African Questions

Publications of Dr. Klaus Frhr. von der Ropp

Political Observer and Consultant on Southern African Issues

Südliches Afrika

Die Verfassung der neuen Republik Südafrika

Das Nach-Apartheid-Land ist vorerst ein sehr fragiles Gebilde

Von Klaus Freiherr von der Ropp

Die Ende 1996 verabschiedete Verfassung des neuen Südafrika unter Staatspräsident Nelson R. Mandela, vielleicht einem der größten Staatsmänner unserer Zeit, orientiert sich in Kernfragen an dem deutschen Grundgesetz als der modernsten Verfassung eines demokratischen Staates. Sie entspricht damit den Vorstellungen der seit Mai 1994 in Südafrika regierenden Allianz von Afrikanischem Nationalkongress (ANC) und Südafrikanischer Kommunistischer Partei (SACP), der mit großem Abstand stärksten politischen Kraft des Landes. Spätestens seit dem Zerfall des ihr eng Verbündeten sozialistischen Lagers in den späten 80er Jahren plädierten die 1912 gegründete Befreiungsbewegung ANC und die etwa zehn Jahre jüngere SACP dafür, die der schwarzen Mehrheit (ca. 75%) sowie der gemischtrassischen (ca. 10%) und der indienstämmigen (ca. 3%) Minderheit oktroyierte Apartheid durch ein westlich-demokratisches System abzulösen. Das bedeutete den Bruch mit einer in fast 350 Jahren gewachsenen, in der Gesellschaft tief verwurzelten rassistischen Ordnung, reichte die Apartheid doch noch in den 80er Jahren bis in die katholischen Klöster hinein.

Deutschland als Modell?

Gedrängt durch sehr massiven, mit dem Ende des Kalten Krieges möglich gewordenen Druck als Teil einer geschickten Diplomatie der britischen und - sie stützend - der amerikanischen Regierung, kündigte Staatspräsident Frederik Willem de Klerk Anfang der 90er Jahre die Beendigung der Apartheid an. Seine Nationale Partei (NP), die Allianz von ANC und SACP, die Inkatha Freiheits Partei (IFP) konservativer Zulus und einige kleinere Parteien bekundeten bei den seit 1991 laufenden Verfassungsverhandlungen großes Interesse am deutschen Grundgesetz und an der deutschen Sozial- und Wirtschaftsordnung. Daher hielten sich ungezählte südafrikanische Delegationen in den zurückliegenden Jahren als Gäste der deutschen politischen Stiftungen, anderer NROs, der Bundes- und Landesregierungen u. a. in Deutschland auf. Ungezählt auch die deutschen Experten, die ans Kap reisten. Vieles wurde für das Nach-Apartheid-Südafrika übernommen, nicht jedoch der föderalistische Staatsaufbau, da er in den Augen der ANC/SACP-Allianz für das Entstehen einer gesamtsüdafrikanischen Nation hinderlich gewesen wäre.

Ausgangspunkt für das südafrikanische Interesse an dem unstreitig erfolgreichen deutschen Modell ist die richtige These, daß Apartheid, wenn sie auch ungleich weniger mörderisch war, viel Ähnlichkeit mit dem Nationalsozialismus aufwies. In der Regel ungeprüft blieb und bleibt aber die Frage, ob die übrigen Gegebenheiten in beiden Staaten nicht allzu verschieden sind. Anders als in Südafrika gab es z. B. in Deutschland vor der Überwindung des NS-Regimes durchaus demokratische und rechtsstaatliche Traditionen. Ferner war der Westen Deutschlands über Jahrzehnte von demokratischen Staaten besetzt, die sich erfolgreich um den Aufbau einer deutschen Demokratie bemühten. Schließlich war bereits 1945 das Ausbildungsniveau der Bevölkerung in Deutschland ungleich höher als heute in Südafrika. Zusammen mit dem Marshallplan - etwas Analoges gibt es für Südafrika nicht - ermöglichte dies im Westen Deutschlands das sogenannte Wirtschaftswunder.

