African Questions

Publications of Dr. Klaus Frhr. von der Ropp

Political Observer and Consultant on Southern African Issues

Klaus von der Ropp

Das veränderte Kräftespiel im Süden Afrikas

Die Portugiesen haben den Rückzug aus ihren Kolonien in Afrika eingeleitet. Dadurch ist in dem gesamten Süden dieses Kontinentes eine neue Lage entstanden. Noch ist völlig unklar, wie sich der Entkolonisierungsprozeß in Moçambique und Angola im einzelnen auswirken wird, ob die Entwicklung in ein wirtschaftliches Chaos führt und überhaupt die Einheit der Territorien erhalten werden kann; dies letztere gilt vor allem für Angola, wo mehrere sogenannte Befreiungsbewegungen miteinander rivalisieren. Dr. Klaus Frhr. von der Ropp, Bonn, Stiftung Wissenschaft und Politik, geht von diesen beiden künftig unabhängigen Ländern im Süden Afrikas aus und untersucht dann die Konsequenzen, die sich aus diesen Entwicklungen für Rhodesien und die Republik Südafrika ergeben. Für die Republik Südafrika stellt sich ebenfalls die Frage, ob das Land einer Aufteilung zustrebt oder ob sich Kompromisse finden lassen, die die Potenzen dieses Raumes effizient erhalten. Die meisten dieser Probleme sind offen, Lösungen sind nicht erkennbar. Also ist mit großen Schwierigkeiten zu rechnen, die nicht nur an den Rand, sondern tief in ein Chaos führen können.

I. Auseinandersetzungen um das südliche Afrika

In den zurückliegenden 15 Jahren haben nur recht wenige Probleme die internationale Politik mehr beschäftigt als die Konflikte im südlichen Afrika, d. s. vor allem die Kolonialpolitik Portugals, das Festhalten Südafrikas an dem einstigen Völkerbundsmandat Südwestafrika/Namibia sowie die Rassenpolitiken der Republiken Rhodesien und Südafrika. Nicht zuletzt das Engagement der übrigen 42, hier recht weitgehend mit einer Stimme sprechenden unabhängigen Staaten Afrikas innerhalb der Vereinten Nationen und deren Sonderorganisationen hat dazu geführt, daß die Konflikte im und um das südliche Afrika über ihre tatsächliche Bedeutung für das internationale System hinaus weltweite Beachtung finden. Der Zusammenbruch des portugiesischen Imperiums, das offensichtliche Fehlen jedweder Eventualplanung Lissabons für den Fall seiner militärischen Niederlage in den Kolonialkriegen, das Vordringen schwarzer Guerilleros in Rhodesien, das Heranwachsen einer neuen schwarzen Elite innerhalb der südafrikanischen »Bantustans«, das Scheitern der südafrikanischen Politik gegenüber den »Coloureds« (Mischlinge) sowie die erneute Verschärfung der Süd- und Südwestafrika-Debatten während der 29. Sitzungsperiode der UN-Vollversammlung haben im zurückliegenden Jahr bereits zu wichtigen Veränderungen im australafrikanischen Kräftespiel geführt. Wenn auch heute noch nicht abzusehen ist, welche definitiven Machtkonstellationen sich im Laufe der nächsten etwa zwei bis drei Jahre herausbilden werden, so zeichnen sich doch bereits einige Entwicklungstendenzen deutlich ab.

1. Die Rolle der Organisation für Afrikanische Einheit

Eine mindestens ebenso große Bedeutung wie den bewaffneten Aktionen der verschiedenen, oft miteinander zerstrittenen »Befreiungsbewegungen« in Angola, Mo-

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çambique, Rhodesien und heute auch Südwestafrika kommt der hier sehr erfolgreichen Rolle der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) im politisch-diplomatischen Bereich zu. Denn es sind vor allem die OAU und, in ihrem Gefolge, die Vereinten Nationen, die maßgeblich zur Entstehung jenes politischen Klimas beigetragen haben, das, um nur ein Beispiel zu nennen, den Weltkirchenrat bewogen hat, die australafrikanischen »Befreiungsbewegungen« auch durch nichtkontrollierte materielle Zuwendungen zu unterstützen. Die OAU, die zumindest in den Augen einiger ihrer Gründer die Aufgabe hat, den Kontinent »wiederzuvereinigen«, hat sich in den 12 Jahren ihres Bestehens unter nahezu vollständiger Außerachtlassung u. a. ihrer wirtschaftlichen und entwicklungspolitischen Zielsetzungen fast ausschließlich mit den Problemen des südlichen Afrikas befaßt1. Wie sehr die Konflikte im und um das südliche Afrika alle Aktivitäten der OAU beherrschen, sei anhand zweier wichtiger Resolutionen des OAU-Ministerrates aufgezeigt: In einer Resolution zur Vorbereitung der Umweltkonferenz in Stockholm (CM/Res. 281, XIX) wird die Verurteilung »der gegen die Menschheit und die menschliche Umwelt in Afrika durch koloniale und rassistische Praktiken begangenen Verbrechen« durch diese UN-Konferenz gefordert. Und eine Resolution zur Vorbereitung der Seerechtskonferenz von Caracas (CM/St. 11, XXI) fordert, daß, anders als allen übrigen Staaten, »noch unter kolonialer und rassistischer Herrschaft stehenden Territorien« ein Anspruch auf Ausdehnung der Hoheitsgewässer und Anerkennung eines Küstenstreifens zur exklusiven wirtschaftlichen Nutzung nicht zustehe.

Die Vorstellungen der OAU von einer Konfliktslösung

Immer wieder haben die OAU sowie, nach außen hin, fast alle ihre Mitgliedsstaaten den bedingungslosen Rückzug der portugiesischen Kolonialverwaltungen, den gleichfalls bedingungslosen Rückzug Südafrikas aus Südwestafrika/Namibia sowie die Aufgabe der rhodesischen und südafrikanischen Rassenpolitiken gefordert. Die gegenwärtigen, zweifelsfrei durch eine Vielzahl von Maßnahmen der Unterdrückung und Diskriminierung gekennzeichneten politischen Systeme in den bislang fünf von weißen Minderheiten beherrschten Gebieten Australafrikas sollen unter Führung der von der OAU anerkannten »Befreiungsbewegungen« durch auf vollständiger Gleichberechtigung, insbesondere auch rassischer Integration basierende Gesellschaftsordnungen abgelöst werden (»one man one vote«)2. Zur Erreichung dieses Ziels müssen auch die UN alle ihnen zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen. In zahlreichen Resolutionen3 ihres Ministerrates hat die OAU festgestellt, daß der Fortbestand der gegenwärtigen Unrechtssysteme in den Gebieten Australafrikas »... den Frieden und die Sicherheit der Welt bedroht... «; die Ver-

  1. Zur Rolle der OAU im internationalen System s. u. a.: Klaus Frhr. von der Ropp »Die OAU am Vorabend der zweiten Dekade ihres Bestehens« und »Perspektiven der künftigen Rolle der Organisation für Afrikanische Einheit« in »Internationales Afrika-Forum«, vol. 9, Nr. 4 bzw. Nr. 6 (1973.4 bzw. 6), S. 204-214 bzw. 361-368.
  2. S. dazu u. a. das OAU-Dokument »Manifest von Lusaka über das südliche Afrika«; ins Deutsche übertragen von Herbert Kaufmann, abgedruckt in »Frankfurter Allgemeine Zeitung« vom 23. Mai 1969, S. 11.
  3. So u. a. in CM/St. 4 (XV); CM/Res. 135 (X); CM/Res. 137 (X); CM/Res. 150 (XI); CM/Res. 153 (XI); CM/Res. 269 (XIX).
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einten Nationen müßten daher gegen Pretoria, Lissabon und Salisbury mit Isolierungs- und Zwangsmaßnahmen gemäß Kapitel VII der UN-Satzung vorgehen. So forderte etwa der frühere OAU-Generalsekretär Ekangaki im Mai 1973 während der 10. OAU-Gipfelkonferenz die Vereinten Nationen auf, Südafrika mit einer bewaffneten Streitmacht zur Aufgabe Südwestafrikas/Namibias zu zwingen.

