Ansätze zu regionaler Integration in Schwarzafrika
Von Klaus Freiherr von der Ropp
Allgemein sind für das gegenwärtige intemationale System Ansätze zu überregionaler Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem, politischem und militärischem Gebiet charakteristisch. Von zentraler Bedeutung sind sie besonders auch für die afrikanische Politik. Die Vielzahl von Kooperationsabkommen und staatlichen Zusammenschlüssen, zu denen es in Schwarzafrika gekommen ist, seit die afrikanischen Staaten ihre Unabhängigkeit gewonnen haben, läßt sich kaum noch überblicken.1 Viele von ihnen erwiesen sich als Fehlschläge. Nur wenige haben sich zu erfolgversprechenden Ansätzen entwickelt.
Die Balkanisierung Schwarzafrikas
Die grundlegende Tatsache, von der alle Ansätze zur Integration in Schwarzafrika ausgehen, ist die wirtschaftliche und politische Schwäche nahezu aller schwarzafrikanischen Staaten. Ihr Anteil an der Welt-Industrieproduktion ist nicht mehr als eine quantité négligeable. Die Masse der Afrikaner ist in der Landwirtschaft beschäftigt, die für europäische Vorstellungen oft unglaublich rückständig ist. Deren Erzeugnisse sind auf dem Weltmarkt infolge von Überangebot oft nur schwer absetzbar und bringen aufgrund der tendenziell fallenden Preise vor allem für agrarische Rohstoffe nur relativ geringe Devisenerlöse. Auch Länder wie Liberia, Gabun und Sambia, die vornehmlich Mineralien exportieren, sehen sich oft mit schier unüberwindlichen Schwierigkeiten konfrontiert. Die Kleinheit der afrikanischen Binnenmärkte - Nigeria einmal beiseite gelassen, verfügt die Bevölkerung des durchschnittlichen schwarzafrikanischen Staates nur über eine Kaufkraft, die kaum der einer europäischen Stadt von etwa 100000 Einwohnern entspricht - zwingt zu großräumiger Planung und Entwicklung. Die Beibehaltung der bestehenden Grenzen schließt eine durchgreifende Änderung der wirtschaftlichen und damit auch politischen Situation des Kontinents aus.
Als Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre die meisten schwarzafrikanischen Staaten unabhängig wurden, schien es Anzeichen dafür zu geben, daß wirtschaftliche und selbst politische Integrationsprojekte in Schwarzafrika eher als in anderen Regionen der Erde zu verwirklichen sein würden. Afrika war die Nationalstaatenbildung mit all ihren negativen Konsequenzen fremd. Die Landesgrenzen waren von außerafrikanischen Mächten in aller Regel willkürlich gezogen worden. Der gemeinsame politische Kampf der Afrikaner gegen die Kolonialmächte, etwa in dem Rassemblement Démocratique Africain, hatte in dem politisch aktiven Teil der Bevölkerung ein nicht zu unterschätzendes Gefühl der Solidarität entstehen lassen. Viele der heute noch verantwortlichen
Klaus Freiherr von der Ropp, Forschungsinstitut für internationale Politik und Sicherheit, Stiftung Wissenschaft und Politik, Ebenhausen bei München.
Funktionäre waren gemeinsam in der Ecole William Ponty oder am Makerere College und vor allem nach 1945 an britischen und französischen Hochschulen ausgebildet worden. Ein großer Teil der militärischen Kader hatte zusammen in den französischen oder britischen Streitkräften gedient; viele waren gemeinsam an europäischen Militärakademien ausgebildet. Schließlich schien die von den Kolonialbehörden vorgenommene administrative Zusammenfassung riesiger Regionen in ein Afrique Occidentale Française (AOF), ein Afrique Equatoriale Française (AEF) und eine East African Community (EAC) der postkolonialen Integration förderlich zu sein.
