African Questions

Publications of Dr. Klaus Frhr. von der Ropp

Political Observer and Consultant on Southern African Issues

Vom Umbruch zum Zusammenbruch?

Das Post-Apartheid-Südafrika

Klaus Freiherr von der Ropp

»...that most difficult of South Africa's questions ... what are black hopes and what are white hopes, and can they he hoped together?«
Alan Paton

Etwa drei Jahre vor den ersten allgemeinen, freien und geheimen Wahlen in der 350jährigen Geschichte der Republik Südafrika gab der zuvor sieben Jahre inhaftierte Regimekritiker Breyten Breytenbach seiner Sorge Ausdruck, daß sein Land binnen kurzem die »ungezählten Varianten der Barbarei« durchlaufen werde.1 Im In- und Ausland war in den letzten Monaten vor den Wahlen, die dann Ende April 1994 in einer Atmosphäre des Friedens stattfanden,2 weithin die Sorge verbreitet, die Kap-Republik Werde Ruanda, Somalia, Angola, Mozambique und Liberia in die völlige Zerstörung folgen. Selbst in Südafrika ist nur sehr wenig darüber bekannt geworden, weshalb die große Katastrophe (Robert von Lucius sprach in jener Zeit in der FAZ mehrfach von südafrikanischer Todessehnsucht) ausblieb. Kaum jemand stellte die Frage nach den Gründen. Statt dessen wurde von einem »Wunder« gesprochen und auf die Politik der Versöhnung des am 10. Mai 1994 ins Amt gewählten Staatspräsidenten Nelson R. Mandela, unstreitig einer der großen Staatsmänner unseres/Jahrhunderts, hingewiesen.

Das Erbe der Apartheid: Saat der Gewalt

Auch deutsche Politik wird gut daran tun, nach den weiteren Gründen des Wunders zu suchen. Denn die Probleme der Kap-Republik werden auch die deutsche Regierung vor neue Herausforderungen stellen. Wer Anfang 1996, aus Südafrika zurückgekehrt, die deutsche und ausländische Berichterstattung über die Kap-Republik liest oder die Äußerungen ausländischer Besucher ebendort hört, mit denen sie den friedlichen Wandel in dem einstigen Apartheid-Staat preisen, der fragt sich mit Gerd Behrens,3 ob hier wohl Ignoranten oder Zyniker am Werk sind. Denn jede Statistik belegt, daß Südafrika - sieht man von den Kriegsschauplätzen ab - heute das gewalttätigste Land der Welt ist. Die Schwäche der staatlichen Verwaltung, hier insbesondere der Polizei, daraus resultierende Anfänge der Anarchie (vor allem im östlichen Kap), eine horrende, häufig strukturelle Arbeitslosigkeit und eine in vielen Fällen hieraus sich ergebende Gewaltkriminalität bedrohen Südafrika abermals mit den »ungezählten Varianten der Barbarei«. Diese Gefahren werden um so größer, je näher das für Mitte 1999 erwartete Ausscheiden Mandelas aus dem Amt rückt. Bereits heute werden alle 24 Stunden 48 Menschen ermordet; ungezählt ist

Klaus Freiherr von der Ropp, Dr. jur., Bonn, freiberuflicher Berater für Fragen des südlichen Afrika.
Er knüpft mit diesem Artikel an seinen Beitrag »Codesa - Triumph und Ende des südafrikanischen Liberalismus?« in liberal, Heft 3/1992, S. 47-54, an.

