African Questions

Publications of Dr. Klaus Frhr. von der Ropp

Political Observer and Consultant on Southern African Issues

CODESA and beyond:
Hintergründe und Perspektiven der Demokratiegespräche

Klaus Frhr. von der Ropp

»And replace apartheid with what?«
Bundeskanzler Helmut Schmidt im Mai 1977 zu US Vize-Präsident Walter Mondale, der ihm gegenüber geäußert hatte, der Westen müsse alles in seiner Macht Stehende tun, um Pretoria zur Aufgabe der Apartheid zu zwingen.

»Also braucht man ein bisher unbekanntes Modell des gleichberechtigten Zusammenlebens mit besonderem Schutz für Minderheiten.«
Egon Bahr im Juli 1977 in einem Gespräch mit dem Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt.

»Die Sicherheit der Weißen ist der Schlüssel zur Befreiung der Schwarzen.«
Otto Graf Lambsdorff 1986 im Gespräch mit Van Zyl Slabbert, der seinerseits anmerkte:
»Ja, und die Befreiung der Schwarzen ist der Schlüssel zur Sicherheit der Weißen.«

»Wer immer bei der Erarbeitung einer neuen Verfassung den Selbstbehauptungswillen des Afrikaanertums außer acht laßt, der bewirkt wenig mehr, als Südafrika in einen Abgrund von Gewalt zu führen.«
Volk rar Köhler im September 1982 in einem Vortrag in Johannesburg.

Ende der 70er Jahre warnte Zulu-Führer Mangosuthu Buthelezi, in der Zeit des Verbots des African National Congress (ANC), der South African Communist Party (SACP) und des Pan Africanist Congress (PAC) ein eher wichtiger Sprecher des schwarzen Südafrikas, in einer Ansprache in New York vor dem dortigen Kirchenrat, viele weiße Afrikaner seien bereit, in der elften Stunde die Erde zu verbrennen und bei der Verteidigung dessen, was nicht mehr zu verteidigen sei, zu sterben.1 Auch viele der Buthelezis Inkatha Freedom Party (IFP) konservativer Zulus fernstehenden Beobachter der Geschehnisse in Südafrika teilten seine Sorge, das post-Apartheid Südafrika werde aus der Asche der alten Ordnung erwachsen.

Zu zahlreich erschienen bis gegen Ende der 80er Jahre die Hindernisse auf dem Weg zu einer Verhandlungslösung. Drei von ihnen seien hier angeführt: Zum ersten hinderten eine erschreckende intellektuelle Isolierung des in Pretoria herrschenden Afrikaanertums und eine daraus resultierende ausgeprägte Selbstgerechtigkeit die weißafrikanischen

  1. Christian Perspectives of the Black Liberation Struggle in South Africa, in: South African Outlook (Rondebosch/SA), September 1979, S. 137.
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Machthaber daran, ernsthaft über Alternativen zu dem in über drei Jahrhunderten gewachsenen System der Apartheid nachzudenken. Zum zweiten wurde die sie zu Recht angreifende Politik nicht weniger westlicher Staaten, darunter während der Ära Genscher auch die der Bundesrepublik Deutschland, nicht selten von wahlpolitischen Erwägungen geprägt. Schließlich war die Politik Großbritanniens, das seit eh und je in der Kap-Republik größere wirtschaftliche und sonstige Interessen hat als jeder andere Drittstaat, durch das seit Mitte der 70er Jahre erfolgreiche Bemühen der UdSSR, der DDR und Kubas um Einflußzonen2 im südlichen Afrika weitgehend gelähmt. Die Briten befürchteten also, die Sowjets und ihre Verbündeten würden ein Zurückweichen der weißen Afrikaner zunächst in Simbabwe und Namibia und dann in Südafrika selbst dazu mißbrauchen, dort wie 1974/76 in Mosambik und Angola Satellitenregime an die Macht zu bringen.

Erst der Verfall sowjetischer Macht im östlichen Mitteleuropa und in der UdSSR selbst ermöglichte eine Entwicklung, die 1990 zur Entlassung Namibias in die Unabhängigkeit, bis Mitte 1991 zum Abzug zunächst der südafrikanischen und dann auch der kubanischen Truppen aus Angola, im Mai 1991 zu einem leider nur vorläufigen Friedensschluß in Angola, seit der Jahreswende 1989/90 zur Abkehr Pretorias von der Apartheid-Ideologie und im Dezember 1991 zur ersten Vollversammlung der Konvention für ein demokratisches Südafrika (CODESA) führte.

I. Die britisch-amerikanisch-sowjetische Diplomatie der Vermittlung3

Auf den üblichen diplomatischen Kanälen hatte die Regierung des sowjetischen Generalsekretärs Michail S. Gorbatschow und seines Außenministers Eduard Schewardnadse Briten und Amerikaner 1987 wissen lassen, daß sie ihre imperialen Ziele im südlichen Afrika aufgegeben habe und jetzt bereit sei, die seit 1981 laufenden angloamerikanischen Friedensbemühungen zu unterstützen. Es bedurfte aber noch eines Mittlers, um erste Kontakte zwischen den tief verfeindeten Regieren in Moskau und Pretoria herzustellen. So baten die Sowjets den bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß nach Moskau, um über ihn Südafrikas Staatspräsidenten Pieter Willem Botha von den fundamentalen Änderungen in der sowjetischen Politik zu unterrichten. Sie wählten Strauß in der richtigen Erkenntnis, daß der seit Jahren schwerkranke und altersstarre Staatspräsident P.W. Botha, wenn überhaupt noch, so nur durch den ihm seit Jahrzehnten befreundeten Bayem anzusprechen sei.

