African Questions

Publications of Dr. Klaus Frhr. von der Ropp

Political Observer and Consultant on Southern African Issues

Klaus Frhr. von der Ropp

Chancen für eine Föderation in Ostafrika?

Seit vielen Jahren besteht wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Tansania (bzw. dem früheren Tanganjika), Kenia und Uganda, und 1967 wurde diese Zusammenarbeit erstmals auf eine vertragliche Grundlage gestellt. 1963 war nach Verhandlungen zwischen den Staatschefs der drei Länder aber auch ein Manifest für die Bildung einer politischen Föderation zustandegekommen. Dr. Klaus Frhr. von der Ropp, von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Ebenhausen bei München, untersucht die Strukturen und Funktionen der Parlamente, die Exekutivorgane und die Rechtsprechung, Meinungs- und Informationsfreiheit, Sozial- und Wirtschaftssysteme und insbesondere die unterschiedliche Ausprägung eines Sozialismus der drei Staaten. Aus dieser Analyse folgert, daß es mehr als unwahrscheinlich ist, daß die drei Staaten eine funktionierende Bundesversammlung und eine einheitliche Regierung bilden könnten. Nicht einmal ein Staatenbund wäre denkbar, weil dann wenigstens in der Außenpolitik mehr Solidarität vorhanden sein müßte. Das gilt auch nach dem Sturz Milton Obotes in Uganda durch den General Amin.

I. Geschichte der politischen Integration in Ostafrika

Als der heutige tansanianische Staatspräsident Julius Kambarage Nyerere 1960 in einer berühmt gewordenen Rede der britischen Regierung den von dieser später abgelehnten Vorschlag unterbreitete, die damaligen abhängigen Territorien Tanganjika, Kenia und Uganda zu einem ostafrikanischen Bundesstaat zu vereinigen und anschließend in die Unabhängigkeit zu entlassen, sprach manches dafür, die Erfolgsaussichten dieser Politik höher zu veranschlagen als die westeuropäischen Einigungsbemühungen Anfang der fünfziger Jahre. Denn die ostafrikanische Region hatte allen anderen Integrationsprojekten der Erde u. a. voraus, daß die dortigen Einigungsansätze weit in die Geschichte der beteiligten Staaten zurückreichten.
Schon 1917 bildeten die Kolonie Kenia und das Protektorat Uganda eine Zollunion, deren Vollmitglied das Völkerbundsmandat Tanganjika 1927 wurde. Sie entwickelte sich in mehreren Stufen zu einem de facto Gemeinsamen Markt mit gemeinsamer Währung und den äußerst bedeutsamen »Gemeinsamen Diensten«, der East African Common Services Organization (EACSO). Trotz einer Reihe sehr schwerer Krisen, die ihren Ursprung in der Vergangenheit wie auch heute in dem sehr unterschiedlichen Grad der wirtschaftlichen, insbesondere industriellen Entwicklung der drei Länder und seit Anfang der sechziger Jahre in zunehmendem Maße in nationalstaatlicher Eigenständigkeit finden, besteht diese Gemeinschaft bis zum heutigen Tage. Mit dem Inkrafttreten des Treaty of East African Co-operation am 1. Dezember 1967 wurde diese Zusammenarbeit zum erstenmal auf eine umfassende vertragliche Grundlage gestellt.
Gegenstand der vorliegenden Untersuchung ist jedoch nicht diese Wirtschaftsgemeinschaft. Vielmehr werden die heutigen Chancen eines über den wirtschaftlichen Bereich hinausreichenden politischen Zusamrnenschlusses Tansanias, Kenias und Ugandas analysiert werden. Schon vor nahezu fünfzig Jahren wurden in London und Ostafrika Pläne

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zur Gründung einer ostafrikanischen (politischen) Closer Union diskutiert. Ziel dieser Bestrebungen war vornehmlich, die bereits partiell erreichte wirtschaftliche Integration durch die Errichtung einer auch politischen Gemeinschaft zu zementieren. Die Verwirklichung dieses Vorhabens scheiterte jedoch an dem nahezu einmütigen Widerstand der betroffenen Bevölkerungsgruppen. Die vereinzelt befragten Vertreter der Afrikaner gaben übereinstimmend ihrer berechtigten Sorge Ausdruck, die politische Vereinigung Ostafrikas werde zwangsläufig zu einer weiteren Entrechtung der Afrikaner und einer Perpetuierung der Herrschaft der weißen Siedler führen.

Das Manifest von 1963

Diese Gefahren entfielen mit der Erlangung der Souveränität in den Jahren 1961 (Tanganjika), 1962 (Uganda) und 1963 (Kenia). Dementsprechend veröffentlichten Julius K. Nyerere, Milton A. Obote und Iomo Kenyatta nach einer Konferenz in Nairobi die bedeutsame Declaratíon of Federation by the Govemments of East Africa. Eingangs dieser Erklärung heißt es: »We, the leaders of the people and the governments in East Africa, assembled in Nairobi on June 5th 1963, pledge ourselves to the political Federation of East Africa.«
Nach der Euphorie der ersten Stunde regte sich jedoch insbesondere in Uganda und hier vor allem in Buganda entscheidender Widerstand gegen alle Pläne einer Föderierung Ostafrikas. Denn Milton Obote war aus innenpolitischen Erwägungen gezwungen, auf die Haltung seines damaligen Verbündeten, des Kabaka (König) von Buganda, Rücksicht zu nehmen und die Mitgliedschaft Ugandas in einer ostafrikanischen Föderation zu verhindern. Der Kabaka befürchtete - sicher nicht zu Unrecht - wie schon seinVorgänger, daß eine andere Politik den Verlust der Identität und der rnachtpolitischen Bedeutung des alten Königreiches Buganda zur Folge haben würde.
Wer das Ergebnis der Föderationsverhandlungen von 1963 mit dem erwähnten Manifest vom 5. Juni 1963 vergleicht, wird nicht umhinkönnen, dem harten Urteil Ansprengers1, der von außenpolitischem Dilettantismus spricht, zuzustimmen. Denn in ihren Reden gaben die führenden Politiker, insbesondere Nyerere und Oginga Odinga, zwar immer wieder ihrem Wunsch danach Ausdruck, die Balkanisierung Ostafrikas durch die Gründung eines Bundesstaates zu überwinden, sie ließen jedoch eine eingehende Beschäftigung mit den außerordentlich díffizilen Problemen einer solchen Politik vermissen.
Auch die 1964 erfolgte Vereinigung Tanganjikas und Sansibars (einschließlich Pembas) zur Vereinigten Republik von Tansania vermochte der politischen Einigung der Region keinen neuen Auftrieb zu geben. Denn ihre Erfolge beschränkten sich - allen gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz - bis heute darauf, daß beide Länder gemeinsame Briefmarken und eine einheitliche Fahne haben.