  1. Afrique du Sud/L'écrivain Breyten Breytenbach dénonce »culture stalinienne« de l'ANC, in: Le Monde, 5.6.1991.
  2. Dazu Barthold C. Witte, Reise zum Ende der Apartheid/Aus dem Tagebuch eines Wahlbeobachters in Südafrika, epd-Dokumentation Nr. 27 a/94.
  3. Die Tyrannei der kriminellen Klasse/...der Staat als Ordnungsmacht hat abgedankt, in: Süddeutsche Zeitung, 2./3.10.1995, S. 4.
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die Zahl der Opfer versuchter Mordanschläge. Im selben Zeitraum werden 80 Vergewaltigungen, je 240 Raubüberfälle und Kfz-Diebstähle, 480 Diebstähle aus Kfzs, 720 Wohnungseinbrüche sowie - eine südafrikanische »Spezialität«, bei der die Opfer häufig getötet werden - 27 »Autoentführungen« begangen.4 Allerdings kam, sieht man von der Provinz KwaZulu/Natal - hier herrscht weiterhin Krieg - ab, mit dem Machtwechsel von Mai 1994 die zuvor besonders ruchlose Kriminalität des alten Regimes ans Ende.5 So ist George Fivaz, dem nationalen Polizeikommissar, zuzustimmen, wenn er zur Jahreswende 1995/96 prognostizierte: »South Africa (risks) becoming a gangster state where hijackers, murderers, rapists, druglords, muggers and other criminals will trample hard-won democratic rights into the dust (. . .)«.6

Angloamerikanische Diplomatie als Initiator des Umbruchs und als Bewahrer der Demokratie

Wie vor den Wahlen von April 1994, so wird es auch jetzt ausländischer Intervention bedürfen. Schon damals war der Umbruch am Kap, das war der Bruch mit einer in fast 350 Jahren entstandenen rassistischen Ordnung, kein Wunder, sondern die Frucht einer an den jeweiligen nationalen Interessen orientierten Diplomatie Londons und Washingtons7 Und eben diese Interessen stehen 1996 abermals auf dem Spiel!

Briten und Amerikaner zogen am Vorabend des Endes des Kalten Krieges und mit der Ersetzung des seit langem kranken und altersstarren Staatspräsidenten Pieter Willem Botha durch den zwar gesprächsbereiten, auf Verhandlungen mit den Befreiungsbewegungen jedoch völlig unvorbereiteten Frederik Willem de Klerk (Herbst 1989) die Konsequenzen daraus, daß die in Pretoria/Kapstadt herrschenden Afrikaaner die Zeichen der Zeit nie erkannt hatten. Gelegenheit dazu hatten ihnen die afrikanischen Ereignisse seit dem Ende der fünfziger Jahre häufig geboten: Die Entlassung der Staaten nördlich des Grenzflusses Limpopo aus kolonialer Abhängigkeit, der Zusammenbruch des portugiesischen Imperiums in Afrika (1974/75), der Machtwechsel in Rhodesien/Simbabwe (1980) sowie die Aufstände im eigenen Land (1976/77 und 1983/85). Noch fataler aber war, daß die herrschenden Afrikaaner auf die auf Ausgleich bedachten, von Briten und Amerikanern gemeinsam erarbeiteten Vermittlungsangebote der Regierung Ronald Reagan ebenso negativ reagierten wie zuvor auf die von dritter Seite an sie gerichtete Aufforderung, zunächst in Namibia und dann in Südafrika selbst zu kapitulieren. London und Washington intervenierten, um Südafrika das Schicksal zu ersparen, das außer einer Reihe afrikanischer Staaten auch einige kleinere GUS-Republiken und Bosnien-Hercegovina erlitten. Wie bereits ausgeführt, besteht diese Gefahr jedoch heute abermals!
Es war eine Mischung von Überzeugungskraft und Zwang von seiten der Angloamerikaner, die de Klerk, den sicheren Untergang seines Landes vor Augen, Anfang 1990 das Verbot der Befreiungsbewegungen, hier vor allem der Allianz von Afrikanischem National Kongreß (ANC) und Südafrikanischer Kommunistischer Partei (SACP), aufheben, ihre teils seit Jahrzehnten inhaftierten oder ins Exil getriebenen Führer freilassen, die zirka 300 Apartheid-Gesetze über Bord werfen und mit deren Opfern über eine neue Verfassung verhandeln ließ. Während der von Ende 1991 bis Ende 1993 geführten Verhandlungen waren es London und Washington, die, teils unter Hinzuziehung afrikanischer Commonwealthstaaten, den Unterhändlern von de Klerks Nationaler Partei (NP), jenen der ANC/SACP-Allianz, der Inkatha Freiheits Partei (IFP) und jenen einiger kleinerer Parteien - darunter die liberale Demokratische Partei (DP) - über alle Hürden hinweghalfen. Hinderlich war allerdings,

