder andere afrikanische Staat sich u. a. durch Waffenlieferungen, den Einsatz von Söldnern und teils wohl sogar regulären Truppen usw. in die inneren Angelegenheiten Angolas einmischten. Unter Ausnutzung innerangolanischer, vor allem ethnischer Differenzen wird heute in Angola nicht zuletzt ein Stellvertreterkrieg geführt. Längst ist die ehemalige portugiesische Kolonie zu einem bloßen Objekt der Politik anderer geworden. Hier stoßen u. a. sowjetische, nordamerikanische, chinesische, französische, süd- und südwestafrikanische, zairische und kongolesische Interessen aufeinander. Angola wird heute seine bedeutsame geographische Lage und sein großes Wirtschaftspotential zum Verhängnis.

Es läßt sich heute bei weitem noch nicht absehen, wohin der angolanische Bürgerkrieg, der die Züge eines Krieges um Angola angenommen hat, führen wird. Vielleicht wird dessen territoriale Integrität erhalten bleiben, vielleicht werden auf dem Territorium Angolas mehrere voneinander unabhängige Staaten entstehen, vielleicht werden andere Staaten Teile Angolas (incl. Cabindas) annektieren. Zweierlei erscheint jedoch heute schon gewiß: außer durch die kriegerischen Ereignisse ist die Wirtschaft des Landes durch die Flucht fast aller bislang in Wirtschaft und ziviler Verwaltung tätigen portugiesischen Kader in ihren modernen Sektoren weitgehend zerstört worden. Und das schwarze Afrika hat einmal mehr erkennen müssen, daß alle Großmächte und eine Reihe kleinerer Staaten sich bei der Verfolgung eigener Interessen skrupellos über seine Belange hinwegsetzen. Das kann, etwa im Rahmen des Nord-Süd-Konfliktes, zu einer Verschärfung bestehender Spannungen führen. Und es wird, zumindest im diplomatisch-politischen Bereich, zu einer Aktualisierung der Konflikte in und um den verbliebenen »weißen« Block im südlichen Afrika führen.

  1. Ein entsprechendes Dokument wurde in hektographierter Form am 1. August 1975 durch FLEC-Vertreter in den OAU-Konferenzräumen in Kampala verteilt. - Zu den Ausführungen des FLEC-Präsidenten L. R. Franques vgl. auch »Voice of Uganda« (Kampala) vom 1. August 1975, S. 1.
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