Zur Fragwürdigkeit der Argumentation der OAU

Eine Bewertung der Rolle der OAU sollte davon ausgehen, daß sehr viele der von ihr angeprangerten Mißstände im südlichen Afrika, wenn allerdings auch nicht nur dort, tatsächlich bestehen: Die portugiesischen Kolonialkriege sind auch von der Lissaboner Seite mit sehr großer Brutalität geführt worden. Die Rassenpolitiken sowohl Rhodesiens als auch Süd-/Südwestafrikas sind in vielen Elementen zutiefst unaufrichtig und unhaltbar. Hier beherrschen weiße Minderheiten schwarze Mehrheiten sowie gemischtrassige und indienstämmige Minderheiten in einer Form, die oft die elementarsten Menschenrechte mit Füßen tritt. Andererseits sind alle diesbezüglichen Debatten der OAU, und in ihrem Gefolge der UN, durch zwei Negativa gekennzeichnet: Die weitaus meisten Initianten und anderen Befürworter australafrika-kritischer Resolutionen, also nicht etwa nur Uganda, der Tschad, Guinea und die Zentralafrikanische Republik, genügen den von ihnen beschworenen hehren Idealen bestenfalls ebensowenig wie Pretoria, Lissabon und Salisbury. Zum anderen ist weder von der OAU noch von den UN jemals die Frage aufgeworfen oder gar erörtert worden, ob in einem Land wie beispielsweise Südafrika/Südwestafrika oder Rhodesien, die innerhalb ihrer Grenzen mit allen Elementen des Nord-Süd-Konflikts konfrontiert sind, deren Bevölkerung sehr heterogen ist, eine auf der Basis »one man one vote« operierende staatliche Ordnung überhaupt praktikabel ist.

Ginge es der OAU wirklich darum, den berechtigten Interessen aller Bevölkerungsgruppen im südlichen Afrika gerecht zu werden, so müßte sie doch in ihrer Arbeit beispielsweise dem Umstand Rechnung tragen, daß, wie vor allem J. K. Nyerere überzeugend dargelegt hat4, das Demokratieverständnis des schwarzen Afrikaners ein ganz anderes ist als das des Europäers (hier gleich weißer Afrikaner). Das überall im subsaharischen Afrika wachsende Suchen nach der eigenen Identität der »authenticité noire« im politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Bereich sollte die OAU an der Praktikabilität ihrer Lösungsvorschläge zweifeln lassen. Dies ist jedoch nie geschehen. Wäre dies anders, so wäre die Kritik der OAU an den Zuständen im südlichen Afrika sehr viel überzeugender.

2. Zur Rolle der Vereinten Nationen

Was die Konflikte im und um das südliche Afrika anbelangt, so haben die Vereinten Nationen und ihre Sonderorganisationen in den Augen der OAU und fast

  1. Julius K. Nyerere »The African and Democracy«, S. 103-106, in Julius K. Nyerere »Freedom and Unity«, London u. a., 1967.
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aller ihrer 42 Mitglieder nicht die Funktion eines bloßen Diskussionsforums, sondern die eines aktiven Mitstreiters beim Sturz der weißen Minderheitsregierungen5. Die Mitglieder des OAU-Bündnisses haben es mit Hilfe vieler anderer Staaten der Dritten Welt und den hier mit ihnen aus opportunistischen Erwägungen zusammenarbeitenden kommunistischen Staaten6 in hervorragendem Maße verstanden, der Generalversammlung und etlichen der UN-Sonderorganisationen das entsprechende Selbstverständnis zu geben7. Daß dabei elementare Grundsätze der UN-Charta mißachtet werden, sollte sich von selbst verstehen8. Eine enge und reibungslose Zusammenarbeit besteht heute zwischen dem Verbindungsbüro der OAU in New York, dem Liberation Committee dieser Organisation in Dar-es-Salaam und den von der OAU anerkannten australafrikanischen »Befreiungsbewegungen« einerseits und dem Committee of the 24 der UN, dem UN Council for Namibia, dem UN Special Political Committee, dem Fourth Committee der UN sowie dem UN Special Committee on Apartheid andererseits. Diese Zusammenarbeit führt dazu, daß die UN-Generalversammlung und etliche Sonderorganisationen der Vereinten Nationen die Vorstellungen der OAU in vielen Fällen mehr oder weniger unbesehen übernehmen. Recht deutlich kommt das u. a. in dem Ausschluß oder erzwungenen Rückzug Portugals und Südafrikas aus etlichen Sonderorganisationen sowie, parallel dazu, in der Einräumung des Beobachterstatus zugunsten der meisten von der OAU anerkannten »Befreiungsbewegungen« zum Ausdruck9. Einen vorläufigen Höhepunkt erreichte diese Politik Ende 1974, als die UN-Vollversammlung, wie alljährlich seit 1970, die Akkreditierung der UN-Delegation Südafrikas zurückwies, und daraufhin der algerische Außenminister Bouteflika in seiner Eigenschaft als Präsident der 29. Vollversammlung daraus, anders als seine Vorgänger, die Folgerung zog, daß die Delegation Pretorias nicht mehr das Recht habe, an den Sitzungen und Abstimmungen der laufenden Vollversammlungen teilzunehmen. Diese Entscheidung bedeutet für die Dauer der Sitzungsperiode den faktischen Ausschluß Südafrikas aus den UN.

Es hat den Anschein, als hätte einzig das zurückhaltende Abstimmungsverhalten der drei westlichen ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates verhindert, daß

  1. S. vor allem dazu die Äußerung CM/St. 4 Ziff. 1+2 (XV) des OAU-Ministerrates anläßlich der 25. Wiederkehr des Gründungstages der VN.
  2. Hier erscheint der Hinweis angebracht, daß die Südafrikanische Kommunistische Partei bis zu ihrem Verbot im Jahre 1950 ganz überwiegend die Partei Weißer und indienstämmiger, nicht aber schwarzer Südafrikaner war. Auch den südafrikanischen Kommunisten ist nie die Schaffung einer rassisch wirklich integrierten Gemeinschaft gelungen.
  3. Besonders deutlich wird das in jenen, in den zurückliegenden Jahren regelmäßig verabschiedeten Resolutionen der UN-Vollversammlung, in denen diese die UN und ihre Sonderorganisationen zu enger Zusammenarbeit mit der OAU auffordert. So heißt es bezeichnenderweise in der entsprechenden Resolution vom 14. 12. 1972, daß ein »... further development of co-operation especially in their efforts to solve the grave situation in Southern Africa« angestrebt werde; vgl. weiter die in Anm. 1 angeführten Arbeiten.
  4. Die Konsequenzen dieser Praxis für die Entwicklung des Völkerrechts sind ebenso bedeutsam wie gefährlich. Denn hier werden zwei sehr wichtige Grundsätze des UN-Systems, das Verbot der Gewaltanwendung und das Verbot der Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates (Artikel 2 Abs. 4+7 der UN-Satzung) aufgegeben.
  5. Vgl. zu dem letzteren Punkt Christian Tomuschat »Die Befreiungsbewegungen in den Vereinten Nationen« in »Vereinte Nationen« (Bonn), vol. 22, Nr. 3 und 4 (1974.6 und 8), S. 65-72 und 110-113.
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die OAU auch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in dem von ihr angestrebten Maße zum Sturz der Minderheitsregierungen im südlichen Afrika nutzen kann10. Und dennoch erscheint zumindest zweifelhaft, ob etwa die VR China, Indien, die UdSSR, Indonesien und seit einiger Zeit auch Brasilien, die für gewöhnlich den Kurs der OAU in den UN nach außen hin unterstützen, wirklich bereit sind, den Vorstellungen dieser Organisation bis zur letzten Konsequenz zu folgen.