  1. Nach Bronwyn Wilkinson, Crime figures ..., in: Saturday Star (Johannesburg), 11.11.1995, S. 5. Vgl. auch Der Spiegel, 40/1995, S. 180 mit Auszügen der für 1994 veröffentlichten Mordstatistiken der Weltgesundheitsorganisation.
  2. Zur Regierungskriminalitat in den letzten Wochen des alten Regimes, ohne Nennung eines Verfassers, Goldstones secret report revealed at last, in: Mail & Guardian (Johannesburg), 7.-13.10.1995, S. 1, 8-9.
  3. Vgl. SA heading for »gangster state« - Fifvaz, in: The Star (Johannesburg), 3.1.1996, S. 1.
  4. Dazu Mike Robertson, Sir Robin - His Excellent Excellency, in: Sunday Times Uohannesburg), 21.4.1991, S. 14. Patti Waldmeir, Farewell to the host with the most in South Africa, in: Financial Times (London), 1.6.1991. Darryl Accone, A master of liberation diplomacy returns to SA in a new guise, in: The Sunday Independent Johannesburg), 8.10.1995, S. 4. Klaus Frhr. von der Ropp, Perspektiven der unvollendeten Revolution in Südafrika, S. 388-402, in: Albrecht Zunker (Hrsg.), Weltordnung oder Chaos?, Baden-Baden, 1993; ders., Die Stabilitat der Kap-Republik und die Zusammenarbeit der Staaten des sudlichen Afrika, in: Aussenpolitik, 2/1995, S. 186-194.
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daß die NP völlig unvorbereitet in die Verhandlungen ging, so der ANC/SACP-Allianz aus einer aus Unkenntnis herrührenden Geringschätzung begegnete und ihr in keiner Phase der Verhandlungen gewachsen war. Nur so ist zu erklären, daß die Unterhändler auch der NP mit den meisten anderen an den Verhandlungen teilnehmenden Parteien im November 1993 eine (bis Mitte 1999 geltende) Übergangsverfassung unterzeichneten, die sich in vielem - nicht jedoch an dessen föderalistischen Strukturen - an dem deutschen Grundgesetz als der modernsten Verfassung eines demokratischen Staates orientiert. Mit Fug und Recht meinte später Joe Slovo,8 der Vorsitzende der SACP und zusammen mit Cyril Ramaphosa, dem Generalsekretär des ANC, der große Stratege in Kempton Park, dem Ort der Verhandlungen, daß die Allianz ihre Ziele erreicht habe. Es ist wohl die Angst vor einer negativen Antwort, die selbst Zweifler die Frage nach der Tragfähigkeit dieses Systems in Südafrika nicht stellen läßt.

Das Scheitern F. W. de Klerks

Das Verhandlungsergebnis wird Südafrika kaum Stabilität bringen. Dies um so mehr, als zu erwarten ist, daß sich die bis Mitte 1996 auszuhandelnde und ab Mitte 1999 geltende endgültige Verfassung nicht sonderlich von ihrer Vorgängerin unterscheiden wird. Die Zweifel9 rühren zunächst daher, daß es auch in Südafrika nicht möglich sein wird, »to legislate democracy into existence«. Südafrika verfügt bekanntlich weder über demokratische noch über rechtsstaatliche Traditionen. Und zum anderen enthält das jetzt geltende Verfassungsrecht einen adäquaten Schutz noch nicht einmal zugunsten jener ethnischen Minderheiten, die nach wie vor Chaosmacht haben. Daß sie davon Gebrauch machen könnten, deuteten die Inkatha Freiheits Partei konservativer Zulus und die damalige Afrikaaner Volks Front (AVP) konservativer und reaktionärer Afrikaaner bereits im November 1993 an, als sie sich weigerten, die von ihnen, zu Recht, als zentralistisch angesehene Übergangsverfassung mitzutragen. Eine in der Tat erstaunliche Verfassung, wenn man bedenkt, daß zur selben Zeit die westlichen Demokratien die ehemals kommunistischen Staaten des alten Kontinents drängten, ihre Gesellschaften durch Aufnahme eines sehr qualifizierten Schutzes zugunsten ethnischer Minderheiten in ihre postkommunistischen Verfassungen zu stabilisieren. Politische Korrektheit, diese Inkarnation alles Illiberalen, verbietet auch hier, die Frage nach dem Warum zu stellen. Die menschliche Größe des seit Anfang Mai 1994 amtierenden Staatspräsidenten Nelson R. Mandela, die Weisheit seiner Entscheidungen, seine Bereitschaft seinen Peinigern zu vergeben, gab dem neuen Südafrika eine Chance, die zuvor kaum jemand erwartet hatte. Auf der anderen Seite, und das ist der Hintergrund der eingangs dieses Beitrages zitierten Kritik von Gerd Behrens, hindert genau diese Politik viele In- und Ausländer, die Probleme Südafrikas zu erkennen. Diese Probleme werden Südafrika zugrunderichten, es sei denn, die USA, Großbritannien, Deutschland und ausgesuchte weitere westliche (und afrikanische) Staaten vermögen der Kap-Republik mittels einer abermals interventionistischen Diplomatie neue Stabilität zu geben. Auf deren Einzelheiten wird weiter unten einzugehen sein.

