Das demokratische Südafrika im Abgrund
Klaus Baron von der Ropp
Zusammenfassung
Kaum 30 Jahre nach der Regierungsübernahme in Pretoria ist die Bilanz der einstigen Befreiungsbewegung African National Congress (ANC) verheerend. Statt ihr Wahlversprechen „a better life for all“ einzulösen hat sie, wie es der britische Economist Mitte Dezember 2022 in einem Wortspiel beschrieb, nur „a bitter life for all“ zustande gebracht. So wurden etwa große Teile der einstens leistungsstarken öffentlichen Verwaltung (incl. Schul- und Krankenhauswesen) sowie die ca. 300 staatseigenen Unternehmen weitgehend zerstört. Es sind ganze Regionen in Anarchie versunken.
Schlüsselwörter
- Südafrika
- weitgehende Zerstörung der öffentlichen Verwaltung und staatseigenen Unternehmen
- Anarchie
- Verarmung
- Staatszerfall
Der Autor war von 1975 – 2000 Leiter des Bonner/später Berliner Verbindunsgbüros der Stiftung Wissenschaft und Politik und verfügt über eine jahrzehntelange Erfahrung als freiberuflicher Konsultant für Fragen des südlichen Afrikas.
1. “Things fall apart” (CRA)
Mitte der 90iger Jahre begleitete allgemeine Euphorie die Machtwechsel in Südafrika. Nach 350 Jahren rassistischer Herrschaft der Weißen1 Afrikaner wurde diese nach weitgehend demokratischen Wahlen im Mai 1994 durch eine Regierung der übergroßen Schwarzen Mehrheit (gut 80%) abgelöst. Es war mit dem Ende des Kalten Krieges gelungen, einen der bedrohlichsten Regionalkonflikte friedlich beizulegen! Hatte doch kein Geringerer als Egon Bahr knapp zwei Jahrzehnte zuvor in einem Interview mit dem Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt gewarnt „Ohne Verhandlungslösung ist die Gefahr des dritten Weltkrieges ständig gegenwärtig“ (Geschke und Mack). Groß war in der westlichen Welt zuvor die Sorge gewesen, die Sowjetunion könne sich mit dem vom ANC regierten Südafrika und dem von Robert Mugabe beherrschten Zimbabwe bei für seine Rüstungsindustrien wichtigen Rohstoffen (Stahlveredler) zu Kartellen nach dem Vorbild von OPEC zusammenschließen (Ropp 2021, S. 307). Und zweitens fürchteten vor allem Großbritannien, die USA und Israel, Südafrika werde unter dem ANC zu einer unkontrollierbaren Quelle der Weitergabe von Nuklearwaffen und Kenntnissen über deren Herstellung sowie entsprechenden Waffenträgern werden (Scheen).
Mit der im Jahr 1985 erfolgten Wahl von Michail S. Gorbatschow zum Generalsekretär der KPdSU und dem damit verbundenem Ende des Kalten Krieges gelang es London und Washington, das Regime der Weißen Südafrikaner um den schwachen Staatpräsidenten F.W. de Klerk zu stürzen und den ANC um den großen Freiheitskämpfer Nelson R. Mandela an die Macht zu bringen (Ropp 2021 S. 307). Damit bot sich der Bonner Regierung, die am 17. Oktober 1978 wegen Unfähigkeit auf Betreiben Großbritanniens aus allen Verhandlungen über die Zukunft des südlichen Afrikas für gut zehn Jahre ausgeschlossen war, (Ropp 2019, S. 389) die Gelegenheit, beim Aufbau des neuen Südafrikas eine sehr aktive Rolle zu übernehmen (Ropp 2021, 308-310). So lehnte sich die neue Verfassung der Kap-Republik eng an das deutsche Grundgesetz an. Und ein Kreis bedeutender deutscher Unternehmen schloss sich zur „Südliches Afrika Initiative der deutschen Wirtschaft“ (SAFRI) zusammen. Ihr Ziel war, das in Anlehnung an die „Tigerstaaten“ in Südostasien, das neue Südafrika und seine Nachbarn zu den afrikanischen „Löwenstaaten“ zu entwickeln. Schließlich schlug der seinerzeitge deutsche Botschafter in Pretoria, Hans Christian Ueberschaer, vor, die ihm gut bekannte Europäische Volks Partei möge dem ANC Beobachterstatus einräumen.