  1. S. dazu den Beitrag von Hans-Georg Schleicher in diesem Band.
  2. S. dazu Robertson, Mike, Sir Robin - His Excellent Excellency, in: Sunday Times vom 21. April 1991. Vgl. Waldmeier, Patti, Farewell to the hast wich the most in South Africa, in: Financial Times vom l. Juni 1991 und Lucius, Robert von, Der Prokonsul in Pretoria/Londons besondere Beziehungen ..., in: FAZ vom 15. Oktober 1990. Weiter Ropp, Klaus Frhr. von der, Südafrika auf dem Weg zur Demokratie?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte vom 7. Dezember 1990, S. 12-20.
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Strauß war daraufhin im Dezember 1987 in Moskau und schloß seine Mission im Januar 1988 mit einem Besuch in Pretoria erfolgreich ab, als er die Bereitschaft P.W. Bothas erreichte, bei der Lösung der Namibia- und Angola-Konflikte mitzuwirken. Jetzt entstand eine amerikanisch-britisch-sowjetische Kontaktgruppe. Ihr herausragender Akteur war der britische Botschafter in Südafrika, Sir Robin Renwick. Ihm zur Seite stand der amerikanische Assistant SeCretary of State for African Affairs, Chester A. Crocker. Beide arbeiteten seit Anfang der 80er Jahre, als Renwick Gesandter in der britischen Botschaft in Washington war, auf das engste zusammen. Crockers Hände waren im Dialog mit Pretoria allerdings durch die relativ harten Sanktionen gebunden, die der US-Kongreß Mitte der 80er Jahre gegen Pretoria verhängt hatte. Infolge des rasanten Verfalls ihrer Macht sah sich die Sowjetunion dann aber außerstande, die ihr von London und Washington zugedachte Rolle, mäßigend auf die ihr eng verbündeten ANC, SACP und auch die South West African People's Organisation (SWAPO) einzuwirken, wahrzunehmen. So beschränkte sich der Part Moskaus in Namibia und Süd- afrika darauf, die Diplomatie Renwicks und Crockers nicht länger zu stören.

Die britisch-amerikanisch-sowjetische Geheimdiplomatie widmete sich in der zweiten Jahreshälfte 1988 nicht nur, wie allgemein bekannt, den Problemen Angolas und Namibias, sondern - dies allem Anschein nach hinter dem Rücken P.W. Bot fas - auch Schlüsselfragen einer post-Apartheid Ordnung für Südafrika. Die Mittlerstaaten konnten nur deshalb in Angola und Namibia erfolgreich sein, weil sie, wie geschehen, in den Verhandlungen mit Pretoria anerkannten, daß - dies etwa im Sinne der eingangs aufgeführten Zitate von Bahr, Köhler und Lambsdorff - die neue Verfassung Südafrikas das Existenzrecht des Afrikaanertums und seiner Verbündeten machtpolitisch absichern müsse. Renwick und Crocker wußten, daß einflußreiche Kreise unter den afrikaansen Eliten in den 80er Jahren erkannt hatten, daß Pretoria unverzüglich mit dem ANC, der SACP und anderen oppositionellen Kräften über eine radikale Änderung der bestehenden Ordnung verhandeln müsse. Sie kannten die These des bedeutenden Pieter de Lange, des Vorsitzenden des Broederbondes, wonach das größte Risiko für das Afrikaanertum darin bestehe, keine Risiken einzugehen. Hier knüpfte Renwick, ein außergewöhnlich begabter Diplomat, an und gewann das Vertrauen vieler der herrschenden weißen Afrikaner und damit auch den Respekt Nelson Mandelas und anderer führender Persönlichkeiten des nach wie vor illegalen ANC. In diesem Zusammenhang ist wichtig zu erwähnen, daß Renwick und Crocker den erst im Februar 1990 aus der Haft entlassenen Mandela dadurch in ihre Diplomatie einbeziehen konnten, daß der südafrikanische Justizminister Kobie Coetsee sich als Emissär zur Verfügung stellte.

Die Stärke Renwicks führte zum einen daher, daß er seit seiner Tätigkeit im cabinet office das uneingeschränkte Vertrauen von Premierministerin Margaret Thatcher hatte. Zum anderen waren jetzt auch die bislang nur scheinbar liberalen englischsprachigen südafrikanischen Wirtschaftsführer zu dem Schluß gekommen, daß mehr oder weniger kosmetische Korrekturen des Apartheidsystems ungeeignet seien, die Kap-Republik vor dem Untergang zu bewahren.

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London riskierte mit der von Renwick eingeschlagenen Kurs das Zerbrechen des Commonwealth ebenso wie Dissonanzen innerhalb der Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ), hier insbesondere Spannungen mit der Bonner Regierung. Ähnlich den Regierungen Dänemarks, Irlands und über viele Jahre auch der der Niederlande forderte, wenn auch weniger konsequent, in der Ära Genscher auch die westdeutsche Regierung für Südafrika ein System der Mehrheitsherrschaft, faktisch der Übergabe der staatlichen Macht an den sehr gefolgschaftsstarken ANC. Das auffallend starke Engagement Genschers im Ringen um die Überwindung der Apartheid in Namibia und Südafrika wird nur verstehen, wer sich vor Augen hält, daß von 1974 bis etwa 1978 Bundeskanzler Helmut Schmidt - nicht aber sein Außenminister - die zentralen Fragen westdeutscher Außenpolitik wahrnahm. Umso wichtiger waren für Genscher Erfolge seiner Diplomatie im südlichen Afrika, dessen Probleme ihm jedoch bis auf den heutigen Tag fremd blieben. Daher die sehr aktive Rolle Bonns in der westlichen Namibia-Kontaktgruppe, die im März 1977 auf Betreiben der Regierungen in Washington und Bonn gebildet wurde. Und es war eine Initiative des Bundesaußenministers, die im Oktober 1978 ihn selbst, seine Kollegen aus den USA, Großbritannien und Kanada sowie den Staatssekretär im französischen Außenministerium zu Verhandlungen über die Realisierung des kurz zuvor in Resolution 435 des UN-Sicherheitsrates niedergelegten Plans zur Entlassung Namibias in die Unabhängigkeit nach Pretoria führte. Hier kam es zu sehr scharfen Auseinandersetzungen zwischen Genscher und den Südafrikanern4; die Kontrahenten hatten einander unterschätzt.

Nicht nur den Briten war immer klar, daß - wenn diese Konferenz überhaupt eine Chance gehabt hatte - sie dadurch vertan worden war, daß Ger scher von den südafrikanischen Machthabern immer gefordert hatte, zunächst in Namibia und dann in der Kap-Republik selbst zu kapitulieren. Ihren unnachgiebigen Kurs durchzuhalten und so die Namibia-Konferenz von Oktober 1978 für die Mittlerstaaten zu einem Debakel werden zu lassen, wurde den weißen Afrikanern umso leichter, als sich - offenbar unter Bruch zuvor getroffener Absprachen - David Owen und Cyrus Vance der Drohung Genschers widersetzten, im Fall anhaltender Unbotmäßigkeit Sanktionen gegen Pretoria zu verhängen.