Diesen Vorteilen standen jedoch ausschlaggebende Nachteile gegenüber. Die afrikanischen Volkswirtschaften sind kaum komplementär. Das Verkehrswesen zwischen den Staaten ist häufig noch schlechter entwickelt als das innerstaatliche; oft fehlen selbst die primitivsten Verkehrsverbindungen. Dementsprechend gering ist der innerafrikanische Handel. Infolge der weitgehenden ökonomischen Ausrichtung auf die ehemaligen Kolonialmächte, die auch nach der Entkolonisierung bestehenblieb, sind vor allem die Kontakte zwischen benachbarten anglophonen und frankophonen Staaten in der Regel minimal. Telefongespräche zwischen Nachbarstädten solcher Länder müssen häufig einen Umweg von Tausenden von Kilometern über europäische Vermittlungszentralen nehmen. Schließlich zwang die politische Instabilität vieler afrikanischer Staaten die Verantwortlichen dieser Länder in vielen Fällen, sich zunächst ganz auf die Lösung der internen Probleme zu konzentrieren. Diese und andere Gründe haben dazu geführt, daß die bisherige Bilanz aller Integrationsansätze enttäuschend ist.
Integrationsansätze im frankophonen Afrika
Die Verwaltung der riesigen, oft aber menschenleeren und unbewohnbaren französischen Besitzungen AOF und AEF war bis zum Erlaß der loi cadre und des auf ihr beruhenden Gesetzeswerkes im ]ahre 1956 straff zentralisiert. Sie war darüber hinaus Teil der zentralistischen Verwaltung Frankreichs; anders als etwa im britischen Ostafrika mit der Verwaltungshauptstadt Nairobi gab es in der AOF und AEF nie auch nur den Ansatz einer bundesstaatlichen, für den jeweiligen Gesamtbereich zuständigen Verwaltung, die Kern eventueller Großstaaten hätte werden können.
Durch das Gesetzeswerk aus dem Jahre 1956 wurden die AOF und die AEF zugunsten der Einrichtung von Territorialkörperschaften zerstückelt. Viele Afrikaner widersetzten sich - erfolglos - dieser Politik, sahen in ihr nicht eine begrenzte Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der afrikanischen Völker, sondern den Versuch Frankreichs, seine Position in Afrika zu festigen. Besonders Leopold S. Senghor, Modibo Keita und der spätere Ministerpräsident des damaligen Ubangi-Schari (heute Zentralafrikanische Republik), B. Boganda, suchten gegen den Widerstand Frankreichs und Félix Houphouët-Boignys die Zerstückelung der AOF und der AEF zu verhindern.2 Die Geschichte Afrikas seit Anfang der sechziger Jahre läßt es allerdings als zweifelhaft erscheinen, ob die AOF und die AEF als Staaten hätten bestehen können.
Aus dem Widerstand gegen die französische Politik entstand die Mali-Föderation, benannt nach dem alten Reich Sundjata Keitas und Mansa Mussas, das
vom 13. bis Ende des 15. Jahrhunderts im westlichen Sudan blühte. Ihr gehörten zunächst auch Obervolta und Dahomey an, später nur noch Senegal und der damalige französische Sudan, der im September 1960 selbst den Namen Mali annahm. Die Mali-Föderation wurde am 20. Juli 1960 unabhängig, zerbrach jedoch schon nach zwei Monaten. Die Gründe dieses Fehlschlages sind auch für das Scheitern einer Anzahl anderer Integrationsansätze typisch: In der Euphorie kurz vor der Erlangung der Unabhängigkeit sahen die Verantwortlichen sehr deutlich das ihnen Gemeinsame, übersahen jedoch die trennenden Faktoren. Die Gegensätze wurden teils durch Kompromisse, die keine Seite befriedigten, scheinbar überbrückt, teils überhaupt nicht beachtet.3
Während Senghor die beiden Staaten zu einer Konföderation zusammenfassen wollte, strebten Keita und seine Gefolgsleute die Schaffung eines zentralistisch organisierten Staates an. Anders als der Sudan verfügte Senegal Ende der fünfziger Jahre über eine für afrikanische Verhältnisse pluralistische Ordnung. Während die Verantwortlichen des Sudan ihre Herrschaft auf eine straff organisierte Partei stützten, arbeiteten Senghor und seine Gefolgsleute aufs engste mit den Marabuts des Landes zusammen. Die politische Führung beider Gliedstaaten der Föderation bekannte sich zum Sozialismus. Jedoch war diese Harmonie, wie die spätere Entwicklung beider Länder zeigte, nur eine scheinbare. In der Außenpolitik verfolgten beide Regierungen völlig unterschiedliche Konzeptionen: Der engen Anlehnung Senegals an die alte Kolonialmacht stand die enge Kooperation Keitas mit den kommunistischen Staaten Osteuropas und Asiens gegenüber.