II. Die Entwicklung eigener politischer Strukturen

Mit dem Sturz des Kabaka von Buganda und der Zerschlagung seines Königreiches im Jahre 1966 entfiel eines der bedeutsamsten Hindernisse auf dem Weg zu einer politi-

  1. Franz Ansprenger: Außenpolitik eines afrikanischen Staates: Tanzania, in »Vierteljahresberidıte des Forschungsinstitutes der Friedrich-Ebert-Stíftung«, Nr. 34, Dezember 1968, S. 373-415 (400-401).
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schen Einigung der Region. Gleichwohl ist heute fraglicher denn je zuvor, ob die drei Staaten zur Gründung einer ostafrikanischen Föderation fähig sind. Andererseits sind die Pläne für eine solche Politik nie aufgegeben worden. Denn für Ostafrika wäre eine Zersplitterung seiner Kräfte angesichts der Vielzahl ungelöster Entwicklungsaufgaben noch viel verhängnisvoller als beispielsweise für Westeuropa.
Eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Gründung eines Bundesstaates ist die Gleichartigkeit oder doch zumindest Ähnlichkeit der politischen Strukturen seiner zukünftigen Gliedstaaten. Die wichtigsten Strukturen Tansanias, Kenias und Ugandas werden daher im folgenden unter bewußter Außerachtlassung der ethnischen Substrukturen daraufhin analysiert, ob sie sich heute noch für die Konstituierung eines Bundesstaates eignen.
In diesem Zusammenhang verdienen die jüngsten Ereignisse in Uganda besonders hervorgehoben zu werden. Denn mit der Übernahme der Regierungsgewalt durch das Militär haben sich die politischen Strukturen des Landes zunächst grundlegend geändert. Daraus kann jedoch nicht gefolgert werden, daß damit von vornherein feststehe, daß Uganda niemals Mitglied eines ostafrikanischen Bundesstaates werden könne. Denn der neue Regierungschef des Landes, General I. Amin, hat schon unmittelbar nach dem Staatsstreich angekündigt, das Militär werde nach Wiederherstellung der Ordnung einer Zivilregierung Platz machen.

1. Die Parlamente

Die Verfassungen und politischen Institutionen aller ostafrikanischen Staaten orientierten sich in der ersten Zeit nach Erlangung der staatlichen Unabhängigkeit an dem britischen System. Das galt insbesondere auch, sieht man von gewissen historisch bedingtenEigenarten vor allem Ugandas ab, für die verfassungsrechtliche Stellung der Parlamente. Heute dagegen unterscheiden sich die Abgeordnetenhäuser sowohl in ihrer Zusammensetzung als auch in ihren Funktionen sehr erheblich.

Zusammensetzung der Parlamente

Im tansanianischen Landesteil Sansibar hat nach dem Sturz der arabischen Oligarchie im Jahre 1964 der Revolutionury Council offiziell die Funktionen eines für die internen Angelegenheiten der Insel verantwortlichen Parlamentes übernommen. Seine Mitglieder werden ausnahmslos ernannt; nach welchen Gesichtspunkten dies geschieht, ist völlig unbekannt. Wie in nahezu allen Bereichen des öffentlichen Lebens, so ist auch hier ein gesichertes Urteil nicht möglich, da über fast alle Vorgänge auf den beiden Inseln völliges Stillschweigen herrscht. Fest dürfte jedoch stehen, daß das dortige Regime das System einer Regierung durch Volksvertretung nicht einmal eines Lippenbekenntnisses würdigt.
Diese Willkürherrschaft ist jedoch nicht charakteristisch für das übrige Ostafrika, auch nicht für den anderen tansanianischen Landesteil, Festland-Tansania.
Ein Vergleich der Parlamente in Dar-es-Salaam, Kampala und Nairobi ergibt, daß in Festland-Tansania nur 107 von 206 Abgeordneten ihr Mandat bei allgemeinen Wahlen erringen, wohingegen die vergleichbaren Zahlen für Kenia und Uganda 158 bzw. 82

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gewählte Mandatsträger und 12 bzw. (maximal) 26 ernannte Parlamentarier sind. Bereits hier kommt zum Ausdruck, selbst wenn man von dem Sonderfall Sansibar einmal ganz absieht, daß die drei Systeme dem ursprünglich in allen drei Verfassungen verankerten Grundsatz der Gewaltenteilung sehr unterschiedliche Bedeutung beimessen. Nichts spricht dafür, daß diese Gegensätze in absehbarer Zukunft abgebaut werden, so daß sich die drei Regierungen sicher nicht über die Zusammensetzung eines ostafrikanischen Bundesparlamentes werden einigen können.

Die Entwicklung der Wahlsysteme

Noch viel gravierender und damit föderationsfeindlicher sind die unterschiedlichen Entwicklungen der Wahlsysteme. Zu einem sehr wesentlichen Teil sind für diese Differenzen die Besonderheiten verantwortlich, die sich aus der Umwandlung Festland-Tansanias - entsprechend den Vorstellungen Nyereres von der afrikanischen Demokratie als einer demokratischen Ordnung sui generis - in einen de jure Einparteien-Staat ergeben. Kenia und Uganda sind dagegen heute bloße de facto Einparteien-Staaten.