II. Das neue Kräftespiel im Süden Afrikas

Der Ruf des einsamen Mahners Félix Houphouët-Boigny, das schwarze Afrika solle einen Dialog mit den, wie der ivorische Präsident treffend formulierte, »minorités de mépris«11 im südlichen Afrika aufnehmen, ist lange Zeit von beiden Kontrahenten in seiner vollen Bedeutung nicht verstanden worden. Einige Äußerungen schwarzafrikanischer Verantwortlicher, vor allem aus Sambia und dem einen oder anderen frankophonen Staat Westafrikas sowie der Republik Südafrika, lassen in jüngerer Zeit hier erneut bescheidene Hoffnungen aufkommen. Vorerst allerdings werden wohl weiterhin Gewalt und Gegengewalt die bestimmenden Faktoren sein. Die Folgen einer solchen Politik zeigen sich derzeit besonders deutlich in Moçambique.

1. Die Situation in Moçambique

Jede Analyse der gegenwärtigen Situation in Moçambique wird u. a. von den folgenden Prämissen auszugehen haben: Portugal will und wird sich um buchstäblich jeden Preis zum frühestmöglichen Zeitpunkt aus Moçambique zurückziehen. Die FRELIMO (Frente de Libertacao de Moçambique) verdankt ihre beherrschende Stellung in der seit September 1974 im Amt befindlichen Übergangsregierung nicht, wie oft behauptet, dem Umstand, daß die übergroße Mehrheit der Moçambiquaner hinter ihr stehe. Vielmehr profitiert sie davon, daß die sehr zahlreichen nicht hinter ihr stehenden Bewohner des Landes es bislang, aus welchen Gründen auch immer, nicht verstanden haben, sich zu organisieren. Die FRELIMO verfügt selbst nicht annähernd über die Kader, die erforderlich sind, um die Wirtschaft und die Verwaltung des Landes unter Kontrolle zu bekommen. Dementsprechend sind in den vergangenen Monaten auch viele Sektoren der ohnehin auch vom Entwicklungspotential her nicht sonderlich begünstigten Volkswirtschaft Moçambiques zusammengebrochen. Die wirtschaftliche Abhängigkeit Moçambiques von der Republik Südafrika ist damit noch größer geworden. Aus dem Wunsch heraus, nicht die vielleicht letzte Chance, mit dem übrigen Afrika zu einem Ausgleich zu kommen, zu verspielen, hat sich die Republik Südafrika bislang in die inneren Angelegenheiten Moçambiques nicht eingemischt; dasselbe gilt für Rhodesien. Die

  1. Vgl. dazu beispielsweise die Resolutionen, die der UN-Sicherheitsrat während seiner nur australafrikanischen Themen gewidmeten Sondersitzung Anfang 1972 in Addis Abeba faßte. Diese sind abgedruckt in »UN Monthly Chronicle«, vol. 9, Nr. 3 (1972.3), S. 50-52.
  2. Diese Formulierung wählte Houphouët-Boigny in seiner Ansprache vor der 10. OAU-Gipfelkonferenz im Mai 1973 in Addis Abeba.
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OAU wird Moçambique weder direkt noch indirekt durch die Einschaltung von UN-Sonderorganisationen bei der Bewältigung seiner unbeschreiblich großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten behilflich sein können12.

Es hat den Anschein, als stellten die Schwierigkeiten bei der Beschaffung der für die Fortführung der Wirtschaft und der Verwaltung des Landes erforderlichen Kader zur Zeit für die moçambiquanische Übergangsregierung (und erst recht für die ab 25. Juni 1975 amtierende erste Regierung eines dann vollständig unabhängigen Moçambiques) das größte Problem dar. Diese Schwierigkeiten rühren zum einen daher, daß die Portugiesen, die, wie bereits erwähnt, offensichtlich keine Eventualplanung für den Fall ihrer militärischen Niederlage getroffen hatten, bei weitem nicht genügend einheimische Kader ausgebildet haben. Zum anderen verfügte Moçambique, anders als beispielsweise Rhodesien vor 1965, als Bestandteil des zentralistisch geführten portugiesischen Imperiums nie über eine eigenständige Verwaltung. Besonders wichtig ist schließlich, daß durch den Exodus von Zehntausenden von Weißen vor allem portugiesischer Nationalität, die bislang fast alle Führungspositionen im Lande bekleideten, in absehbarer Zeit nicht zu schließende Lücken gerissen werden. Diese Menschen gehen, trotz des unbestreitbar versöhnlichen Kurses des neuen Premierministers Ndugu J. Chissano (FRELIMO), mit guten Gründen davon aus, daß man sie bestenfalls solange in einem unabhängigen Moçambique dulden wird, als sie absolut unersetzlich sind. So gesehen war es gewiß falsch, wenn die internationale Berichterstattung in dem von Weißen initiierten und später von einer Reihe schwarzer Persönlichkeiten unterstützten Aufstand Anfang September 1974 in Lourenço Marques nur das Werk von Extremisten sah. Daß sich dieser Bewegung schwarze Moçambiquaner in größerer Zahl anschlossen, sollte sich von selbst verstehen. Denn alle jene Moçambiquaner, die insbesondere während des zehnjährigen Kolonialkrieges mit den Portugiesen zusammenarbeiteten, sehen heute einer ausgesprochen unsicheren Zukunft entgegen. Das gilt naturgemäß in besonderem Maße für die schwarzen Soldaten, die von den Portugiesen häufig als Eliteeinheiten eingesetzt wurden. In diesem Zusammenhang verdient besondere Beachtung, daß Zehntausende von schwarzen Soldaten der portugiesischen Streitkräfte allein in Moçambique nach dem 25. April 1974 entlassen wurden. Die meisten dieser ausgemusterten Soldaten haben einen anderen Beruf nicht erlernt, und vielen ist es in dem allgemeinen Chaos gelungen, ihre Waffen mitzunehmen. Die Zahl dieser beschäftigungslosen, aber bewaffneten Truppen dürfte heute erheblich größer sein als die der Soldaten der FRELIMO.

Wirtschaftlich wird Mocambique wohl nur fortbestehen können, wenn es, entgegen allen Vorstellungen der OAU, für lange Zeit die enge ökonomische Kooperation mit der Republik Südafrika aufrechterhält, d. h. vor allem das moçambiquani-

  1. Die OAU ist hier zur Passivität verurteilt, da sie sich trotz gelegentlicher schönfärberischer Ministerratsresolutionen nie mit wirtschaftlichen und entwicklungspolitischen Problemen wirklich auseinandergesetzt hat. Und ihre »Zusammenarbeit« mit der Economic Commission for Africa der UN mit Sitz in Addis Abeba sowie der Banque Africaine de Développement (BAD) mit Sitz in Abidjan hat ferner immer darunter gelitten, daß die OAU versucht hat, sich diese Institutionen entgegen deren Statuten unterzuordnen; vgl. in diesem Zusammenhang jüngst die Rede von OAU-Generalsekretär Eteki M'Boumoua in »Fraternité Matin« (Abidjan) vom 18. November 1974, S. 11, in der von der BAD als einem »organe opérationnel« der OAU die Rede ist.
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sche Eisenbahn- und Straßennetz sowie die Häfen Lourenço Marques und Beira auch weiterhin Südafrika (und Rhodesien) zur Verfügung stellt, südafrikanische und rhodesische Touristen unabhängig von ihrer rassischen Herkunft nach Moçambique einströmen und moçambiquanische Kontraktarbeiter (z. Z. wohl mehr als 100000) weiterhin vor allem in südafrikanischen Bergwerken arbeiten läßt sowie schließlich die ab 1975 in Cabora Bassa produzierte elektrische Energie an südafrikanische Abnehmer verkauft. Allem Anschein nach sind die Regierungen in Pretoria und Salisbury bereit, auf dieser Basis mit den neuen Verantwortlichen in Moçambique zu kooperieren; und auch die amtierende Regierung in Lourenço Marques scheint derzeit die entsprechende Bereitschaft zu haben. Vielleicht hat Moçambique, das wohl auch von westlicher Seite mit umfangreichen Hilfsangeboten wird rechnen können, so eine Chance, nicht im Chaos zu versinken. Die eigentliche Bewährungsprobe wird kommen, wenn sich die Portugiesen, übrigens entgegen den Vorschlägen der FRELIMO während der Verhandlungen über die Gewährung der staatlichen Unabhängigkeit Moçambiques, bis zum 25. Juni 1975 auch mit allen militärischen Einheiten aus dem Land zurückgezogen haben werden.