Schließlich waren die Verantwortlichen beider Länder nicht bereit, zugunsten der jeweils anderen Gruppe auf Machtpositionen (und die damit verbundenen Pfründen) zu verzichten. Das Wort von Julius Kambarage Nyerere,4 wonach mit der Parzellierung Schwarzafrikas ein einflußreicher, aus egoistischen Motiven an der Aufrechterhaltung dieses Zustandes interessierter Personenkreis entstehe, gilt natürlich auch für Westafrika. Die Feststellung, daß sich die zugrundeliegende Politik statt an Fakten an Wunschdenken orientierte, und daß sie nicht genügend durchdacht war, gilt auch und in noch stärkerem Maße für andere schwarzafrikanische Integrationsansätze. Bemerkenswert ist in dieser Hinsicht vor allem die auf der ganzen Linie gescheiterte „Union“, zu der sich 1958 bzw. 1960 Guinea, Ghana und Mali zusammenschlossen. Ihre Schöpfer Sekou Touré, Kwame Nkrumah und Modibo Keita sahen in ihr den Kern der zukünftigen, binnen kurzem zu schaffenden Vereinigten Staaten von Afrika. Deutlicher als andere mögen sie die Gefahren einer Balkanisierung Afrikas gesehen haben. Es gelang ihnen jedoch nie, ein durchdachtes Konzept für einen panafrikanischen Zusammenschluß vorzulegen. Wie sollte es auch gelingen, das von den Vereinigten Staaten abhängige Liberia, die „progressiven“ Staaten Ghana, Mali und Guinea, die stark an Frankreich gebundenen Staaten Elfenbeinküste und Senegal, die feudalistischen Länder Äthiopien, Burundi und Rwanda und das sozialistische Algerien auf einer stabilen Grundlage zusammenzufassen? Es blieb unklar, ob hier die Gründung einer Konföderation, einer Föderation, eines zentralistisch aufgebauten Staates oder einer Gemeinschaft eigener Art ins Auge gefaßt war. Hier waren Utopisten am Werk, die der Einigung Afrikas mehr geschadet als genützt haben.
In Westafrika bilden heute die ehemaligen AOF-Mitglieder Senegal, Mauretanien, Elfenbeinküste, Obervolta, Dahomey, Niger sowie das frühere Völkerbundsmandat Togo die Union Douanière des Etats de l'Afrique Occidentale (UDEAO). Diese Staaten sind ferner durch ihre Zugehörigkeit zu der westafrikanischen Union monétaire miteinander verbunden. Die letztere wird dadurch charakterisiert, daß die genannten Länder, unter starker Einflußnahrne durch die französische Zentralbank, über eine gemeinsame Zentralbank verfügen. Angesichts der bislang unbefriedigenden Resultate dieser Zusammenarbeit soll die UDEAO im November 1971 zu einer Communauté Economique de l'Afrique de l'Ouest (CEAO) erweitert werden. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird auch Mali dieser Gemeinschaft beitreten. Seit 1967 ist es bestrebt, den selbstgewählten Kurs der Isolierung gegenüber den übrigen früheren AOF-Mitgliedern und Frankreich zu verlassen, da er in einem wirtschaftlichen Chaos für das Land endete. Die weitere Entwicklung der CEAO soll vor allem zu einer stärkeren Koordinierung der Entwicklungsvorhaben der beteiligten Länder führen.