Aber nicht nur in Deutschland kam es bei der Einschätzung der Politik des neuen Südafrikas zu grotesken Fehleinschätzungen. So schlugen etwa die beiden anerkannten US Sicherheitspoliker Ivo Daalder und James Goldgeier in der Zeitschrift Foreign Affairs vor, neben Australien, Neuseeland, Japan und Südkorea auch Südafrika in die NATO aufzunehmen (2006).
Nach fast 30 Jahren der Herrschaft des ANC und seiner „Allianzpartner“ SACP (South African Communist Party) und Cosatu (Congress of South African Trade Unions) ist die allgemeine Stimmung eine völlig andere (PwC Economics services and contacts Bisseker). Am besten hat das der britische Economist ausgedrückt: mittels eines Wortspiels änderte er das Wahlversprechen des ANC „a better life for all“ in die Überschrift „a bitter life for all“ (2022). Und die Bonner Fachzeitschrift afrika süd veröffentlichte im März/April 2023 eine Titelseite, die südafrikanischer Arbeiterinnen mit dem Zusatz „from democracy to disaster“, zeigt. So beträgt die Arbeitslosenquote heute 33,4% und wird im kommenden Jahr auf fast 34% ansteigen (PwC Economic services and contacts). Werden hier auch die Arbeitslosen, die mangels Erfolgschancen sich nicht mehr um eine Arbeitsstelle bemühen, hinzugezählt, so ist die Zahl noch weit höher. Und das, wenn solche überhaupt ausgezahlt werden, bei sehr niedrigen Sozialleistungen! Wie entbehrungsreich das Leben für die Mehrheit aller Südafrikaner heute ist, machte das liberale Johannesburger Center for Risk Analysis kürzlich in einer vorzüglichen Studie mit dem treffenden Titel „Things fall apart“ deutlich. Die Ausplünderung des Staates („state capture“) vor allem in der Ära des Staatspräsidenten Jacob Zuma (2009 – 2018)(Swilling u.a.) hat das einstige Schwellenland wohl zu einem weiteren gescheiterten Staat in Afrika werden lassen.
Als Nachfolger des durch und durch korrupten Zuma wurde Cyril Ramaphosa zunächst 2017 zum Präsidenten des ANC und im Folgejahr zum Staatspräsidenten gewählt. Seinerzeit war am Kap zu hören, er habe sich ähnlich Franklin D. Roosevelt in den 30er Jahren in den USA einen „New Deal for Jobs, Growth and Transformation“ zum Ziel gesetzt (Poplack). Stattdessen haben der ANC und vielleicht auch Ramaphosa selbst aber den Kurs Zumas fortgesetzt und das Land weiter ausgeplündert.
2. Die Zerstörung der modernen Sektoren der Volkswirtschaft
Die einstens in weiten Teilen hochentwickelte Wirtschaft Südafrikas liegt heute weitgehend darnieder. Dafür gibt es viele Gründe: Die Auswanderung von weit mehr als 1 Millionen gut ausgebildeter, in aller Regel jugendlicher Fachkräfte. Darunter sehr viele afrikaanssprachige Weiße und Braune sowie Inder, jedoch auch viele Schwarze. Auch die Letzteren fliehen vor Korruption und anderer schwerer, nicht selten blutrünstiger Kriminalität. Entscheidend geschwächt wurde das neue Südafrika schließlich durch sein miserables Schulwesen und durch eine „Reform“, richtiger die faktische Abschaffung, nahezu aller Sektoren der einstens von Weißen und im westlichen Kap, Braunen Afrikaanern beherrschten staatlichen Verwaltung (incl. Krankenhaus- und Schulwesen). Auch in den meisten der ca. 300 staateigenen Unternehmen wurde gut ausgebildeten und berufserfahrenen Mitarbeitern gekündigt („affirmative action“) und sie durch häufig unqualifizierte aber politisch genehme Schwarze abgelöst („cadre deployment“).