So spricht manches dafür, daß der im Sommer 1974 von der südafrikanischen Tageszeitung »Rand Daily Mail« veröffentlichte und der OAU zugeschriebene Plan, Moçambique für den Fall, daß FRELIMO nicht die Kontrolle über dieses Land erringen und behaupten kann, unter den schwarzen Nachbarländern aufzuteilen, trotz aller OAU-Dementis in dieser oder jener Form aktuell werden wird.

2. Die Situation Angolas

Auch für die bisherige portugiesische Kolonie Angola gilt, daß für sie zur Zeit des Machtwechsels in Lissabon Eventualplanungen allem Anschein nach nicht vorlagen. Auch in Angola gab es bis zum 25. April 1974 keine eigenständige Verwaltung. Und schließlich gibt es auch in diesem Land keine einheitliche Nation. Wie in ihren anderen afrikanischen Kolonien, so haben die Portugiesen auch hier die aus der vorkolonialen Zeit überkommenen Herrschaftsstrukturen nicht nur nicht zerstört, sondern sich ihrer bedient. Genauso wie in Moçambique wurde so das Fortbestehen partikularistischer Strukturen, die der Einigung des Landes entgegenstehen, begünstigt. Anders als in Moçambique hat dies in Angola jedoch zu einer Zersplitterung der die Portugiesen bekämpfenden Gruppen geführt; heute melden hier vier »Befreiungsbewegungen« ihre Ansprüche an. Die portugiesischen Streitkräfte sind in Angola militärisch nicht besiegt worden; anders als in Moçambique hatten sie das Land bis zur Machtergreifung durch das Movimento das Forcas Armadas in Lissabon unter Kontrolle. Die Bevölkerung Moçambiques ist zwar um etwa 50 Prozent größer als die Angolas, jedoch ist das wirtschaftliche Potential der letzteren Kolonie sehr viel größer als das der bisherigen ostafrikanischen Besitzung Portugals. Der europastämmige Anteil der Bevölkerung ist in Angola mit ca. 10 Prozent (ca. 550000) viel höher als in Moçambique, wo er zur Zeit des Putsches etwa bei 2,5 Prozent (ca. 200000) lag. Angola ist wirtschaftlich von Südafrika nicht abhängig.

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Umgekehrt ist der Flughafen von Luanda, wie übrigens auch der Großflughafen auf der kapverdischen Insel Sal, für den Flugverkehr zwischen der Republik Südafrika und Europa/Nordamerika sehr bedeutsam. Erwähnung verdient schließlich das angolanisch-südafrikanische Gemeinschaftsprojekt zur Errichtung eines Kraftwerkes in Ruacana/Angola, das ab 1977 den südwestafrikanischen Bergbau mit elektrischer Energie versorgen soll. Schließlich werden bereits heute Teile des südwestafrikanischen »Bantustans« Owambo mit in Caluaque/Angola aus dem Kunene abgeleitetem Wasser künstlich bewässert.

Divergenzen unter den »Befreiungsbewegungen«

Daß Angola bislang, anders als Guinea-Bissau und in wenigen Monaten Moçambique, noch nicht in eine äußerst fragwürdige, da eben überhaupt nicht vorbereitete staatliche Unabhängigkeit entlassen worden ist, liegt ganz wesentlich daran, daß hier vier miteinander rivalisierende »Befreiungsbewegungen« aktiv sind13. Dabei handelt es sich um die folgenden Gruppen: Frente Naçional de Libertaçao de Angola (FNLA, ursprünglich von der OAU als Exilregierung Angolas mit Sitz in Kinshasa, seit 1971 aber nur noch als eine von mehreren »Befreiungsbewegungen« anerkannt); Movimento Popular de Libertaçao de Angola (MPLA, von der OAU als »Befreiungsbewegung« anerkannt); Uniao Naçional para a Independençia Total de Angola (UNITA, wegen angeblicher Kollusion mit dem imperialistischen Portugal bislang von der OAU nicht anerkannt) sowie schließlich die Frente da Libertaçao da Enclave Cabinda (FLEC, nicht von der OAU anerkannt). Die OAU hat während der letzten zehn jahre immer wieder versucht, FNLA und MPLA miteinander auszusöhnen; diese Bemühungen sind bislang stets fehlgeschlagen14. Persönliche und ethnische Rivalitäten, ideologische Differenzen sowie nicht zuletzt Streitigkeiten zwischen hinter diesen Gruppen stehenden ausländischen Mächten haben immer wieder selbst zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen FNLA und MPLA geführt.

Es war die FNLA, die 1961 im Norden des Landes den Unabhängigkeitskrieg gegen die portugiesische Kolonialmacht begann. In Angola selbst stützt sie sich vor allem auf die Bakongo, die wichtigste ethnische Gruppe Nordangolas; viele Angehörige dieses Volkes leben im benachbarten Zaire. Von vielleicht entscheidender Bedeutung für die Position der FNLA ist wohl immer die diplomatisch-politische, militärische und sonstige materielle Unterstützung durch Zaire gewesen. Ihr sollen daneben auch größere Mittel aus amerikanischen Quellen zugeflossen sein, was ihrem Führer, Holden Roberto, von der marxistisch inspirierten MPLA den Vorwurf eintrug,

  1. Die wohl beste Darstellung dieses Komplexes findet sich bei Richard Gibson »African Liberation Movements«, New York and London, 1972, S. 197-242; weiter Günter Krabbe »Angola fehlt Spinolas Hand« in »Frankfurter Allgemeine Zeitung« vom 3. 10. 1974, S. 12.
  2. Daran dürfte sich, mangels Autorität der OAU gegenüber ihren Mitgliedern und den »Befreiungsbewegungen«, in Zukunft kaum etwas ändern. Auch für die kommenden Jahre dürfte gelten, was die nigerianische Zeitschrift »Afriscope« (Lagos, November 1972, S. 53) mit guten Gründen zur bisherigen Rolle der OAU als innerafrikanischem Streitschlichter feststellte: »The best which the OAU has done in all cases is to present an efficient stenographer, a bilingual interpreter, and a smiling Secretary-General who never fails to rush to the press before the mediator 'on behalf of the OAU'«.
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»im Solde des US-Imperialismus zu stehen«. So schwer, ja unmöglich es auch heute noch ist, sich ein genaueres Bild vom Rückhalt der FNLA, wie auch der drei anderen Gruppen, in der Bevölkerung Angolas incl. Cabindas zu machen, so steht doch fest, daß die FNLA unter Zugrundelegung militärischer Gesichtspunkte heute der bei weitem stärkste Faktor unter den angolanischen »Befreiungsbewegungen« ist. Dazu hat erheblich beigetragen, daß die VR China in den letzten Jahren die Ausbildung ihrer Soldaten in Zaire übernommen hat.

Die MPLA genießt außerhalb Angolas vor allem die Unterstützung Algeriens, der VR Kongo, wohl immer noch Sambias sowie der UdSSR und ihrer Verbündeten. Sie dürfte im Lande selbst erheblich besser organisiert sein als die mit ihr rivalisierenden Gruppen und stützt sich, ohne besonderen Rückhalt in einer der ethnischen Gemeinschaften, auf viele jener Angolaner, häufig Mischlinge afro-europäischen Ursprungs, die eine relativ gute Ausbildung erfahren haben. Sowohl ihre marxistische Orientierung als auch der starke Einfluß von Mestizen schafft ihr jedoch in einer Umgebung, die zunehmend nach ihrer eigenen Identität, der »authenticité noire«, sucht, viele Feinde. Hier liegt wohl auch eine der wesentlichen Ursachen dafür, daß die MPLA seit einigen Monaten weitgehend in drei sich bekämpfende Flügel zerfallen ist. Es bleibt abzuwarten, ob sich diese Meinungsverschiedenheiten innerhalb der MPLA noch werden überwinden lassen.