Die Mißerfolge westlicher Diplomatie in der zweiten Hälfte der 70er Jahre und die Unfähigkeit des Afrikaanertums zum Dialog in der ersten Hälfte der 80er Jahre, also Mißerfolge der Vergangenheit, prägten die Arbeit von Renwick, Crocker und ihren sowjetischen Partnern. Erstes Ziel ihrer Namibia-Diplomatie war, die Entlassung der früheren deutschen Kolonie in die Unabhängigkeit zu einer vertrauenbildenden Maßnahme für den angestrebten CODESA-Verhandlungsprozeß werden zu lassen. Das aber war nur möglich, wenn die Mittlerstaaten die Frage Helmut Schmidts an Walter Mondale stellten und sie mit Bahr, Lambsdorff und Köhler beantworteten. Andernfalls wäre das in Pretoria herrschende Afrikaanertum erst nach einer militärischen Nieder-

  1. Vorsichtige Andeutungen dazu enden sich bei Owen, David, Time to declare, S. 377, 378, Michael Joseph, London, 1992.
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Lage zu Verhandlungen bereit gewesen. Renwick und Crocker mögen schon damals Szenarien beschäftigt haben wie jene, die ein sich Tom Barnard nennender Wissenschaftler in seinem Werk »South Africa 1994-2004« geschildert hat: Nach der »Wiedergeburt« Südafrikas im Jahr 1994 sieht sich die weiße Minderheit (knapp 15 Prozent der Gesamtbevölkerung) in ihrer Existenz bedroht und erzwingt durch die Androhung des Einsatzes von Nuklearwaffen die letztlich vom UN-Sicherheitsrat beschlossene Zweiteilung des Landes in die Nachfolgestaaten Orania und Azania.5 Auch war Renwick die Möglichkeit bekannt, daß das weiße Südafrika in letzter Konsequenz bereit sein werde, selbst seine nukleare Rüstung, dies im Sinn von »proliferation after liberation«, als politische Waffe einzusetzen.6 Das Afrikaanertum ist nicht weniger auf die Bewahrung seiner Identität bedacht, als es die Dänen waren, als sie Anfang Juni 1992 mehrheitlich gegen die in dem Vertrag von Maastricht vorgesehene Europäische Union stimmten! Dies umso mehr, als sein Umfeld anders als das der Dänen in der EG durch und durch undemokratisch ist.

In der Öffentlichkeit blieb unbekannt, daß Bundesaußenminister Klaus Kinkel in seiner damaligen Funktion als Chef des Planungsstabes des westdeutschen Auswärtigen Amtes in den späten 70er Jahren sehr ähnliche Konzeptionen entwickelt, sich damit jedoch nicht durchgesetzt hatte. Als die westdeutsche Regierung nach dem Wechsel der US-Administration 1980/81 und der Ablösung Helmut Schmidts durch Helmut Kohl am 1. Oktober 1982 ihre kompromißlose, nicht selten SWAPO- und ANC-nahe Politik fortführte, schlossen Crocker und Renwick sie kurzerhand aus ihren Sondierungen und Verhandlungen mit den Südafrikanem aus.

Nur von Portugal, zuletzt aber auch Italien und den Niederlanden unterstützt gingen die Briten in der EPZ oft einsame Wege. Deutlich wurde das auch in der Sanktionsdebatte Mitte der 80er Jahre, ferner in dem Streit in der Frage, ob ausschließlich ANC- (und SWAPO-)Projekte durch die »positiven« Maßnahmen (derzeit 80 Millionen Ecu p.a.) der EG zu fördern seien, den daraus resultierenden Personalquerelen in der Brüsseler Bürokratie und Anfang 1990 in den Meinungsverschiedenheiten über die Aufhebung der 1985/86 verhängten Sanktionen. Auch brachten die Briten Mitte der 80er Jahre die von der damaligen niederländischen Präsidialmacht vorgebrachte Idee einer auf der Linie Genschers liegenden, vom Brüsseler EPZ-Sekretariat zu betreuenden »politischen« Südafrikainitiative als »premature« zu Fall.

  1. Barnard, Tom, South Africa 1994-2004/A popular history, Southern Book Publishers, Johannesburg, 1991. Dazu die Rezension von Ropp, Klaus Frhr. von der, Südafrika ohne Apartheid/Was wird aus der Kap-Republik?, in: FAZ vom 24. Dezember 1991, S. 30. Inzwischen ist allgemein bekannt, daß sich hinter dem Pseudonym Tom Barnard der Johannesburger Hochschullehrer Deon Geldenhuys verbirgt. Als Humboldt-Stipendiat verfaßte er den Aufsatz Die Zukunft Südafrikas aus deutscher Sicht, in: Aussenpolitik 1985/Heft 1, S. 80-98.
  2. Dazu Krause, Joachim und Ropp, Klaus Frhr. von der; Das neue Südafrika: Sicherheitspolitische und politische Aspekte, in: Aussenpolitik 1991, Heft 1, S. 90-100.
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Ein Glanzstück britischer Diplomatie waren die Gespräche, die Ministerpräsidentin Margaret Thatcher und Renwick im Juni 1989 mit dem wenige Monate zuvor in das Amt des Bundesvorsitzenden der Nationalen Partei (NP) gewählten Frederik Willem de Klerk führten. Seine britischen Gastgeber vermochten ihn, der von Hause aus durch und durch konservativ war, davon zu überzeugen, daß, wenn er als Nachfolger P.W. Bothas nicht radikal mit dessen Politik breche, der US-Senat dem Repräsentantenhaus folgen werde, das 1988 mit dem nach seinem Initiator benannten Ron Dellums-Gesetz ein nahezu vollständiges Handelsembargo gegen Südafrika verhängt hatte. Anschließend, so die weitere britische Argumentation, werde es der US-Kongreß verstehen, die Parlamente Japans und Westeuropas zur Verabschiedung entsprechender Gesetze zu drängen. Sei dies erst geschehen, so könne Pretoria mit seinen innenpolitischen Gegnern nur noch aus einer Position der Schwäche verhandeln. Das Scheitern des Kommunismus im östlichen Mitteleuropa ließ auch de Klerk erkennen, daß seine Regierung - ähnlich den kommunistischen Machthabern um die Jahreswende 1989/90 - dann nur noch über die eigene Kapitulation werde verhandeln können.