Kenia

Bei den jüngsten kenianischen Parlamentswahlen (Dezember 1969) kam das geltende Wahlrecht großenteils nicht zum Zuge, da die oppositionelle, ausgeprägt linkssozialistisch orientierte Kenya People's Union (KPU) Oginga Odingas kurz zuvor nach den durch die Ermordung Tom Mboyas hervorgerufenen bürgerkriegsähnlichen Unruhen verboten worden war. Und dennoch wäre es absolut falsch zu behaupten, die Wahlen seien eine Farce gewesen. Denn mögen auch alle Bewerber Mitglieder der Regierungspartei Kenya African National Union (KANU) gewesen sein, so bürgten doch die Zahl von 616 Kandidaten für 158 Parlamentssitze und die Tatsache, daß die KANU eine extrem heterogene Partei ist, dafür, daß sich den Staatsbürgern wirkliche Alternativen anboten. Kandidieren durfte jedes Parteimitglied, daß der KANU seit mindestens sechs Monaten angehörte und den für afrikanische Verhältnisse sehr hohen Wahleinsatz von 500 DM hinterlegt hatte. Für die KANU kandidierten u. a. B. Kaggia und G. Onyango, die letztere sogar erfolgreich, die sich noch kurz zuvor als bedeutende Funktionäre der KPU exponiert hatten. Schließlich spricht das Ergebnis der Wahlen für sich: denn mehr als zwei Drittel der Parlamentarier konnten ihr bisheriges Mandat nicht erneuern.
Ob in Zukunft auch wieder Oppositionsparteien an kenianischen Wahlen werden teilnehmen können, ist trotz entsprechender Äußerungen des greisen Jomo Kenyatta zweifelhaft. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, so ist doch unwahrscheinlich, daß die KANU einer solchen Partei jemals gleiche Chancen einräumen wird. Zwar hat sie in der Vergangenheit vereinzelt sogar hohe Siege der seinerzeit noch zugelassenen KPU bei Nachwahlen hingenommen, jedoch gibt es auch schwerwiegende Gegenbeispiele. Das krasseste dürfte sein, als die Kandidatur von 1800 KPU-Bewerbern für die Wahl zu den lokalen Selbstverwaltungskörperschaften mit dem fadenscheinigen Argument zurückgewiesen wurde, die entsprechenden Antragsformulare seien nicht richtig ausgefüllt worden.

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Festland-Tansania

Die zurückliegenden Parlamentswahlen in Festland-Tansania wurden dadurch gekennzeichnet, daß die Tanganyika African National Union (TANU), eine im Gegensatz zu der KANU sehr disziplinierte und homogene Partei, die einzige zugelassene Partei dieses Landesteils ist. Das in diesem Land geltende Wahlrecht sieht vor, daß von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, in allen Wahlkreisen je zwei Mitglieder der TANU unter Aufsicht unparteiischer Dritter gegeneinander kandidieren. Die beiden Kandidaten werden jeweils von der TANU-Jahreskonferenz benannt, nachdem zuvor bereits auf lokaler Ebene eine Vorauswahl getroffen worden ist. Zu ihrer endgültigen Nominierung bedürfen sie allerdings noch - nicht untypisch für die Machtverhältnisse in Festland-Tansania - der Zustimmung des National Executive Committee (NEC) der TANU.
Von ausländischen Kritikern dieses Wahlrechts wird in aller Regel übersehen, daß paradoxerweise mit der Einführung des de jure Einparteien-Systems den Bewohnern des Landes zum erstenmal die Möglichkeit einer wirklichen Wahl eingeräumt wurde. Denn anders als in Kenia und Uganda gab es in dem südlichsten Staat der Region außer absolut unbedeutenden Splittergruppen nie Oppositionsparteien.
Mit Ausnahme einer allerdings recht beachtlichen Liste grundsätzlicher Themen (u. a. Beibehaltung des de jure Einparteiensystems, der Pseudo-Union mit Sansibar und des afrikanischen Sozialismus) durften alle aufkommenden Fragen in relativer Offenheit diskutiert werden. Allerdings erreichte der Wahlkampf - hier machen sich die tief verwurzelten unterschiedlichen Traditionen beider Länder bemerkbar - nie die Heftigkeit der Auseinandersetzungen des nördlichen Nachbarlandes. Der Wert des tansanischen Systems zeigte sich daran, daß sowohl 1965 als auch 1970 auch einige sehr einflußreiche TANU-Politiker nicht wiedergewählt wurden.

Uganda

In Uganda haben seit der Erlangung der Unabhängigkeit im Oktober 1962 keine Parlamentswahlen stattgefunden. Während der Herrschaft von Milton Obote war immer zweifelhaft, ob an den nach der Verfassung 1971 fälligen Parlamentswahlen mehrere Parteien würden teilnehmen können. Dies hätte zwar durchaus den politischen Traditionen des Landes entsprochen, jedoch war nach dem Verbot der monarchistischen Sammelbewegung Bugandas, der Kabaka Yekka (1966) und dem Verbot der Democratic Party (DP, 1969) nur noch der Uganda People's Congress (UPC) zugelassen. Und Obote hat alle Anstrengungen unternommen, diesen Zustand durch Nachahmung des tansanianischen Beispiels zu legalisieren.
Dabei war allerdings immer zweifelhaft, ob Obote derart einschneidende Reformen würde durchsetzen können. Und dasselbe gilt für das heutige Militärregime, falls es - was allerdings nicht sehr wahrscheinlich ist - versuchen sollte, diese Politik fortzuführen. Die Gegebenheiten Ugandas sind in vielen Punkten mit denen Tansanias nicht zu vergleichen. Denn in Festland-Tansania konnte der de jure Einparteien-Staat ohne Parteiverbote realisiert werden; anders als sein südöstlicher Nachbar verfügt Uganda über Traditionen auf dem Gebiet parteipolitischer Auseinandersetzungen, und schließlich hat der UPC - wie übrigens auch die KANU - eine auch nicht nur annähernd so

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gute und straffe Organisation wie die TANU. Sollte Uganda nach tansanianischem Muster umgestaltet werden, so wird immer die Frage nach der Dauerhaftigkeit dieser neuen Strukturen zu stellen sein. Selbst wenn diese unterstellt wird, so wird der UPC heterogener als die TANU und daher die Wahlen in Uganda wohl freier als in Festland-Tansania sein.

Kein einheitliches Wahlsystem möglich

Die geschilderten Unterschiede werden die Föderierung Ostafrikas entscheidend behindern, da sich die drei Regierungen nicht auf ein einheitliches Wahlsystem für eine Bundesversammlung werden einigen können. Darüber hinaus ist durch die Umgestaltung Festland-Tansanias zu einem de jure Einparteien-Staat - einerlei ob Uganda oder sogar Kenia dem folgen werden! - eine Entwicklung eingetreten, die die Aussichten für die Gründung eines stabilen Bundesstaates in Ostafrika auf ein Minimum hat schrumpfen lassen.
Diese Behauptung findet ihre Erklärung darin, daß sich das politische Leben, soweit es von Parteien getragen wird, zumindest in dem oder den de jure Einparteien-Staaten nur auf Landes- und damit nicht auf Bundesebene abspielen wird. Das hat u. a. zur Folge, daß bei Wahlkämpfen immer nur die eine in dem jeweiligen Gliedstaat zugelassene (Landes-)Partei auftreten kann. Die aus ihnen hervorgegangenen Parlamentarier werden bei Interessenkonflikten zwischen Bund und Land zwangsläufig den letzteren den Vorzug geben müssen. Denn nur dort haben sie ihren politischen Rückhalt, nur dort werden sie politisch zur Verantwortung gezogen. Für eine Konföderation mag es durchaus angehen, daß Parteien nur auf regionaler und nicht gesamtstaatlicher (Bundes-)Ebene bestehen, mit der Existenz einer Föderation ist eine solche Rechtslage jedoch absolut unvereinbar. Die Richtigkeit dieser These zeigte sich nicht zuletzt in Nigeria. Denn auch dieses Land hatte mit Ausnahme unbedeutender Splittergruppen keine im gesamten Bundesgebiet präsente Partei, was das regionalistische Denken und damit die zentrifugalen Kräfte des Landes begünstigte.