Die UNITA ist die einzige »Befreiungsbewegung«, die zur Zeit des Lissaboner MachtWechsels ihr Hauptquartier in Angola hatte. Ihre Anhänger rekrutieren sich allem Anschein nach ausschließlich aus den allerdings zahlenmäßig sehr starken Völkern in Zentral- und Südangola. Die MPLA wirft, wohl nicht zu Unrecht, UNITA wie auch FNLA vor, nicht eine nationale, sondern eine tribalistische Bewegung zu sein; ferner hat insbesondere die MPLA die UNITA immer der geheimen Kollusion mit den portugiesischen Kolonialbehörden bezichtigt. Es hat den Anschein, als sei MPLA, FNLA und UNITA derzeit außer dem Wunsch, Angola unter ihrer jeweiligen Leitung in die Unabhängigkeit zu führen, nicht viel mehr gemein, als daß sie sich den Bestrebungen der FLEC widersetzen, Cabinda, ein von nur siebzigtausend Menschen bewohntes erdölreiches Gebiet, aus Angola auszugliedern und zu einem selbständigen Staat (»afrikanische Schweiz«) zu machen.

Perspektiven der Entwicklung

Angesichts zumindest potentieller territorialer Ansprüche der Nachbarstaaten Angolas, angesichts der divergierenden Interessen von UdSSR und VR China, angesichts der schwer durchschaubaren Haltung der USA, angesichts der vielleicht hoffnungslosen Zersplitterung der »Befreiungsbewegungen«, angesichts des Fehlens einer angolanischen Nation, angesichts der großen wirtschaftlichen Interessen u. a. westeuropäischer, amerikanischer und südafrikanischer Unternehmen, vor allem im Bergbau des Landes, angesichts der divergierenden Interessen der Nachbarstaaten sowie schließlich angesichts der fortbestehenden Hoffnung sehr vieler Weißer, im Lande bleiben zu können, erscheint es heute schlicht ausgeschlossen, Perspektiven der künftigen Entwicklung dieses Territoriums aufzuzeigen. Auch hier

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zeichnet sich allerdings durchaus die Möglichkeit ab, daß dieses Land etwa nach dem endgültigen Abzug der portugiesischen Streitkräfte und der portugiesischen Verwaltung im Chaos versinkt oder, um nur eine weitere Möglichkeit zu nennen, in verschiedene Staaten zerfällt. Heute läßt sich wohl nur soviel sagen, daß das Ausbleiben einer solchen oder ähnlichen Entwicklung sehr viel überraschender wäre als ihr Eintreten.

3. Zur Situation in Südwestafrika/Namibia

Bekanntlich hat sich die Regierung in Pretoria bislang weder durch die Beschlüsse der Vollversammlung und des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, durch die Südafrika das Völkerbundsmandat über Südwestafrika/Namibia zugunsten der UN selbst entzogen wurde, noch durch das 1971 veröffentlichte, die Entscheidung dieser UN-Organe bestätigende Gutachten des Internationalen Gerichthofes15 davon abhalten lassen, ihre ihren (ausnahmslos weißen) Wählern gutdünkende Politik der getrennten Entwicklung auch in dem Mandatsgebiet weiter zu verfolgen. So verwaltet Südafrika dies Territorium weiterhin faktisch wie eine fünfte Provinz und hat im ,Verlauf der zurückliegenden Jahre unter anderem damit begonnen, die Grundlagen für die Etablierung von zehn nicht lebensfähigen, jedoch gleichwohl in die Unabhängigkeit zu entlassenden »Heimatländern«, für acht schwarze und zwei gemischtrassige ethnische Gruppen zu schaffen. Diese Gebiete, die 83 Prozent der Gesamtbevölkerung des Landes aufnehmen sollen, umfassen zusammen kaum ein Drittel der Fläche des Territoriums; anders als ihr relativ großes landwirtschaftliches Potential sind ihre industriellen Ressourcen kaum der Rede wert. Die Einwohnerzahl dieser »Heimatländer« schwankt zwischen ca. 5000 (Tswanaland) und ca. 350000 (Owambo). Das übrige, an Bodenschätzen reiche, Südwestafrika, das zumindest nach den bis 1974 gültigen Vorstellungen Pretorias später auch rechtlich voll in die Republik Südafrika integriert werden soll, wird als das »Heimatland« von ca. 32000 weiteren Coloureds sowie der ca. 100000 weißen Südwestafrikaner angesehen.

Widerstand gegen diesen und die anderen Aspekte des gegenwärtigen politischen Systems organisierte sich außer in kirchlichen Kreisen, hier vor allem um den Bischof der Owambo-Kavango Kirche, L. Auala, in einigen politischen Gruppierungen16. Die große Schwäche des schwarzen wie auch gemischtrassigen Widerstandes liegt darin, daß er bislang keine nationalen, sondern nur auf ethnischer Grundlage operierende, einander befehdende Gruppen hervorgebracht hat. OAU und UN haben diesen Gesichtspunkt, aus welchen Gründen auch immer, übergangen, als sie ihre Entscheidung zugunsten der SWAPO als der »authentischen Vertreterin des Volkes von Namibia« fällten. Es hat in jüngerer Zeit allerdings den

  1. zu der unter Zugrundelegung völkerrechtlicher Gesichtspunkte sehr fragwürdigen Entscheidung des IGH s. u. a. The South African Institute of International Affairs, Johannesburg, ohne Angabe des Erscheinungsjahres, »South West Africa and the International Court / Two viewpoints of the 1971 advisory opinion«.
  2. Zu nennen sind hier die SWAPO (South West African People's Organisation, von OAU und UN anerkannt), die SWANU (South West African National Union, von OAU und UN nicht anerkannt) sowie die NC (National Convention of Freedom Parties, von OAU und UN nicht anerkannter Zusammenschluß von mehreren ethnischen Gruppen, darunter SWANU und bis vor kurzem auch SWAPO); vgl. zu den Spannungen zwischen diesen Gruppen u. a. »Sunday Times« (Johannesburg) vom 12. Januar 1975, S. 9.
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Anschein, als gelinge es dieser Ende der 50er Jahre als politische Gruppierung der Owambos (knapp 50 Prozent der Gesamtbevölkerung) gegründeten Organisation, insbesondere ihrer Jugendliga, auch Angehörige anderer ethnischer Gruppen als Mitglieder zu gewinnen.

Der bereits seit längerer Zeit erwartete, einstimmig verabschiedete Beschluß des UN-Sicherheitsrates von Mitte Dezember 1974, durch den Südafrika u. a. aufgefordert wird, bis zum 30. Mai 1975 seine Bereitschaft zur Aufgabe Südwestafrikas/Namibias zu erklären, die Entwicklungen im benachbarten Angola sowie, vielleicht der wichtigste Faktor, entsprechender Druck von Seiten der USA haben die Verantwortlichen in Pretoria und Windhuk veranlaßt, ihre bisherige starre Haltung neu zu überdenken. Erstmals sind sie nunmehr bereit, mit Vertretern schwarzer und gemischtrassiger Gruppen die staatsrechtliche Zukunft des umstrittenen Territoriums zu diskutieren. Und dennoch erscheint es heute ausgeschlossen, daß sich die weiße Regierung den Vorstellungen von UN, OAU und SWAPO beugen wird, dem UN Council for Namibia und anschließend der SWAPO die Verwaltung des ungeteilten Territoriums zu übertragen. Eher hegt man wohl in Pretoria/Windhuk die Hoffnung, sich mit der zerstrittenen Opposition darauf einigen zu können, die u. a. um das bedeutendste Bergbauzentrum des Landes, Tsumeb (vor allem Kupfer-, Blei- und Zinnvorkommen), erweiterten, im Norden SW-Afrikas gelegenen »Bantustans« Owambo, Okavango und East Caprivi zusammenzufassen und, getrennt von dem übrigen SW-Afrika, das dann neben ca. 100000 weißen, ca. 90000 gemischtrassige und ca. 150000 schwarze Einwohner haben würde, in die staatliche Unabhängigkeit entlassen zu können. Es gibt allerdings heute keine Anzeichen dafür, daß OAU, UN und SWAPO einer solchen Formel jemals zustimmen werden. Es ist sogar zu befürchten, daß Pretoria/Windhuk, sollte eine entsprechende Chance jemals bestanden haben, die Möglichkeit zur Einigung auf eine wirkliche Kompromißformel bereits vor Jahren verspielt haben. Eine solche Lösung hätte, etwa entlang der Linie Swakopmund-Okahandja-Gobabis, die Aufteilung SW-Afrikas in einen Staat der schwarzen und einen weiteren Staat der weißen und gemischtrassigen Südwestafrikaner vorsehen können. So aber ist ein Ende des völkerrechtlichen und politischen Streits um Südwestafrika/Namibia auch heute, da Südafrika allem Anschein nach den Rückzug seiner Administration erstmals erwägt, noch nicht abzusehen.