Auch in Äquatorial- und Zentralafrika wurden zwei politische Integrationsprojekte begonnen, die bei realistischer Betrachtung von vornherein als Totgeburten einzustufen waren. Die vor allem von dem kongolesischen Staatspräsidenten Joseph D. Mobutu ins Leben gerufene Union des Etats de l'Afrique Centrale (UEAC), zu der der Kongo-Kinshasa, der Tschad und die Zentralafrikanishe Republik gehören sollten, hat das Stadium der offensichtlich nur oberflächlichen Planung nie überschritten. Dasselbe gilt für die im Mai 1960 in Fort Lamy gegründete Union des Républiques de l'Afrique Centrale (URAC), welche die durchweg nur sehr schwach bevölkerten Territorien der alten AEF umfaßte. Allerdings hat bei diesem Fehlschlag auch eirıe Rolle gespielt, daß das extrem bevölkerungsarme (ca. 600000 Einwohner), jedoch an Bodenschätzen und Edelhölzern sehr reiche Gabun (und wohl auch der besser als die Nachbarstaaten entwickelte Kongo-Brazzaville) nicht zu einem Souveränitätsverzicht bereit war. Denn die zumindest partielle Übertragung der staatlichen Souveränität auf supranationale Behörden auf der Ebene der URAC hätte unvermeidlich dazu geführt, daß die hohen Deviseneinnahmen auch den kaum entwicklungsfähigen Binnenländern Tschad und Zentralafrikanische Republik zugeflossen wären.
Nach dem Scheitem des URAC-Projektes gelang es jedoch, die aus der Kolonialzeit noch vorhandene wirtschaftliche Integration dadurch zumindest einige Jahre zu erhalten, daß die AEF-Territorien und Kamerun sich zur Union Douanière et Economíque de l'Afrique Centrale (UDEAC) zusammenschlossen. Diese Gemeinschaft verfügte Anfang der sechziger ]ahre über eine Währungsunion, die sich eng an das westafrikanische Muster anlehnte, sowie eine bedeutsame Integration auf dem Verkehrs- und Hochschulsektor. Die angestrebte Koordinierung der Pläne zur wirtschaftlichen Entwicklung wurde jedoch nie verwirklicht, weil darin wieder ein Souveränitätsverlust auf einem wichtigen Gebiet gelegen hätte. Der Umstand, daß die ökonomische Entwicklung des Tschad und der Zentralafrikanischen Republik hinter den - wahrscheinlich zu hoch geschraubten - Erwartungen zurückblieb, veranlaßte diese beiden Binnenländer, 1968 aus der UDEAC auszuscheiden; die Zentralafrikanische Republik machte diesen Schritt jedoch wenige Monate später wieder rückgängig. Diese Entwicklung läßt auf die Instabilität und vielleicht auch Bedeutungslosigkeit der Gemeinschaft
schließen. Die Geschehnisse nach dem Militärputsch von Ende 1969 im Kongo-Brazzaville bringen jedoch noch einen anderen Faktor ins Spiel. Die jetzigen kongolesischen Machthaber suchen die inneren Strukturen ihres Landes nach dem Muster der Volksdemokratien umzugestalten. In der Außenpolitik lehnen sie sich an die kommunistischen Staaten an, wodurch sie in einen schroffen Gegensatz zu Gabun und Kamerun geraten sind. Die neuen Machthaber haben ferner versucht, aus der bestehenden äquatorialafrikanischen Währungsgemeinschaft auszuscheiden; von der Verwirklichung dieser Pläne mag sie vor allem das Beispiel Malis abgeschreckt haben, das Anfang der sechziger Jahre einen ähnlichen Kurs einschlug und dabei völlig scheiterte. Daß die UDEAC trotz dieses gemeinschaftswidrigen Verhaltens der kongolesischen Regierung nicht zerbrach, verrät ihre beachtliche Lebenskraft.