Daraufhin tat, im September 1989 zum Nachfolger P.W. Bothas ins Amt gewählt, de Klerk den Schritt, zu dem der Broederbond seit Mitte der 80er Jahre ohnehin geraten hatte: die Übernahme der Politik der liberalen Oppositionspartei, Democratic Party (DP), durch die NP. Das geschah zur Überraschung aller mit den Reden, die de Klerk Anfang Februar 1990 und genau ein Jahr später zur Eröffnung der jeweiligen Parlamentssitzungen hielt: ANC, SACP, PAC und die vielen ihnen verbündeten kleineren Organisationen wurden legalisiert, ihre Funktionäre aus oft sehr langer Haft entlassen, die ca. 300 Apartheidsgesetze über Bord geworfen, Vorverhandlungen mit ANC/SACP aufgenommen - der PAC war dazu nicht bereit - und schließlich für die zweite Hälfte des Dezember 1991 die erste Vollversammlung der »Konvention für ein demokratisches Südafrika« zur Aushandlung einer neuen Verfassung einberufen.

De Klerk begriff in der Stunde der Not, daß seine und seiner Vorgänger liberale Kritiker 40 Jahre lang die besseren Argumente gehabt hatten. Er und seine Mitstreiter hatten jedoch nie die Größe, dies in der Öffentlichkeit zuzugeben.

II. Zur Demokratiefähigkeit südafrikanischer Parteien oder: Can democracy be legislated into existence?

Weniger die afrikaans- als die englischsprachigen liberalen Weißafrikaner haben immer die These vertreten, wonach sich in der Kap-Republik ein demokratisches und marktwirtschaftliches System begründen lasse. Dies gelte heute umso mehr, als es jetzt in nicht wenigen Ländern des schwarzen Afrikas das Bemühen gebe, die überkommenen autoritären Systeme zu demokratisieren. Auch in Südafrika bekennen sich heute die NP, die DP, der ANC, die SACP, der PAC, die IFP und selbst die oppositionelle rechtsextreme Konservative Partei (KP) zur Demokratie. Natürlich stellt sich damit die Frage nach der Demokratiefähigkeit dieser Parteien. Aus Angst vor ihrer ne-

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gativen Beantwortung werfen gerade liberale Südafrikaner sie nur selten auf. Ihnen allen ist bekannt, daß der Schriftsteller Breyten Breytenbach, wegen ANC-Aktivitäten in den 70er Jahren für sieben Jahre in Pretoria inhaftiert, 1991 davor warnte, »Südafrika werde binnen kurzem die ungezählten Varianten der Barbarei durchlaufen«.7 Dafür machte er außer der »mangelnden Reformbereitschaft« der NP vor allem die »stalinistische« politische Kultur des ANC verantwortlich.

Alle Parteien des Widerstandes haben bis auf den heutigen Tag keine Gelegenheit gehabt, ihr Bekenntnis zur politischen Demokratie in der Praxis unter Beweis zu stellen. Dem oppositionellen Lager war es ja nie möglich, eine demokratische Kultur zu entwickeln. Im Rahmen der alten Ordnung - natürlich nur in deren Grenzen! - entwickelten die weißen, unter ihnen die englischsprachigen sehr viel deutlicher als die afrikaanssprachigen, Afrikaner dagegen für ihre eigene Bevölkerungsgruppe ein weitgehend demokratisches System.

Das entscheidende Indiz für die politische Kultur des neuen Südafrika liefern die derzeitigen Entwicklungen in den schwarzen Ghettos, in denen jetzt bald 50 Prozent aller schwarzen Südafrikaner leben.

Mit der noch in der Ära Botha verfügten Aufhebung der »Paßgesetze« erlangten auch die schwarzen Südafrikaner volle Bewegungsfreiheit innerhalb Südafrikas. Ungezählte von ihnen strömten daraufhin aus ihren traditionellen Armutsgebieten, den Homelands oder »Bantustans«, in die schwarzen Vorstädte der weißen Städte. Die im Sommer 1992 anhaltende, verheerende Dürre hat sehr viele bis dahin auf weißen Farmen lebende Schwarze gleichfalls zum Wegzug in die Ghettos gezwungen. Dort hat es - zum guten Teil eine Folge der Apartheid - immer großen Wohnungsmangel gegeben. Der Zuzug der zurückliegenden Jahre hat zu einem unermeßlichen Notstand geführt. Mißstände, die jeder Beschreibung spotten, gibt es außerdem im Erziehungs- und Ausbildungswesen. Über Jahrzehnte erhielten Schwarze gemäß der Ideologie der Apartheid nur die sogenannte Bantu Education. Deren Ziel war, sie außerhalb der Grenzen der Bantustans nur zur Verrichtung von Handlangerdiensten zu befähigen. Anspruchsvollere Tätigkeiten waren den Weißen, den Coloureds (10 Prozent der Gesamtbevölkerung) und den nicht nur im Handel oft sehr erfolgreichen indienstämmigen Südafrikanem (3 Prozent) vorbehalten. Zu den vielen Schwarzen, die nie eine Schule besucht haben, kamen seit dem Aufstand von Soweto (1976/77) zwischen vier und sieben Millionen oft hochpolitisierter Analphabeten hinzu: Sie folgten der von ANC/SACP und PAC ausgegebenen Parole »Erst Befreiung, dann Erziehung«. Vor allem aus den Reihen dieser »verlorenen Generation« rekrutiert sich das Millionenheer