Besonders betroffen ist hier der gigantische Stromkonzern Escom, auf den 95% der nationalen Stromversorgung entfallen. Heute ist die nationale Stromkrise das alles überlagernde Problem Südafrikas. Die allmonatlichen Verluste des mit über 20 Milliarden US-$ ohnehin hochverschuldeten Konzern betragen 50 Millionen US-$. Tägliche Stromausfälle von bis zu zwölf Stunden, in Einzelfällen noch mehr, ziehen alles in Mitleidenschaft: große und kleine Industriebetriebe, die modernen Sektoren der Landwirtschaft, die Seehäfen, den Straßen- und, soweit noch vorhanden, Eisenbahnverkehr, das Bankenwesen, das Krankenhauswesen, das Schulwesen, das Internet und den Telefonverkehr, den Einzel- und Großhandel, unzählige Privathaushalte in Stadt und Land etc.. Verantwortlich für die Stromausfälle sind Schlamperei, Sabotage, Diebstähle und vor allem unqualifiziertes Personal. Die Diebstähle werden hier und da von mit AK 47 bewaffneten Banden begangen.
Hoffnung kam auf, als der erfahrene Manager André de Ruyter mit Zustimmung des ANC Ende 2019 die Führung des Konzerns übernahm (Raupach 2022 Selz 2023). Bei seiner Arbeit stieß er allerdings umgehend auf Widerstand. Letzterer gipfelte in der Anschuldigung, die Arbeit des neuen CEO sei konterrevolutionär und zielte darauf, Escom zu zerstören (Cotterill). Zunehmend frustriert warf de Ruyter das Handtuch und kündigte. In einem anschließenden Fernsehinterview erhob er schwerste Vorwürfe gegen das Unternehmen, u.a. den Vorwurf, in Escom herrschten vier mafiaähnliche Verbrechersyndikate.
Besondere Aufmerksamkeit erregte de Ruyter mit dem Vorwurf, Escom sei für den ANC zu einem „Futtertrog“ geworden (Cotterill). Schließlich beschuldigte er die politische Elite des Landes, in diese Machenschaften verwickelt zu sein, sah allerdings davon ab, die Namen der Beschuldigten zu nennen. Das tat dann jedoch deutlich Lord Robin Renwick, einstens nahezu allmächtiger Botschafter Großbritanniens („His Excellent Excellency“) in Südafrika in einem Zeitungartikel „Confronting and surviving the economic consequense of Gwede Mantashe“ (2023)2. Kurze Zeit später wurde de Ruyter Opfer eines fehlgeschlagenen Giftanschlags (Pilling) und setzte sich mit unbekanntem Ziel für unbekannte Zeit ins Ausland ab.
Die Vorgänge bei Escom sind bei weitem nicht die einzigen Anzeichen für die kriminelle Unterwanderung Südafrikas. Denn heute befinden sich die meisten staatseigenen Unternehmen in einer vergleichbaren Lage. Besonders katastrophal sind die Folgen der Ausplünderung bei der Eisenbahngesellschaft Prasa (Passenger Rail Agency of South Africa). Auch deren „erbärmlicher Zustand“ (Tshwane) ist in den zurückliegenden gut zehn Jahren durch schlechte Führung, Korruption und Sabotage, durch Diebstahl und Vandalismus ausgelöst worden. Von 590 Bahnhöfen sind heute noch 134 in Betrieb. Es wurden weit mehr als 1.000 km Signalkabel und 40 km Gleise gestohlen (Tshwane). Ähnliches kommt übrigens immer wieder bei Verkehrsampeln vor. Sie werden, häufig unter den Augen der am Erlös beteiligten Polizei, wie Straßenbäume gefällt und als Altmetall verkauft. So ist die Sorge verbreitet, dass sich die weitgehend armutsbedingten Aufstände vieler hunderttausend oder gar Millionen Schwarzer von Mitte 2021 wiederholen werden. Diesmal aber nicht nur in den Provinzen KwaZulu–Natal und Gauteng sondern landesweit (PwC Economics services and contacts). Verbreitet ist auch die Sorge vor Hungermärschen.