4. Zur Lage Rhodesiens

Bei aller Unterschiedlichkeit der im Vergleich mit den rassenpolitischen Systemen in den benachbarten Staaten in vielen Aspekten liberaleren Ordnung Rhodesiens gilt auch für dieses Land, daß eine numerisch kleine weiße Minderheit (ca. 270000, d. s. knapp 4,5 Prozent der Gesamtbevölkerung) die modernen Sektoren der Wirtschaft und die staatliche Administration beherrscht und vor allem in ihrem Interesse nutzt. Deren Position erscheint heute allerdings bedrohter als je zuvor; daran ändert relativ wenig, daß es den Verantwortlichen in Salisbury in ganz erstaunlichem Maße gelungen ist, der durch die Sanktionen des britischen Parlamentes und

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der UN heraufbeschworenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten17 wie auch, hier sind jedoch wohl Einschränkungen zu machen, der Guerillaaktivitäten im Nordwesten und im Nordosten des Landes Herr zu werden. Die gegenwärtige kritische Lage des weißen Minderheitsregimes wird nur vor dem Hintergrund der MachtVerschiebungen in Moçambique, mit dem die ehemalige britische Kolonie eine gemeinsame Grenze von über 1000 km hat, verständlich: Nach dem Zusammenbruch des portugiesischen Kolonialsystems in Lourenço Marques hat Rhodesien für die Republik Südafrika kaum noch die Bedeutung eines strategischen Vorfeldes. Zu einer Verminderung des Interesses Südafrikas an der Beibehaltung des status quo in seinem nördlichen Nachbarn dürfte weiter erheblich beitragen, daß sich die gegenwärtige Lage in Rhodesien wohl nur durch ein viel stärkeres Engagement Pretorias im Bereich des Militär- wie auch des Transportwesens zugunsten Salisburys aufrechterhalten ließe. Das wird ab Ende Juni 1975 noch in stärkerem Maße als bereits heute gelten, wenn sich das dann ganz unabhängige Moçambique, entgegen der bisherigen Politik der Regierung Chissano, zu einer OAU-konformen Politik gegenüber Rhodesien entschließt.

Außer der Republik Südafrika drängen heute wohl die Regierungen Moçambiques, Botswanas und vor allem die Sambias auf eine endgültige Beilegung des nunmehr bereits zehnjährigen anglo-rhodesischen Verfassungsstreites. Außer eigenen sicherheitspolitischen Erwägungen gebieten die sehr großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Landes der Regierung in Lusaka, hier auf einen Ausgleich zu drängen. Denn diese Schwierigkeiten ließen sich wohl am ehesten durch eine radikale Wiederbelebung der allerdings nie abgerissenen Handels- und übrigen Wirtschaftsbeziehungen Sambias zu den Republiken Rhodesien und Südafrika lösen. So sind heute viele Beobachter der rhodesischen Szene der Meinung, daß Einflußnahmen Pretorias und Lusakas auf die weiße Regierung in Salisbury bzw. die rhodesischen »Befreiungsbewegungen« dazu führen können, daß sich beide Seiten bei aller Gegensätzlichkeiten der gegenwärtigen Standpunkte auf eine Kompromißformel einigen können. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Frage, ob sich das Anfang Dezember in Lusaka von den vier bislang teilweise hoffnungslos zerstrittenen afrikanisch-nationalistischen Widerstandsgruppen18 unterzeichnete Einigungsabkommen als tragfähig erweist. Und schließlich ist zu beachten, daß ein abrupter Machtwechsel, d. i. hier ein vollständiger Machtwechsel innerhalb weniger Jahre, auch in Rhodesien zumindest dazu führen kann, daß das Land ins Chaos versinkt. Es bleibt abzuwarten, ob das von allen an der Suche nach einer Lösung des rhodesischen Verfassungskonfliktes Beteiligten gesehen wird.

  1. Zur wirtschaftlichen Situation Rhodesiens vgl. vor allem: Rhodesian Banking Corporation Ltd. »The Rhobank Businessman's Guide to Rhodesia«, Salisbury 1974. 75 S.
  2. Bislang waren innerhalb und außerhalb Rhodesiens die folgenden Gruppen aktiv: Zimbabwe African National Union (ZANU; sie rekrutiert ihre Anhänger vor allem unter den Shonas und ist von OAU und UN anerkannt); Zimbabwe African People's Union (ZAPU; sie rekrutiert ihre Mitglieder vor allem unter den Ndebele und ist von OAU und UN anerkannt); African National Council (ANC, von OAU und UN anerkannt) sowie die Front for the Liberation of Zimbabwe (weder von OAU noch den UN anerkannt). Der sog. »unity pact« ist, soweit ersichtlich, bislang nicht veröffentlicht worden, s. dazu aber »The Rhodesia Herald« (Salisbury) und »The Chronicle« (Bulawayo), beide vom 9. Dezember 1974, S. 1.
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5. In der Republik Südafrika

So sehr die südafrikanische Afrika- und Innenpolitik in den zurückliegenden Monaten in Bewegung geraten ist, so sehr heute manches in Frage gestellt wird, was noch zur Zeit der letzten Parlamentswahlen im April 1974 tabu war, so dürften doch immer noch die folgenden Umstände als feste Größen anzusehen sein: Die Nationale Partei, die wichtigste Trägerin der Politik der Getrennten Entwicklung, ist unter den weißen Südafrikanern beider Sprachgruppen heute stärker denn je zuvor; sie wird zumindest die Grundzüge ihrer Politik nicht aufgeben. Auch die politischen Programme der weißen Oppositionsparteien sind nicht geeignet, die unglaublich komplexen Probleme Südafrikas zu lösen; deren Anhänger gehen jedoch zu Unrecht davon aus, daß die Konzepte dieser Oppositionsparteien geeignet seien, die äußeren und inneren Widerstände gegen Pretoria entscheidend zu verringern. Eine einheitliche schwarze Nation gibt es in Südafrika auch heute nicht; ethnische Differenzen spielen nach wie vor eine sehr große Rolle. In der letzten Zeit ist es jedoch der neuen schwarzen Führungselite, die sich innerhalb der »Bantustans« entwickelt hat, gelungen, ihr Vorgehen gegenüber Pretoria zu harmonisieren. Diese Elite lehnt in aller Regel die Politik der Getrennten Entwicklung, zumindest in ihrer gegenwärtigen Version, ab, bedient sich jedoch ihrer Institutionen, um ihre zunehmend schärfer werdenden Forderungen vorzubringen. Die Regierung des Pragmatikers Vorster hat mit Gatsha Buthelezi, Cedric Phatudi, Huddy Ntsanwisi, Lucas Mangope u. a. einen erstaunlich offenen Dialog aufgenommen.19 Sie kann auf viele der hier vorgebrachten Forderungen, insbesondere die nach Zuteilung von mehr Land an die »Bantustans«20, mit Rücksicht auf die Haltung ihrer zumeist konservativen oder reaktionären Wähler nicht eingehen. Andererseits muß sie gerade dies tun, will sie nicht einen Zusammenbruch ihrer Politik der Getrennten Entwicklung in Kauf nehmen. Die gemischtrassigen und indienstämmigen Südafrikaner sehen in einem nur von Weißen beherrschten Südafrika im Vergleich zu einem schwarzen Einheitsstaat Südafrika vielleicht mehr denn je zuvor das geringere Übel. Keine südafrikanische Regierung wird sich den Forderungen von OAU und UN beugen. Denn deren Verwirklichung bedeutete über kurz oder lang die Vertreibung der weitaus meisten, vielleicht aller weißen (d. s. ca. 4,2 Mill. = 17 Prozent der Gesamtbevölkerung), gemischtrassigen (d. s. ca. 2,3 Mill. = 9,2 Prozent) und indienstämmigen (d. s. ca. 0,65 Mill. = 2,6 Prozent) Bewohner und den völligen Zusammenbruch der Wirtschaft dieses hochindustrialisierten Landes. Ein so vehementer Kritiker des gegenwärtigen Systems wie der Gründer der inzwischen aufgelösten Liberal Party (»one man one vote«), der weiße südafrikanische Dichter Alan Paton, meint zu den Vorstellungen von OAU/UN: »Black power is a fact of my life, but I have no wish to