  1. Afrique du Sud/L'écrivain Breyten Breytenbach dénonce la »culture stalinienne« de l'ANC, in: Le Monde vom 5. Juni 1991. Weiter Breytenbach, Breyten, A lament for my country, in: Sunday Star (Johannesburg) vom 25. Juni 1991. S. auch Lucius, Robert von, ANC - Einheiten der Gewalt bezichtigt/Kritik des Generalsekretars der südafrikanischen Kommunisten, in: FAZ vom 3. August 1992 unter Berufung auf ein Interview der Sunday Times vom 2. August 1992 mit SACP-Generalsekretär Chris Hani. S. schließlich den Beitrag von Robert von Lucius in diesem Band.
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strukturell Arbeitsloser. Auch die seit Mitte der 70er Jahre stets schlechten Konjunkturdaten haben zu verbreiteter Arbeitslosigkeit geführt. Sanktionen, mangelndes Vertrauen der in- und ausländischen Wirtschaft in die Stabilität des alten wie auch des neuen Südafrikas führten und führen zu steter Kapitalflucht und zum Verlust ungezählter Arbeitsplätze. Der anhaltend niedrige Goldpreis und die daraus resultierende Schließung vieler Goldminen taten ein Übriges. Die Folge von alledem ist eine Fülle sehr oft ungeahndet bleibender auch schwerster Verbrechen wie Mord, Raub und Brandstiftung. Ein großer Teil der schwarzen Bevölkerung sieht sich gezwungen, andere durch das Begehen von Vermögensdelikten und anderweitig zu terrorisieren. Eine wichtiger werdende Rolle spielen aus dem Exil zurückgekehrte ANC-, seit 1993 auch verstärkt äußerst militante PAC-Guerilleros. Außer ihren Waffen verfügen sie über nichts, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen! Das neue Südafrika wird nur dann eine Chance haben, wenn dort für lange Jahre eine Commonwealth- oder UN-Streitmacht stationiert werden wird.

Für zusätzliche Spannungen sorgen in vielen Ghettos Kämpfe um die Macht in dem neuen Südafrika. Viel Blutvergießen verursachen seit Mitte der 80er Jahre in Natal und Transvaal bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen IFP und ANC. Es kann kaum einem vernünftigen Zweifel unterliegen, daß hier eine »Dritte Kraft« von reaktionären Polizisten und Berufssoldaten das große Unruhe-Potential nutzt und die Kämpfe schürt. Offenbar ist es bislang nur die organisatorische Schwäche des PAC, die das Wiederaufflammen der Kämpfe zwischen ANC und PAC, die Mitte der 80er Jahre das Östliche Kap heimsuchten, verhinderte. Andernfalls würde die Dritte Kraft auch diesen Zwist für ihre Machenschaften zu nutzen wissen. Die Mehrheit der Berufssoldaten und eine sehr große Mehrheit der Polizisten, viele weiße Bergleute, die ein Berufsleben lang mit Explosivstoffen gearbeitet haben, wie auch die Mitarbeiter der Energieversorgung lehnen die de Klerksche Revolution von oben ab und sind bereit, ihre Ergebnisse zu sabotieren. Hierin liegt die Stärke der Konservativen Partei (KP).

Daß die KP bei dem Referendum über die Reformpolitik Pretorias am 17. März 1992 nur ein knappes Drittel der Stimmen bekommen hat, ist einzig auf die Einsicht der übrigen Wähler zurückzuführen, daß ein negativer Ausgang des Referendums der sicherste Weg in den Untergang der Kap-Republik gewesen wäre. De Klerk konnte ihnen nicht mehr versprechen, als in Verhandlungen mit dem ANC, IFP und anderen nach Lösungen für die Probleme Südafrikas zu suchen. Die Kenntnis seines Landes hindert de Klerk, an das von ihm, aus welchen Gründen auch immer, stetig beschworene »nicht-rassische, demokratische Südafrika« zu glauben. Zu der hier gebotenen Skepsis trägt übrigens auch bei, daß viele Mitglieder der SACP in den Führungsgremien des ANC vertreten sind. Und die Mehrheit von ihnen orientiert sich an dem »Modell Kuba«, statt die Gründe für das Zusammenbrechen des Kommunismus in den Staaten des östlichen Mitteleuropas und der früheren Sowjetunion zu erkennen. Besonders deutlich wird das in den Verlautbarungen des der ANC/SACP-Allianz zugehörigen Gewerkschaftsdachverbandes Congress of South African Trade Unions (CO-

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SATU). Auch bei dem Besuch des damaligen Bundeswirtschaftsministers Jürgen W. Möllemann haben COSATU-Generalsekretär Jay Naidoo und sein Stellvertreter, Sam Shilowa, die deutschen Gäste im Frühjahr 1992 wissen lassen, daß sie nicht mit der kommunistischen Ideologie8 gebrochen haben. Angesichts der übergroßen Notwendigkeit einer fundamentalen Neuordnung des gesamten Wirtschafts- und Sozialsystems spricht wenig dafür, daß es sich künftig an liberalen Grundsätzen orientieren wird.

III. Die Konvention für ein demokratisches Südafrika: Erfolge und Mißerfolge

An den ersten Vollversammlungen von CODESA am 20. und 21. Dezember 1991 bzw. Mitte Mai 1992 im »World Trade Centre« in Kempton Park/Johannesburg nahmen außer ANC, SACP, NP, der südafrikanischen Regierung und IFP vierzehn weitere Parteien teil, denen jedoch nur marginale Bedeutung zukommt. Zu den letzteren zählt die liberale DP unter ihrem Führer Zach de Beer, die mehr als die Hälfte ihrer Wähler (ursprünglich ca. 20 Prozent der weißen Wählerschaft) inzwischen an die NP verloren hat. Ihre Teilnahme bei CODESA dürfte ihre letzte politische Handlung sein: ihre Vertreter sind bemüht, Spannungen zwischen NP einerseits und ANC/SACP andererseits abzubauen. Daß CODESA zusammengetreten ist, ist der Triumph liberaler Parlamentarier wie Tiara van der Merwe, Helen Suzman, Harry Pitman, Nic Olivier, Peter Gastrow, James Selfe und nicht zuletzt des, bis 1986, Oppositionsführers und seitherigen liberalen Dissidenten Van Zyl Slabbert. Ihre Tragik liegt darin, daß der organisierte und auch der nicht organisierte Liberalismus den erfolgreichen Abschluß der Verhandlungen von CODESA nicht überdauern werden. In diesem Zusammenhang ist auch zu erwähnen, daß unter Führung von Jan van Eck und Pierre Cronje Mitte 1992 fünf Abgeordnete aus der DP ausgetreten und dem ANC beigetreten sind.

Die erste wie auch die zweite (Mai 1992) Vollversammlung von CODESA litten daran, daß der latent starke PAC und die nicht nur latent starke KP sie boykottierten.