3. Der ANC am Vorabend seines Parteitages
Die verheerende Lage des Landes wurde auch der Außenwelt deutlich, als Ramaphosa Ende 2022 nicht an dem alljährlichen „US-African Leaders Summit“ in Washington teilnahm und er kurze Zeit später abermals seine Teilnahme am Weltwirtschaftsforum in Davos kurzfristig absagte. Auch in Washington und Davos wäre er im Übrigen wohl vor allem gefragt worden, wie er zu der These des britischen Journalisten David Pilling stehe, wonach „Corrupt, sailing Eskom is a picture of South Africa in miniature“ (2023).
Zutreffend stellte der Economist daher wenige Wochen vor Beginn des Parteitages fest „The party that fought apartheid is now a patronage machine draped in revolutionnary rhetoric.“ (2022)
4. Der 55. Parteitag des ANC
Ab Mitte Dezember 2022 fand in Johannesburg der 55. Parteitag des ANC statt. Die über 6.000 Delegierten waren zuvor bei Parteitagen auf Provinzebene gewählt worden. Auf besonderes Interesse stieß deren Wahl in KwaZulu–Natal. Die hier siegreichen Kandidaten, wohl alle Gefolgsleute Zumas, schlossen sich zur „Taliban-Fraktion“ (im ANC) zusammen, „da auch sie bis zum Ende kämpfen würden“ (Makehave). Ein hochrangiger Anhänger Zumas, Athur Fraser, versuchte kurz zuvor die Wiederwahl Ramaphosas zum Präsidenten des ANC zu verhindern, indem er einen Finanzskandal aufdeckte. Etwa zwei Jahre zuvor war auf dessen Farm (Phala Phala) aus einem Sitzmöbel ein hoher Geldbetrag in Devisen, 580.000 US-$, gestohlen worden. Ramaphosa hatte den Diebstahl nicht bei der Polizei angezeigt. Die Diebe wurden kurze Zeit später gefasst. Statt sie strafrechtlich zu verfolgen, wurde ihnen auf Geheiß Ramaphosas ein Schweigegeld gezahlt.
Nach Bekanntwerden dieses Sachverhalts setzte die Präsidentin des Parlaments eine Kommission hochrangiger Juristen zu dessen Aufklärung ein. Letztere legte ihren Bericht zwei Wochen vor dem Parteitag vor und kam darin zu dem Ergebnis, gegen den Präsidenten bestehe ein Anfangsverdacht (wegen eines Devisendelikts, Steuerhinterziehung und Geldwäsche, eigene Ergänzungen)(Raupach 2022). Anschließend stimmte das Parlament drei Tage vor Eröffnung des Parteitages darüber ab, ob sich Ramaphosa einem Amtsenthebungsverfahren stellen müsse. Die Situation Ramaphosas war um so prekärer, als zuvor eine andere Kommission, die „Commission of Inquiry into State Capture“, unter Vorsitz des Richters Raymond Zondo festgetellt hatte, dass der jetzige Staatspräsident als Stellvertreter seines Vorgängers (Zuma) die damalige Plünderung des Staates nicht unterbunden habe (Selz 2022). Das Parlament entschied sich gleichwohl mit der Mehrheit seiner nahezu geschlossen abstimmenden ANC-Fraktion gegen die Eröffnung eines Amtsenthebungsverfahrens (Raupach 2022).
Alles Vorstehende vor dem Hintergrund des Versprechens Ramaphosas vor seiner ersten Wahl, die „grassierende Korruption bedingungslos zu bekämpfen und den ANC reinzuwaschen“ (Putsch 2022).