Schlüsselprobleme und ihre augenscheinliche Unlösbarkeit

Es sind außer den bereits geschilderten im wesentlichen drei Problemkreise - allesamt weitgehend Erblasten des alten Regimes -, die die Regierung Mandela Tag für Tag vor unüberwindbare Hindernisse stellen: Die Schwäche der öffentlichen Verwaltung, insbesondere der Polizei; die horrende, in der Mehrzahl der Fälle strukturelle Arbeitslosigkeit sowie, häufig daraus resultierend, eine bereits heute extrem hohe und dennoch weiter eskalierende Gewaltkriminalität (»Gangsterstaat«). Auch die Außenwelt wird gut daran tun, dies alles zur Kenntnis zu nehmen und dafür Sorge zu tragen, daß der langen Liste afrikanischer Fehlschläge der zurückliegenden vierzig Jahre nicht ein besonders zerstörerisches Kapitel hinzugefügt wird.

Die öffentliche Verwaltung

Apartheid-Südafrika war geradezu grotesk überverwaltet. Das war der Preis für das

  1. So in The Negotiations Victory, in: The African Communist (Johannesburg), 1993/4th quarter, S. 6-13 (12).
  2. S. dazu die beiden in FN 7 am Ende zitierten Anfsatze.
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Bemühen, das Land in einen weißen Kernstaat und zehn schwarze Satellitenstaaten aufzuteilen. Die Übergangsverfassung von November 1993 enthält dennoch zugunsten aller Staatsbediensteten bis zum Ende der Übergangszeit (Mitte 1999) zwar keine Arbeitsplatz-, jedoch eine Beschäftigungsgarantie. In der Praxis bedeutet das, daß Finanzmittel, die dringend für das »Reconstruction and Development Programme« benötigt werden, zur Finanzierung der Gehälter oft überflüssiger Staatsbediensteter - deren Loyalität obendrein häufig zweifelhaft ist! - oder aber für Abfindungen als Gegenleistung für ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Staatsdienst vergeudet werden. Andererseits sollte klar sein, daß die von Pretoria praktizierte Politik der »affirmative action«, das heißt die berufliche Bevorzugung von Opfern der Apartheid zu Lasten der Diener des ancien régime, die Effizienz der staatlichen Verwaltung nachhaltig belastet.
Spürbar ist dies alles heute schon vor allem bei der Polizei. Bis zu der historischen Wende von 1989/94 gab es nur in den »weißen« Gebieten des Landes herkömmliche Polizeidienste. Im schwarzen Südafrika war die Polizei dagegen vornehmlich mit der Aufrechterhaltung von Apartheid beschäftigt. Entsprechend groß war dort immer schon die herkömmliche Kriminalität. Zudem trug der ebenso opfer- wie auch gewaltbereite Kampf der Jugendlichen gegen die ihnen von den weißen Machthabern aufgezwungene Apartheid zur Entstehung einer »Kultur« der Gesetzlosigkeit bei. Die Gesetze waren das Werk der Weißen, also konnte man beliebig gegen sie verstoßen. Daß die Polizei sie daran zu hindern suchte, führte zu einem tiefen Mißtrauen der schwarzen Gemeinschaften gegen die Polizei, den für sie sichtbarsten Vollstrecker des verhaßten Regimes. Es wird lange Jahre dauern, bis es, etwa mit Hilfe der jetzt überall in Südafrika eingerichteten »Community Police Forums«, gelingen wird, ein Vertrauensverhältnis zwischen Bevölkerung und Polizei herzustellen. Bis dahin werden sich die Fälle von Selbstjustiz weiter mehren und die Zahl der Gewalttaten weiter eskalieren lassen.