Integration im anglophonen Afrika
Ein in manchen Punkten günstigeres Bild bietet die East African Community. Das mag nicht zuletzt darin liegen, daß die Verwaltung der ehemaligen britischen Besitzungen Kenia und Uganda und des früheren Völkerbundmandats Tanganjika mindestens seit 1927 so angelegt war, daß sie Kern einer ostafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft und vielleicht sogar eines von den europäischen Siedlern beherrschten ostafrikanischen Bundesstaates werden konnte. Hier liegt ein bedeutsamer Unterschied zu den Administrationen der früheren französischen Besitzungen AOF und AEF. Die seit Jahrzehnten bestehende East African Common Services Organisation (EACSO) umfaßt auch heute noch unter anderem die gemeinsame Verwaltung der ostafrikanischen Häfen, Wasserstraßen und Eisenbahnen, des gesamten Post- und Fernmeldewesens, eine Reihe von Forschungsinstituten und den Obersten Ostafrikanischen Gerichtshof.
Auf dieser Basis aufbauend, beschlossen die Regierungschefs der drei EAC-Staaten 1963 die Gründung einer Ostafrikanischen Föderation.5 Auch dieser Integrationsansatz erwies sich jedoch trotz der für afrikanische Verhältnisse guten Voraussetzungen als ein Schlag ins Wasser. Entscheidend war auch hier, daß kein durchdachtes Integrationskonzept vorlag, das den diversen Besonderheiten der Region (vor allem Ugandas und hier speziell Bugandas) Rechnung trug. Die Verantwortlichen hatten besonders den Problemen, die ein Souveränitätsverzicht zugunsten einer supranationalen Organisation aufwirft, nicht die erforderliche Aufmerksamkeit gezollt.6 Seit sie getrennt in die Unabhängigkeit entlassen wurden, haben sich die ostafrikanischen Republiken auf nahezu allen Gebieten des öffentlichen Lebens derart unterschiedlich entwickelt, daß eine Wiederbelebung des Föderationsgedankens auf absehbare Zeit als illusorisch gelten muß.7
Um so erstaunlicher ist, daß trotz der Abschaffung der gemeinsamen Währung das relativ hohe Integrationsniveau auf ökonomischem Gebiet in beachtlichem Maße hat erhalten werden können, wenn auch nur nach Überwindung mehrerer existenzbedrohender Krisen. Die Krisen der EAC wurzelten im wesentlichen in der sehr unterschiedlichen Erschließung der drei Partrıerstaatenfi Der Vorsprung des geographisch begünstigten früheren Siedlerlandes Kenia vor Uganda und vor allem Tansania ist seit der Erlangung der Unabhängigkeit nicht nur erhal-
ten geblieben, sondern hat sich im letzten Jahrzehnt wahrscheinlich noch erheblich vergrößert. Eine supranationale Entwicklungsplanung und Wirtschafts- und Finanzpolitik auf EAC-Ebene hätte hier zumindest partiell Abhilfe geschaffen. Aber zu einem so weitgehenden Souveränitätsverzicht waren auch die ostafrikanischen Republiken nicht bereit. Die Organe der EAC werden dadurch gekennzeichnet, daß sie entweder einstimmige Beschlüsse der Territorialvertreter erfordern oder aber nur Empfehlungen aussprechen können.9 Nirgends im schwarzen Afrika gibt es eine der Kommission der Europäischen Gemeinschaften vergleichbare Institution.