Gleichwohl wurde der Parteitag für Ramaphosa und seine vielen korrupten Gefolgsleute zu einem Erfolg. Er selbst wurde mit fast 60% der Stimmen im Amt bestätigt, sein hochkorrupter Gegenkandidat Zweli Mkhize, der zum Lager von Zuma gehört, kam auf gut 40% der Stimmen. Auch unter den jetzt gewählten Mitgliedern des National Executive Commitey (NEC) dem höchsten Organ der Partei zwischen zwei Parteitagen, bekennt sich eine Mehrheit zu Ramaphosa. Das gilt auch für die meisten Mitglieder des Führungsorgans „top 7“. Der Economist nennt dieses Gremium übrigens „Politbüro“ (2022). Sehr viele der siegreichen Kandidaten wurden nur mit sehr knappen Mehrheiten gewählt. Dass sie, wie häufig behauptet, ihren Erfolg Stimmenkauf verdanken, wurde nicht bewiesen. Zum Gegenspieler Ramaphosas schwang sich in Johannesburg Paul Mashatile auf (Raupach 2023). Er stammt aus der stets unruhigen Provinz KwaZulu–Natal, gehört zum Lager von Zuma und hat jetzt als Vizepräsiden von ANC und Staat gute Chancen, in spätestens fünf Jahren Ramaphosa in beide Ämter nachzufolgen.
Unklar ist, ob Ramaphosa heute noch als bloßer Reformer anzusehen ist. So sprach er am Ende des Parteitags von seiner Absicht, die Landreform zu beschleunigen und die „produktive Nutzung“ des Landes voranzutreiben (Maliti). In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass er im Dezember 2021 im Kapstädter Parlament mit seiner Fraktion für einer Änderung der Verfassung stimmte, die die entschädigungslose Enteignung zugelassen hätte. Diese Initiative bekam zwar eine absolute, jedoch nicht die für eine Verfassungsänderung erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit. Das verhinderte die Economic Freedom Fighters (EFF) – Partei, eine radikal sozialistische Absplitterung des ANC. Ihr ging Antrag nicht weit genug.
5. Zeitenwende durch Wahlen?
Das verheerende Erbe der fast dreißigjähren Herrschaft der ACN/SACP/Cosatu Allianz wirft die Frage nach deren Ablösung bei den nationalen Wahlen Ende April 2024 auf. Vieles spricht für die Richtigkeit der These des einstigen Anti-Apartheid-Aktivisten Raymond Suttner, wonach der ANC eine sterbende Partei und doch die stärkste politische Kraft des Landes sei (2023a). Sollte die Allianz die Wahlen verlieren, so wird sie möglicherweisen in einer Koalition mit der EFF regieren wollen (Schönherr). Damit wäre die endgültige Selbstzerstörung Südafrikas nach simbabwischen Vorbild vorprogrammiert. Spätestens dann wird es zur entschädigungslosen Enteignung, wohl nicht nur von landwirtschaftlich genutztem Grund und Boden, zum Zugriff des Staates auf die Pensionskassen und zur Verstaatlichung des noch leistungsstarken Gesundheitswesen nach britischen Vorbild kommen.
Eine andere Möglichkeit ist die, dass sich die sozial-liberale Democratic Alliance (DA) mit einigen kleineren Parteien zu einer Koalition verbindet. Unter den Letzteren vor allem die Inkatha Freedom Party traditioneller zulusprachiger Schwarzer, die konservativ-liberale Action South Africa von Herman Mashaba und die Vryheids Front (VV+) um Selbstbestimmung ringender Afrikaaner. Ein solches Bündnis sehr heterogener Kräfte wäre fragil und daher ständig vom Zerfall bedroht (Berger). Zudem ist seit der Machtumkehr 1994 zu vieles zerstört worden, als dass es in wenigen Jahrzehnten wiederaufgebaut werden kann. Das gilt übrigens auch für das westliche Kap, obwohl dort die DA die längste Zeit regiert hat. Auch Kapstadt mit seinem Umfeld ist zu einem Zentrum schwerster, nicht selten mörderischer Kriminalität geworden (Grill). Der liberale Zyniker R.W. Johnson hat Recht, wenn er den Kernsatz der Charter des ANC „The People Shall Govern“ um den Zusatz „Or perhaps not“ ergänzt (BizNews).