Nach der Scheitern von CODESA 2 im Mai 1992 nahm der ANC das Massaker von Boipatong (Juni 1992) zum Anlaß, alle Verhandlungen mit der Regierung und ihren Verbündeten zu suspendieren. Mit dieser Entscheidung sah sich innerhalb des PAC die Fraktion um den Generalsekretär Benny Alexander bestätigt, die immer darauf bestanden hatte, daß vor Aufnahme von Verhandlungen über ein neues Südafrika das Kapstädter Parlament sich selbst auslösen, die Regierung in Pretoria zurücktreten und eine Verfassunggebende Versammlung (VV) für Südafrika gewählt werden müsse. Daher lehnte Alexander eine Teilnahme an CODESA kategorisch ab. Noch Ende November 1991 hatte sich dagegen die PAC-Fraktion um Präsident Clarence Makwe-

  1. S. dazu etwa Kanon, Tony, A lament on the difching of the SACP faithful, in: Die Suid-Afrikaan (Kapstadt) Februar/März 1992, S. 12-15.
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tu und dessen Stellvertreter Dikgang Moseneke an den Vorverhandlungen zu CODESA 1 beteiligt, auf Druck des radikalen PAC-Flügels dann jedoch schon CODESA 1 boykottiert. Später hatte die nigerianische Regierung - sie unterstützt den südafrikanischen Friedensprozeß nicht ohne Erfolg - ein Treffen zwischen Außenminister Pik Botha und PAC-Führern zustandegebracht, ohne daß daraufhin der PAC verhandlungsbereiter gewesen wäre. Nachdem es in der Folgezeit - wieder unter Vermittlung Nigerias und dann auch Botswanas - zu weiteren Vorgesprächen mit der Regierung gekommen ist, besteht Anfang 1993 eine Chance, daß der PAC an künftigen CODESA-Runden teilnehmen wird. Andererseits scheint im ANC jetzt jene Fraktion an Einfluß zu gewinnen, die in den laufenden Verhandlungen einen Ausverkauf insbesondere der Interessen der verlorenen Generation sieht.

Die Konservative Partei wollte die Politik der Apartheid fortführen und verweigerte daher mehrheitlich ANC, SACP und PAC den Dialog. Eine vielleicht nicht einmal kleine Minderheit sah jedoch, daß diese Haltung anachronistisch war. Ihr Exponent war bis zu seinem Parteiausschluß der Abgeordnete Koos van der Merwe. Dank der Vermittlung Slabberts hat Koos van der Merwe bereits 1988 auf den Bermudas Thabo Mbeki (ANC) getroffen und seither den Gespräch faden zum ANC intensiv gepflegt. Das führte zu seinem Ausschluß aus der KP. In Anknüpfung an die entsprechenden Diskussionen, die Slabbert vor 20 Jahren in seinem Haus in Kapstadt veranstaltete,9 fordert Koos van der Merwe die bei CODESA auszuhandelnde Schaffung eines »Afrikaaner Israel«. Dieser im Westen oder Süden der Kap-Provinz, vielleicht aber sogar im nördlichen Transvaal gelegene unabhängige Staat soll jene Afrikaner aufnehmen, die im übrigen, vom ANC dominierten Südafrika eine Zukunft für ihre Kinder und Kindeskinder nicht sehen. Die Befürworter einer solchen Lösung führen übrigens häufig genau dieselben Argumente wie die deutsche Regierung an, wenn sie der Wiedergeburt einer Republik der GUS-Deutschen in der Russischen Föderation das Wort redet. Koos van der Merwe ist derzeit bemüht, außer etwa der halben KP-Fraktion einen möglichst großen Teil jener vielen NP-Parlamentarier zu sich hinüberzuziehen, die ohnehin politisch ihm sehr viel näherstehen als dem für sie unberechenbar gewordenen de Klerk. Die NP wird, obwohl sie sie selbst schwächen wird, eine solche Entwicklung sogar fördern. Denn sie wird in ihr eine vortreffliche Möglichkeit sehen, den Widerstand der KP gegen das Unvermeidliche, letztlich die Machtübernahme des ANC in Pretoria, entscheidend zu schwächen. Mit der seit Ende Juni 1992 wie

  1. Auf diesen Diskussionen fußen die Beiträge von Blenck, Jürgen und Ropp, Klaus Frhr. von der, Republik Südafrika: Teilung als Ausweg?, in: Aussenpolitik 1976/3, S. 308-324; Ropp, Klaus Frhr. von der, Is Territorial Partition a Strategy for Peaceful Change in South Africa?, in: International Affairs Bulletin 1979/6, S. 36-47, ders. Power Sharing versus Partition in South Africa, in: Australian Outlook 1981/8, S. 158-168, ders. L'avenir de l'Afrique du Sud, in: Politique Etrangère 1982/6, S. 429-440, ders. Konfliktlösung durch Trennung? ..., in: Südafrika/Krise und Entscheidung, München, Bd. 2, S. 351-370, ders. Afrikaner-Israel kan 'n tweede Libanon verhoed, in: Vrye Weekblad vom 27.10.1989, S. 18. Dies alles i.V.m. Partition may be negotiable - Slabbert, in: The Star (Johannesburg) vom 5. April 1990.
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bereits 1960, 1976/77 und 1984/86 zu beobachtenden Radikalisierung und Polarisierung nicht nur des politischen Lebens werden sich im weißen Südafrika jene Stimmen mehren, die Wimpie de Klerk, einem der engsten Berater seines jüngeren Bruders, des Staatspräsidenten, folgen, als er kurz vor Beginn der ersten Vorverhandlungen mit dem ANC (Groote Schur im Mai 1990) auf eine entsprechende Frage hin antwortete: »Ich denke nicht, daß eine Teilung Südafrikas im gegen wärtigen Klima eine lebensfähige Alternative ist. ... Aber wer weiß, in dem Maße, in dem sich Verhandlungen hinziehen und sich Sackgassen entwickeln könnte eine solche Alternative eine Option werden, auf die in Zukunft zu achten sein wird.«10 In solchem Umdenken des weißen Südafrikas mag Anfang 1993 auch die KP ihre Chance sehen. Die Entwicklung seit ihrer vernichtenden Niederlage von März 1992 hat sie offenbar erkennen lassen, daß es einen Weg zurück nicht gibt. So mehren sich die Chancen, daß auch die KP sich längerfristig am CODESA-Prozeß beteiligen wird. Voraussetzung dafür ist zumindest, daß die anderen Parteien bereit sind, die Idee des Afrikaner-Israels oder- wie die KP selbst es formuliert - eines »Volksstaates« zu diskutieren. Es kann sehr wohl sein, daß eine solche Lösung des südafrikanischen Dilemmas wirtschaftlich das Ende des modernen Südafrikas wäre.