Arbeitslosigkeit, Gewaltkriminalität

Neben der Schwäche der Polizei ist die für den Außenstehenden kaum vorstellbare Arbeitslosigkeit die zweite Wurzel der Kriminalität, die Südafrika zu zerstören droht. Deren dritte ist die illegale Zuwanderung von, das sind heute nur noch grobe Schätzungen, vier oder sechs oder acht oder zehn Millionen Bürgern Mozambiques und anderer afrikanischer Länder. Sie alle haben in der Regel keinen Beruf erlernt und »verstärken« daher das Heer der südafrikanischen Arbeitslosen, das ohnehin die Fünfzig-Prozent-Marke überschritten haben dürfte. Häufig sind unter den Zugewanderten Kriminelle, etwa nigerianische Drogenhändler. Es heißt, das heute an die fünfhundert Syndikate in Südafrika ihr Unwesen treiben. Zentren der Kriminalität sind der Großraum Johannesburg, KwaZulu/Natal mit dem Zentrum Durban, das östliche Kap mit den Zentren Port Elizabeth, East London sowie die Region Transkei/Ciskei und, allen Dementis zum Trotz, Kapstadt. Wer an letzterem zweifelt, der besuche die Hospitäler im Raum Kapstadt, in denen unzählbare Opfer fehlgeschlagener Mordanschläge, die jetzt an einem Trauma leiden, untergebracht sind.
Jeder potentielle in- und ausländische Investor wird vor diesem Hintergrund zögern, sich heute in Südafrika zu engagieren. Wer kann schon an die Stabilität eines Landes glauben, dessen oberster Polizist der Sorge Ausdruck gibt, daß es zu einem Staat der Gangster zu werden drohe? Die Politik der »affirmative action«, zu der sich auch die private Wirtschaft veranlaßt sieht, die starke Position der SACP in Mitgliedsgewerkschaften des South African Congress of Trade Unions und viele weitere Faktoren lassen Bill Keller zu der richtigen Feststellung kommen, »South Africa,s labor force is costly, unskilled and militant«.10 Mögen sich auch einige Wirtschaftsdaten, etwa das jährliche Wirtschaftswachstum, die Inflationsrate und die Stabilität des Rand, in den beiden letzten Jahren positiv entwickelt haben, so handelt es sich hier doch kaum um einen Tropfen auf den heißen Stein. Viel bedeutender für die Stabilität der Kap-Republik ist, daß nach wie vor nur sieben Prozent aller Schulabgänger Arbeit finden.

  1. In Mandela's South Africa Foreign Investors are Few, in: New Yorrk Times, New York, 3.8.1994, S. 1.
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Von der Notwendigkeit eines von westlichen Staaten übenıvachten Notstandsregimes