6. Südafrika im Weltordnungskonflikt
Seit dem Machtwechsel im Mai 1994 wurde Südafrika in der internationalen Politik und selbst den Spitzenmedien sträflich vernachlässigt. Das änderte sich schlagartig, als der russische Außenminister Sergej Lawrow Anfang 2023 die Kap-Republik besuchte und beide Seiten nicht müde wurden, ihre „exzellenten Beziehungen“ anzusprechen (Dörries Putsch 2023 Dieterich 2023b). Großes Interesse wurde auch kurz darauf dem Marinemanöver Russlands und Chinas und beider BRICS-Partner Südafrika vor Durban entgegengebracht. Südafrika konnte sich daran übrigens nur mit Patrouillenbooten beteiligen, da die in den letzten ca. 30 Jahren u.a. in Deutschland gekauften Korvetten und U-Boote nicht mehr seetüchtig sind (Bussmann). Sie sind wie nahezu alles im neuen Südafrika verlottert.
Nicht verlottert sind, und das mag das Interesse Moskaus an dem durch und durch maroden Südafrika erklären, dessen reiche Vorkommen an strategischen Rohstoffen (vor allem Stahlveredler). Vielleicht wird Russland gelingen, was die Sowjetunion nicht geschafft hat: die Gründung von von ihm geführten russisch-südafrikanisch-simbawischen Kartellen für herausragend wichtige Rohstoffe. Südafrika ist vielleicht bereits jetzt, wie der Economist nach dem Manöver schrieb „not so neutral / Under the ANC the country is drifting into the Sino-Russian orbit (2023).
7. Südafrika – Quo Vadis?
Vermehrt warnen seit kurzem selbst einflussreiche wichtige Schwarze Akteure vor einem Kollaps ihres Landes und fordern daher einen „new social compact“. So nannte Ramaphosa in seiner Rede zur Eröffnung des Parlaments Anfang 2023 die Lage des Landes „unakzeptabel und unerträglich“ (Botha). Wenig später warnte Thabo Mbeki in Anwesenheit von Ramaphosa vor der „extremen Gefahr“, in der sich das Land befinde (Bruce) und sprach von der in Südafrika “herrschenden Gesetzlosigkeit“ (Masuabi). Besondere Aufmerksamkeit fand schließlich der Ruf des anglikanischen Erzbischofs Thabo Makgoba nach einem „new struggle“. Dies in Anlehnung an den früheren „struggle“ gegen Apartheid. Er rief nach einer „Allianz hochkalibriger Persönlichkeiten, um eine bessere Zukunft für Südafrika zu schaffen“ (2023) und wies darauf hin, die Jugendarbeitslosigkeit betrage bereits 66,5% und die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung lebe unter der Armutslinie. Ähnlich argumentierte in einem sehr sorgfältig recherchierten und daher in Deutschland von „afrika süd“ nachgedruckten (2023b) Aufsatz der frühere Weiße politische Häftling und SAPC- und ANC Aktivist Raymond Suttner (2023a). Sie alle sehen allerdings davon ab, konkrete Vorschläge für den Wiederaufbau zu unterbreiten. Insbesondere erwähnen sie nicht die Gespräche, die die der afrikaansen Bürgerrechtsbewegung Solidariteit verbundene Afrikaaner-Africa-Initiative mit der Thabo-Mbeki-Stiftung führt (Botha Du Toit). Diese vielleicht bereits gescheiterten Gespräche haben zwei Ziele: zum einen die Wiedereinstellung von trotz hoher Qualifikationen abgehalfterter Weißen Afrikanern in den Staatsdienst und bei den staatseigenen Unternehmen. Und zum anderen die machtpolitische Absicherung des Existenzrechts der Afrikaaner im neuen Südafrika (Ropp 2021 Malan).