Gleichwohl läßt der Umstand, daß in der EAC trotz schwerster Krisen das einst vorhandene Integrationsniveau in wesentlichen Teilen hat erhalten werden können, die vorsichtige Hoffnung zu, daß die Ostafrikaner dem „point of no return“ relativ nahe gekommen sind.
Die Gründung lockerer Zusammenschlüsse
Der bedeutendste staatenbundähnliche Zusammenschluß Schwarzafrikas ist der Conseil de l'Entente, zu dem sich Ende der fünfziger Jahre - in bewußtem Gegensatz zu der ambitiöseren Mali-Föderation und mit Unterstützung durch Frankreich - die Elfenbeinküste, Obervolta, Niger, Dahomey und später auch Togo zusammenschlossen. Alle diese Staaten, unter denen die Elfenbeinküste nicht nur wirtschaftlich eine Schlüsselstellung einnimmt, sind auch Mitglieder der erwähnten westafrikanischen Zoll- und Währungsunionen. Kennzeichnend für den Conseil de l'Entente ist, daß es sich hier um eine weitgehend unpolitische Gruppierung handelt, deren Mitglieder das bestehende Infrastruktursvstem gemeinsam verwalten und seine Erweiterung miteinander abstimmen. Ferner ist es ihnen gelungen, eine Vielzahl von Teilbereichen des öffentlichen Lebens, darunter etwa Steuer- und Investitionsschutzgesetze, den öffentlichen Dienst und die Sozialgesetzgebung, zu harmonisieren. Schließlich verdient der Fonds d'Entr'aide et de Garantie des Emprunts Erwähnung, durch den vor allem mit Mitteln der Elfenbeinküste die wirtschaftliche Entwicklung der vier schwächeren Partner gefördert wird.
Es ist heute müßig darüber zu streiten, ob der Staatspräsident der Elfenbeinküste mit der Bekämpfung der Mali-Föderation und der Gründung des Conseil de l'Entente die Zerstückelung der AOF betrieb oder ob er sich aus der Erkenntnis heraus, daß anspruchsvollere Integrationsprojekte noch nicht zu realisieren waren, einer nüchternen Politik verschrieb. Denn heute ist die Balkanisierung Westafrikas ein Faktum, mit dem die Region noch Jahrzehnte wird leben müssen. Auch ist nicht zu bestreiten, daß der Conseil de l'Entente gerade wegen seiner unpolitischen, geschmeidigen Ausrichtung und seiner bescheidenen Zielsetzung nicht an den schwerwiegenden Streitigkeiten zerbrochen ist, die auch zwischen diesen westafrikanischen Staaten aufgekommen sind.
Vergleichbare Ziele, wenn auch in einem noch lockeren Rahmen, hat sich die Organisation Commune Africaine, Malgache et Mauricienne (OCAMM) gesetzt, zu der mit Ausnahme Guineas, Malis und Mauretaniens alle frankophonen Staaten südlich der Sahara und neuerdings auch Mauritius gehören. Die große Zahl der Mitgliedsländer, die teilweise durch schwerwiegende Differenzen von-
einander getrennt sind, wie zum Beispiel Kongo-Kinshasa und Kongo-Brazzaville, mußte dazu führen, daß sich die OCAMM noch bescheidenere Ziele setzte als der Conseil de l'Entente. Jedoch ist es ihr gelungen, mit der Errichtung unter anderem der Air Afrique, der Union Africaine et Malgache des Postes et Télécommunications und vor allem des Conseil Africain et Malgache du Sucre auf wichtigen Bereichen eine effektive großräumige Zusammenarbeit ins Leben zu rufen. Allerdings war das Bestreben der OCAMM-Mitglieder, auch ihre Außenpolitik miteinander abzustimmen, nicht erfolgreich, wie etwa das Beispiel der Haltung dieser Länder gegenüber dem früheren Biafra gezeigt hat.