Wäre Südafrika ein »normales« Land, so würde dort wohl offen die Frage diskutiert, ob die Regierung nicht gut beraten sei, für einen begrenzten Zeitraum ein Notstandsregime zu verhängen, um so jenes Minimum an Stabilität zu erzielen, ohne das es weder Demokratie noch wirtschaftliches Wachstum noch Entwicklung geben wird. Noch ist dies alles für die ANC/SACP-Allianz ein absolutes Tabu! Denn zum einen sind sehr viele ihrer führenden Persönlichkeiten selbst Opfer der von der Regierung P. W Botha Mitte der achtziger Jahre verhängten Notstandsmaßnahmen gewesen. Und zum anderen wären es viele jener Staatsdiener, die sie gefoltert und verfolgt haben, deren sie sich nur knapp zehn Jahre später bedienen müssen, um sich gegen das von ihren eigenen Gefolgsleuten verursachte Chaos zur Wehr zu setzen. Obendrein ist die Frage zu stellen, ob Polizei, Streitkräfte und Bürokratie 1996 überhaupt noch die Schlagkraft haben, ein Notstandsregime zu verhängen und aufrechtzuerhalten. Die immer prekärer werdende innere Sicherheitslage wird Pretoria jedoch schon 1996 keine andere Wahl lassen!
Angesichts der Schwächen der Polizei wird die Regierung Mandela dann vor allem auf die Streitkräfte des Landes, South African National Defence Forces (SANDF), zurückgreifen müssen. Deren Kern sind nach wie vor noch (!) die South African Defence Forces (SADF) des alten Regimes; die angestrebte Zusammenführung der SADF, der Guerillaarmeen des ANC und des PAC (Pan Africanist Congress) und der Streitkräfte der Anfang 1994 aufgelösten Bantustans zur SANDF scheint relativ erfolgreicher11 zu verlaufen als die anderer Bereiche der staatlichen Verwaltung. Gerade weil in den SANDF offenbar bislang die SADF-Elemente dominieren, wird die Regierung Mandela auf sie nur zurückgreifen können, wenn dies von dem früheren SADF-Oberkommandierenden, dem charismatischen General a. D. Constand Viljoen, gutgeheißen wird. Denn er genießt, insbesondere gilt das für die etwa 500.000 Mann umfassenden Reservistenverbände, nach wie vor höchste Autorität. Bekanntlich führt Viljoen seit gut zwei Jahren die Vryheids Front (VF) gemäßigt bis ausgeprägt konservativer Afrikaaner. Gemäß einer Ende 1993 für ihn von dem liberalen Dissidenten Van Zyl Slabbert erarbeiteten Strategie - nahezu alle Afrikaaner sehen in Sorge die jetzt etwa im staatlichen Fernsehen zu beobachtende Verdrängung des Afrikaansen durch die Weltsprache Englisch - kämpft er als VF-Vorsitzender für das Selbstbestimmungsrecht der Afrikaaner. Selbst ein durch und durch gemäßigter Mann,12 hat er doch Autorität bei Afrikaanern, die weit rechts von ihm stehen.

Ein Atrikaaner-Staat?

Für seine Mitwirkung bei der Implementierung und Aufrechterhaltung eines Notstandsregimes wird Viljoen von der ANC/SACP-Allianz drei Gegenleistungen fordern: Die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts seiner Afrikaaner, die Ausstattung der Provinz KwaZulu/Natal mit Legislativ- und Exekutivbefugnissen (inclusive eigener Steuereinnahmen), die deutlich über die in der Übergangsverfassung von November 1993 verankerten Kompetenzen hinausgehen sowie eine Straffreiheitserklärung beziehungsweise Amnestie für (fast alle) Südafrikaner, die im Dienst des Apartheid-Regimes Straftaten begangen haben.
Unter Berufung auf den von US-Botschafter Princeton Nathan Lyman und seinem britischen Kollegen, Sir Anthony Reeve, vermittelten und am 23. April 1994 im Union Building/Pretoria von ANC, VF und NP unterzeichneten »Accord on Afrikaner Self Determination« wird Viljoen zumindest das fordern (und erhalten), was die deutsche Bundesregierung seit Jahr und Tag für die sowjetdeutsche beziehungsweise jetzt rußlanddeutsche Bevölkerungsgruppe fordert: die Schaffung eines nicht-rassischen »Volksstaates«