Die Gespräche litten von Anfang an unter der für den Außenstehenden nicht fassbaren Zerstrittenheit der Afrikaaner. Häufig ist diese allem Anschein nach nicht ein Streit in der Sache sondern ein solcher zwischen Führungsgestalten. Verhängnisvoll ist ferner die bisherige Weigerung des ANCs, den Afrikaanern robusten Minderheitenschutz einzuräumen. Die Befreiungsbewegung sieht darin, zu Unrecht, einer Rückkehr zur Apartheid.
Es droht vielfältige Gewaltanwendung. Der Wüstenstaat Botswana ist darauf übrigens seit langen Jahren vorbereitet (Möllers). Ein Ausgleich wird dann vielleicht nicht mehr auf der Basis des von US-Botschafter Princeton Nathan Lyman und dessen britischen Kollegen Sir Anthony Reeve initiierten „Accord on Afrikaner Self-Determination between the Freedom Front, the African National Congress and the South African Gouvernement/National Party“ gefunden werden. Er wurde am 23. April 1994 nach achtmonatigen „Buschberatungen“ in Anwesenheit von u.a. den beiden Botschaftern und, als Beobachter der EU, dem Verfasser des vorliegenden Beitrages von Thabo Mbeki, Constand Viljoen für die Partei der moderat konservativen Afrikaaner und Roelf Meyer, dem Verfassungsminister der Regierung de Klerk unterschrieben.3 Das im Union Building, dem Sitz der alten und neuen Regierung!
Der Accord sieht für die Afrikaaner eine verfassungsrechtliche Stellung vor, die derjenigen der Russlanddeutschen von 1924 - 1941/1945 in der Sowjetunion vergleichbar ist. Das auf Initiative des Verfassers des vorliegenden Beitrags, nachdem ihn die beiden Moderatoren, die weltweit anerkannten afrikaansen Dissidenten Breyten Breytenbach und Van Zyl Slabbert, als Berater zugezogen hatten. So erklärt sich, dass das grundlegende Werk von Gerd Stricker über die Russlanddeutschen4 in der Arbeit von Solidariteit noch heute große Beachtung findet.
Auch dieser Accord wurde u.a. aufgrund der Zerstrittenheit der Afrikaaner nicht in die Tat umgesetzt. Die Implosion Südafrikas führte allerdings dazu, dass er politisch wieder wichtig geworden ist. Beachtung muss finden, dass geläuterte Mitglieder des in Zeiten der Apartheid mächtigen „Broederbond“, heute „Afrikanerbond“, die fortbestehende staatsrechtliche Verbindlichkeit des Accords durch das südafrikanische Verfassungsgericht feststellen lassen wollen.
Gelingt es Afrikaner und Afrikaaner wider Erwarten nicht, in Verhandlungen einen Ausgleich zu erreichen, so wird der einstens herausragende Führer traditioneller zulusprachiger Schwarzer Mangosuthu Buthelezi Recht behalten, als er im Kampf gegen Apartheid immer wieder warnte „Constituional developments in South Africa are going to be a byproduct of bullets and power“.
Dann wird Südafrika wohl in mehrere kleine Staaten, darunter einen Staat der Weißen und Braunen Afrikaaner in Teilen des westlichen und nördlichen Kaps, zerfallen.
Danksagung
Der Verfasser widmet diesen Beitrag seinem verstorbenen Freund und steten Förderer Professor Dr. Klaus Ritter, dem Gründer und über Jahrzehnte alles in ihr prägenden Stiftung Wissenschaft und Politik, Ebenhausen/Berlin
- Begriffe wie Schwarz, Weiß und Braun werden im Sinn einer sozialen Klassifizierung verwendet, wie es unter der Apartheid der Fall war. Der Verfasser distanziert sich von dieser Kategorisierung aus der Zeit der Apartheid und verwendet diese Begriffe nur aus Gründen der Verständlichkeit.
- Mantashe, ein enger Vertrauter Ramaphosas, ist Bergbau- und Energieminister sowie Vorsitzender des ANC. Die Verfassung das ANC kennt neben dem Amt des Präsidenten das des Vorsitzenden
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