Erwähnung verdienen schließlich drei weitere überregionale Zusammenschlüsse besonderer Art: die Organisation des Etats Riverains de Sénégal (OEBS), die Commission des Pays Riverains du Fleuve Niger (CPRFN) und die Commission du Bassin du Lac Tschad (CBLT). Aufgabe dieser Gruppierungen ist die gemeinsame, zumindest aufeinander abgestimmte Erschließung der jeweiligen Gewässer. Hier gibt es, wie sonst kaum in Afrika, eine institutionalisierte Zusammenarbeit zwischen britisch und französisch geprägten Ländern. Auch hier sind die Ergebnisse der gemeinsamen Arbeit bisher erheblich hinter den ursprünglich gehegten Erwartungen zurückgeblieben. Der Umstand, daß sich hier eine Möglichkeit der Kooperation bietet, die allenfalls nur einen minimalen Souveränitätsverzicht erfordert, berechtigt jedoch zu der Hoffnung auf eine positivere Entwicklung in der Zukunft.
Prognose der weiteren Entwicklung
Zusammenfassend ist festzustellen, daß vornehmlich die sehr schwach entwickelten innerafrikanischen Wirtschaftskontakte, die angesichts der sehr jungen Geschichte der afrikanischen Staaten verständliche Unfähigkeit zum Souveränitätsverzicht zugunsten supranationaler Behörden und mangelnde Planung die Hauptursachen für die negative Bilanz des ersten Jahrzehnts afrikanischer Integrationsansätze sind.
Die Wurzeln der mangelnden Kommunikation, vor allem das schlechte oder ganz fehlende Infrastruktursvstem, und der Umstand, daß sich die Volkswirtschaften der afrikanischen Länder kaum ergänzen, lassen sich nicht innerhalb weniger Jahrzehnte beheben. Ferner ist kaum anzunehmen, daß schon die nachfolgende Politikergeneration eher zu einschneidenden Souveränítätsverzichten bereit sein wird als ihre Vorgänger. Daher wird es auch im kommenden Jahrzehnt wahrscheinlich nicht zur Verwirklichung von neuen Integrationsprojekten im engeren Sinn kommen. Es wird schon als Erfolg anzusehen sein, wenn vor allem die EAC das derzeitige Integrationsniveau beibehalten kann. Die nähere Zukunft wird bestenfalls lockeren Zusammenschlüssen von der Art des Conseil de l'Entente oder der Commission du Bassin du Lac Tschad gehören. Durch die Einrichtung gemeinsamer Dienste nach dem Vorbild der East African Common Services Organisation kann die Zusammenarbeit mehrerer Staaten auf stabiler und realistischer Basis institutionalisiert werden. Weitergehende Integrationsprojekte nach dem Muster der EAC werden erst zu erreichen sein, wenn zuvor ein soldıes Zwischenstadium geschmeidigerer Zusammenarbeit durchlaufen worden ist.
Wichtig für das Gelingen aller Spielarten überregionaler Kooperation wird sein, daß es den afrikanischen Staaten zunehmend gelingt, sich im Innem zu konsolidieren. Denn radikale politische Kurswechsel nach dem Muster von Ghana und dem Kongo-Brazzaville in den sechziger Jahren gefährden jede auf Dauer angelegte Zusammenarbeit aufs äußerste.
Was den Mangel an Planung bei schwarzafrikanischen Integrationsansätzen anbelangt, so könnten die Industriestaaten die gerade auf dem personellen Sektor noch vorhandenen Lücken ausfüllen. Das Beispiel Dänemark sollte Schule machen. Hätte der frühere dänische Wirtschaftsminister Kjeld Philip nicht 1966/1967 an der Spitze einer Expertenkommission einen Vorschlag für die Neuordnung der Kooperation innerhalb der East African Community gemacht, so wäre der Vertrag für Ostafrikanische Zusammenarbeit wohl kaum abgeschlossen worden. Der Zerfall dieser wichtigen Gemeinschaft wäre die voraussehbare Folge gewesen. Die Industriestaaten sollten sich die Aufgabe stellen, die überregionale Zusammenarbeit Schwarzafrikas so weit wie möglich zu fördern. Die Aufrechterhaltung der bestehenden Balkanisierung des Kontinents läuft zumindest auf weite Sicht den Interessen auch der entwickelten Staaten zuwider.