Funktionen der Parlamente

Das unter dem Namen Revolutíonary Council im tansanianischen Landesteil Sansibar existierende Pseudo-Parlament hat wahrscheinlich überhaupt keine relevanten Funktionen. Das Urteil der Internationalen Juristen-Kommission2, die sansibarische Staatspartei (Afro-Shirazí-Party) »genießt eine Herrschaftsstellung, wie sie keine andere Partei je erreicht hat. Die Partei ist befugt, dem Revolutionsrat, der gesetzgebende und vollziehende Gewalt hat, Weisungen zu erteilen«, dürfte heute ebenso zutreffend sein wie 1967. Es sei allerdings nochmals hervorgehoben, daß der Terror Sansibars im übrigenOstafrika vergeblich seinesgleichen sucht.

Festland-Tansania

Das Parlament in Dar-es-Salaam hat nach wie vor kaum mehr als seine traditionelle

  1. In »Bulletin der Internationalen Juristen Kommission«, Juni 1967 (Nr. 30): Sansibar seit der Revolution,S. 25-31 (27).
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Funktion, nämlich die eines bloßen rubber stamp. Ganz vereinzelt wies es Gesetzesvorlagen der Regierung mit Mehrheit zurück, nur gelegentlich erhebt sich massiver Widerstand gegen andere Maßnahmen der Exekutive. Die Gründe für diese Übung, die insbesondere zu den Verhältnissen in Kenia in einem Gegensatz steht, wie er krasser kaum denkbar ist, sind vielschichtig. Die Bedeutung des Parlamentes von Festland-Tansania wird entscheidend durch die übergroßen Machtbefugnisse des National Executive Committee (NEC) der TANU gemindert. Denn das NEC erarbeitet die sehr weitgehenden Richtlinien der Politik; dem Parlament verbleibt daneben nur die Funktion eines Erfüllungsgehilfen dieses Parteiorgans. Mögen, wie immer wieder angeführt wird, die Debatten innerhalb des NEC noch so offen sein, der demokratische Meinungsbildungsprozeß außerhalb des Parlaments wird durch die hier praktizierte Machtverteilung weitgehend unterbunden, da alle NEC-Sitzungen nicht öffentlich sind.
Eine Fülle weiterer Besonderheiten unterstützt die hier vertretene Auffassung: das Parlament tagt nicht öfter als viermal pro Jahr, jede Sitzung dauert nur wenige Tage. Unter Mißbrauch eines besonderen Verfahrens zur Verabschiedung besonders eilbedürftiger Gesetzesvorlagen werden gerade besonders wichtige Gesetze, wie etwa jenes, das die Inkorporierung der Gewerkschaften in die staatliche Administration regelte, durch die Nationalversammlung gepeitscht. Schließlich macht sich hier bemerkbar, daß nahezu dieHälfte der Parlamentarier nicht gewählt, sondern von Exekutivorganen ernannt wird.

Kenia

Kenia hingegen verfügt über ein Parlament, dessen Lebhaftigkeit und Kritikfreudigkeit in vielen Punkten beispielhaft für Afrika ist. Trotz der sehr scharfen Oppositionspolitik der inzwischen verbotenen KPU konzentrierte sich die Diskriminierung dieser Partei auf ihr außerparlamentarisches Wirken; hier schreckten KANU und staatliche Verwaltung allerdings vor fast nichts zurück. Hingegen hat die Regierung nie die Redefreiheit der oppositionellen Parlamentarier in der Nationalversammlung beschränkt. Sie tolerierte, daß sie im Parlament immer wieder von den KPU-Vertretern u. a. wegen ihrer sehr zweifelhaften Gesellschaftspolitik und der engen Zusammenarbeit mit den Staaten der westlichen Welt angegriffen wurde. Durch diese Attacken wurden der Regierung Kenyatta häufig empfindliche Niederlagen beigebracht, da eine Reihe unabhängiger und unabhängig denkender KANU-Parlamentarier die Anträge der KPU unterstützten. Manches läßt sich allerdings dafür anführen, daß der kenianische Innenminister die KPU nicht wegen ihrer vermeintlichen Rolle als Drahtzieher hinter den Unruhen nach derErmordung Mboyas verbot, sondern weil die KANU es vorzog, die überfälligen Parlamentswahlen (Dezember 1969) ohne einen mehr als nur lästigen Rivalen zu bestreiten.

Es hat den Anschein, daß sich auch das neue Parlament nicht nach tansanianischem Vorbild in die Rolle eines rubber stamp abdrängen lassen wird. Dafür mag der in Dar-es-Salaam nicht vorstellbare Antrag sprechen, mit dem die neuen Abgeordneten aus Nyanza, der früheren KPU-Hochburg, Anfang 1970 ihre parlamentarische Arbeit aufnahmen. Sie forderten die Regierung seinerzeit auf - und dies nicht ohne Erfolg -, die

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Inhaftierung Oginga Odingas und der anderen ohne gerichtliches Verfahren festgehaltenen KPU-Angehörigen zu überprüfen.
Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß es infolge einer erneuten Spaltung der nach wie vor extrem heterogenen KANU, deren Mitglieder oft an Disziplinlosigkeit grenzende Freiheiten für sich beanspruchen, abermals zu einer auch im Parlament vertretenen Oppositionspartei kommt. Unwahrscheinlich ist dagegen, daß eine solche Partei eine so kompromißlose Oppositionspolitik wie die KPU wird führen können. Bei alledem bleibt aber zu berücksichtigen, daß die Eideszeremonien unter den Kikuyus, dem stärksten Volk Kenias, die während des vergangenen Jahres stattfanden, sehr deutlich zum Ausdruck brachten, daß die Kikuyus die wichtigen Machtpositionen auch dann nicht räumen werden, wenn dies nach demokratischen Spielregeln geboten wäre. Dafür, daß diese Eide, deren wesentlicher Inhalt in einem Treuebekenntnis zu dem eigenen Stamm und in der Beherrschung Kenias durch diesen bestand, respektiert werden, bürgt der Terror, der jedem Eidesverweigerer und Eidesbrecher droht. Beiläufig sei vermerkt, daß dies tribalistische, gerade für Kenia typische Denken für die Föderierung Ostafrikas höchst abträglich ist.