Der bisherige Verhandlungsprozeß wurde durch die NP und den ANC geprägt.11 Bei ihnen handelt es sich um sehr ungleiche Partner. Fänden heute allgemeine Wahlen statt, so würde die NP auch mit Hilfe von weißen, gemischtrassigen, indienstämmigen und konservativen schwarzen Wählern kaum mehr als ein Viertel der Stimmen erhalten. Andererseits herrscht sie bis auf den heutigen Tag mehr oder weniger unangefochten. Der ANC dagegen hätte eine sehr gute Chance, allgemeine Wahlen (hoch) zu gewinnen, stellt jedoch nicht mehr als eine »Regierung in Wartestellung« dar.

Verhandelt wurde in fünf Arbeitsgruppen des CODESA-Prozesses sowie in den beiden bereits erwähnten Vollversammlungen CODESA 1 und 2. Daneben hat es, der Bedeutung dieser Kontrahenten entsprechend, selbst in der ersten Zeit nach dem Scheitern von CODESA 2 eine große Zahl von bilateralen Kontakten und Verhandlungen der NP mit dem ANC gegeben.

Die Verhandlungen waren wie folgt auf die Arbeitsgruppen verteilt: 1 - Schaffung eines Klimas freier politischer Betätigung, 2 - Allgemeine verfassungsrechtliche Prinzipien, 3 - Fragen des Übergangs (Interimsregierung u.a.), 4 - Zukunft von Transkei, Bophuthatswana, Venda, Ciskei und 5 - Zeitlicher Rahmen und Realisierung von Entscheidungen der CODESA. Auffallend ist, daß keine Arbeitsgruppe für Verhandlungen über die Wirtschafts- und Sozialordnung des post-Apartheid Südafrika gebildet wurde, obwohl auch hier die Vorstellungen vor allem von NP und ANC weit auseinanderklaffen. Die NP redet neuerdings einem marktwirtschaftlichen Sy-

  1. Zit. nach Dries van Heerden, Partition and the Reasonable Right, in: Sunday Times (Johannesburg) vom 18. März 1990.
  2. vgl. hierzu Behrens, Michael, Zeitenwende in Südafrika, in: Die politische Meinung, 37. Jahrgang, Dezember 1992, S. 23-30.
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stem das Wort; ANC/SACP/COSATU dagegen tun sich im Grunde immer noch schwer, ihr an östliche Vorbilder angelehntes sozialistisches Wirtschaftsmodell über Bord zu werfen.

Entsprechend waren die anfänglichen Verhandlungspositionen beider Parteien. Die Allianz ANC/SACP wollte und will möglichst bald Wahlen zu einer Verfassunggebenden Versammlung (VV) durchführen, die eine zentral staatliche Verfassung erarbeiten und ein System der Mehrheitsherrschaft (»winner takes all«) festschreiben wird. Die Minderheiten sollen durch einen herkömmlichen Grundrechtskatalog geschützt werden. Der letztere soll übrigens - dies natürlich ein Schutz der bislang Unterdrückten - auch Grundrechte der zweiten und dritten Generation (Recht auf Arbeit, Recht auf Wohnung user.) enthalten.

Pretoria, das aus einer Position der Stärke heraus verhandelt, ist nur bereit, Herrschaftsmacht gegen die Gewährung der machtpolitischen Absicherung des Existenzrechts der weißen Afrikaner aufzugeben. IFP und die nicht dem ANC verbündeten marginalen CODESA-Parteien bewegen sich hier ganz im Schatten der NP. Entsprechend fordert Pretoria für das neue Südafrika einen stark dezentralisierten Staat und ein System verfassungsrechtlich festgeschriebener permanenter Regierungskoalitionen auf allen Ebenen. Ferner war Pretoria bemüht, allgemeine Wahlen aller Art so weit wie möglich hinauszuschieben und so möglichst viele Schlüsselelemente der neuen politischen und sozioökonomischen Ordnung bereits durch CODESA festschreiben zu lassen. Denn in der nichtgewählten CODESA, und nur dort, hat Pretoria eine starke Stellung.

Die ANC/SACP-Allianz, die NP und die meisten der kleineren CODESA-Parteien haben sich bei CODESA 1 zu einem ungeteilten demokratischen Südafrika bekannt. In der Folgezeit einigten sich alle CODESA-Parteien darauf, daß CODESA selbst die Übergangs-Verfassung erarbeiten soll. Auf der Basis dieser Verfassung wird eine Übergangs-Regierung der nationalen Einheit eingesetzt werden. Zu ihren Aufgaben wird selbstverständlich auch die in Südafrika besonders kritische Kontrolle der Medien und des gesamten Sicherheitsapparates gehören. Die Übergangsphase sollte in den Augen des ANC nicht länger als etwa sechs Monate währen. Pretoria dachte dagegen an eine Übergangsphase von ca. zehn Jahren. In (nur) bilateralen »Buschberatungen« einigten sich ANC und NP im Februar 1993 darauf, daß Südafrika in den ersten fünf Jahren nach Wahl einer VV (Anfang 1994) von einer Regierung der Nationalen Einheit regiert werden soll. Naturgemäß ist noch nicht geklärt, wie die Ressorts in der Übergangsregierung verteilt werden. Es wäre aber naiv zu glauben, Pretoria werde hier auf die Kontrolle der Ressorts Finanzen, Wirtschaft, Polizei und Streitkräfte verzichten.