  1. S. dazu u. a. Klaus Frhr. von der Ropp »Perspektiven der politischen Entwicklung Süd- und Südwestafrikas« in »Internationales Afrika-Forum«, vol. 10, Nr. 5 (1974.5), S. 296-307.
  2. Die 8 Bantu-Heimatländer, die entsprechend der Politik der Getrennten Entwicklung letztlich 70 v. H. der südafrikanischen Gesamtbevölkerung von z. Z. knapp 25 Mio. aufnehmen sollen, umfassen auch heute noch kaum 13 v. H. des Territoriums der Republik. Obwohl das landwirtschaftliche (nicht aber industriellel) Potential dieser Gebiete in vielen Fällen ganz erheblich größer ist als das der anderen Regionen Südafrikas, sind die Heimatländer auch heute noch die Armenhäuser der Republik.
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be ruled by it, no more than I have approved of being ruled by white power for the whole of my life«21.

Erfordernis und Ansätze zu inneren Reformen

Entscheidend für die künftige Stellung Südafrikas auf dem afrikanischen Kontinent wird weniger die Haltung Pretorias in der Südwestafrika-/Namibia- und Rhodesienfrage sowie gegenüber der portugiesischen Entkolonialisierungspolitik sein als die Bereitschaft, seine eigene Rassenpolitik durchgreifend zu modifizieren. Die Frage, ob die Mehrzahl der die Geschicke des Landes bestimmenden weißen Wähler dazu heute bereit ist, wird man aber zu verneinen haben.

Wie hinreichend bekannt, ist die Politik der Getrennten Entwicklung ausschließlich von weißen Südafrikanern konzipiert worden; Vertreter der schwarzen Bevölkerung, der Coloureds und der indienstämmigen Südafrikaner sind bei ihrer Implementierung bestenfalls gelegentlich konsultiert worden. Obwohl es auch in einer Vielzahl anderer Bereiche, insbesondere im Arbeitsleben, in den zurückliegenden Jahren zu sehr bedeutsamen positiven Veränderungen gekommen ist22, wird man die Aufnahme eines offenen Dialogs zwischen weißen und schwarzen Südafrikanern als das bei weitem bedeutsamste Ereignis anzusehen haben.

Beginn eines internen Dialogs

Mit der Konferenz Vorsters mit den Verantwortlichen der acht südafrikanischen »Bantustans« Anfang März 1974 in Pretoria ist eine Entwicklung zum Positiven in Gang gesetzt worden, die sich nicht mehr aufhalten läßt. Vielleicht ebenso bedeutsam wie der Umstand, daß sie überhaupt stattfand, ist vor dem Hintergrund der traditionellen südafrikanischen Machtverhältnisse die Tatsache, daß dies nur wenige Wochen vor den weißen Parlamentswahlen in aller Offenheit geschah. Es hieße die Machtverhältnisse in diesem Land gründlich zu verkennen, wollte man annehmen, daß während dieser Unterredungen die Frage zur Debatte gestanden habe, ob die Regierung in Pretoria an ihrer Politik der Getrennten Entwicklung festhalten solle. Jeder Versuch der schwarzen Politiker, an diesem System zu rütteln, hätte unweigerlich zu einem »dialogue de sourds« geführt. Innerhalb dieser Grenzen sah sich Vorster jedoch mit allen jenen, fast immer an Schärfe nichts zu wünschen übriglassenden Forderungen konfrontiert, die Gatsha Buthelezi und andere seit einigen Jahren mit zunehmender Heftigkeit vorbringen. Das gilt insbesondere für die Forderung nach Übertragung zusätzlichen Landes an die Heimatländer. Deren Führer sind mit guten Gründen um keinen Preis bereit, die geographisch völlig zerrissenen, gemessen an ihrer Bevölkerung räumlich viel zu kleinen, vom industriellen Potential her immer noch als Armenhäuser zu qualifizierenden Territorien in eine Schein-Unabhängigkeit zu führen. Mit Fug und Recht weisen sie immer wieder darauf hin, daß es bislang nicht zu einer Aufteilung der politischen Macht und wirtschaftlichen Ressourcen dieses großen und reichen Landes auf die vier Bevölke-

  1. In »Reality / A journal of liberal and radical opinion« (Pietermaritzburg), vol. 5, Nr. 6 (1974.1), S. 2-4 (2).
  2. S. dazu vor allem Merle Lipton »South Africa: authoritarian reform?« in »The World Today« (1974.6), S. 247-158.
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rungsgruppen gekommen ist, daß vielmehr die Weißen den übrigen Südafrikanern bislang kaum mehr als bessere Almosen zugestanden haben.

Das Dilemma Vorsters

Angesichts der einschneidenden Forderungen seiner schwarzen Gesprächspartner sieht sich Vorster vor ein derzeit schier unlösbares Dilemma gestellt: Die Rücksicht auf die Mehrzahl seiner Wähler zwingt ihn, auf diese Forderungen nicht einzugehen; die Notwendigkeit, einen innersüdafrikanischen Ausgleich zu erzielen, zwingt ihn, eben diese Forderungen zu erfüllen. So erscheint es ausgeschlossen, daß selbst überfällige Veränderungen verwirklicht werden können, solange die weißen Südafrikaner in einem parlamentarischen System leben. Es sollte nicht übersehen werden, daß die Partei Vorsters nicht zuletzt deshalb mehr als zwei Drittel der Mandate (123) gewonnen hat, weil sie sich den Wählern als betont konservative Partei präsentierte. Unter den gegenwärtigen Umständen würde ein deutliches Einschwenken Vorsters auf den Kurs des wohl von der Qualität, nicht aber der Zahl seiner Anhänger her starken »verligte« Flügels der Regierungspartei wohl zwangsläufig zu seiner Entmachtung und Ersetzung durch eine Persönlichkeit führen, die den offen rassistischen Vorstellungen der vor einigen Jahren von der Nationalen Partei abgesplitterten Herstigte Nasionale Party Albert Hertzogs nahesteht. Zum anderen muß Vorster in Rechnung stellen, daß sich Cedric Phatudi, Huddy Ntsanwisi, Lucas Mangope und selbst Gatsha Buthelezi politisch in ihren eigenen Lagern nur dann behaupten können, wenn sie sich, entgegen der in radikalen schwarzen Kreisen Südafrikas sehr verbreiteten Skepsis gegenüber ihrer Taktik, vor allem auch in der Landfrage durchsetzen können. Es sollte unzweifelhaft sein, daß jene schwarzen Südafrikaner, die nach einem eventuellen Scheitern der heutigen Führer der Bantu-Heimatländer als Sprecher der 17 Mill. schwarzen Einwohner auftreten werden, kaum noch bereit sein werden, gemeinsam mit den weißen Verantwortlichen einen Ausweg zu suchen. Sie werden wohl der Bewegung des Black Consciousness23 angehören, deren nicht wenige, vor allem unter Studenten, Akademikern und Gewerkschaftsfunktionären anzutreffende Mitglieder sich bereits heute jedem Ausgleich widersetzen, der auch die Interessen der weißen, gemischtrassigen und indienstämmigen Südafrikaner berücksichtigt. Viele Mitglieder und Sympathisanten der die Bewegung des Black Consciousness tragenden Gruppen (u. a. South African Students Organisation, Black People's Convention) werden bereits heute mit dem offiziellen Organ der aus dem Exil heraus agierenden rassistischen »Befreiungsbewegung« Pan Africanist Congress of Azania zur Rolle der Führer der Heimatländer die Auffassung vertreten, daß »these tribal chiefs are lining up in the competition for the dubious title of the king of clowns«24.