Uganda

Bei einer Analyse der Tätigkeit des ugandischen Parlamentes ist zu berücksichtigen, daß die UPC bis zum Verbot der Oppositionsparteien nie die dominierende Stellung der KANU oder gar der TANU besessen hat. Inbesondere die Mandatsträger der oppositionellen DP, aber auch Mitglieder der Regierungspartei UPC sorgten dafür, daß das parlamentarische Leben Ugandas immer sehr viel lebhafter war als das Festland-Tansanias. Dies galt selbst für die Zeit nach der Revolution von 1966, die mit der Beseitigung der jahrhundertealten Monarchien das Land in seinen Grundfesten erschütterte. Die Macht und die Bedeutung des ugandischen Parlamentes zeigten sich recht deutlich, als DP- und UPC-Vertreter die Regierung zwangen, von ihren 1966 und 1967 vorgelegten Entwürfen zu einer neuen Verfassung Abstriche zugunsten demokratischer Regelungen zu machen.
Es wäre verfrüht, bereits heute eine Aussage über die zukünftige Rolle zu machen, die das ugandische Parlament nach der angekündigten Rückkehr zu einer Zivilregierung spielen wird. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit läßt sich jedoch feststellen, daß das parlamentarische Leben in Uganda kaum in dem Maß wie dies in Festland-Tansania geschehen ist, veröden wird. Denn die politischen Traditionen der beiden Länder sind, wie bereits mehrfach ausgeführt, sehr unterschiedlich. Für die Richtigkeit dieser These lassen sich auch die Motive anführen, die hinter dem Staatsstreich von Ianuar 1971 stehen. Mögen hier auch tribalistische Erwägungen eine große Rolle gespielt haben, so ist doch sicher, daß sich diese Revolution auch gegen die autoritäre Natur der Obote-Regierung richtete.

Keine funktionierende Bundesversammlung denkbar

Zusammenfassend ist festzustellen, daß die ostafrikanischen Parlamente sich heute nicht zuletzt auf Grund historisch bedingter Differenzen in ihren Funktionen sehr

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stark voneinander unterscheiden. Damit sind auf zwei Ebenen wohl unüberwindliche Hindernisse für eine politische Einigung Ostafrikas entstanden.
Zum einen muß es als auf absehbare Zeit ausgeschlossen angesehen werden, daß sich die drei Länder auf eine einheitliche Konzeption hinsichtlich der Funktionen der gemeinsamen Bundesversammlung einigen können. Zum anderen wären jedoch, selbst wenn wider Erwarten eine solche Einigung zustandekäme, damit nicht alle Hindernisse beseitigt. Denn die Befugnisse eines solchen Bundesparlamentes würden größer sein als das heute bei der Volksversammlung in Dar-es-Salaam der Fall ist. Dasselbe würde für die ugandische und erst recht die kenianische Landesversammlung gelten, wohingegen Festland-Tansania versuchen würde, sein derzeitiges System beizubehalten. Unter den dann veränderten Umständen wäre das aber ausgeschlossen. Denn es ist zumindest nicht recht vorstellbar, daß sich die tansanianischen Parlamentarier in der Landesversammlung mit der Rolle eines bloßen Erfüllungsgehilfen eines Parteiorgans begnügen würden, wenn gleichzeitig die Funktionen der Vertreter desselben Landes in der Bundesversammlung größer, wenn nicht gar erheblich größer wären. Das müßte zu einer Aufweichung des gegenwärtigen Systems führen. Das aber können die Verantwortlichen des Landes, die in ihm den Ausdruck der spezifisch afrikanischen Demokratie sehen, keinesfalls hinnehmen.

2. Die wichtigsten Exekutivorgane

In allen drei ostafrikanischen Staaten wurden die ursprünglich an dem britischen Vorbild orientierten Konstitutionen dahingehend geändert, daß nunmehr ein Exekutivpräsident an der Spitze des Staates steht. Alle Verfassungen gestehen dem Staatspräsidenten eine für die weitaus meisten afrikanischen Staaten typische, für einen demokratischen Staat westlicher Prägung jedoch sehr ungewöhnliche Machtfülle zu. So konnte etwa Nyerere zwei der für die Geschicke seines Landes extrem wichtige Entscheidungen, nämlich die über die Vereinigung Tanganjikas und Sansibars und die über den Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Großbritannien wegen dessen Rhodesienpolitik, praktisch ohne Konsultation Dritter fällen, Und nichts spricht dafür, daß dies Vorgehen nach der ugandischen oder kenianischen Verfassung widerrechtlich wäre.
Für die Chancen einer politischen Einigung Ostafrikas folgenschwere Besonderheiten ergeben sich dagegen aus der sogenannten Arusha-Resolution, d. i. Teil V der sehr bedeutsamen Arusha Declaration. Diese bestimmt, daß alle Inhaber öffentlicher Ämter (wie übrigens auch ihre Ehegatten) bestimmte an die Vergabe dieser Ämter geknüpfte Voraussetzungen erfüllen müssen, d. h. keine kapitalistischen Einkünfte haben dürfen. Durch die Arusha-Resolution soll verhindert werden, daß sich in Festland-Tansania nach kenianischem Vorbild eine privilegierte Klasse staatlicher Funktionäre bildet. Solange es in Kenia und Uganda nicht zumindest vergleichbare Normen gibt, kann Nyerere nicht zulassen, daß sein Land sich auch politisch mit seinen Nachbarn zusammenschließt. Denn andernfalls würde auch Festland-Tansania (auf Bundesebene) zumindest partiell von (kenianischen und ugandischen) Angehörigen dieser privilegierten Klasse regiert. Abzuwarten bleibt allerdings, ob nicht die

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Nachfolger Kenyattas versuchen werden, den kenianischen Funktionären ähnlicheBeschränkungen aufzuerlegen.