Schon bei CODESA 2 hatte die NP der Allianz von ANC und SACP sowie deren Verbündeten zugestanden, daß eine Verfassungsgebende Versammlung zu wählen sei. Deren Aufgabe wird sein, die endgültige Verfassung für das post-Apartheid Südafrika zu erarbeiten. Nach den Vorstellungen der Regierung und ihrer CODESA-Verbündeten sollte schon die VV zwei Kammern, eine Nationalversammlung und einen

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Senat, haben. Die ANC/SACP-Allianz und ihre Verbündeten widersetzten sich dem schon bei CODESA 2. Denn in dem Senat - so Pretoria - werden die Minderheiten überrepräsentiert sein, außerdem hat er gegenüber den Entscheidungen der Nationalversammlung ein Vetorecht. Der ANC sieht darin ein System des »looser keep all«. Bei CODESA 2 vermochten sich die Unterhändler in mühseligen Verhandlungen dahingehend zu einigen, daß die VV ihre Entscheidungen grundsätzlich mit einer Mehrheit von 70 Prozent und in Fragen des Grundrechtskatalogs mit 75 Prozent fassen wird. Keine Einigung wurde hier in der Frage erzielt, mit welchen Mehrheiten die verfassungsrechtliche Zuweisung von Politikbereichen an die Bundes- bzw. die Landesregierungen erfolgen wird. Der ANC bestand Mitte 1992 auch hier auf einer 70-Prozent-, Pretoria dagegen forderte eine 75-Prozent-Mehrheit. Aus der Sorge, Pretoria könne die hohen Mehrheitsanforderungen dazu mißbrauchen, die Verabschiedung der definitiven Verfassung zu verschleppen und so faktisch die Interims verfassung zur endgültigen Verfassung werden zu lassen, fordert der ANC die Festsetzung eines zeitlichen Rahmens für die Verabschiedung der definitiven Verfassung. Dazu ist Pretoria jedoch nicht bereit.

Die seit dem Scheitern von CODESA 2 zum Zerreißen gespannten Beziehungen wurden überstrapaziert, als der ANC der Regierung die Verantwortung für das Massaker von Boipatong zuschob, bei dem Mitte Juni 1992 etwa 40 Menschen, darunter Frauen und Kinder, ermordet wurden. Pretoria wies die Anschuldigung kategorisch zurück und beauftragte den südafrikanischen Richter Richard Goldstoffe mit der Untersuchung der Verbrechen. Goldstoffe hat auch ausländische Experten in die Untersuchungskommission berufen. Dennoch erklärte die ANC/SACP-Allianz die Verhandlungen für suspendiert und wollte sie erst dann wieder aufnehmen, wenn sich Pretoria zuvor uneingeschränkt für das post-Apartheid Südafrika zu »majority rufe« bekannt hatte. Dazu aber wird Pretoria um keinen Preis bereit sein. Nicht zuletzt aufgrund der Erfahrungen mit dem Auseinanderbrechen Äthiopiens, Somalias, Sudans, Liberias, Angolas, Jugoslawiens, der Sowjetunion und der Tschechoslowakei werden die maßgeblichen ausländischen Staaten - darunter nun auch die Russische Föderation und Deutschland - diese Forderung der ANC/SACP/COSATU-Allianz nicht unterstützen; sie werden Pretoria also nicht drängen, sie zu akzeptieren. Die Südafrika-Debatte des UN-Sicherheitsrates von Juli 1992 hat diese Einschätzung unterstrichen: Seit Pretoria verhandlungsbereit ist, sucht auch die UNO nach Lösungen für die Probleme der Kap-Republik, statt sich - wie bislang üblich - mit Verurteilungen des Minderheitsregimes zu begnügen. Daher waren auch die von der Allianz aufgenommenen Massenaktionen im August 1992 ungeeignet, die weiß-afrikanische Minderheitsregierung zur Kapitulation zu zwingen. Sie war jetzt sogar weniger gefährdet als bei den Aufständen 1960, 1976/77 und 1984/86.

Dennoch suchte die Allianz einige Zeit später mit einem Marsch auf Bisho/Ciskei, das dortige Regime des Brigadegenerals Oupa Gqozo zu stürzen. Geplant waren weitere Märsche nach Mmabatho/Bophuthatswana und Ulundi/KwaZulu sowie schließlich nach Pretoria, um auch die dort Herrschenden in die Knie zu zwingen. In völliger

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Verkennung der innersüdafrikanischen Herrschaftsstrukturen sprachen ANC, SACP und COSATU hier in Anlehnung an die Protestaktion gegen das schwach gewordene DDR-Regime im Herbst 1989 von ihrer »Leipzig-Option«. Die Militärs der Ciskei nutzten die Gelegenheit, wahllos auf Demonstranten zu schießen, töteten etliche von ihnen und blieben doch ungestraft. Daraufhin gab die Allianz ihren Plan, weitere Märsche zu veranstalten, auf. Dennoch hatten die Geschehnisse in Bisho Südafrika an den Abgrund eines »afrikanischen Bosniens« geführt. Die Folge waren weitere Kapitalflucht, ein weiteres Ansteigen der Arbeitslosigkeit sowie ganz allgemein nackte Angst vor der Zukunft.

Es war den sich ständig verschlechternden Wirtschaftsdaten wie auch den sehr intensiven diplomatischen Bemühungen der führenden westlichen Staaten zu danken, daß ANC und Regierung sich Ende September 1992 zu erneuten Verhandlungen trafen. Sie unterzeichneten damals das »Protokoll des Einvernehmens«. Dessen wesentlicher Inhalt war eine Einigung dahingehend, zwar eine Verfassungsgebende Versammlung zu wählen, daß diese jedoch nicht souverän sein werde. Vielmehr werde sie die Verfassung des post-Apartheid Südafrika im Rahmen staatsrechtlicher Prinzipien ausarbeiten, auf die sie sich zuvor geeinigt haben würde. Auch hier also wieder das seit eh und je zu beobachtende Bestreben Pretorias, noch aus einer Position der Stärke heraus wichtige Fragen definitiv zu regeln. Mit Fug und Recht sah sich die IFP - ebenso die eher marginalen Parteien - durch das Vorgehen von ANC und Regierung übergangen und ließ mit der Vorlage eines entsprechenden Verfassungsentwurfs für KwaZulu/Natal erstmals sezessionistische Pläne erkennen. Auch sie veranlaßten de Klerk und Mandela im Februar 1993, erstmals in aller Offenheit von der Möglichkeit zu sprechen, Südafrika könne den Weg Jugoslawiens gehen. Vielleicht wird die in Südafrika durchaus vorhandene Kenntnis der jugoslawischen Schlächtereien den Akteuren die Kraft geben, einen anderen Weg zu gehen. Ein solches Ergebnis des CODESA-Prozesses ist zwar durchaus nicht wahrscheinlich, aber doch immerhin möglich.

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