  1. S. dazu den aufschlußreichen Artikel von D. A. Kotzé »Black Consciousness in South Africa« in »Politikon« (Pretoria), vol. 1, Nr. 1 (1974.6), S. 44-63; s. ferner »What we think black consciousness is all about« in »Azania News« (Official Organ of the Pan Africanist Congress of Azania), Dar-es-Salaam, vol. 9, Nr. 3-6 (1974.3-6), S. 21-26.
  2. »Azania News«, Dar-es-Salaam, vol. 9, Nr. 3-6 (1974.3-6), S. 13. Bei der Einschätzung der Bedeutung dieser Stellungnahme ist aber zu berücksichtigen, daß selbst Vertreter »progressiver« Staaten Afrikas wie J. R Nyerere, K. Kaunda sowie hohe Funktionäre der OAU zumindest mit Gatsha Buthelezi intensive Gespräche über die innere Situation Südafrikas geführt haben.
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Die Grenzen »verlegter« Reformen

Es käme, unter Zugrundelegung der gegenwärtigen südafrikanischen Strukturen, revolutionären Umwälzungen gleich, sollte es der gegenwärtigen Regierung in Pretoria gelingen, einige ihrer innenpolitischen Probleme etwa wie folgt zu lösen: die radikale und großzügige geographische Erweiterung und wirtschaftliche Konsolidierung der acht in die Unabhängigkeit zu entlassenden Bantu-Heimatländer, etwa, um nur ein Beispiel zu nennen, die Inkorporierung des Hafens und Industriekomplexes von Richard's Bay in Kwa Zulu. Die politische und wirtschaftliche Gleichstellung der 2,3 Mill. gemischtrassigen und 0,65 Mill. indienstämmigen Südafrikaner mit den weißen Bewohnern des Landes, nachdem bereits heute feststeht, daß die von der Nationalen Partei diesen Gruppen diktierte Politik der »Parallelen Entwicklung« auf der ganzen Linie gescheitert ist. Einem definitiven Ausgleich innerhalb Südafrikas stünde dann immer noch entgegen, daß Millionen schwarzer Südafrikaner (z. Z. über 8 Mill.; deren Zahl steigt rapide an) sich kaum mit einem Wanderarbeiterdasein in der Rest-Republik Südafrika begnügen werden.

Mängel weißer Alternativkonzepte

Entgegen einer häufig in Südafrika gehörten Auffassung wäre dies Problem auch nicht mit Hilfe der politischen Programme der weißen Oppositionsparteien United Party (UP, derzeit 41 Sitze im Parlament) und Progressive Party (PP, derzeit 7 Sitze) zu lösen. Bekanntlich hat sich die UP immer der Ausgliederung der Bantu-Heimatländer aus der Republik und ihrer Entlassung in die staatliche Unabhängigkeit widersetzt. Sie propagiert eine bundesstaatliche Ordnung, deren Besonderheit im Vergleich mit anderen föderalen Staatswesen darin besteht, daß sie nicht an geographische Einheiten, sondern, übrigens im ganzen Land verstreut lebende, ethnische Einheiten anknüpft. Wie eine solche »Race Federation« in der Praxis arbeiten soll, ist immer unerfindlich geblieben. Das gilt um so mehr, als sich die Mitglieder der UP noch nicht einmal über das theoretische Konzept einer solchen Föderation haben einigen können. Die beiden Flügel der Partei, die ausgeprägt konservative »Old Guard« und die progressiven »Young Turks« verbindet kaum etwas; ihr organisatorischer Zusammenhalt wird wohl nur dadurch gewährleistet, daß man das Programm der Partei so vage formuliert hat, daß jeder Flügel es mühelos in seinem Sinne interpretieren kann. Die PP hingegen propagiert nach wie vor einen an Ausbildungs- sowie Einkommens-/Vermögenskriterien orientierten Kurs der graduellen Integration (also qualifiziertes, aber eben nicht nach rassischer Zugehörigkeit differenzierendes Wahlrecht). Ihr Programm ist an Idealen orientiert, wie etwa dem eines allgemeingültigen Zivilisationsbegriffes, für die sich heute wie im übrigen Afrika, so auch in Südafrika keine Basis findet. Für den Jungtürken-Flügel der UP wie auch die PP gilt weiter, daß ihre Konzessionsbereitschaft an die schwarzen, gemischtrassigen und indienstämmigen Südafrikaner in den Augen der übergroßen Mehrheit der Weißen zu groß ist, wohingegen die schwarzen (weniger die gemischtrassigen und indienstämmigen) Bewohner des Landes eben diese Konzessionen als bei weitem nicht genügend betrachten.

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Teilung als Ausweg?

Wer sich nicht mit der allerdings sehr naheliegenden Feststellung zufriedengeben will, daß es für viele der internen südafrikanischen Probleme eine Lösung überhaupt nicht gebe, wird sich mit der Frage auseinanderzusetzen haben, ob eine Teilung dieses großen und reichen Landes in einen an Fläche und natürlichen Ressourcen größeren Staat der schwarzen Südafrikaner und einen entsprechend kleineren Staat der weißen, gemischtrassigen und indienstämmigen Südafrikaner in Betracht kommt. Einer solchen Entwicklung stehen heute allzu viele Hindernisse entgegen; nur einige seien hier aufgeführt: Der Irrglauben vieler Weißen, den status quo unbegrenzt aufrechterhalten zu können. Der Irrglauben vieler schwarzer Südafrikaner, endlich doch ganz Südafrika unter ihre Kontrolle bringen zu können, ohne daß dies Land zuvor völlig zerstört wird. Die mangelnde Einheit unter den verschiedenen schwarzen Völkern Südafrikas; die realitätsferne und unaufrichtige Haltung von OAU und UN; die ablehnende Haltung vieler Weißer gegenüber den gemischtrassigen und, viel ausgeprägter, gegenüber den indienstämmigen Bürgern des Landes sowie, ein besonders schwerwiegendes Argument, das Interesse aller Südafrikaner an einer optimalen Nutzung des großen wirtschaftlichen Potentials des Landes. Es kann und soll nicht bestritten werden, daß rein wirtschaftliche Überlegungen dazu führen müssen, einen solchen Teilungsplan als unsinnig zu verwerfen; seiner Verwirklichung stehen wohl alle Gebote wirtschaftlicher Vernunft entgegen. Denn Teilung zerstört. Aber es stellt sich doch die Frage, ob die Alternative zu einer solchen Teilung, längerfristig gesehen, nicht nur in sehr langwierigen kriegerischen Auseinandersetzungen bestehen kann, an deren Ende die Vernichtung von Millionen von Menschen, darunter gewiß überwiegend schwarze Südafrikaner, die völlige Zerstörung der Wirtschaft des Landes und die Vertreibung der überlebenden Angehörigen der heute dort lebenden, gleichfalls südafrikanischen Minderheiten stehen werden. Es sollte sich von selbst verstehen, daß ein solcher Teilungsplan, der u. a. die Umsiedlung von Millionen von Menschen erforderlich macht, nur mit u. a. sehr umfangreicher materieller Unterstützung der Staaten der westlichen Welt verwirklicht werden kann. Die angesprochenen Drittländer sollten gegebenenfalls ein entsprechendes Ersuchen Pretorias im Interesse aller Völker Südafrikas und mit Rücksicht auf ihre eigenen Interessen an der strategisch so bedeutsamen Südspitze des Kontinents positiv beantworten.

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