3. Die Organe der Rechtsprechung

In allen drei ostafrikanischen Republiken - mit Ausnahme des Landesteils Sansibar - genießen die Gerichte, wenn auch mit gewissen Unterschieden, eine recht weitgehende Unabhängigkeit. Daher ist es bisher in keinem der Staaten - ein anderes gilt naturgemäß auch hier für Sansibar - zu derart krassen Übergriffen der Exekutive in den Bereich der Rechtsprechung gekommen wie etwa im vergangenen Jahr bei der sogenannten Skinner-Affäre in Sambia, als Präsident Kaunda einige unbotmäßige Richter von ihren Funktionen entband und ein neues Verfahren gegen die ursprünglich freigesprochenen (portugiesischen) Angeklagten eröffnen ließ. Allerdings sind in allen Staaten Fälle bekannt geworden, wo mit Hilfe von Gesetzen, die die Inhaftierung von Menschen ohne gerichtliches Verfahren gestatten, freisprechende Strafurteile »korrigíert« wurden.

4. Die Meinungs- und Informationsfreiheit

Sowohl die kenianische als auch die ugandische Verfassung enthalten Grundrechtskataloge; der Verfassungsgeber Festland-Tansanias hingegen verzichtete auf derartige Normen mit der interessanten Begründung, daß sie einer Umwandlung Festland-Tansanias in eine sozialistische afrikanische Demokratie entgegenstehen könnten.
Wenn auch nicht annähernd in dem Maße wie in Sansibar so wird doch auch in Festland-Tansania jede politische Diskussion, gleichgültig auf welcher Ebene, dadurch belastet, daß eine Vielzahl von Themen, wie die Beibehaltung des de jure Einparteiensystems, der Union mit Sansibar und des afrikanischen Sozialismus tansanianischer Prägung jeder kritischen Würdigung entzogen sind. Dementsprechend langweilig sind die Presseerzeugnisse des Landes.
In Kenia, dessen ausgesprochen liberales System hier besonders deutlich wird, verfügt der interessierte Bürger dagegen über vorzügliche Möglichkeiten der Information. Es ist kein Zufall, daß die Ostafrika-Korrespondenten der westlichen und östlichen Zeitungen und Nachrichtenagenturen nahezu ausschließlich in Nairobi und nicht in Kampala oder gar Dar-es-Salaam akkreditiert sind. Die kenianische Presse und die interessierte Öffentlichkeit sind kritisch, und die Regierung duldet auch hier ein großes Maß an Kritik. Diese Toleranz kam jedoch, wie bereits ausgeführt, außerhalb des Parlamentes der KPU nur in recht engen Grenzen zugute. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, daß höchst zweifelhaft ist, ob die KPU die KANU-Regierung nur mit legalen Mitteln zu stürzen versuchte.
Uganda ist auch hier lange Zeit einen Mittelweg gegangen. Die Presse hat nie die Qualität der kenianischen Blätter erreicht, sie war jedoch immer erheblich lesenswerter als die tansanianischen Zeitungen und Zeitschriften. Hervorzuheben ist, daß es der ugandischen Regierung zumindest nie gelungen ist, politische Diskussionen in dem Maße zu unterbinden, wie dies in Dar-es-Salaam heute gang und gäbe ist.
Um Mißverständnissen vorzubeugen, sei darauf hingewiesen, daß in allen drei Staaten

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alle wichtigen ausländischen (englischsprachigen) Presseerzeugnisse angeboten werden. Ihr Vertrieb beschränkt sich jedoch auf die großen Städte, und die sprachliche Barriere setzt dem Kreis der Leser dieser Blätter relativ enge Grenzen.
Die Beibehaltung der derzeitigen, sehr unterschiedlichen Rechtslage auf dem Sektor der Meinungs- und Informationsfreiheit steht der Föderierung Ostafrikas heute unüberwindlich entgegen. Die unterschiedlichen Traditionen der drei Länder lassen nicht hoffen, daß diese Differenzen in absehbarer Zukunft abgebaut oder gar beseitigt werden können.

III. Die Grundzüge der Sozial- und Wirtschaftssysteme

1. Die gesellschaftspolitischen Konzeptionen

Wie nahezu alle schwarzafrikanischen Staaten, so haben sich auch Tansania, Kenia und Uganda dem afrikanischen Sozialismus verschrieben. Diese Harmonie ist jedoch nur eine scheinbare. Denn auch hier verfolgen Tansania und Kenia sehr unterschiedliche Konzeptionen; Uganda versucht in der letzten Zeit sein System in Anlehnung an das Festland-Tansania zu modifizieren. Die gesellschaftspolitischen Konzepte aller ostafrikanischen Staaten liegen in der Form amtlicher Papiere vor, der tansanianischen Arusha Declaration, des kenianischen Sessional Paper (No. 10) on African Socialism and its application to economic planning in Kenya und der ugandischen Common Man's Charter. Eine Ausnahme macht auch hier der tansanianische Landesteil Sansibar, dessen politischer Führer, A. Karume, verschiedentlich, wenn auch absolut unsubstantiiert erklärt hat, Sansibar folge beim Aufbau des Sozialismus den Lehren Mao Tse-tungs. Was sich hinter diesen Äußerungen verbirgt, ist selbst von Dar-es-Salaam aus nicht zu ermitteln.
Der Ausgangspunkt aller drei angeführten Dokumente ist derselbe: Die Afrikaner besinnen sich auf ihre eigenen, durch die Neuerungen der Kolonialzeit oft verdeckten, manchmal sogar in Vergessenheit geratenen sozialen Traditionen. Sie sind bestrebt, die wertvollen Aspekte der traditionellen afrikanischen Gesellschaftsordnung, darunter die ihr innewohnende soziale Sicherheit, die gegenseitige Verantwortung und das Fehlen sozialer Klassen, kurz: den ujamaa-Gedanken3, mit neuem Leben zu erfüllen und ihn dem Aufbau der nachkolonialen Gesellschaft zugrundezulegen. Mag somit auch der Ausgangspunkt der drei Konzeptionen identisch sein, so scheiden sich die Geister doch sehr schnell dort, wo die Frage zu beantworten ist, welches die Strukturen der modernen, auf dem uiamaa-Gedanken basierenden Gesellschaftsordnung sind. Am eindringlichsten läßt sich dies wohl anhand der Eigentumsordnung zeigen.