Desolates Erbe

Bezeichnend für das desolate Erbe der Apartheid-Ära ist, daß nur ca. 7 % aller Schulabgänger einen herkömmlichen Arbeitsplatz finden. Die aus der alten Zeit herrührende strukturelle Arbeitslosigkeit von ca. 50 % unter den schwarzen Südafrikanern, die neue, durch „affirmative action“ (Bevorzugung von Schwarzen im Arbeitsleben) mit schlimmen Folgen für die Effizienz der öffentlichen Verwaltung (Polizei!) ausgelöste Arbeitslosigkeit unter weißen, gemischtrassischen und indienstämmigen Südafrikanern, die illegale Zuwanderung von Millionen aus Nachbarländern und eine in der Zeit des Rassismus gewachsene „Kultur“ der Gewalttätigkeit haben Südafrika zu einem der gewalttätigsten Länder der Erde werden lassen. Mit Recht stellte der nationale Polizeikommissar, General George Fivaz, um die Jahreswende 1995/96 fest, Südafrika laufe Gefahr, zu einem „Staat der Gangster“ zu werden.

Neben der allerdings häufig verständlichen Militanz der Gewerkschaften läßt vor allem die Kriminalität das in- und ausländische Kapital zögern, „frisches“ Geld am Kap zu investieren. Damit verschlimmert sich die sozio-ökonomische Lage und in Südafrika droht der Umbruch zum Zusammenbruch zu führen!

Gibt es die Chance neuer Stabilität?

So sollte es einleuchten, daß in Südafrika tätige in- und ausländische Wirtschaftsführer Pretoria unzweideutig drängen, notfalls durch drastische Maßnahmen bis zu der in der Verfassung vorgesehenen Verkündung des Notstandes, Recht und Ordnung wiederherzustellen. Noch zögert die Regierung, darin langfristig die Rettung der so jungen Demokratie zu sehen. Mehr noch als das bei jeder Gelegenheit vorgetragene Interesse an neuen Investitionen zur Wiederbelebung der Wirtschaft wird jedoch das Bemühen, die Olympischen Spiele 2004 in Kapstadt auszurichten, die Regierung zur Umkehr zwingen.

Anstelle des bei den Verhandlungen seit 1991 mangels Vorbereitung seinen Gegenspielern nie gewachsenen und daher heute fast bedeutungslosen de Klerk wird sich Pretoria bei einem Notstandsregime auf General a. D. Constand Viljoen, stützen. Dieser war bis Mitte der 80er Jahre Oberkommandierender der südafrikanischen Streitkräfte, ist selbst ein gemäßigt konservativer Mann, hat aber Autorität über sehr viele der in der „Freiheitsfront“ zusammengeschlossenen zumindest regierungskritischen weißen Afrikaaner („Buren“). Er war es, der auf Vermittlung von Briten und Amerikanern am 23. April 1994 mit dem ANC im Union Building zu Pretoria das bislang nicht realisierte „Abkommen betr. die Selbstbestimmung der Afrikaaner“ unterzeichnete und damit Südafrika vor einem verheerenden Bürgerkrieg bewahrte.

Nur Viljoen hat die Autorität, den alten, u. a. durch „affirmative action“ stark geschwächten Sicherheitsapparat so zu reaktivieren, daß Mandela ihn nutzen kann. Um ihn daran zu hindern, seine wiedergewonnene Machtstellung abermals zu mißbrauchen, werden London, Washington und hoffentlich auch das hier viel zu lange abseitsstehende Bonn die Arbeit des Sicherheitsapparates sorgfältig überwachen.

Für seine Mitwirkung wird Viljoen Gegenleistungen fordern:

  1. zunächst die Realisierung des Abkommens vom 23.April 1994 durch die Schaffung eines nicht-rassischen afrikaansen „Volksstaates“, vergleichbar der 1941 aufgelösten Autonomen Republik der Wolgadeutschen, in Teilen des nördlichen und westlichen Kaps, ferner kulturelle Autonomie in sechs weiteren afrikaansen Schwerpunktsiedlungen, vergleichbar den Rayons Halbstadt/Altai und Asowo/Omsk;
  2. die Föderalisierung der nationalen Verfassung zugunsten der Provinz KwaZulu/Natal und
  3. eine weitgehende Amnestierung jener Personen, die im Auftrag der Apartheid-Regierung Straftaten begangen haben.

In einem so stabilisierten Südafrika wird es dank großer in- und ausländischer Investitionen wahrscheinlich einen bedeutenden wirtschaftlichen Aufschwung geben. Sollte Südafrika dann im Spätsommer 1997 tatsächlich mit der Ausrichtung der Olympischen Spiele im Jahr 2004 beauftragt werden, könnte das Land vielleicht einen wahren Boom erleben. Das wäre eine wichtige Vorraussetzung für die Schaffung und Entwicklung einer demokratischen und rechtsstaatlichen Kultur.

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