  1. Zu den immensen Problemen, die sich allerdings auch hier stellen: Integration and Demobilisation in South Africa, in: IISS, Strategic Comments (London), Nr. 6, 19.7.1995.
  2. S. Mondli Makhanya, Tribe finds a new Moses, in: The Star (Johannesburg), 24.5.1995, S. 14. S. weiter das Interview mit Constand Viljoen, First Steps on way to a promised land, in: The Star (Johannesburg), 21.4.1994, S. 21, sowie jenes mit Nelson R. Mandela in: The Star (Johannesburg), 25.4.1995, S. 11, worin er u. a. ausführt »General Viljoen is a very honest man...«. Schließlich das Interview mit Louise Stack, General Constand Viljoen, in: TransAct (Johannesburg), 1995/4, S. 6-7, 12.
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(vergleichbar der 1941 aufgelösten Autonomen Republik der Wolgadeutschen) sowie darüber hinaus kulturelle Autonomie in sechs weiteren afrikaansen Schwerpunktsiedlungen (vergleichbar den Rayons Halbstadt, Asowo/Omsk, Novosibirsk et cetera). Dank seiner Gespräche im Bonner Bundesinnenministerium kennt Viljoen nur zu gut die desolate Lage der Deutschen im GUS-Bereich, nachdem sich die Chancen des Wiedererstehens der Wolga-Republik in den letztenjahren ständig verminderten. Es erscheint übrigens alles andere als ausgeschlossen, daß der Viljoensche Volksstaat ein Recht auf Sezession für den Fall des Niedergangs des übrigen Südafrika haben wird.
Was die Föderalisierung der südafrikanischen Verfassung anbelangt, so ist sehr wichtig, daß die in dem gleichfalls von Lyman und Reeve vermittelten, am 19. April 1994 von ANC, IFP und NP abgeschlossenen Abkommen vorgesehene internationale Vermittlung wirklich in Anspruch genommen wird. Denn die jetzt die Vermittler entsendenden Drittstaaten sollen zumindest in den Vorstellungen der IFP eine Garantenfunktion dahingehend übernehmen, daß die Zentral- und Provinzregierungen die dann in den Verfassungen festgelegte Aufteilung der Kompetenzen tatsächlich respektieren.
Nicht absehbar ist, welche Forderungen Viljoen in den Bereichen Straffreiheit und Amnestie erheben und welche Zugeständnisse die ANC/SACP-Allianz ihm machen wird. Vorstellbar ist, daß alle Straftäter außer etwa Mördern für straffrei erklärt beziehungsweise amnestiert werden und in diesem Sinn auch die Aufgaben der »Truth and Reconcilitation Commission«, die in manchem den nach 1945 in Deutschland tätigen Spruchkammern vergleichbar ist und die Anfang 1996 ihre Arbeit unter dem Vorsitz von Erzbischof Desmond Tutu, eines früheren Friedensnobelpreisträgers, aufgenommen hat, reduziert werden.

Oben wurde bereits angesprochen, daß sich die ANC/SACP-Allianz zu Recht sehr schwer damit tun wird, jetzt zur Stabilisierung der eigenen Herrschaft auf den Sicherheitsapparat des alten Regimes zurückzugreifen. Sie wird das trotz aller Bedenken nur tun können, wenn sichergestellt ist, daß die wichtigsten westlichen Partner Südafrikas, das sind die USA, Großbritannien und Deutschland, vielleicht in enger Zusammenarbeit mit ausgesuchten afrikanischen Ländern, die südafrikanischen Bemühungen um eine Stabilisierung des neuen Südafrika auch politisch begleiten. Deren Funktion wird zum einen sein, darauf zu achten, daß die Sicherheitskräfte die ihnen im Rahmen eines Notstandsregimes übertragenen Befugnisse nicht mißbrauchen, und zum andern dafür Sorge zu tragen, daß die von der ANC/SACP-Allianz Viljoen gemachten Zusagen von ihr eingehalten werden. Die Alternative zu einem solchen Engagement Deutschlands und anderer westlicher Staaten sind die von Breyten Breytenbach angesprochenen ungezählten Varianten der Barbarei in Südafrika.
Für die deutsche Politik sollte wichtig sein, daß der seinerzeitige LI- und F.D.P.-Vorsitzende Otto Graf Lambsdorff während einer ausgedehnten Südafrika-Reise im April 1993 explizit auf die große Bedeutung der machtpolitischen Absicherung des Existenzrechts der Afrikaaner und der zulusprachigen Afrikaner für die Stabilität des Post-Apartheid-Südafrika hinwies.13

  1. Dazu eine mehrfach in Südafrika gehaltene Rede, Auf dem Weg zu einem Post-Apartheid-Südafrika: Ansichten eines ausländischen Liberalen, in: RSA 2000/Weg in die Zukunft, Bonn, 1993, Nr. 5 und 6, S. 3-4 bzw. 5.
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