Kenia

Anders als in Tansania und neuerdings Uganda ist es in Kenia bis zum heutigen Tage nahezu überhaupt nicht zu Nationalisierungsmaßnahmen gekommen. Dem Drängen

  1. Der Begriff »uiamaa« leitet sich von dem Wort »jamaa«, das Familie i. S. der afrikanischen Großfamilie bedeutet, her. Ujamaa, ein ins Deutsche nicht übertragbare Begriff, ist etwa mit »familyhood« oder »brotherhood« ins Englische zu übersetzen.
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nach mehr sozialer Gerechtigkeit sucht man in Kenia auf dem industriellen Sektor dadurch zu entsprechen, daß man eine breite Streuung von Aktien anstrebt. Wie der durchschnittliche kenianische Angestellte oder Arbeiter, der trotz seiner Zugehörigkeit zu einer Elite kaum mehr als das Existenzminimum verdient, den Erwerb von Wertpapieren soll finanzieren können, bleibt unklar. Das Sessional Paper No. 10, ist hier, um das Mindeste zu sagen, unglaubhaft. Dementsprechend wird die gegenwärtige Praxis gewiß nicht von dem ujamaa-Gedanken geprägt.
Auf dem auch für Kenia wichtigsten Sektor der Volkswirtschaft, der Landwirtschaft, ist die Entwicklung nicht ganz so kraß verlaufen, da ein großer Teil der ehemals europäischen Farmen, vomehmlich im Kikuyuland, parzelliert afrikanischen Bauem zu privatem Eigentum übertragen wurde. Eine nicht zu übersehende Zahl großer Farmen ist jedoch entweder in europäischem Eigentum geblieben oder aber - nicht parzelliert - in das Eigentum von Angehörigen der Neuen Klasse Kenias übergegangen. Und das in einem Land, das seit Jahrzehnten mit dem Problem der landlosen Bauern zu kämpfen hat!
Ob die kenianische Version des afrikanischen Sozialismus, die M. Chester in der »Financial Times« vom 29. Dezember 1969 treffend »a Marx-less brand of socialism« nannte, das Ende der Ära Kenyatta überdauern wird, ist sehr fraglich. Denn zu stark ist bereits heute die Opposition derer, an deren wirtschaftlicher Situation die Erlangung der Unabhängigkeit im Jahre 1963 nichts geändert hat und die der SozialpolitikFestland-Tansanias Modellcharakter beimessen.

Tansania

In diesem Land, das nicht annähernd so stark industrialisiert ist wie das frühere Siedlerland Kenia, sind alle bedeutenden Produktionsmittel, darunter auch Grund und Boden, zumindest partiell, großenteils jedoch vollständig in Gemeindeeigentum überführt worden. Der landwirtschaftliche Bereich der Volkswirtschaft des Landes wird dadurch gekennzeichnet, daß man mit mehr oder weniger Erfolg versucht, die oft verstreut lebenden Menschen auf freiwilliger Basis - so die offizielle Lesart - zu Siedlungsgemeinschaften, zu sogenannten uiamaa-Dörfern zusammenzufassen. Diese Vollgenossenschaften, die Zellen des aufzubauenden Staatswesens, werden zwar primär immer Produktionsgenossenschaften sein, sollen jedoch später auch andere betriebswirtschaftliche Funktionen übernehmen.
Es dürfte keinem Zweifel unterliegen, daß die tansanianische Gesellschaftspolitik die wirtschaftliche Entwicklung dieses gerade im Vergleich mit Kenia extrem rückständigen und armen Landes sehr behindert hat, jedoch hat sie erheblich dazu beigetragen, die Entstehung einer Klassengesellschaft kenianischer Prägung zu unterbinden.

Uganda

Die ugandische Gesellschaftspolitik hat erst in den Jahren 1969/70 eine Wendung hin zu einem sozialistischen Kurs genommen. Das unter Obote in dem letzten Jahr in Kampala immer wieder gehörte Wort vom »Move to the Left« tauchte noch vor wenigen Jahren nicht einmal im Programm der Regierungspartei UPC auf. Wenn man

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einmal unterstellt, daß die neue Regierung diesen Kurs fortführen wird, so ergibt sich jedoch auch hier immer wieder die Frage, inwieweit sich die tansanianischen Strukturen für eine Übertragung auf das Nachbarland eignen. Es ist nicht zu übersehen, daß Uganda bis zum Mai 1966 im wesentlichen aus den Königreichen Ankole, Toro, Bunyoro, Busoga und vor allem Buganda bestand. Die Existenz einer großen Zahl auch heute im afrikanisch feudalistischen Denken verwurzelter Kleinbauern, ferner eine regionale Administration, deren Mitglieder ihr Amt oft der Stellung ihrer Familie in einem früheren Feudalsystem verdanken, schließlich eine im Vergleich mit Festland-Tansania sehr beachtliche Schicht einheimischer Handwerker und Kaufleute sind schwer überwindbare Hindernisse auf dem Weg zu einer sozialistischen Gesellschaft.
Wahrscheinlich wird die Regierung des Generals I. Amin diese Schwierigkeiten klarer erkennen, als das unter Obote der Fall war. Damit wird keinesfalls gesagt, daß sie sich bemühen könnte, die Feudalstrukturen früherer Tage wieder zu beleben. Denn Amin hat bei der Beseitigung der Stammesmonarchien im Mai 1966 eine ebenso wichtige Rolle gespielt wie Obote selbst. Iedoch werden die neuen Machthaber auch hier vor einer allzu unbedachten Übernahme des tansanianischen Systems zurückschrecken.
Die unterschiedliche Entwicklung der Sozialstrukturen steht einer Vertiefung der bestehenden Ostafrikanischen Gemeinschaft hin zu einem Bundesstaat entgegen. Tansania wird alles daran setzen, nicht Mitglied einer Föderation zu werden, zu der auch Kenia mit seinen latenten schwersten Sozialkonflikten gehört. Die kenianische Regierung ihrerseits hätte bei einem politischen Zusammenschluß mit den Nachbarländern eine Verstärkung der KANU-internen Linksopposition zu befürchten. Erst die gesellschaftspolitische Entwicklung Kenias nach Ende der Ära Kenyatta wird zeigen, ob das hier entstandene Hindernis von Dauer sein wird.