Anmerkungen
- Vgl. auch die Dokumentationen: Die Konferenzen von Brazzaville (15.-19. Dezember 1960) und Casablanca (3.-7. Januar 1961), in: EA 4/1961, S. D 112 ff; Afrikanische Konferenzen seit Brazzaville und Casablanca, in: EA 16/1961, S. D 475 ff.; Erika Feldmann, Die politischen Gruppierungen in Afrika 1961/62, Ein Bericht, in: EA 22/1962, S. 791 ff.; Die Konferenzen der afrikanischen Staatengruppen seit Mai 1961, in: EA 22/1962, S. D 541: Die Gipfelkonferenz der unabhängigen Staaten Afrikas in Addis Abeba im Mai 1963, in: EA 13/1963, S. D 313 ff.: Politische Gruppierungen in Afrika, Dokumente zu der Entwicklung im Jahr 1964, in: EA 23/1964, S. D 581 ff.
- Vgl. R. J. Guiton. Guinea und die Communauté, Der Beginn der Grunnenbildung in Afrika, in: EA 1/1964, S. 27 ff.; sowie ders. Afrikas Streben nach Einigkeit 1962/64, in: EA 1/1965, S. 23 ff.; vor allem historisch interessante Überblicke über die verschiedenen Integrations- und lockeren Kooperationsansätze finden sich für den Bereich der AOF bei Francis Wodie, Les Institutions internationales régionales en Afrique occidentale et centrale, Paris 1970 und für den Bereich der AEF bei Joachim de Dreux-Brézé, Le problème du regroupement en Afrique équatoriale, Paris 1968.
- Zu den unterschiedlichen politischen und sozioökonomischen Strukturen und außenpolitischen Vorstellungen vgl. Donn M. Kurtz, Political Integration in Africa: The Mali Federation, in: Journal of Modern African Studies, No. 3/1970, S. 405 ff.
- Julius K. Nyerere, Uhuru na Umoja, London 1967, S. 89.
- Vgl. David H. Johns, Einigungsbestrebungen in Ostafrika. Das Projekt einer ostafrikanischen Föderation, in: EA 17/1963, S. 633 ff.
- Vgl. Nyerere, a.a.O., S. 90: "We have a common currency which could easily lead to a Common Central Bank." Die Unfähigkeit zur Erridchtung einer gemeinsamen Zentralbank stellte die EAC nur wenige Jahre später vor die ernsteste Zerreißprobe ihrer Geschichte. Weiter Nyerere, Uhuru na Ujamaa, Dar-es-Salaam 1968, S. 50. "If Mzee Kenyatta today says he is ready, then we will federate tomorrow"; vgl. auch Oginga Odinga, Not yet Uhuru, London 1967, S. 272 ff.
- Vgl. Klaus von der Ropp, Chancen für eine Föderation in Ostafrika?, in: Außenpolitik, Nr. 2/1971, S. 105-119.
- Vgl. dazu J. Nye, Pan-Africanism and East African Integration, Cambridge (Mass.) 1965; einen kurzen Überblick gewährt Klaus von der Ropp, La Communauté Est-Africaine - Un exemple de la coopération suprarégionale en Afrique, in: Afrika, vol. 12 Nr. 1 (1970.2), S. 12-15.
- Einzelheiten dazu bei F. X. Nkenga, Contrast between the effect of the laws of the European Economic Community and the East African Community in the constituent territories, in: East African Law Journal, vol. 4 No. 3 (1968.9), S. 138-152.