2. Perspektiven der wirtschaftlichen Entwicklung

Wie zu Genüge bekannt ist, sind der landwirtschaftliche und vor allem der industrielle Bereich der kenianischen Volkswirtschaft sehr viel stärker entwickelt als die entsprechenden Sektoren der ugandischen oder gar tansanianischen Volkswirtschaften. Diese Unterschiede haben seit Jahrzehnten das noch stärkere wirtschaftliche und politische Zusammenwachsen Ostafrikas verhindert. Heute entfallen mehr als zwei Drittel der industriellen Produktion der Region auf Kenia. Das ausgesprochen liberale System dieses Landes führt dazu, daß sich die Investitionen privater ausländischer Kapitalgeber stärker denn je zuvor von Festland-Tansania und zunehmend auch von Uganda ab- und Kenia zuwenden.
In diesem Zusammenhang ist auch die von Festland-Tansania seit Jahren und neuerdings auch von Uganda betriebene Politik der self-reliance von großer Bedeutung. Sie beinhaltet im wesentlichen, daß diese Länder aus Furcht vor einer auf ökonomischen Faktoren basierenden partiellen Fremdherrschaft nur in begrenztem Maß ausländisches Kapital in ihre Grenzen lassen. Angesichts der relativ sehr geringen eigenen Mittel beider Länder muß diese Politik zu einer weiteren Verlangsamung der wirtschaftlichen Entwicklung Ugandas und vor allem Festland-Tansanias führen.

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Selbst wenn die Nachfolger Kenyattas eine der bisherigen kenianischen Investitions- und Wirtschaftspolitik radikal entgegengesetzte Richtung einschlagen sollten (was weder ausgeschlossen noch wahrscheinlich ist) oder wenn sich gar an die Ära Kenyatta eine Zwischenperiode Kongo-ähnlicher Wirren anschließen sollte, so wird Kenia dadurch seine ökonomische Vormachtstellung auf Dauer nicht einbüßen. Denn das Land wird auch dann noch entscheidende Vorteile im Vergleich mit seinen Nachbarn haben, u. a. das erheblich bessere Infrastruktursystem, eine beachtenswerte Zahl ausgebildeter Facharbeiter und mittlerer Kader und das Ballungszentrum im Umkreis von Nairobi, in dem in einem vorzüglichen Klima 70 Prozent der Bevölkerung des Landes leben.

IV. Schlußbemerkungen

Der Beobachter der ostafrikanischen Szene kann nicht darüber erstaunt sein, daß es bis heute nicht gelungen ist, einen ostafrikanischen Bundesstaat zu gründen; erstaunlich ist hingegen, daß die bestehende Wirtschaftsgemeinschaft trotz der Fülle unterschiedlicher Entwicklungen auf nahezu allen Bereichen des öffentlichen Lebens bis heute nicht zerbrochen ist. Hier zeigt sich deutlich die Bedeutung, die die Verantwortlichen der Region nach wie vor einer möglichst breit angelegten Kooperation der drei Staaten beimessen.
Selbst der früher in Ostafrika gelegentlich erwogene Plan, an Stelle eines Bundesstaates wenigstens einen Staatenbund zu gründen, ist heute nicht zu realisieren. Denn Voraussetzung eines solchen lockeren Zusammenschlusses wäre u. a. eine außenpolitische Solidarität der drei Staaten. Und diese ist heute nicht mehr vorhanden. Hier ist nicht der Raum, Einzelheiten der unterschiedlichen außenpolitischen Konzeptionen darzulegen und zu analysieren; statt dessen müssen einige wenige Bemerkungen genügen.

Unterschiedliche Außenpolitik

Kenia und Tansania haben in einer unüberschaubar gewordenen Zahl von Fällen zu Fragen internationaler Politik unterschiedliche Standpunkte eingenommen. Die Politik Ugandas war unter Milton Obote zumindest in den letzten Jahren der Tansanias in vielen Punkten sehr ähnlich. Aber gerade hier - darauf deuten erste Verlautbarungen der neuen Machthaber hin - kann sich in absehbarer Zukunft manches ändern. Der engen wirtschaftlichen Kooperation und dem Austausch von Delegationen aller Art zwischen der VR China und Tansania stehen die Folgen der üblen Beschimpfungen gegenüber, mit denen Peking Nairobi während der Kulturrevolution mehr als jede andere schwarzafrikanische Regierung überschüttete. Während Kenia ausgesprochen gute Beziehungen etwa zu Großbritannien, den USA und der BRD unterhält, ist das Verhältnis Tansanias zu diesen Ländern bis heute nicht frei von teilweise nur schwer zu beseitigenden Spannungen. Bei der Beurteilung des Krieges in Südostasien, des Nahost-Konfliktes und des inzwischen beendeten nigerianischen Bürgerkrieges nehmen Kenia und Tansania sehr unterschiedliche Positionen ein. Dasselbe gilt für die Haltung gegenüber den australafrikanischen Befreiungsorganisationen und vielleicht sogar für die Einschätzung der Forderung Houphouët-Boignys nach einem Dialog der

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schwarzen Staaten mit den weißen Minoritäten im Süden des Kontinents. Nicht uninteressant ist, daß fast alle australafrikanischen Befreiungsorganisationen ihren Hauptsitz in Dar-es-Salaam haben, wohingegen sie - mit Ausnahme der Befreiungsfront der Komoren - in Nairobi alle nicht vertreten sind. Schließlich sei auf die sehr unterschiedliche Politik Tansanias und Kenias gegenüber Malawi, dem einzigen Staat des schwarzen Afrika, der volle diplomatische Beziehungen zur Republik Süd-Afrika unterhält, verwiesen.
Bei alledem sollte man jedoch nicht übersehen, daß gerade auf dem Gebiet der Außenpolitik sich nach dem Ende der Ära Kenyatta vieles relativ schnell ändern kann.
Es kann und soll nicht bestritten werden, daß durch die Umgestaltung der politischen und sozio-ökonomischen Strukturen Festland-Tansanias, die ganz entscheidend durch Julius Kambarage Nyerere persönlich erfolgte, ein Staatswesen geschaffen worden ist, dem in weiten Teilen Ost- und Zentralafrikas (insbesondere Sambia, Uganda, partiell in Kenia und vielleicht sogar Botswana) Modellcharakter beigemessen wird. Nyerere hat dafür jedoch einen hohen Preis entrichten müssen. Denn dem bedeutenden ugandischen Politikwissenschaftler Ali Mazrui ist zuzustimmen, wenn er einer seiner Arbeiten4 über die Chancen einer politischen Integration Ostafrikas den Titel »Tanzania versus East Africa« gibt.

  1. Ali Mazrui: Tanzania versus East Africa, in: »Journal of Commonwealth Political Studies«, vol. 3, Nr. 3(1965.11), S. 209-225.
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